Am See
eBook - ePub

Am See

  1. 376 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Über dieses Buch

Am See. – Am Ende der Welt. – Trommelwirbel. – Der Osterhase. – Osterglocken. – Die lange Erzählung "Am See", die den halben Band ausfüllt, handelt von zwei Männern, wie sie gegensätzlicher kaum sein könnten: Boris von Reifen und Heinz von Wynburg. Boris ist ernst, fein und bescheiden, Heinz dagegen laut, derb und rücksichtslos. Heinz ehelicht die zarte Lita, und lange scheint es, als wäre das Glück ihnen nicht hold, zumal die vergnügungssüchtige Cousine Esther aufkreuzt und Heinz den Kopf verdreht. Heinz und Lita scheinen sich einander mehr und mehr zu entfremden. Aber da ist noch Boris, der eines Nachts als Wanderer auf Schloss Wynburg erscheint...-

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Am See von Nataly von Eschstruth im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Altertumswissenschaften. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Er sass an seinem Schreibtisch, stützte das Haupt in die Hand und starrte auf den geöffneten Brief nieder, welcher vor ihm lag.
Ein elegantes, steifes Papier, „gelbe Herrenpost“, mit dem erhabenen Wappen in schillernder Bronze schräg in der linken Ecke, — und auf dem Bogen nur wenige Zeilen, flüchtig hingeworfen, mit einer auffallend dicken, grossen beinah ungefügen Schrift.
Wie oft hatte Boris von Reifen schon auf solche Briefe mit den trotzig-energischen Buchstaben niedergeblickt, — vor langen Jahren schon, als er noch Knabe war und die lateinischen Nachhilfestunden mit dem liebsten, einzigen Jugendfreund, dem kleinen Heinz Wynburg, dem verwöhnten Gräflein und künftigen Majoratsbesitzer, bei dessen Hauslehrer teilte! —
Da hatte er oft lachend gesagt: „Heinz, du schreibst wie mit einem Schwefelholz, man stolpert ja förmlich über diese Balken auf dem Papier!“ — worauf der Genannte den blonden, wildlockigen Kopf zornmutig in den Nacken warf und in seiner derben Art antwortete: „Besser meine Besenstiele, die selbst ein Blinder lesen kann, als deine scheusslichen Spinnenbeine, die einen schwindeln machen, wenn man drauf sieht!“ —
Der Kandidat aber lächelte nachdenklich vor sich hin und sagte: „Da soll ein Mensch noch sagen, es sei Unsinn mit der Graphologie! Eure beiden Schriften sind die besten ‚Seelenphotographien‘, welche man je von einem Menschen sehen konnte. Bei Heinz: derb, kraftvoll, ungestüm, gleichgültig gegen jede äussere Form und geradezu rücksichtslos in stürmischem ‚Drauflos‘! und bei Boris: zart, fein, schönheitssinnig und edel, zaghaft und bescheiden, in vielen Linien sogar eine stille Duldsamkeit, welche zur Resignation wird. — Heinzens wilde Phantasie fehlt völlig, seine Leidenschaftlichkeit ist wohl da, aber bei Boris in so idealen Zügen gebunden, dass sie nie jenen Vulkanausbrüchen gleichen wird, mit welchen ein Wynburg oft Welt und Menschen schrecken wird!“ —
„Also mit anderen Worten ehrlich gesagt: Boris ist ein famoser, braver, anständiger Kerl, so wie sich der liebe Gott seine Kostgänger und der Kaiser seine Bürger wünscht, — und ich bin ein Raufbold und Tunichtgut, ein wüster Gesell, vor dem ehrsame Jungfern und Pastoren drei Kreuze schlagen, — was?“
„Nicht ganz so schroff, liber Heinz, — aber im grossen ganzen ... so völlig unrichtig ist dieses Bild nicht ...“
Krachend flog das Tintenfass, neben dem Sprecher her, gegen die Wand, und während Boris und der Kandidat entsetzt aufsprangen und auf die Verwüstung starrten, welche der schwarze Schreibsaft in dem eleganten Zimmer angerichtet, dehnte Heinz mit wohligem Gähnen die Arme und sagte: „So ... bon ... mit diesem Bekenntnis einer schönen Seele wollen wir die Stunde schliessen, eben schlägt’s zwölf!“ —
„Aber Heinz ... das Tintenfass ... die ganze Wand ... das Sofa ... der Teppich ...“
Da richtete sich das Gräflein empor und schaute die Verheerung an, steckte die Hände in die Taschen und lachte: „Alle Donner! Hat das blöde Gestell von einem Weisheitskasten nicht dicht gehalten! Ich wollte das Tintenfass nämlich auf mein Pult drüben stellen und war zu faul, aufzustehen!“ —
.... Und später ....
Boris war bereits seit Jahr und Tag Offizier, als Heinz endlich, endlich nach verschiedensten „Press“versuchen die Ulanka angelegt hatte, — da trafen sie sich in der Residenz wieder, — zwei Menschen, so verschieden wie Tag und Nacht, und dennoch die treusten und besten Freunde. Oft standen dem so sehr soliden, in jeder Weise nur vornehm denkenden, stillen und ernsten Boris die Haare zu Berge, wenn er das Leben seines leichtsinnigen, allezeit übermütigen und skrupellosen Freundes ansah. —
Da war keine Tiefe des Amüsements zu tief, keine Höhe zu hoch —, Heinz musste hinauf und hinab, musste durchkosten, was das Dasein an Genüssen feil hielt — und was sich ihm nicht freiwillig bot, das zwang er mit eiserner Faust, das riss er eigenwillig und rücksichtslos an sich, gleichviel, welche Händel ihm daraus erwuchsen. Und dennoch war der ‚wilde Junker‘ beliebt und gefeiert, wo er sich blicken liess.
Vollends die Weiberherzen flogen ihm zu, kaum, dass er die begehrlichen Hände nach all den Blüten ausstreckte, welche sich ihm zuneigten.
Er brach sie mit rauher Hand, — der Sturmwind der Leidenschaft fegte sie ein Weilchen an seiner Seite dahin, und wenn er ihrer überdrüssig ward, schleuderte er sie weit ab oder trat sie grausam und ohne Erbarmen unter die Füsse ...
Und die armen Dinger verwelkten wie die Goetheschen Veilchen, voll schwärmerischen und demutvollen Entzückens: ‚Und sterb ich denn, durch ihn! durch ihn! — zu seinen Füssen doch!‘
Diesmal ward es kein trällerndes, holdes Mädchen, welches sie nicht ‚in acht genommen‘, sondern ein wüster Knabe, welcher über sie dahinschritt, wie über buntes Herbstlaub, welcher weder Blick noch Gedanken für sie hatte, geschweige, dass er voll zärtlicher Treue einer einzigen nachgetrauert hätte!
Und man kannte seine Art ... man wusste, wie wenig ihm ein Mädchenherz galt ... und doch! ... und doch! ...
Er kommt, er sieht und siegt ... —
Es scheint eine wundersame, unheimliche Zauberkraft von diesen unersättlich heissen, begehrlich flackernden Augen auszugehen .... sie sind die Flammen, an welchen manch arme, schillernde kleine Eintagsfliege rettungslos die zarten Flügel verbrennt. —
Boris entsinnt sich so genau, wie er einst mit dem Freund in Wiesbaden zu der ‚schwarzen Lene‘ ging, jener deutschen Lenormand, welche ihrerzeit so viel von sich reden machte und zu der die Menschen hinströmten — aus Neugierde, aus Gruselsucht, aus innerster Überzeugung, oder zum Scherz und Witz, weil es nun einmal in der guten Gesellschaft Mode geworden war, sich mit den Sibyllensprüchen der Kartenlegerin interessant zu machen. Heinz bestand selbstverständlich auf einem Besuch bei ihr, und was sie ihm sagte, gefiel ihm so gut, dass er in hellem Lachen die festen perlweissen Raubtierzähne zeigte.
„Glück bei den Weibern! — haha! ... Ehrenhändel! haha ... Geld und Gut ... haha! ... Erbschaften ... hahaha! und ein dunkler Flecken ... dunkelrot ... wie Blut. — Hüten Sie sich vor dem Jähzorn und der blinden Wut, junger Herr ... Hüten Sie sich vor dem Wein —!“ —
Darüber lachte er am allermeisten.
Er lachte auch noch weiter, als die schwarze Lene nun auch die Karten für den schweigsamen Boris auflegte.
Er mochte es eigentlich nicht, aber Heinz befahl ... und wenn Heinz etwas wollte ...! — —
So geschah es auch jetzt.
Die schwarze Lene schüttelte erstaunt den Kopf und musterte den jungen Mann mit schnellem Blick.
„So schön — so jung ... so brav ... und doch ... die Weiber machen sich nichts aus Ihnen! — Sind zu zart und rücksichtsvoll ... zu sanft und gut, — so, das gibt einen vortrefflichen Ehemann ... aber zum Liebhaber taugt’s nicht ... seltsam ... wo der Hase gehetzt wird, da grast er am liebsten ... und wo die Weiber schlecht behandelt werden, da laufen sie zu! Seltsam, — seltsam ... nein, junger Mann ... kein Glück in der Liebe ... und dann ... wenn es endlich kommt ... Gott erbarme sich ...“ — und die Alte warf jäh die Karten zusammen und schüttelte den Kopf: „Was soll ich da warnen? es hilft doch nichts, — seinem Schicksal entgeht man nicht.“ —
Wie oft hatte Boris an diese Worte zurückgedacht!
Glück bei den Weibern! —
Ja, Heinz hatte es, — er nicht. —
Warum nicht? — Ernstlich darüber nachgedacht hatte er kaum, denn fürerst interessierten ihn lediglich seine Studien.
Man nannte ihn einen aussergewöhnlich begabten Offizier, einen ‚Moltke im Flügelkleid‘, und der Generalstab war ihm sicher. Ihm galt auch all sein Streben, Tag und Nacht sass er über den Büchern und Karten, kaum dass ihn noch ein anderer Gedanke erfüllte als strategische Probleme, als diese oder jene brennende Frage, welche man wohl in Offizierskreisen erörterte, im Salon aber nicht zur Sprache brachte.
Mit Damen plaudert man über andere Dinge.
„Aber just diese ‚anderen Dinge‘, dieses heitere Wortgeplänkel, die lustigen Flirts und schwülen kleinen Pikanterien, welche die Unterhaltung mit einer ‚Frau von dreissig Jahren und darüber‘!! würzen, jene elegischen Schwärmereien, welche das Herz der Backfischchen erobern und die süsse, sinnige Poesie, welche junge Damen lieben, all dieses fröhliche, neckische, kecke und graziöse ‚Zu-Feldeziehn‘ mit Amors Waffen, war dem ernsten Streber von der Kriegsakademie sehr ungewohnt und unsympathisch.
Er verstand die Damen und ihre Passionen nicht und ward auch nicht von ihnen verstanden. Graue Haare hatte er sich darum noch nicht wachsen lassen, im Gegenteil, sein Lachen klang sehr herzlich und gar nicht beleidigt, als ihm die Frau eines Kameraden ernstlich in das Gewissen sprach, doch endlich aus seiner Reserve herauszutreten und mit der Jugend jung zu sein.
„Wissen Sie auch, Herr von Reifen, welch ein Urteil jüngsthin die lustige, allerliebste Komtesse Bohlen über Sie fällte? Nein? — Je nun, ich riskiere Ihre Ungnade und hinterbringe es Ihnen! Nur so, wenn Sie die Kritik dieser kleinen Kommandierenden hören, werden Sie kuriert!“ —
Und die Sprecherin machte ein schalkhaft ernstes Gesicht, setzte sich in Positur und sprach feierlich: „Reifen wäre der hübscheste, netteste Mensch unter der Sonne, wenn er nur nicht so ... wahnsinnig langweilig wäre!“ — „So! da haben Sie Ihr Fett, Sie Sünder, und nun schlagen Sie an Ihre Brust, — bessern Sie sich und machen Sie heute abend auf dem Ministerball der bösen kleinen Gräfin derart den Hof, dass sie schon binnen einer halben Stunde alle Segel vor Ihnen streicht!“
Versprochen hatte er es der jungen Frau damals, aber getan hatte er es nicht.
Warum nicht?
Komtesschen war bildhübsch, lustig, reich und hatte ganz entschieden die reellsten Absichten sich für ihn zu interessieren ... wenn ... ja, wenn er eben nicht zu langweilig gewesen wäre!
Das ist eben sein Unglück!
Er kann nicht über oberflächliche Dinge scherzen und lachen, er ist zu ernst, zu schwerfällig, und die lebenslustigen Damen mit ihren flotten Grossstadtinteressen passen nicht für ihn.
Er kann ihren Passionen nicht gerecht werden, und sie begreifen die seinen nicht, — — daher sein Unglück bei den Frauen!
Wahrlich Unglück!
Bisher hatte Boris es noch nie als ein solches empfunden, wenn ihm die Herzen nicht zuflogen. Im Gegenteil, es würde ihm sehr peinlich und unangenehm gewesen sein, denn ... mochte Heinz noch so schallend darüber lachen und ihn in seiner derben Art verspotten, Boris hatte viel zu viel Achtung und Teilnahme für das weibliche Geschlecht, um auch nur eine einzige, und wäre es die geringste gewesen, zum Spielzeug und Zeitvertreib, zum Inhalt einer leichtfertigen Laune zu machen.
Macht er einer Dame den Hof, dann heiratet er sie auch, — zur Ehe aber gehört gar viel, soll sie glücklich sein, vor allen Dingen Liebe, viel heisse, innige Liebe, und die hatte er bisher noch für keine gefühlt!
Bisher! vor ein ... zwei Tagen noch ... da hatte er noch nie ein Mädchenantlitz geschaut, welches all sein Sinnen und Denken fesselte, ein so holdes, stilles, sinniges Antlitz, wie es ein Weib haben muss, dass er einmal lieben soll, — so rein, vor der er mit einem tiefen Atemzug des Entzückens stille steht und sagt: „Ja, du! du, oder nie eine andere auf dieser weiten Welt!“ —
Vor zwei ... drei Tagen noch ... und heute?
Sinnend streicht der junge Offizier das Haar aus der heissen Stirn und starrte auf die Photographie, welche neben dem steifen Briefblatt liegt.
Heinz, sein grosser, kraftvoller Heinz, im sehr kleidsamen Jagdzivil, — den dicken Schnurrbart forsch emporgestrichen, die Augen keck, triumphierend, siegesfreudig grad ausgerichtet ... und in seinem Arm ... etwas sehr fest und gewaltsam an ihn gedrückt ... so wie Heinz immer mit eisernem Griff zufasst ... eine schlanke, elfenhaft graziöse Mädchengestalt.
Wie ein Schleierstoff, dünn, spitzenumwogt, märchenhaft duftig, rieselt das lichte Kleid an ihr nieder, ihre beiden schlanken, zierlichen Kinderhände sind ineinandergeschlungen, wie bei einer betenden Dulderin, welche sich resigniert ihrem Schicksal fügt, und das Köpfchen, das sich gegen die Schulter des Bräutigams zurücklehnt, gleicht einem matten Blütenkelch, welcher sich hilflos dem wilden Knaben, der das Röslein gebrochen, neigt.
Eine Rose! Ja, aber eine weisse, stille, bleiche Rose, so wie sie auf Gräbern blüht, nicht aber aus dem Füllhorn der Lust flattert. Boris vermeint, er sehe die zarte, marmorkühle und blütenreine Blässe ihres Angesichts lebendig vor sich, — jene Sammethaut, durch welche nur hie und da ein warmer, rosiger Hauch leuchtet, wie ein Tropfen Burgunder durch Kristall.
Und die Augen!
Sie sehen ihn an, unverwandt, so wie er sie anschaut, — schon seit Stunden — seit Tagen ... seit er Heinzens Brief erbrochen.
Was für Augen!
So dunkel — so traurig ... so tief und still, — Augen, welche leuchten, aber nicht funkeln, welche weinen, aber nicht in wilder Lust aufblitzen können, — Augen — mit denen ein Reh seinen Mörder ansieht. —
Er hat darum niemals Freude an der Jägerei gehabt und begriff es nicht, wie Heinz voll zügellosen Ungestüms das Wild zu Tode hetzen konnte.
Heinz war passionierter Jäger, — lediglich um sich dieser Leidenschaft völlig hingeben zu können, quittierte er schon nach wenig Jahren den Militärdienst und zog sich sofort auf seine ausgedehnten Besitzungen zurück, nachdem sein Vater in einer Nervenheilanstalt, nach jahrelangem, schwerem Siechtum gestorben und das Majorat in den Besitz des Sohnes übergegangen war.
Ja, mit Leib und Seele Jäger!
Sogar auf seinem Brautbild im Jagdzivil! — Boris runzelte die Stirn.
Solch ein Verstoss gegen Form und Sitte deucht ihm in diesem Fall denn doch zu arg!
Weiss Heinz denn gar nicht mehr, was er den Damen, was er seiner Verlobten schuldet? Ach, nein! Danach hat er selten, fast nie gefragt. Er war schon Fremden gegenüber von rücksichtsloser Nachlässigkeit, welche man seltsamerweise stets originell an ihm fand und dem ‚wilden Junker‘ als charakteristische Eigenart verzieh. —
Wie wird er seiner Braut, seinem Weibe gegenüber eine Ausnahme von der Regel machen!
Er beginnt gar nicht erst, jenes zarte, liebliche Wesen in seinem Arm zu verwöhnen, sie soll ihn lieben ... ihn anbeten ... ihm in blinder Demut dienen, — so wie er ist.
Wird sie es tun?
Die Stirn umwölkt, greift Boris abermals nach dem Brief des Freundes.
„Mein lieber, alter Junge!
Na, was sagst Du nun? Grossartige Überraschung, he? Heinz Wynburg unter der Haube!! Hättest Du auch nicht gedacht! Und siehst Du, grade die einzige habe ich mir genommen...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Kolophon
  3. Am See
  4. Am Ende der Welt
  5. Trommelwirbel
  6. Der Osterhase
  7. Osterglocken