
- 397 Seiten
- German
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Die Sünde des Abbé Mouret
Über dieses Buch
Der fünfte Teil des satirischen Rougon-Macquart-Zyklus: Im Mittelpunkt steht der junge Priester Serge Mouret, den man bereits als Kind im vorherigen Band "Die Eroberung von Plassans" kennengelernt hat, und der an einer Nervenkrankheit leidet. Auf einem Landgut, auf dem er sich von seiner Krankheit erholt, verliebt er sich in Albine, die Tochter des Besitzers. Doch als seine Erinnerung zurückkehrt, lässt er Albine im Stich...-
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ClassicsDRITTES BUCH
KAPITEL I
Nach dem Paternoster hatte sich Abbé Mouret vor dem Altar verneigt und ging nun auf die Epistelseite hinüber. Dann stieg er die Stufen hinunter und machte das Zeichen des Kreuzes über den langen Fortuné und Rosalie, die nebeneinander am Fuße der Altarstufen knieten.
„Ego conjungo vos in matrimonium, in nomine Patris, et Filii, et Spiritus sancti.“
„Amen“, antwortete Vincent, der ministrierte, wobei er aus den Augenwinkeln neugierig den Gesichtsausdruck seines großen Bruders beobachtete.
Fortuné und Rosalie senkten das Kinn und waren ein wenig aufgeregt, obgleich sie sich beim Niederknien zum Spaß mit dem Ellbogen angestoßen hatten. Inzwischen hatte Vincent das Weihwasserbecken und den Weihwedel geholt. Fortuné legte den Ring in das Weihwasserbecken, einen dicken, ganz glatten Silberring. Als der Priester ihn gesegnet hatte, indem er ihn in Kreuzesform besprengte, gab er ihn Fortuné zurück, der ihn Rosalie auf den Ringfinger steckte, deren Hand grün von Grasflecken war, die die Seife nicht hatte entfernen können.
„In nomine Patris, et Filii, et Spiritus sancti“, murmelte der Priester wieder und erteilte ihnen einen letzten Segen. „Amen“, antwortete Vincent.
Es war sehr früh am Morgen. Die Sonne drang noch nicht zu den breiten Fenstern der Kirche herein. Man hörte draußen auf den Zweigen der Eberesche, deren Grün die Fensterscheiben eingedrückt zu haben schien, den lauten Weckruf der Spatzen. Die Teuse, die keine Zeit gehabt hatte, den Haushalt des lieben Gottes aufzuräumen, staubte die Altäre ab, reckte sich auf ihrem gesunden Bein in die Höhe, um die Füße des mit Ockerfarbe und Lack bepinselten Christus abzuwischen, rückte so unauffällig wie möglich die Stühle zurecht, wobei sie die Messe mitfeierte, sich verneigte, sich bekreuzigte, sich an die Brust schlug, ohne auch nur ein einziges Mal den Flederwisch ruhen zu lassen. Allein Mutter Brichet wohnte am Fuße der Kanzel, einige Schritte von den Brautleuten entfernt, der Trauung bei; sie betete übertrieben eifrig; sie blieb auf den Knien liegen und brabbelte so laut, daß das Kirchenschiff von einem Fliegenschwarm erfüllt zu sein schien. Und am anderen Ende, neben dem Beichtstuhl, hielt Catherine ein Wickelkind auf den Armen; da das Kind angefangen hatte zu weinen, mußte sie dem Altar den Rücken zuwenden, während sie es schuckelte und mit dem Glockenseil, das ihm gerade über der Nase hing, abzulenken suchte.
„Dominus vobiscum“, sagte der Priester und wandte sich mit ausgebreiteten Händen um.
„Et cum spiritu tuo“, erwiderte Vincent.
In diesem Augenblick kamen drei Mädchen herein. Sie schubsten einander nach vorn, um besser zu sehen, trauten sich jedoch nicht zu weit vor. Es waren drei Freundinnen von Rosalie, die auf dem Weg zum Feld aus Neugierde, was der Herr Pfarrer den Neuvermählten wohl sagen würde, rasch einen Abstecher in die Kirche gemacht hatten. An ihren Gürteln hingen große Scheren. Sie versteckten sich schließlich hinter dem Taufbecken, kniffen einander, verrenkten sich wie nichtsnutzige Frauenzimmer förmlich die Hüften und erstickten ihr Lachen in ihren geschlossenen Fäusten.
„Wahrhaftig!“ sagte halblaut die Rotfuchsige, ein prächtiges Mädchen, das kupferfarbenes Haar und ebensolche Haut hatte. „Beim Hinausgehen wird das Gedrängel jedenfalls nicht so groß, daß man sich prügelt!“
„Na ja, Vater Bambousse hat recht“, murmelte die kleine schwarze Lisa mit den flammenden Augen, „wenn man Weinberge hat, pflegt man sie . . . Da der Herr Pfarrer die Rosalie unbedingt verheiraten wollte, kann er sie wohl auch ganz allein trauen.“
Die andere, die bucklige und allzu grobknochige Babet, grinste. „Mutter Brichet ist immerhin da“, sagte sie. „Die ist fromm für die ganze Familie . . . Da, hört ihr, wie sie schnarcht! Das wird ihr ihren Tagelohn schon einbringen. Die weiß, was sie tut, erzählt mir doch nichts!“
„Die spielt die Orgel“, begann die Rotfuchsige wieder.
Und alle drei brachen in Lachen aus. Die Teuse drohte ihnen aus der Ferne mit ihrem Flederwisch. Am Altar kommunizierte Abbé Mouret. Als er zur Epistelseite ging, um sich von Vincent den Wein und das Wasser zur Reinigung über Daumen und Zeigefinger gießen zu lassen, meinte Lisa sanfter:
„Es ist bald zu Ende.Er wird gleich was zu ihnen sagen.“ „Dann kann ja“, bemerkte die Rotfuchsige, „der lange Fortuné noch auf sein Feld gehen, und Rosalie geht der Tagelohn bei der Weinernte nicht verloren. Es ist praktisch, sich morgens trauen zu lassen . . . Der lange Fortuné sieht aber dumm aus.“ „Weiß Gott!“ murmelte Babett, „das langweilt ihn doch, diesen Burschen, so lange auf den Knien zu liegen. Das ist ihm doch bestimmt seit seiner Erstkommunion nicht mehr passiert.“ Doch sie wurden plötzlich durch den kleinen Knirps abgelenkt, mit dem Catherine spielte. Er wollte das Glockenseil haben, streckte blau vor Wut die Hände aus und erstickte fast beim Schreien.
„Ach, da ist ja der Kleine“, sagte die Rotfuchsige. Das Kind schrie lauter, zappelte wie ein Teufel.
„Leg ihn auf den Bauch, gib ihm was zum Lutschen“, flüsterte Babet Catherine zu.
Mit der Frechheit einer zehnjährigen Göre hob diese den Kopf und fing an zu lachen.
„Das macht mir keinen Spaß“, sagte sie und schüttelte das Kind. „Willst du wohl still sein, kleines Ferkel! – Meine Schwester hat ihn mir auf den Schoß gelegt.“
„Ich glaube schon“, begann Babet boshaft von neuem. „Sie konnte ihn ja schließlich nicht dem Herrn Pfarrer zum Halten geben!“
Dieses Mal hätte es die Rotfuchsige beinahe umgeworfen, so mußte sie lachen. Sie ließ sich gegen die Wand fallen, hielt die Fäuste in die Seiten gestemmt und platzte fast vor Lachen. Lisa hatte sich an sie geworfen und verschaffte sich besser Erleichterung, indem sie sie in die Schultern und in den Rücken kniff.
Babett lachte, wie eben Bucklige lachen, zwischen ihren aufeinandergepreßten Lippen hindurch und mit dem Kreischen einer Säge.
„Wenn der Kleine nicht wäre“, fuhr sie fort, „könnte sich der Herr Pfarrer sein Weihwasser sparen . . . Vater Barnbousse war entschlossen, Rosalie mit dem Sohn von Laurent aus der Gegend von Les Figuières zu verheiraten.“
„Ja“, sagte die Rotfuchsige zwischen zwei Lachanfällen, „wißt ihr, was er gemacht hat, der Vater Bambousse? Er hat Rosalie Erdklumpen ins Kreuz geschmissen, bloß damit der Kleine nicht kommen sollte.“
„Trotzdem ist er ganz schön dick“, murmelte Lisa. „Die Erdklumpen sind ihm gut bekommen.“
Auf einmal verbissen sich alle drei in einem Anfall von toller Heiterkeit das Lachen, als die Teuse wütend auf sie loshinkte. Sie hatte ihren Besen hinter dem Altar vorgeholt. Die drei großen Mädchen bekamen es mit der Angst zu tun, wichen zurück und verhielten sich vernünftig.
„Ihr frechen Dinger!“ stotterte die Teuse. „Gebt ihr schon wieder eure Schweinereien hier zum besten! – Schämst du dich nicht, Rotfuchs? Dein Platz wäre dort hinten, auf Knien vor dem Altar, wie Rosalie . . . Ich schmeiße euch raus, hört ihr, wenn ihr euch nur rührt.“
Die kupferfarbenen Wangen der Rotfuchsigen röteten sich leicht, während Babet mit einem Grinsen deren Figur musterte.
„Und du“, fuhr die Teuse fort und wandte sich Catherine zu, „willst du wohl das Kind in Ruhe lassen! Du kneifst es, damit es schreit. Widersprich nicht! – Gib mir das Kind.“ Sie nahm es, wiegte es einen Augenblick, legte es auf einen Stuhl, wo es sogleich friedlich wie ein Engel einschlief.
Die Kirche sank wieder in die traurige Stille zurück, die allein von dem Geschrei der Spatzen auf der Eberesche unterbrochen wurde.
Am Altar hatte Vincent das Meßbuch nach rechts zurückgetragen, Abbé Mouret hatte soeben das Korporale wieder zusammengefaltet und in die Bursa geschoben. Jetzt sprach er die letzten Gebete in strenger Andacht, die weder das Weinen des Kindes noch das Lachen der Mädchen hatte stören können. Er schien nichts zu hören, schien ganz den Wünschen hingegeben zu sein, die er für das Glück des Paares, dessen Bund er gesegnet hatte, an den Himmel richtete. An jenem Morgen war der Himmel grau vor Hitzestaub, der die Sonne ertränkte. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben drang nur rötlicher Dunst herein, der einen Gewittertag ankündigte. An den Wänden entlang breiteten die in grellen Farben kolorierten Stiche des Kreuzweges die düstere Roheit ihrer gelben, blauen und roten Flecke aus. Im Hintergrund des Kirchenschiffes krachte der ausgedörrte Holzfußboden der Empore, während die riesengroß gewordenen Gräser der Freitreppe lange, reife, von kleinen braunen Grashüpfern bevölkerte Halme unter der Haupttür hindurchschoben. Die Standuhr in ihrem Holzgehäuse ließ ihr schwindsüchtiges Getriebe rasseln, wie um sich zu räuspern, und schlug dumpf halb sieben.
„Ite, missa est“, sagte der Priester, sich der Kirche zuwendend.
„Deo gratias“, erwiderte Vincent.
Dann wandte sich Abbé Mouret, nachdem er den Altar geküßt hatte, von neuem um und murmelte über den gebeugten Nacken der Ehegatten das Schlußgebet:
„Deus Abraham, Deus Isaac, et Deus Jacob vobiscum sit . . .“ Seine Stimme verlor sich in eintöniger Sanftheit.
„Da, jetzt wird er gleich zu ihnen sprechen“, flüsterte Babet ihren beiden Freundinnen zu.
„Er ist ganz bleich“, bemerkte Lisa. „Das ist nicht wie bei Herrn Caffin, dessen dickes Gesicht immer zu lachen schien . . . Meine kleine Schwester Rose hat mir erzählt, daß sie sich nicht mehr traut, ihm bei der Beichte auch nur das geringste zu sagen.“
„Na, wennschon“, murmelte die Rotfuchsige, „er ist kein häßlicher Mann. Die Krankheit hat ihn etwas älter gemacht; aber das steht ihm gut. Er hat größere Augen und zwei Falten in den Mundwinkeln bekommen, damit sieht er wie ein Mann aus . . . Vor seinem Fieber war er zu mädchenhaft.“
„Ich, ich glaube, er hat einen Kummer“, begann Babet wieder. „Man könnte meinen, daß er sich innerlich verzehrt. Sein Gesicht wirkt wie tot, aber seine Augen leuchten! Ihr seht das nicht, wenn er langsam die Lider niederschlägt, wie um seine Augen auszulöschen.“
Die Teuse schwenkte ihren Besen.
„Pst!“ zischte sie so energisch, als sei ein Windstoß in die Kirche Abbé Mouret hätte sich gesammelt. Er begann mit fast leiser Stimme:
„Mein lieber Sohn, meine liebe Tochter, ihr seid in Jesus vereint. Die Ehe ist das Abbild des geheiligten Bundes Jesu mit seiner Kirche. Sie ist ein Band, das nicht zerreißen kann, das nach Gottes Willen ewig bestehen soll, damit der Mensch nicht scheide, was der Himmel zusammengefügt hat. Indem Gott aus euch ein einzig Fleisch machte, hat er euch gelehrt, daß ihr die Pflicht habt, Seite an Seite zu gehen als ein treues Paar auf den Wegen, die euch durch seine Allmacht bereitet sind. Und ihr sollt einander in der Liebe Gottes selber lieben. Die geringste Bitternis zwischen euch wäre Ungehorsam gegen den Schöpfer, der euch aus einem einzigen Leib geschaffen hat. Bleibet also für immer vereint nach dem Bilde der Kirche, mit der Jesus sich vermählt hat, indem er sein Fleisch und sein Blut für uns alle dahingab.“
Der lange Fortuné und Rosalie hörten mit neugierig erhobener Nase zu.
„Was sagt er?“ fragte Lisa, die schlecht hörte.
„Du lieber Himmel! Er sagt, was man immer sagt“, antwortete die Rotfuchsige. „Der kann gut reden, wie alle Pfarrer.“ Indessen redete Abbé Mouret weiter und sah dabei mit unbestimmtem Blick über die Köpfe der Brautleute hinweg in einen verlorenen Winkel der Kirche. Und allmählich wurde seine Stimme weicher, er sprach mit Rührung jene Worte, die er einst aus einem für junge Kapläne bestimmten Handbuch gelernt hatte, Er hatte sich leicht Rosalie zugewandt; von innerer Bewegung getragene Sätze hinzufügend, wenn ihn das Gedächtnis im Stich ließ, sagte er:
„Meine liebe Tochter, sei deinem Manne untertan, wie die Kirche Jesus untertan ist. Denke daran, daß du alles verlassen mußt, um ihm als treue Magd zu folgen. Du sollst deinen Vater und deine Mutter verlassen, du sollst deinem Gatten anhängen und ihm gehorchen, um Gott selber zu gehorchen. Und dein Joch wird ein Joch der Liebe und des Friedens sein. Sei seine Ruhe, sein Glück, der Duft seiner guten Werke, das Heil in den Stunden seiner Schwachheit. Daß er dich stets an seiner Seite finde wie eine Gnade. Daß er seine Hand nur auszustrekken brauche, um der deinen zu begegnen. So werdet ihr beide euern Weg gehen, ohne euch jemals zu verirren, und werdet das Glück in der Erfüllung der göttlichen Gesetze finden. Oh, meine liebe Tochter, deine Demut ist voller süßer Früchte; sie wird in dir die häuslichen Tugenden, die Freuden des häuslichen Herdes, das Wohlergehen der frommen Familien gedeihen lassen. Habe für deinen Mann die Zärtlichkeit Rahels, die Weisheit Rebekkas, die lang währende Treue Sarahs. Sage dir, daß ein reines Leben zu allen Gütern führt. Bitte Gott jeden Morgen um die Kraft, als eine Frau zu leben, die ihre Pflichten achtet; denn die Strafe wäre schrecklich, du würdest deine Liebe verlieren. Ach, ohne Liebe zu leben, das Fleisch von seinem Fleische wegzureißen, nicht mehr dem zu gehören, der die Hälfte deiner selbst ist, fern von dem, was man geliebt hat, im Todeskampf zu liegen! Du würdest deine Arme ausstrecken, und er würde sich von dir abwenden. Du würdest deine Freuden suchen und nichts als Schande auf dem Grunde deines Herzens finden. Höre auf mich, meine Tochter, in dich, in die Unterwerfung, in die Reinheit, in die Liebe hat Gott die Stärke eures Bundes gelegt.“
In diesem Augenblick erklang am anderen Ende der Kirche ein Lachen. Das Kind war soeben auf dem Stuhl aufgewacht, auf den es die Teuse gelegt hatte. Aber es war nicht mehr böse; es lachte ganz für sich, hatte seine Windeln abgestrampelt und streckte rosige Füßchen heraus, die es in der Luft hin und her bewegte. Und über seine Füßchen mußte es lachen.
Rosalie, die die Ansprache des Priesters langweilte, wandte rasch den Kopf und lächelte dem Kinde zu. Doch als sie es auf dem Stuhl zappeln sah, bekam sie Angst; sie warf Catherine einen schrecklichen Blick zu.
„Du kannst mich lange angucken“, murmelte diese. „Ich nehme es nicht noch einmal . . . Damit es wieder schreit!“ Und sie ging unter die Empore, um in der zerbrochenen Ecke einer Steinplatte ein Ameisenloch zu beobachten.
„Herr Caffin erzählte nicht so viel“, sagte die Rotfuchsige. „Als er die schöne Miette getraut hat, gab er ihr nur zwei Klapse auf die Wange und sagte ihr dabei, sie soll schön brav sein.“
„Mein lieber Sohn“, begann Abbé Mouret von neuem, halb zum langen Fortuné gewandt, „Gott gibt dir heute eine Gefährtin; denn er hat nicht gewollt, daß der Mensch allein sei. Doch wenn er beschlossen hat, daß sie deine Magd sei, so fordert er von dir, daß du ein Herr voller Milde und Liebe seist. Du sollst sie lieben, denn sie ist Fleisch von deinem Fleisch, Blut von deinem Blut und Bein von deinem Bein. Du sollst sie beschützen, weil Gott dir deine starken Arme nur gegeben hat, um sie in Stunden der Gefahr über ihrem Haupte auszubreiten. Denke daran, daß sie dir anvertraut ist; sie ist die Ergebenheit und die Schwäche, die du nicht ohne Verbrechen mißbrauchen kannst. Oh, mein lieber Sohn, wie glücklich und stolz mußt du sein! Von nun an wirst du nicht mehr in der Selbstsucht der Einsamkeit leben. Zu jeder Stunde wirst du eine köstliche Aufgabe haben. Es gibt nichts Schöneres, als zu lieben, es sei denn, diejenigen zu beschützen, die man liebt. Dein Herz wird sich dabei weiten, deine Manneskräfte werden sich dabei verhundertfachen. Oh, eine Stütze zu sein, Liebe in seine Obhut nehmen zu dürfen, zu sehen, wie ein Menschenkind ganz in dir aufgeht und sagt: „Nimm mich hin, mach aus mir, was dir gefällt; ich habe Vertrauen in deine Redlichkeit!“ Und du sollst verdammt sein, wenn du sie jemals verläßt! Es wäre der feigste Verrat, den Gott zu bestrafen hätte. Sobald sie sich hingegeben hat, ist sie dein für immer. Trage sie lieber fort in deinen Armen, setze sie nur auf die Erde nieder, wenn sie dort in Sicherheit ist. Verlaß alles, mein lieber Sohn . . .“ Mit gänzlich veränderter Stimme ließ Abbé Mouret nur noch ein undeutliches Murmeln vernehmen. Er hatte die Lider völlig gesenkt, sein Gesicht war ganz weiß, und er sprach mit so schmerzlicher Ergriffenheit, daß der lange Fortuné selber weinte, ohne zu begreifen.
„Er ist noch nicht wieder gesund“, sagte Lisa. „Es ist falsch von ihm, sich so anzustrengen . . . Da, seht doch, Fortuné weint!“
„Die Männer sind weichherziger als die Frauen“, murmelte Babet.
„Trotzdem hat er gut gesprochen“, sagte abschließend die Rotfuchsige. „Diese Pfarrer kommen auf einen Haufen Dinge, an die niemand denkt.“
,,Still!“ rief die Teuse, die sich schon anschickte, die Kerzen auszulöschen.
Doch Abbé Mouret stammelte, suchte nach den Schlußworten. „Deshalb, mein lieber Sohn, meine liebe Tochter, sollt ihr im katholischen Glauben leben, der allein den Frieden eures Herdes zu sichern vermag. Eure Familien haben euch sicherlich gelehrt, Gott zu lieben, morgens und abends zu ihm zu beten, nur auf die Gaben seiner Barmherzigkeit zu zählen . . .“
Er sprach nicht zu Ende. Er wandte sich um, um den Kelch vom Altar zu nehmen, und ging gesenkten Hauptes in die Sakristei zurück, vor ihm Vincent, der beinahe die Meßkännchen und das Lavabotuch hätte fallen lassen, weil er sehen wollte, was Catherine hinten in der Kirche machte.
„Oh, du herzloses Ding!“ sagte Rosalie, die ihren Mann stehenließ, um ihr Kind in die Arme zu nehmen. Das Kind lachte. Sie küßte es, sie steckte seine Windeln fest, während sie Catherine mit der Faust drohte. „Wenn es heruntergefallen wäre, hätte ich dir tüchtig ein paar gelangt.“
Der lange Fortuné kam lässig schlenkernd hinzu.
Die drei Mädchen waren mit zusammengekniffenen Lippen herangekommen.
„Jetzt ist er aber stolz“, flüsterte Babet den beiden anderen ins Ohr. „Der Halunke, er hat Vater Bambousses Taler im Heu hinter der Mühle verdient . . . Jeden Abend habe ich ihn mit Rosalie auf allen vieren an der kleinen Mauer entlangkriechen sehen.“
Die Mädchen feixten.
Der lange Fortuné, der vor ihnen stand, feixte noch lauter. Er kniff die Rotfuchsige, ließ sich von Lisa einen Dummkopf schimpfen. Er war ein kräftiger Bursche, der sich den Teufel um die Welt scherte. Der Pfarrer hatte ihn gelan...
Inhaltsverzeichnis
- Titel
- Kolophon
- ERSTES BUCH
- ZWEITES BUCH
- DRITTES BUCH
- Über Die Sünde des Abbé Mouret
- Anmerkungen