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WIE PARTIZIPATIV SIND GÄNGIGE FÜHRUNGSKONZEPTE?
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Zur Rolle von Partizipation in Führungskonzepten früher und heute
JÜRGEN WEIBLER
»Es geht darum, die Weisheit der Gemeinschaft zu nutzen, indem zunächst alle Impulse, Gedanken und Fragen angehört werden, um sie in Vollständigkeit gegenseitig abzuwägen und zu prüfen. Erst dann ist eine Entscheidung zu treffen – von der im Mittelalter das Schicksal einer ganzen Klostergemeinschaft abhing« (Janssen 2021: 77).
Hinführung
Führung ist ein Phänomen unserer Alltagswelt, das in allen menschlichen Gemeinschaften zu beobachten war und weiterhin ist. Sie ist das, was man eine soziale Tatsache nennt. Führung bewegt Menschen, wie uns bereits ihr Wortursprung »Fahren machen« verrät. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Gemeinschaften eine Gruppe von Jägern und Sammlerinnen sind, ob wir Stämme, Nationen oder Organisationen modernen Typs betrachten. Immer wieder tritt Führung auf, immer wieder gibt es Führende und Geführte, die eine Führungsbeziehung konstituieren und gleichsam durch sie verbunden sind. Und immer wieder wird, wie eine ewige Konstante, Führung als wichtig für den besonderen Erfolg von Gemeinschaften erachtet.
John D. Rockefeller soll gesagt haben, dass er für die Gabe des Umgangs mit Menschen mehr zahlen würde als für jede andere Gabe unter der Sonne – und vermutlich hatte er dabei die Gabe zur Führung im Blick. Dass eine Führung, die andere bewegt, nun ausgerechnet nicht mit Geld gekauft werden kann, ist eine unerzählte Pointe dieses frommen Wunsches, der uns ja mit der Gabenmetapher seine religiöse Rückbindung im Sinne der »Gnadengabe«, eben des Charismas, ins Bewusstsein ruft.
Der Gabe, gute Entscheidungen zu treffen, nähert sich die Führungslehre seit Langem auf sehr unterschiedlichen Wegen an. Begonnen hat diese an Irrwegen reiche Suche kursorisch und mit Fokus auf den Führenden in den Weisheitstraditionen der Menschheit (z. B. Gilgamesch-Epos), fand ihren Fortgang in Texten von Befehlshabern großer Heere oder über sie (z. B. in den Selbstbetrachtungen eines Marc Aurels), drückte sich in den bis heute Anregungspotenzial besitzenden Regeln des mönchischen Zusammenlebens aus (etwa jene des eingangs erwähnten Benediktinerordens) oder wurde als Verhaltenskodex für ambitionierte politische Herrscher niedergeschrieben (etwa vom florentinischen Staatsphilosophen und Diplomaten Niccolò Machiavelli, dem es 1513 gelang, eine bis heute viel diskutierte Anleitung für machtbewusste und moralisch flexible Fürsten zu formulieren).
Die mit den Werken von Thomas Carlyle (1841) und Francis Galton (1869) relativ spät einsetzende und mit der dortigen Fokussierung auf Helden von vornherein ideologisch eingefärbte Führungslehre (Weibler 2013) hat auf der Suche nach einer »guten« Führung inzwischen eine regelrechte »Leadership-Industrie« entstehen lassen, die auch medial befeuert wird. Sie reicht von einer höchst ausdifferenzierten wissenschaftlichen Führungslehre (Weibler 2016) über Beratungen, Trainingsinstitute, selbst ernannte Evangelisten bis hin zu im Rampenlicht stehenden Unternehmenspersönlichkeiten/Top-Manager:innen. Dass Führung dabei ganz wesentlich mit dem Treffen von Entscheidungen verbunden wird, ist unstrittig.
Allerdings gehen die Auffassungen darüber, wer (ebenso: warum, wie und inwieweit) am Treffen von Entscheidungen beteiligt werden sollte, deutlich auseinander. Diese Frage wird in aller Regel unter dem Label »Partizipation« verhandelt. Und damit ist zweifellos eine Kernfrage der Führung aufgegriffen, bei der es wie so oft um nicht weniger als eine erfolgreiche Führung geht – die direkten und vor allem indirekten Wirkungen der Partizipation, etwa über den Aufbau von Vertrauen, sind hinreichend dokumentiert (z. B. Lam, Huang und Chan 2015; Cheonga et al. 2019), ebenso wie der Mehrwert, der über andere bekannte Führungsansätze hinausgehen kann (De Poel, Stoker und van der Zee 2011). Doch müssen die Wirkung und die Wirkungsstärke (situativ) differenziert gesehen werden (Gastil 1994; Li, Liu und Luo 2018; Eva et al. 2019), ganz unbeschadet einmal von methodischen Messproblemen (Talò und Mannarini 2015). Erfolg ist in der führungsbezogenen Partizipationsdebatte jedoch nicht unbedingt das alleinige Kriterium, denn in Teilen der Debatte tritt recht früh schon eine normative Dimension hinzu, die Partizipation als einen Wert an sich sieht, der in einer demokratischen Gesellschaft auch im Wirtschaftsleben nicht ohne gute Gründe suspendiert werden kann.
Nachfolgend skizziere ich einordnend, welche Vorstellungen zur Partizipation im Zeitablauf innerhalb der Führungslehre entwickelt wurden, und frage danach, inwieweit dieses Gedankengut in heutigen Führungskonzepten reflektiert wird. Abschließend weise ich darauf hin, dass Partizipation in der Mitarbeiterführung nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmensführung gesehen werden sollte.
Was meint Partizipation in der Führung?
Das Konzept der Partizipation wurde im Grunde der politikwissenschaftlichen Tradition entlehnt (z. B. Teorell, Montero und Torcal 2007), in der es ganz allgemein als formale oder informelle sowie aktive oder passive Beteiligung von Menschen an zentralen Entscheidungen verstanden wird (Nieß 2016: 67). Dabei wird es dann auch oft mit dem demokratischen Rechts- und Verfassungsstaat legitimatorisch verknüpft. Zu beachten für die Führung ist hier, dass die Partizipation zweifach diskutiert werden kann. Zum einen berührt sie analytisch das Verhältnis der Einzelnen zur Macht und zielt damit formal auf Interessendurchsetzung ab. Dies setzt aber bereits voraus, dass ein Interessenpluralismus anerkannt und ein Recht auf Beteiligung gesehen wird. Zum anderen beeinflusst sie die Art und Weise des menschlichen Zusammenlebens, weshalb Beteiligung normativ als Ziel und Wert an sich bestimmt wird (Hoecker 2006: 6). Unmittelbar verbunden ist damit ein emanzipatorisches Anliegen, welches das Recht auf Selbstentfaltung durch Beteiligung an relevanten Geschehen die eigene Person betreffend impliziert.
In der Führungsdiskussion hat sich, blickt man mit dieser Erkenntnis zurück, trotz verbindender Linien eine Art nordamerikanisches und ein deutsches Verständnis herausgeschält. Während aus nordamerikanischer Sicht Partizipation an Führungsentscheiden im Wesentlichen unter Nützlichkeitserwägungen besprochen wurde und damit weder ein formales noch emanzipatorisches Verständnis im oben dargestellten Sinne beinhaltete, spielten diese in Deutschland zwar ebenfalls eine wichtige Rolle, doch traten hier auch gesellschaftliche Überlegungen hinzu. Diese fanden nicht nur einen institutionellen Niederschlag (z. B. MitbestG), wodurch auch die Rahmenbedingungen des Führungsverhaltens – insbesondere mit Bezug zu Personalentscheiden und Sanktionierungen – beeinflusst wurden, sondern verbanden partizipatives Gedankengut auch schnell mit der Idee einer etwas gefälligeren kooperativen Führung.
Die nordamerikanische Entwicklung
In der nordamerikanischen Managementlehre war es Mary Parker Follett (1886–1933), die Erfahrungen aus der Arbeit in Kommunalzentren (soziale Arbeit) mit Erkenntnissen aus Unternehmensstudien kombinierte und so zu der Auffassung kam, dass demokratische Strukturen auch in Unternehmen als natürliche Form des Zusammenlebens von Gruppen zu verfolgen seien. Ihre entsprechenden Beiträge blieben lange Zeit jedoch unbeachtet und erst die Verwerfungen der Industrialisierung Ende der 1920er-Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika trugen dazu bei, die bis zur Unmenschlichkeit vernachlässigten Bedürfnisse der arbeitenden Menschen auf die politische Tagesordnung zu setzen.
Getrieben von der Furcht, dass eine nicht mehr beherrschbare Kombination aus weitflächiger Arbeitslosigkeit, niedrigsten Einkünften und zunehmendem gewerkschaftlichem Einfluss die vielfach schon recht ungemütlich gewordenen betrieblichen Auseinandersetzungen weiter befeuern könnte, sollte durch eine freundlichere Behandlung der Beschäftigten und deren Möglichkeit, ihre Meinung einzubringen, Dampf aus dem Kessel genommen werden – zumal damit die Hoffnung verbunden wurde, auch höhere Produktivitätsraten zu erzielen (Bridgman und Cummings 2020). Mit der so entstehenden Human-Relations-Bewegung waren die sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Menschen fortan als produktions- und zufriedenheitsrelevant adressiert und wurden zunächst über die besondere Einflussnahme auf deren Motivation (als Sozialtechnik) weiterverfolgt.
In einer etwas später durchgeführten, aufsehenerregenden Studie von Kurt Lewin und seinen Kollegen Ronald Lippitt und Ralph White (1939) wurde unter anderem die Leistungsfähigkeit eines demokratischen Führungsstils der eines autoritären und eines Laisser-faire-Führungsstils gegenübergestellt und als (qualitativ) erfolgreicher ausgewiesen. Obwohl Forschungsinteresse, Aufgabe, Sample und Kontext der Studie aus Sicht einer managementbezogenen Führungswissenschaft speziell waren, war dadurch der Boden bereitet, sich auch innerhalb der Führungslehre neben Gruppendynamiken speziell für Partizipationsfragen zu interessieren.
Die damals zur näheren Verdeutlichung des Demokratischen gewählten Konkretisierungen wie mehrheitliche Gruppenentscheidungen, aktive Beteiligung der Gruppenmitglieder, ehrliches Lob und konstruktive Kritik sowie eine Art von verbindendem Gruppengeist wirken bis heute nach, ergänzt um situative und personale Voraussetzungen einer Umsetzung demokratischer Führung (z. B. Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme vieler, förderliche Rahmenbedingungen, demokratisches Umfeld). Partizipative Elemente unterhalb der Beteiligung an zentralen, eine Führungsbeziehung prägenden Angelegenheiten schwangen danach vor allem in der Benennung von Führungsstilen mit, etwa dem »mitarbeiterorientierten Führungsstil«. Die Möglichkeit einer differenzierten Beteiligung an der Entscheidungsmacht gelangte jedoch erst tiefgreifender ins Bewusstsein der Forschenden, als Robert Tannenbaum und Warren Schmidt 1958 ein siebenstufiges Kontinuum entwarfen, das die Beteiligung der Mitarbeitenden an Entscheidungen des bzw. der Vorgesetzten skaliert abstufte – unter besonderer Berücksichtigung der Eigenheiten der/des Führenden, der Mitarbeitenden wie auch der Situation.
Während diese Einteilung noch als eine idealtypische Darstellung der Möglichkeiten einer Beteiligung an der Entscheidungsmacht interpretiert werden konnte (von der Entscheidung der Vorgesetzten mit Anordnung bis zum dezentral autonomen Treffen dieser Entscheidung durch die Mitarbeitenden), waren die Ausführungen von Victor Yroom und Philipp Yetton (1973) – später noch in Kombination mit Arthur Jago (2007) – bereits deutlich differenzierter auf die betriebliche Situation bezogen und als praktische Entscheidungshilfe in einen anschaulichen Entscheidungsbaum integriert, der unter Maßgabe bestimmter Zielsetzungen mechanistisch definierte, wann eine Partizipation der Geführten sinnvoll erschien. »Sinnvoll« steht dabei für effektiv bzw. effizient und war damit instrumentell definiert, also als geeignet ausgewiesen, der aufgabenbezogenen Zielerreichung der/des Führenden dienlich zu sein.
In diesem Sinne ist die Partizipationsdiskussion – mit Ausnahmen – auch weiterfolgend stets motiviert gewesen. Das heißt, auf breiter Front wurde weder das Recht auf Beteiligung an Entscheidungen formal zugestanden noch das Recht auf Entfaltung durch Beteiligung gesehen. Standard blieb die Einbindung der Mitarbeitenden aufgrund von Nützlichkeitserwägungen (Entscheidungsqualität, Motivation, Akzeptanz), für die nicht verabsäumt wurde, und das bis zum heutigen Tag, hinreichend empirische Belege zu liefern.
Die deutsche Entwicklung
In Deutschland waren...