PRAXIS
Wie viel Geld hat die Kirche eigentlich?
Kanonistische Perspektiven auf das Vermögen der Kirche
Reiche Kirche und arme Kirche – beides scheint richtig zu sein. Je nach Erdteil, Gegend, historischen Hintergründen sowie dem herrschenden Verhältnis zum Staat befinden sich die Teilkirchen, in und aus denen die Gesamtkirche besteht, in sehr unterschiedlichen finanziellen Situationen – von sehr vermögend bis hin zu vollkommen hilfsbedürftig. Das Vermögen der Kirche ist ungleich verteilt und es zu ermitteln, ist ein Vorhaben, das von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Aber wir können uns annähern und aufzeigen, warum das so ist. Sabine Konrad
Um der Frage nachgehen zu können, wie viel Geld die Kirche eigentlich hat, ist zunächst zu definieren, was aus vermögensrechtlicher Sicht mit ‚Kirche‘ gemeint ist, denn die Kirche als solche bzw. als Einheit in vermögensrechtlicher Hinsicht gibt es nicht. Das kirchliche Vermögensrecht verwendet den Begriff ‚Kirche‘ nicht etwa nur für die Gesamtkirche oder den Apostolischen Stuhl, sondern meint mit ‚Kirche‘ auch jede öffentliche juristische Person in der Kirche, sofern nichts anderes aus dem Wortzusammenhang oder aus der Natur der Sache hervorgeht (vgl. c. 1258 CIC). Es gibt also innerhalb der Kirche zahlreiche kirchliche Rechtsträger, die Vermögen verwalten: juristische Personen. Zunächst sind die Einrichtungen der kirchlichen Verfassungsstruktur zu nennen, wie die Teilkirchen (meist Diözesen) und die Pfarreien. Auch hier kann wieder eine Untergliederung vorgenommen werden: Rechtsträger, die dem Bischof unterstehen, sind das Bistum bzw. die Diözese, der bischöfliche Stuhl (die mensa episcopalis; häufig als eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts konstituiert), das Metropolitankapitel und das Domkapitel, das Priesterseminar sowie sonstige Einrichtungen des Bistums (u. a. Stiftungen, Krankenhäuser, Schulen). Dem Pfarrer unterstellte Rechtsträger sind die Pfarrkirchenstiftungen und deren kirchliche Einrichtungen (z. B. Kindertagesstätten, Pflegeeinrichtungen, Friedhöfe). Des Weiteren gibt es noch Orden und ordensähnliche Institute als Vermögensträger, ferner kirchliche Vereine und kirchliche Unternehmen. Für alle gilt, dass die Herrschaft über ihr Vermögen bei ihnen als juristische Person liegt und unter der Aufsicht der obersten Autorität des Papstes steht, dem obersten Verwalter aller Kirchengüter (vgl. cc. 1256.1273 CIC). Als Gesetzgeber für die Gesamtkirche regelt er das allgemeingültige kirchliche Vermögensrecht, behält sich Genehmigungen bestimmter Rechtsgeschäfte und Veräußerungen (die sogenannte Rom-Grenze, die in Deutschland bei 5 Millionen Euro liegt) vor sowie die Möglichkeit des direkten Eingriffs in die Vermögensverwaltung. Der Bischof kann für seine Teilkirche Partikularrecht erlassen und nimmt als Leiter der Teilkirche auch die vermögensrechtliche Aufsicht wahr.
Sabine Konrad
Dr. theol., Lic. iur. can., seit 2020 Prof.in und Leiterin am Institut für Kanonisches Recht der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz; zuvor seit 2009 Akademische Rätin an der Universität Augsburg; Forschungsschwerpunkte: Eheprozessrecht und Staatskirchenrecht.
UNABHÄNGIG VON DER WELTLICHEN MACHT
Laut kirchlichem Recht hat die katholische Kirche – und somit all die genannten Vermögensträger – das angeborene Recht (ius nativum), „unabhängig von der weltlichen Gewalt, Vermögen zur Verwirklichung der eigenen Zwecke zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern“ (cc. 1254 § 1 und 1255 CIC). Ebenso unterliegen nach staatlichem Recht aufgrund des verfassungsrechtlich gewährten Selbstbestimmungsrechtes der Kirche die kirchlichen Körperschaften keiner gesetzlichen Rechnungslegungspflicht und externen Aufsicht. Unabhängig vom Selbstbestimmungsrecht der Kirche geht das Kirchenrecht davon aus, dass das Recht auf selbstständige und unabhängige Vermögensverwaltung auch unabhängig von seiner staatlichen Anerkennung besteht. Das schließt selbstverständlich Enteignungen vom Kirchenvermögen oder sonstige Einschränkungen seitens des Staates von vornherein aus. Ausnahmen sind vertragliche Bindungen durch Konkordate und staatliche Kontrollrechte bei staatlichen Hilfen zum Vermögenserwerb wie die Kirchenbeitrags- und Kirchensteuererhebung oder staatliche Zuschüsse zu kirchlichen Einrichtungen (vgl. Rees, 32).
Das Kirchenvermögen stellt somit ein äußerst komplexes und vielschichtiges System dar, dessen monetärer Wert sich keinesfalls im Gesamten beziffern lässt.
DAS VERMÖGEN DER KIRCHE
Das Kirchenvermögen stellt somit ein äußerst komplexes und vielschichtiges System dar, dessen monetärer Wert sich keinesfalls im Gesamten beziffern lässt. Die vielen genannten Vermögensträger der Kirche, die alle ihre eigene Vermögensverwaltung und Vermögenskontrolle durchführen, agieren unabhängig voneinander und haben nicht einmal zwingend Kenntnis über die Vermögenswerte der anderen Rechtsträger. Hinzu kommt, dass jeder dieser Rechtsträger Vermögenswerte verschiedenster Art hat, die auf je eigene Weise bewertet werden müssen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen dem Umlaufvermögen (liquide Mittel, Wertpapiere) und dem Anlagevermögen (Grundstücke, Gebäude, Kunst).
Am klarsten zu beziffern sind Finanzmittel, die den Vermögensträgern durch Kirchensteuer bzw. Kirchenbeitragseinnahmen sowie durch Staatsleistungen (zweckgebunden) zukommen, ebenso Erträge aus kircheneigenem Vermögen. Es gilt als ius nativum der Kirche, dass sie das Recht habe, von den Gläubigen zu fordern, was für die ihr eigenen Zwecke notwendig ist (vgl. c. 1260 CIC). Auf Grundlage des c. 1263 CIC erhebt die Kirche in Deutschland und Österreich Steuern bzw. Beiträge von ihren Gläubigen (die sog. clausula teutonica).
Die Beträge der Einnahmen sind abhängig von der Katholik*innenzahl des jeweiligen Bistums und deren Einkommen, und deshalb sehr unterschiedlich.
In Deutschland erhebt sie Kirchensteuern von ihren Mitgliedern (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV). Die Höhe der zu zahlenden Kirchensteuer errechnet sich als Zuschlag zur Einkommensteuer (in Baden-Württemberg und Bayern 8 Prozent und in den restlichen Bundesländern 9 Prozent der Einkommensteuer). Der Anteil der Kirchensteuer an den gesamten Einnahmen der Diözesen in Deutschland wird mit 70 Prozent bis teilweise 80 Prozent beziffert (vgl. Uhle, 103). In Österreich werden keine Kirchensteuern, sondern Kirchenbeiträge erhoben und zwar von allen volljährigen Katholik*innen auf Grundlage des Brutto-Einkommens des jeweiligen Vorjahres (1,5 Prozent davon sind der Kirchenbeitrag). In anderen europäischen Ländern (Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, Irland, Malta, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei) finanziert sich die Kirche durch freiwillige Spenden, Kollekten, Beiträge und Gebühren für Dienste der Kirche (z. B. Stolgebühren). Diese Form der Finanzierung beruht auf freiwilligen Zahlungen der Mitglieder und hängt von deren finanziellen Situation ab, was die Einnahmen weniger berechenbar macht. In Italien hingegen erhält die Kirche einen Teil des Aufkommens aus der Kultursteuer, die jede*r Bürger*in zu leisten hat und selbst wählen kann, ob diese 0,8 Prozent des Einkommens der Kirche oder anderen sozialen oder kulturellen Zwecken zugeführt werden sollen.
Die deutschen Bistümer legen u. a. über die Verwendung der Kirchensteuereinnahmen sowie sonstiger Zuwendungen jährlich einen Jahresbericht über die Verwendung dieses Geldes vor, um sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die Kirchenglieder selbst Transparenz über die tatsächliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu schaffen. Den höchsten Posten auf der Ausgabenseite stellen durchweg Personalkosten (u. a. für Mitarbeiter*innen in der territorialen und kategorialen Seelsorge, Kindertagesstätten, Caritas, Beratung, Bildung, Verwaltung) und die Altersversorgung dar. Die Beträge der Einnahmen sind abhängig von der Katholik*innenzahl des jeweiligen Bistums und deren Einkommen, und deshalb sehr unterschiedlich. Zum Beispiel hatte das Bistum Rottenburg-Stuttgart im Jahr 2019 686 Millionen Euro Steuereinnahmen, Köln 684 Millionen Euro und Görlitz 5,5 Millionen Euro.
Nicht ganz so genau können die historisch begründeten Staatsleistungen (sowohl in Deutschland als auch in Österreich) angegeben werden. Der Zweck dieser Leistungen ist die Entschädigung der Kirche für Enteignungen seit der Zeit der Reformation bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Höhe der Staatsleistungen beruht auf Verträgen zwischen Staat und Kirche. Sie werden zur Versorgung bestimmter kirchlicher Amtsträger oder für weitere kirchliche Zwecke verwendet. In jüngster Zeit lebte die Debatte über die Ablösung der Staatsleistungen gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 138 Abs. 1 WRV wieder auf.
Wesentlich schwieriger zu bestimmen sind die Vermögenswerte, die aus Immobilien, Grundstücken, Kunstgegenständen, Wäldern, Schulen und sozialen Einrichtungen resultieren.
DIE BEWERTUNG VON IMMOBILIEN, KUNST UND KIRCHEN
Wesentlich schwieriger zu bestimmen sind die Vermögenswerte, die aus Immobilien, Grundstücken, Kunstgegenständen, Wäldern, Schulen und sozialen Einrichtungen resultieren. Die bilanzielle Erfassung dieser teils sehr alten Immobilien muss auf Basis von allgemein anerkannten Bewertungsverfahren durchgeführt werden – abhängig von Charakter und Nutzung der Grundstücke und Gebäude werden diese nach dem Vergleichswertverfahren (wenn genügend vergleichbare Objekte vorliegen), dem Ertragswertverfahren (sofern Erträge erzielt werden) oder dem Sachwertverfahren (wenn keine Erträge erzielt werden) bewertet. Unbebaute Grundstücke sind anders zu bewerten als Kirchen, Schulen, Krankenhäuser oder leerstehende Gebäude, jeweils unter Berücksichtigung von Bausubstanz, Nutzung, vorliegendem Denkmalschutz und ggf. Erbpacht. Am schwierigsten ist die Bewertung von Kirchengebäuden. Unter der Gebäudeart ‚Kirche‘ versteht man unterschiedliche Sakralgebäude wie Dome, Kathedralen, Münster, Basiliken und Kapellen. So hat beispielsweise das Bistum Köln seinen Kölner Dom im Jahr 2015 auf einen symbolischen Wert von 27 Euro geschätzt (je 1 Euro für die 26 Grundstücksparzellen und 1 Euro für das Gebäude). Hiermit wurde ausgedrückt, dass der Versuch, den Wert des Doms zu bestimmen, von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Denn obwohl der Dom in geistlicher und künstlerischer Hinsicht unfassbar viel Wert sei, wäre er nicht verkäuflich. Und sein ideeller Wert für die Gläubigen könne ohnehin nicht in Euro ausgedrückt werden (vgl. Lohner/Schluer/Vollertsen, 78). Derartige Bewertungsprobleme stellen sich bei nahezu allen Kirchengebäuden, da sie nicht oder nur bedingt veräußerlich sind, auch wenn nach Vorgaben der Deutschen Bischofskonferenz die Möglichkeit besteht, Kirchen umzunutzen (liturgisch oder pastoral, sozial oder kulturell oder mit Einschränkungen kommerziell). Einer Umnutzung zu kommerziellen Zwecken müsste eine Profanierung durch den Diözesanbischof der Kirche vorausgehen. Das Gebäude würde dadurch seine Weihe verlieren und wäre kein sakrales Gebäude mehr. Im Grunde sind Kirchen Vermögensgegenstände, deren Wert äußerst schwer zu bestimmen ist und deren Instandhaltung für die Baulastträger (das können der Staat, die Kirche oder beide gemeinsam sein) eine große finanzielle Belastung darstellt. Die geweihten Gebäude für die Nutzung zu erhalten, stellt Pfarreien und Diözesen vor Herausforderungen, die sie selbst nur schwer oder nur mit finanzieller Unterstützung leisten können.
Im Grunde sind Kirchen Vermögensgegenstände, deren Wert äußerst schwer zu bestimmen ist und deren Instandhaltung für die Baulastträger eine große finanzielle Belastung darstellt.
Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich bei der Bewertung von Kunstgegenständen. Altäre, liturgische Geräte, Paramente, Bilder, Möbel, Denkmäler, Statuen, Mosaikarbeiten und ähnliches haben für die Gläubigen einen hohen ideellen Wert und sind oft von großer kultureller und historischer Bedeutung. Der Sachwert dieser Gegenstände ist hingegen oft schwer zu ermitteln. Bedient wird sich hierzu Kategorisierungen und kreativer Annäherungen mithilfe sozialer Werte wie des Vermächtniswertes (Wert für künftige Generationen, der jetzt noch nicht vorhanden ist) und des Bildungswertes sowie marktwirtschaftlicher Faktoren wie Echtheit und Signatur, Erhaltungszustand, Qualität, Marktgängigkeit, Marktnachfrage und historische Herkunft.
Im Rahmen der Inventarisierung des Vermögens werden alle Kunstgegenstände, Mobilien, Immobilien und sonstiges Vermögen geschätzt. Dieses häufig unveräußerliche Vermögen wird konsequent in die Jahresberichte der Diözesen aufgenommen und ist öffentlich einsehbar. Vom Vermögen des Apostolischen Stuhls liegen kaum Übersichten und Veröffentlichungen vor, sodass von dessen Vermögenssituation wohl nur sehr wenige Menschen Kenntnis haben. Für die finanziellen und wirtschaftlichen Handlungen des Apostolischen Stuhls sorgt die Verwaltung der Güter des Apost...