Die Welle der Wiederbelebung des Islam hat heute große Reichweite, Kraft und Dynamik gewonnen. Sie präsentiert der Welt den Islam als Weg zur Errettung der Menschheit, das heißt als weltumspannende Ideologie mit weitreichenden und umfassenden Zielen, die sowohl den Kapitalismus als auch den Sozialismus weit hinter sich lässt. Die Reaktionen auf diese Welle reichen von großer Hoffnung zu starker Furcht und von Verständnis zu Verdammung. Viele Forscher und Denker machen sich heute, aus den verschiedensten Beweggründen und mit unterschiedlichen Graden von Unabhängigkeit, Objektivität und Tiefe daran, dieses Phänomen zu analysieren, seine Triebkräfte, Dimensionen und positiven wie negativen Aspekte aufzudecken und über seine Zukunft nachzudenken.
Man begegnet immer mehr Leuten, die sich interessiert, beunruhigt und neugierig fragen, was denn der Islam eigentlich ist, warum er so attraktiv ist und welche Lösungen und Werte er den Muslimen, der Dritten Welt und der Menschheit insgesamt bringt. In der letzten Zeit mehren sich die Studien, die darauf abzielen, die Bedingungen und Umstände des Wachstums der islamischen Bewegungen, ihre Ziele und Horizonte genau zu bestimmen, die Beziehung der heutigen Situation des Islam zu seinem langen historischen Werdegang, der so reich ist an Erfolgen, Fehlschlägen und Auseinandersetzungen, zu erfassen und herauszufinden, wie er sich den Herausforderungen unserer Zeit stellt. Im Rahmen dieses Interesses wendet man sich gegen die Orientalistik und die Orientalisten, die den Islam absichtlich herabgesetzt haben, und unter den Orientalisten melden sich einige, die ihre Errungenschaften verteidigen und die Anschuldigungen zurückweisen. Einige westliche Forscher verfolgen die Auswirkungen der islamischen Wiedererweckung auf das Milieu der progressiven, nationalistischen und säkularistischen arabischen Kräfte, wie auch einige arabische Forscher sich für die Reaktion der westlichen Denker auf dieses islamische Erwachen sowie für das Bild des Westens vom Islamismus und vom zeitgenössischen Islam interessieren.
Einige Leute glauben, dass der Islam von Anfang an ein vollständiges und endgültiges Programm für das irdische Leben, die Glückseligkeit und die Rettung des Menschen in sich schloss und dass seine ganze lange Geschichte nichts anderes war als die Enthüllung dessen, was in seinem ersten Kern verborgen, und die Entfaltung dessen, was in ihm angelegt war.
Andere glauben, dass der wahre, richtige Islam vollkommen verschieden von den Ereignissen seiner Realgeschichte ist, die in ihren Praktiken, Institutionen, Widersprüchen und Forderungen nichts als eine Abweichung vom reinen Weg des Islam und seinen hohen Zielen gewesen sei. Es ist völlig legitim, zwischen den ersten Zeiten des Islam und seinen späteren wertend abzuwägen, aber es ist auch sehr wichtig zu betonen, dass die Natur und die Gestalt des Islam erst endgültig durch seinen historischen Werdegang und dessen Triebkräfte festgelegt wurden. Jede gegenteilige Auffassung läuft auf Selbsttäuschung hinaus. In diesem Werdegang traten seine wesentlichen Züge, seine Struktur und seine Ideale hervor, und aus ihm erwuchsen ihm Stärke und Schwäche. Manchmal blieb der Islam zurück, zog sich auf sich selbst zurück und suchte Zuflucht in der Wiederholung des Altüberlieferten. Zu anderen Zeiten rüttelten ihn plötzliche Schicksalsschläge auf, und er überwand Enge und Stagnation und begann in seinem kulturellen Gedächtnis nach Triebfedern und Stützpfeilern zu forschen, die ihm halfen, geeignete Formen von Anpassung, Initiative, Erneuerung und Wiederaufnahme der Fortschrittsbewegung zu finden. Und heute erfährt er eine wirkliche Wiedererweckung und deutliche Belebung. Was ist das Geheimnis dahinter, dass er in den 1980er Jahren eine solche besondere Bedeutung bekam? Bringt der Islam der Welt eine umfassende Botschaft? Wie lange wird er noch eine vorwärtstreibende Kraft in der islamischen Welt sein? Welche verschiedenen Richtungen wird er einschlagen können?
Die wichtigste Voraussetzung für die Beantwortung dieser Fragen ist die Arbeit an der historischen Rekonstruktion des Islam in seiner Einheit, seinen Widersprüchen, seiner Diskontinuität und Kontinuität sowie in seinen Beziehungen mit den anderen Gesellschaften. Denn die heutige Lebenskraft des Islam beruht unter anderem darauf, dass er von Zeit zu Zeit zu einem Moment seiner historischen Vergangenheit zurückkehrt. Die Natur des religiösen Bewusstseins selbst erzwingt diese Rückkehr, und in jeder Rückkehr liegt eine Bereicherung des Islam, eine Anpassung an sich erneuernde Umstände und ein Zugewinn an Elementen des Widerstands, der Kontinuität und der Lebenskraft.
Das vorliegende Werk enthält die gestraffte Zusammenfassung einer langen Studie über die geistige und zivilisatorische Situation, in welcher der Islam entstand, über seinen Ort im Kontext der Weltgeschichte und über seine Bedeutung für das Schicksal der heute lebenden Araber.1 An den Ergebnissen dieser in der Mitte der 1960er Jahre geschriebenen Studie musste ich aber einiges ändern und hinzufügen, denn seinerzeit bestand das grundlegende Problem (etwa in Ägypten oder in Algerien) darin, die Elemente im Islam zu entdecken, welche die Volkskräfte auf dem Weg des sozialen Fortschritts mobilisieren konnten, während heute die wesentliche Fragestellung ist, wie man einen mörderischen Kampf zwischen den islamischen und den nationalen und progressiven Kräften verhindert sowie die Möglichkeiten und Grenzen des islamischen Aufschwungs, ihre positiven und ihre negativen Seiten genau bestimmt.
Wenn es auch wegen der gebotenen Kürze unmöglich ist, die methodischen und formalen Eigenheiten der alten Studie beizubehalten, so möchte ich doch diesbezüglich auf einen sehr wichtigen Punkt hinweisen: In der letzten Zeit lässt sich eine starke positive Hinwendung mancher arabischer Denker zur modernen, kritischen und wissenschaftlichen Erforschung des islamischen Kulturerbes feststellen, ebenso wie es auch die europäischen Wissenschaftler in der Erforschung des christlichen Erbes getan haben. Damit konnten diese die Grundlagen für die Säkularisierung legen, indem sie den Angelegenheiten des Staats und der Gesellschaft den göttlichen und heiligen Charakter nahmen und gleichzeitig die Religionsfreiheit als individuelle und private Angelegenheit begründeten. Das ist, allgemein gesprochen, schätzenswert, denn es bringt die kritische wissenschaftliche Forschung einen wichtigen Schritt voran und gibt ihr mehr Freiheit und neue Perspektiven. Es wird dabei allerdings manchmal einiges durcheinandergebracht. Da gibt es zum einen die politisch-ideologische Forderung nach Säkularisierung, die für die Trennung der Religion von Staat und Gesellschaft sowie für die Bewahrung der Religions- und Gewissensfreiheit sorgt. Zum anderen ist da die Forderung nach einer auf Erkenntnis abzielenden kritisch-wissenschaftlichen Forschung, die ihren Gegenstand nicht auf die gesellschaftlichen Bereiche beschränken kann, denen die Säkularisierung ihren geheiligten und religiösen Charakter genommen hat. Soll man nun auf die kritisch-wissenschaftliche Forschung in solchen Bereichen verzichten, die immer noch als tabu angesehen werden, wie etwa die Erscheinung der Intervention des Göttlichen in der Geschichte in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, und dies mit dem Argument, dass es sich hier um eine höhere Macht handle, die den Horizont der Geschichte überschreitet und deren Wahrheit so klar und augenscheinlich ist, dass sie der Erforschung nicht bedarf? Das säkularistische Bekenntnis zur Religionsfreiheit beinhaltet kein positives oder negatives epistemologisches Urteil über das Verhältnis des Menschen zu Gott und zur Natur, das auf eine höhere Instanz zurückzuführen wäre. Es kann auch nicht den Glauben oder Nichtglauben an bestimmte Erscheinungsformen des Verhältnisses Gottes zum Menschen vorschreiben. Dieses epistemologisch-philosophische Problem liegt außerhalb der Sphäre der Säkularisierung. Wenn man allerdings der kritischen wissenschaftlichen Forschung verbietet, das religiöse Bewusstsein selbst oder die ontologische Wahrheit des Schöpfers der Natur und seines Verhältnisses zu den Menschen zu behandeln, bedeutet das die Einengung der Freiheit der wissenschaftlichen Forschung. Dies ist der Säkularisierung nicht nur fremd, sondern es zerstört ihre Grundlagen, denn die kritische Wissenschaft wird so abhängig von unkritisch vorausgesetzten Glaubensartikeln; die Verehrung eines Teils des vergangenen Kulturerbes und seiner Legenden nimmt die Stelle seiner Kritik und Analyse ein, und die Säkularisierung verwandelt sich in Täuschung und Wahrsagerei. Der Ruf nach der Säkularisierung darf nicht zum Gegenstand von Handel oder Feilschen werden, in dem die Freiheit des Denkens und die Möglichkeiten des wissenschaftlichen Fortschritts verlorengehen. Dies tritt aber ein, wenn der Forscher, ausgehend von einem romantisch-religiösen Standpunkt, dazu getrieben wird, die Realität, die Geschichte und das Erbe jeweils in zwei Bereiche aufzuteilen und ihren ersten und älteren Bereich auf ein absolutes Niveau zu heben. Dieser absolute Bereich ist das, was man den Moment der wunderbaren göttlichen Gründung, die Texte der geheiligten Offenbarung und die Grundlagen der Wahrheit und des Schöpfertums nennt. Der zweite Bereich enthält alle späteren Formationen und Ereignisse, die in den Kontext der historischen Abfolge einzuordnen sind, sowie alle Lesarten, Kommentare, Rechtsbestimmungen, Entscheidungen, Anfügungen und die übrigen kulturellen und ideologischen Erscheinungen, die abgeleitet sind und nicht unmittelbar aus einer göttlichen Quelle oder einer geheiligten Grundlage hervorgehen.
Es gehört zum Wesen eines Gründungs- und Ursprungszeitalters, dass es das ideale, vollkommene Modell ist. Es allein verdient die Bezeichnung „Zeitalter des schöpferischen Ursprungs“, und es ist der Maßstab aller Zeitalter, Errungenschaften und Neuerungen. Den zweiten, späteren Bereich erreicht kein unmittelbares, höheres göttliches Feuer; er bleibt befangen in den Grenzen des Autoritätsglaubens, der Nachahmung, der Wiederholung, des Wiederkäuens und der Kommentare von unterschiedlicher Zuverlässigkeit und Bedeutung. Einige dehnen diese religiöse Zweigleisigkeit, die zwischen dem ursprünglichen schöpferischen Beginn einerseits und den abgeleiteten Bestimmungen und den späteren Lesarten der Grundlagen andererseits unterscheidet, auf das ganze Erbe aus. Weil diese religiöse Sicht, die nach der ursprünglichen Wahrheit in der fernen Vergangenheit sucht, vorherrscht, fehlt die kritisch-wissenschaftliche Analyse völlig. Wenn ein Forscher die arabische Dichtung der vorislamischen Zeit zum Maßstab der Ursprünglichkeit und zum Modell künstlerischer Schöpferkraft macht und die Rückkehr zu diesen Wurzeln fordert, wie der Gläubige zu seinem Schöpfer zurückkehrt, verurteilt er alle späteren Lesarten, neuen Werke und die Zukunft zur Nachahmung und Unfruchtbarkeit. Wenn wir uns statt mit den Ursprüngen mit Abū Tammām,2 al-Maʿarrī,3 at-Tauḥīdī4 und anderen beschäftigen, schneiden wir uns in dieser Sicht von den Quellen der Schöpferkraft ab, die dann nichts Neues mehr hervorbringen, und es wird sogar behauptet, dass das eine Art künstlerischer Unglaube ist, denn das Mithalten mit der Geschichte soll eine fortwährende Entfernung von der Wahrheit, von der Authentizität und von der Vollkommenheit sein. Vor diesem Niedergang soll uns nur der unmittelbare Zugriff auf die ersten edlen Ursprünge retten.
Diese Sicht trennt rigoros zwischen den absoluten schöpferischen Anfängen und den Bestimmungen oder Lesarten, die auf ihnen vorangehende Ursprünge verweisen. Aber neue Studien zeigen, dass es da keine absoluten Anfänge gibt, sondern nur Höhepunkte älterer Entwicklungen. Die vorislamische Poesie, die mündliche Gedichtsammlung der Araber, ist auf der Grundlage der heidnischen magisch-religiösen Ritualformen entstanden und verdankt ihre relative Arriviertheit dem Umstand, dass sie sich aus dem kollektiven traditionellen kulturellen Schatz speist. In ihrer heroisch-balladenhaften Art ist sie Ausdruck eines kollektiven ästhetischen Bewusstseins ohne wesentlichen Anteil des Individuums und seiner innovativen Schöpferkraft.
Es handelt sich hier um tiefverwurzelte, wiederkehrende Formen und modellhafte Strukturen, erworben in langjähriger Erfahrung und formuliert gemäß strengen Grundlagen und Regeln. Ihre sprachliche, phantastische und lokal begrenzte Welt war zu einem kollektiven oralen kulturellen (Stammes‐)Besitz geworden, von dem alle Dichter wussten und der nicht weniger fest verwurzelt war als die Bräuche und Traditionen des Stamms. Die kulturellen Grundlegungen und historischen Vorläufer der vorislamischen Dichtung nahmen ihr ihre absolute und innovative Qualität, die sie zum unübertrefflichen Standard und zum unvergleichlichen, ursprünglichen schöpferischen Kulturerbe gemacht hätte. Und so darf die kritisch-wissenschaftliche Forschung die Gründungskonstellation auch nicht als wunderbaren, erstaunlichen, über die Geschichte erhabenen Beginn ansehen. Vielmehr müssen wir methodologisch festhalten, dass sie ein Kulminationspunkt der kulturellen Entwicklung war, im Verlauf der Geschichte vorbereitet von verschiedenen Faktoren der Reifung, der Verfeinerung und der Vertiefung, die sie dann schließlich tatsächlich unter bestimmten Gesichtspunkten zu einer Gründungsstruktur oder zum schöpferischen Ursprung dessen machten, was sich nach ihr verwirklichen sollte. Hier ist erwähnenswert, dass der Gründungskern bei einigen Religionen in seiner tatsächlichen Herausbildung später kam als ihre historische Gründung, wie manche Forscher gezeigt haben.
Man sollte nicht nur anerkennen, dass es ein historisches Vorspiel zum Gründungskern gab, sondern auch feststellen, dass der schöpferische Ursprung oder der Gründungskern kein homogenes statisches Gebilde war, das andere bewegte, aber wie der Gott von Aristoteles selbst nicht bewegt wurde, sondern eine dynamische, bewegliche Erscheinung, die sich durch Vielfalt, Veränderlichkeit und innere Bewegung auszeichnete. Zudem sind die Festigkeit und Ruhe dieser Erscheinung relativ, denn es handelt sich um die gedankliche Kristallisation eines realen dynamischen Kontextes voller Widersprüche. Wie dem auch sei: Dieser Punkt betrifft die Methode und hat keine Konsequenzen, die mit dem Standpunkt des Individuums und seinen Glaubensüberzeugungen zusammenhängen.
Aus dem Vorhergehenden wird deutlich, dass es außer der Gründungsstruktur und den von ihr abgeleiteten ideologisch-historischen Interpretationen und Lesarten eine dritte Phase gibt, die ihnen historisch vorausgeht. Sie besteht aus den ersten Grundlegungen, welche die Entstehung einer Gründungsstruktur vorbereiten. Jede analytisch-kritische, historische oder strukturalistische Herangehensweise muss diese Phase berücksichtigen. Es besteht kein Widerspruch zwischen einerseits logischer Darlegung und einer Herangehensweise, die mit der beschreibenden oder funktionellen Untersuchung der Gründungsstruktur und des ihr Folgenden beginnt, und andererseits der Anerkennung der erwähnten historischen Vorbereitungsphase.
Dies ist die Bedeutung der eben gemachten methodologischen Vorbemerkung: Um den geistigen und zivilisatorischen Umbruch, der das Aufkommen des Islam nun einmal war, in seiner wahren Bedeutung zu erklären, muss man seine geistigen und sozialen Voraussetzungen sowie den allgemeinen Charakter der geistigen und sozialen Umbrüche, die ihm im Orient und auf der Arabischen Halbinsel vorausgingen, genau analysieren; man muss ihn also in den Rahmen der zivilisatorisch-historischen Gesamtentwicklung stellen, die ihm erst seine Bedeutung gab. In meiner schon genannten früheren Studie5 habe ich erklärt, wie es der Islam, entstanden in einem zivilisatorisch und historisch gegenüber den übrigen orientalischen Ländern rückständigen Gebiet, geschafft hat, kein regional isoliertes Ereignis zu bleiben, sondern eine angemessene Antwort auf die sozialen und historischen Bedürfnisse und Entwicklungsbedingungen in der Region zu werden, die dann als „Gebiet des Islam“ (Dār al-islām) oder „Welt des Kalifats“ bekannt wurde. Dazu habe ich auch untersucht, wie weit die religiösen Ideen des Orients vor dem Islam in der Lage waren, die Bedürfnisse der realen Entwicklung aufzunehmen und auf die Tendenzen der historischen Bewegung zu antworten. Weiter habe ich gezeigt, wie der gerade entstandene Islam die historische Gelegenheit, die sich aus der scharfen Auseinandersetzung zwischen den beiden Großmächten der Zeit, Byzanz und Persien, ergab, ausnutzte, um selbst zu einer Weltmacht zu werden. Es ist sehr wichtig, bei diesen bedeutsamen Umständen der Entstehung des Islam als neue, unabhängige, weltumspannende Ideologie einerseits und neuer Staat großer Ausdehnung mit besonderen politischen und sozialen Institutionen andererseits zu verweilen.
Ich kann im vorliegenden Buch die verschiedenen Aspekte des geistigen und zivilisatorischen Lebens im frühen Islam nicht völlig erfassen, sondern werde mich damit begnügen, die wichtigsten Züge der islamischen Ideologie6 zu jener Zeit und ihre Auswirkung auf die Richtung der gedanklichen, rechtlichen und politischen Entwicklung sowie die Umformulierung des Kerns des frühen islamischen Bewusstseins zu bestimmen. Dazu muss ich mich auf dessen Weltsicht, auf seine Stellung zum Leben und zum theoretischen Denken sowie auf die soziale und politische Praxis konzentrieren, und damit dann auch auf die Veränderungen der Formen der Beziehung des Menschen zur Gottheit, des irdischen Lebens zum Jenseits, des Wissens zum Glauben, der Praxis zur Theorie, der Religion zum Staat usw.
Bei der Behandlung dieser Probleme werde ich die Lösungen untersuchen, die im Islam für das tugendhafte Leben des Menschen, den Wert seiner körperlichen und geistigen Mühen, seine wichtigsten Ziele, seine praktischen und religiösen Aktivitäten, seine Rechte und Pflichten, sein Schicksal usw. vorgeschlagen wurden. Ganz besonders werde ich mich der Frage widmen, wie weit und warum ein historischer, sozialer und intellektueller Fortschritt im Rahmen einer religiösen Ideologie stattfinden konnte. Um den Bedingungen wissenschaftlicher Forschung zu genügen, musste ich die zivilisatorischen und geistigen Vorgänge im frühen Islam als aufeinanderfolgende menschliche Ereignisse im Kontext einer ganz bestimmten sozialen und geistigen Geschichte behandeln, und zwar unabhängig von jeder Glaubensvoraussetzung und jeder anderen Erwägung, die nicht von der Logik wissenschaftlicher Forschung diktiert wird und deren Berücksichtigung sich daher verbietet. Wer keine Forschung betreibt, kann den Glaubensstandpunkt einnehmen, den er will und der mit seiner Sicht auf das Leben und die Existenz im Einklang ist.
Diese Studie beschäftigt sich nicht mit der Vergangenheit, weil sie nach Objektivität strebt oder die heutigen Probleme umgehen will, sondern um unser heutiges Leben, in dem der Islam als Kultur, Religion und politisches Gebilde eine große Rolle spielt, besser zu verstehen. Darum ist es richtig, dass wir sie als Ausdruck einer bestimmten Entwicklungsstufe des theoretischen Bewusstseins und einer bestimmten Richtung in der Entwicklung des historischen Bewusstseins verstehen, das seinerseits einen wesentlichen Aspekt des heutigen sozialen Bewusstseins und seines ideologischen Gehalts darstellt. Wenn heute eine Nation die Bedeutung des historischen Bewusstseins in ihrem geistigen Leben bekräftigt, ist das meist ein Anzeichen dafür, dass die Weichen für die Zukunft im Bewusstsein der Leute noch nicht gestellt sind. Die fortwährende Beschäftigung mit der historischen Vergangenheit offenbart hier das völlige Aufgehen in der Zukunft und den Willen, sie zu kontrollieren. Das Interesse an der Frühzeit des Islam zeigte sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts stark bei den Wahhabiten, als sie die Last des ihnen fremden osmanischen Sultanats spürten. Die Rückkehr zur Frühzeit des Islam war der Beginn eines noch unbestimmten national-arabischen Bewusstseins, das die Herrschaft der Osmanen und ihres Islam ablehnte. Und mit den Umschwüngen, welche die arabische Gesellschaft seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zu erfahren begann, hat dieses Interesse eine ganz neue Bedeutung im Hinblick auf seinen sozialen Gehalt gewonnen. Jeder wichtige Umschwung im Leben der Araber wird sie dazu bringen, die Vergangenheit mit neuen Augen zu sehen. Welche Veränderungen sich in unserem Verhältnis zur Vergangenheit auch immer ergeben mögen, es wäre doch leichtsinnig, sie wie ein abgetragenes Kleid beiseite zu legen. Man sagt doch, wer auf die Vergangenheit mit Gewehren schießt, auf den wird die Zukunft mit Kanonen zurückfeuern.
Der Sieg des Islam als Religion und Staat war ein positiver Schritt auf dem Weg des historischen Fortschritts. Auf seinem Territorium vollzog sich ein Aufschwung in den Produktivkräften und der Technik, eine Blüte der städtischen Wirtschaft (Handel und Wissen) und eine Ausbreitung der Feudalbeziehungen, begleitet von der Festigung eines ausgedehnten Zentralstaats, der meist eine lebenswichtige ökonomische Funktion erfüllte. Die Welt des Kalifats sah zivilisatorischen Fortschritt, Reichtum und Vielfalt im kulturellen und religiösen Leben sowie den Aufschwung der wissenschaftlichen und philosophischen Forschung und den Beginn der experimentellen Methode. Die arabisch-islamische Zivilisation zeichnete sich allgemein, und ganz besonders in ihrer ersten Phase, durch die Entwicklung einer positiven Haltung zur Außenwelt und ihrer Erkenntnis sowie durch die Rechtfertigung weltlicher, natü...