Spuk am See
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Spuk am See

  1. 220 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Über dieses Buch

Der Zeitungsverleger Archibald Harbord schickt seinen Mann für besondere Aufgaben, den Abenteurer Hugh Perry in die englische Provinz nach Sherbury. Eingeschüchterte Zeugen haben dort miterlebt, wie ein monströses affenartiges Geschöpf eine Frau bei bengalischer Beleuchtung auf dem See erwürgte. Die Vorfälle in dem kleinen Ort muten noch mysteriöser an, als der Verleger, dem der Fall ein persönliches Anliegen ist, Perry ein Paket zeigt, das ihm aus Sherbury zugegangen ist: ein schwarzer Todesvogel aus Niederländisch Neu-Guinea.Was treibt Harbord, seinen besten Mann dorthin zu schicken?Seltsame Figuren halten sich in Sherbury auf: Lästige Reporter, die die Hoffnung auf eine Sensationsstory dorthin getrieben hat. Als sympathisch erweist sich Mira Garrard, eine burschikose, dabei aber hübsche junge Dame, die stets um ihren Vater bemüht ist, einen Wissenschaftler, der seine Forschungsarbeit zu Ende bringen möchte. Verwandtschaftsbande halten ihn im Ort, er ist der Bruder des jüngst verstorbenen letzten Sherbury. Ein falsches Spiel betreibt die Witwe, die ihm unverhohlen schöne Augen macht, nachts aber den zwielichtigen Mr. Cooper trifft, der von ihr ungeduldig fälliges Geld einfordert. Cooper weiß, für wen das ungewöhnliche Schauspiel bestimmt war und was es besagen sollte. Deshalb verlässt er sein Haus nie mehr ohne Waffe. Unheimlich ist ihm vor allem der holländische Missionar, der mit einem malaysischen Diener gekommen ist, um sich auszukurieren. "Der Holländer warf den Hut und die Brille auf den Tisch und legte auch den sanftmütigen Gottesmann ab. (…) 'Ja, Herr', sagte der Gelbe unterwürfig. 'Der Mann sucht mit den scharfen Augen der Furcht, denn er weiß, daß die Rache auf dem Wege ist. Ich habe ihn von oben verfolgt, seitdem er vom Wasser kam. Er wandelte wie auf einem Pfad voll schrecklicher Schlangen …' - 'Fein', murmelte der seltsame Eremit mit einem breiten Grinsen. 'Das war ja der Zweck der Übung. – Und wann wird der richtige Tanz losgehen?'"Wer hegt welche Absicht? Wer wird als erster aus der Deckung kommen? Wann haben sich die Wege der Handelnden früher einmal gekreuzt? Louis Weinert-Wilton hat eine explosive Mischung angerichtet. Das Unheil rückt auf leisen Sohlen heran, bis es dann endlich zum Ausbruch kommt: Mira Garrard wird ermordet, beim Schwimmen im See wird sie unter Wasser gezogen und ertränkt. Endlich tritt Chefinspektor Austin von Scotland Yard auf den Plan, ein kauziger, aber trotz seiner Methoden außerordentlich erfolgreicher Aufklärer.Spuk am See ist 1938 erschienen und einer der letzten Romane von Louis Weinert-Wilton. Im Verlauf der Jahre hat er seinen Stil und seine Plotbehandlung immer weiter perfektioniert: Ein Muss für alle, die diesen Autor schätzen oder näher kennenlernen wollen!

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1

„Sie müssen mir – ääh – einen Gefallen tun, Perry ...“, sagte Mr. Archibald Harbord mit seiner näselnden, schleppenden Stimme, und es geschah äußerst selten, daß er ein Gespräch mit dieser Redewendung einleitete. Er hatte es auch nicht nötig. Wenn der Chef der Harbord-Presse irgendeinen Wunsch hegte, bedurfte es bloß eines Winks, um ein Heer von gewandten und unternehmenden Leuten in fieberhafte Tätigkeit zu setzen. Aber bei Hugh Perry war das was anderes. Der lag vor dem Konzern und vor dem Chef nicht auf dem Bauch, sondern wurde gleich störrisch, wenn ihm etwas nicht paßte. Also mußte man ihm die Geschichte erst ein bißchen mundgerecht machen. – Eben, weil sie so einfach und eigentlich geradezu lächerlich war ...
Der junge Mann mit den etwas lang geratenen Gliedmaßen glaubte zu ahnen, was kommen würde, denn es war ja immer dasselbe, weshalb man ihn rief. In seinem energischen, bronzefarbenen Jungengesicht malte sich deutliches Mißvergnügen.
„Eigentlich habe ich mir die Sache anders vorgestellt“, erklärte er denn auch, als Mr. Harbord keine Anstalten traf, fortzusetzen. „Ich wollte mich ein paar Monate auf die faule Haut legen. Wie Sie wissen, bin ich in den letzten sechs Jahren viermal in den verschiedensten Breitengraden um unsere kleine Erdkugel rum und habe nun davon für eine Weile genug. Wenn ich an ein Schiff oder ein Flugzeug oder einen Kamelritt bloß denke, kommt mir schon das ... – Na, Sie verstehen. Außerdem muß ich wohl endlich mal was für meine Gesundheit tun. Vom Mount Everest habe ich noch immer ein schreckliches Reißen im rechten Bein, vom Kongo ein scheußliches Stechen im Kopf, und aus Abessinien fünf verdammte Sandflöhe unter einem Zehennagel, die ich nicht loskriegen kann ...“
Hugh Perry wunderte sich ein wenig, daß der Chef zu allen diesen gewiß deutlichen Einwänden so verständnisvoll nickte, wo er ihn doch sicher wieder irgendwohin in die Welt jagen wollte, und daß Mr. Harbord sogar mit einem höchst wohlwollenden und launigen Lächeln sein kräftiges Pferdegebiß zeigte. Wenn der Mann so einsichtig und rücksichtsvoll war, durfte man ihn eigentlich nicht mit einem unhöflichen glatten Nein abfertigen. Schließlich war es ja auch gar nicht verlockend, auf so einem winzigen und langweiligen Fleck wie London mit seinen lumpigen zweihunderttausend Quadratmeilen Umgebung gleich ein paar Monate ohne irgendwelches kleine Abenteuer herumzukugeln; und was die Gesundheit betraf, so machten ein bißchen Reißen im Bein und ein bißchen Stechen im Kopf und fünf lächerliche Sandflöhe weiter nichts aus, wenn man achtundzwanzig Jahre alt war, solide Knochen, darüber eine lederne Haut und darunter Lungen wie ein Schmiedeblasbalg und ein Herz hatte, das kräftig und präzis wie ein fabrikneuer Motor klopfte.
Damit war der junge Mann auch schon entschlossen.
„Aber ich tu’s“, sagte er und schlug bekräftigend auf sein sehniges Bein. „Wohin soll’s also diesmal gehen?“
„Nicht weit“, erklärte Mr. Harbord und lächelte noch launiger und wohlwollender. „Und es wird alles – ääh – Ihren Wünschen entsprechen: Sie werden kein Schiff, kein Flugzeug und kein Kamel benützen müssen und sich – ääh – auch gründlich ausruhen und pflegen können. – Bloß nach Sherbury ...“
„He?“ machte Perry mit schiefem Kopf und überraschten Augen. „Sie meinen doch nicht etwa ...?“
Der Chef nickte.
„Ja, eben das meine ich. – Und – ääh – wie gesagt, Sie müssen mir diesen Gefallen tun. Mir persönlich, nicht für unsere Blätter. Ich habe nicht die Absicht, unseren Lesern solche – ääh – Schauergeschichten vorsetzen zu lassen. Das ist was für die Pennypresse. Und sie breitet die Sache auch gehörig aus. – Haben Sie die Berichte gelesen?“
„Tell!“ bestätigte Perry und schüttelte sich vor Vergnügen. „Der schwärzeste Nigger würde aschgrau, wenn man ihm diesen Spuk auftischte.“
„Ja.“ Mr. Harbord nahm den Klemmer von der kühnen Nase und blinzelte aus kurzsichtigen Augen irgendwohin ins Leere. „Immerhin interessiert es mich aber – hm – aus gewissen Gründen – zuverlässig zu erfahren, was für eine Bewandtnis es damit hatte. Daß wirklich – ääh – ungewöhnliche Dinge geschehen sind, weiß ich von einer Seite – hm – von jemandem, der sehr nüchtern und scharf zu beobachten pflegt ...“
„Es soll in ein oder zwei Nächten wie im wildesten Busch zugegangen sein“, grinste der junge Mann. „Angeblich hat ein monströses affenartiges Geschöpf eine Frau bei richtiger bengalischer Beleuchtung auf dem See erwürgt. – Zum Schießen! – Wenn es in Amerika geschehen wäre, würde ich sagen, daß es sich um einen Reklametrick eines gerissenen Filmmanagers handelt. Aber hierzulande sind die Leute dieser Branche nicht so phantasievoll.“
Mr. Harbord klopfte mit dem horngefaßten Klemmer etwas ungeduldig auf den Schreibtisch. „Jedenfalls wäre es mir eine große Beruhigung, Sie draußen zu wissen, Perry“, sagte er. „Es ist dies zwar – ääh – keine Arbeit für Sie, aber einen andern Herrn mag ich nicht schicken. Die Reporter von der Fleet Street sind ja alle miteinander verbandelt, und es gäbe – ääh – ein großes Hallo, daß wir nun auf einmal auch hinter dieser Kolportagegeschichte her sind. Das würde mir gar nicht passen. – Sie aber haben zwar einen Namen, doch kennt man Sie kaum persönlich. Wenn Sie nicht – ääh – selbst Ihr Inkognito lüften ...“
„Gott soll mich behüten!“ verwahrte sich Hugh entsetzt. „Diese Sorte geht mir auf die Nerven.“ Er schnellte wie eine Sprungfeder zu seiner ansehnlichen Länge auf. „Nach dem Lunch werde ich also sofort losfahren ...
„Mit dem ‚Gefleckten Pfeil‘?“ fragte der Zeitungsgewaltige, und es lag etwas in dem Tonfalle, was dem jungen Mann nicht recht paßte.
„Jawohl“, erklärte er sehr nachdrücklich. „Ich gebe zu, daß er nicht mehr besonders gut aussieht, aber das kann man von ihm auch nicht verlangen, nachdem er in fünf Erdteilen siebenundachtzigtausend Meilen über Stock und Stein geflitzt ist. Innerlich jedoch ist er noch kerngesund, und wenn es darauf ankommt, mache ich mit ihm jedes Rennen.“
„Ja ...“, murmelte der Chef zerstreut und griff dann plötzlich nach einer kleinen Schachtel, die auf dem Schreibtische stand. „Warten Sie, bitte, noch einen Augenblick“, sagte er. „Da Sie so weit herumgekommen und – ääh – ein passionierter Jäger sind, können Sie mir vielleicht eine Auskunft geben.“ Er hatte aus dem Karton eine Lage Papier genommen und hielt nun dem jungen Mann an den zusammengebundenen Ständern einen Vogel hin. Das Tier hatte ungefähr die Größe eines Raben, ein unscheinbares schwarzgraues Gefieder und einen ziemlich langen und kräftigen Papageienschnabel.
„Haben Sie einen solchen Vogel schon einmal gesehen?“
Perry machte wieder einmal seinen neugierigen schiefen Kopf, aber schon nach dem ersten flüchtigen Blick ging sein Gesicht betroffen in die Länge.
„Teufel noch einmal – woher haben Sie das?“
„Man hat es mir heute – ääh – mit der Post geschickt und mich ersucht, ich möchte im Zoo oder bei der ornithologischen Gesellschaft Erkundigungen einziehen lassen.“
„Diese Mühe kann ich Ihnen ersparen“, sagte der junge Mann. „Vor allem tun Sie das Vieh hübsch behutsam wieder weg, und falls Sie es ausstopfen lassen wollen, machen Sie den Präparator darauf aufmerksam, daß er sich in acht zu nehmen hat. – Mit diesem Zeug ist nicht zu spaßen.“
Harbord hatte den Vogel mit schreckhafter Hast wieder in die Schachtel gleiten lassen und säuberte sich umständlich die Hände.
„Was ist es?“ drängte er ängstlich.
„Ein sogenannter ‚Todesvogel‘. Er lebt in Niederländisch Neu-Guinea, und ich habe am Fly River einige heruntergeholt. Wenn so ein Schwarm ausgehungert ist, geht er auch den Menschen an, und zwischen so einem Schnabelhieb und dem Biß einer Kobra fällt einem die Wahl schwer. Man wird sofort blind, und einige Stunden später ist es rettungslos aus.“
Der andere schielte scheu nach der Schachtel mit dem gefährlichen Inhalt und schüttelte den Kopf.
„In Neu-Guinea – so ...“, wiederholte er gedankenvoll und richtete dann den Blick gespannt auf den jungen Mann. „Können Sie sich erklären – ääh – wie dieser Vogel hierher gekommen ist? – Er wurde gestern morgens am See von Sherbury erlegt.“
„Nein“, sagte Hugh, indem er seinen verknitterten Sporthut durch einen Klaps wieder ein bißchen in Form brachte, „das kann ich mir nicht erklären. – Aber ich werde es schon herausbekommen. Jedenfalls gefällt mir nun dieses Sherbury weit besser, wenn sich dort solches Getier herumtreibt ...“

2

Der kleine Sportwagen, der mit Hugh Perry auf schnurgerader Straße durch das herbstliche Gartenland von Kent rollte, sah wirklich nicht mehr besonders gut aus. Er hatte nicht die winzigste Spur von Lack mehr auf dem Leibe, dafür aber eine gehörige Anzahl von größeren und kleineren Beulen, und auf der Haube und den Kotflügeln saß ein Blechflicken neben dem andern. Darauf hielt sein ordnungsliebender Besitzer. Er hämmerte und schweißte sofort, wenn sich irgendwo ein unschöner Schaden ergab, und auch dem Innern galt seine pedantische Sorgfalt. Da fand sich nirgends ein Loch in den farblosen Resten, die von dem einstigen Lederbezug übriggeblieben waren, sondern Hugh hatte jeden solchen Schaden sofort eigenhändig ausgebessert. Mit dem Erstbesten, was gerade dagewesen war: Einmal war es ein Stück Büffelhaut gewesen, ein andermal ein Streifen von einer Antilopen- oder Zebradecke oder einem Robbenfell, und auf dem Sitz am Steuer, wo es einmal einen kleinen Brand gegeben hatte, prangte ein Hautfetzen einer Riesenschlange. Gleiche Sorgfalt wandte Perry auch dem Klappdache zu, und so lange die unterschiedlichen Ersatzteile neu und zum Teil sogar auch noch behaart gewesen waren, mochten sie ein recht buntes und eindrucksvolles Bild ergeben haben. Nun allerdings hatten Sonne, Regen und Wind aller Himmelsstriche sie gehörig gebleicht, und es war ihnen von ihrer interessanten Herkunft nicht mehr viel anzumerken.
Der junge Mann saß bequem zurückgelehnt, hatte die langen Beine auf der Haube – die einzig mögliche Art, sie ohne schmerzhafte Verrenkung unterzubringen – und ließ sich die Sache mit Sherbury durch den Kopf gehen. Wenn ihm jemand noch am heutigen Morgen gesagt hätte, daß er in einigen Stunden hinter dieser ulkigen Schauergeschichte her sein werde, hätte er den unvorsichtigen Propheten wegen dieser beleidigenden Zumutung kurzweg k. o. geschlagen. So etwas war nichts für einen Hugh Perry. Ja, wenn irgendwo in der Welt wirklich was los war und es dabei um ein Haar ging – wenn es irgendwo einen netten Krieg gab, oder eine Expedition, bei der man sich mit allerlei wildem Volk und tückischem Getier herumbalgen mußte, oder wenigstens einen kleinen Flug, bei dem man aus ein paar tausend Fuß ins Meer, in einen dicken Sumpf oder in eine endlose Eiswüste hinuntersausen konnte – das war was anderes. Für solche Dinge war Hugh Perry, seitdem er vor acht Jahren aus dem langweiligen Oxford ausgerissen war, immer zu haben gewesen. Dabei konnte man hie und da ein bißchen kalte Haut auf dem Rücken bekommen, und dann war das Leben erst richtig unterhaltend.
Und nun sollte er sich auf einmal für nächtliche Gesichte der biederen, aber offenbar auch recht einfältigen Leutchen von Sherbury interessieren. Sonst war ja nichts geschehen. Das mußten selbst die Abendzeitungen zugeben, die seit einer Woche von dem rätselhaften Vorfall so viel Aufhebens machten. Auch die Polizei hatten sie alarmiert, und man hatte den See und seine Umgebung gründlich abgesucht, aber nicht das geringste gefunden, was auch nur eine Spur eines Verbrechens ergeben hätte.
Der Todesvogel gab aber immerhin zu denken. Diese gefährlichen Biester strichen ja nicht tausende von Meilen über Land und Meer, und wenn das Tier irgendwo ausgekommen wäre, hätte man gewiß sofort gewaltigen Lärm geschlagen, um die Öffentlichkeit zu warnen. – Eigentlich hätte er Mr. Harbord fragen sollen, wer diese ungewöhnliche Beute zur Strecke gebracht hatte ...
Der junge Mann gewahrte in der Ferne rechts von der Straße ein kleines Gehölz, das sich einen Hang hinabzog, und gegenüber blinkte es in silbrigen Reflexen durch die Stämme einer schütteren Baumgruppe. Das war wohl schon der See von Sherbury, und hinter dem Walde lag wahrscheinlich der Ort.
Hugh Perry gab noch ein bißchen mehr Gas, und sein braves Wägelchen entwickelte ein Getöse, als ob es mit Blechabfällen geladen wäre. Plötzlich wurde es jedoch in seinem flinken Laufe so jäh gebremst, daß es erschreckt aufquietschte und geradezu jämmerlich klapperte. Sein Besitzer kümmerte sich nicht darum, sondern blickte sehr angelegentlich nach einem Punkte etwas abseits der Straße. Dort qualmte auf einem Feldrain ein richtiges Präriefeuer, und hinter der Bodenwelle guckte mit sichtlicher Neugierde ein Mädchengesicht hervor.
Hugh fand es äußerst niedlich, obwohl es an Sauberkeit einiges zu wünschen übrig ließ. Um den kleinen Mund lag eine dicke Rußschicht, auf der Spitze des feinen, etwas eigenwilligen Näschens prangte ebenfalls ein kreisrunder schwarzer Fleck, und auch die tiefgebräunten Wangen und die Stirn hatten etwas von dieser clownhaften Bemalung abbekommen. Nur die großen lebhaften Augen strahlten ungeschwärzt in die Welt, und das kastanienfarbige Haar schmiegte sich in metallisch schimmernden Wellen an den schmalen Kopf. Wie alt dieses reizende Wesen sein mochte, ließ sich nicht so ohne weiteres bestimmen, aber jedenfalls fühlte sich der junge Mann mit seinen guten sechs Fuß gewaltig überlegen und entschied sich daher für den Ton onkelhafter Freundlichkeit.
„Liebes Kind“, sagte er, indem er mit den Beinen schlenkerte, denen über dem Motor etwas warm geworden war, „ich bin hier wohl recht auf dem Wege nach Sherbury?“
Die lebhaften Augen musterten ihn mit einem langen, kühlen Blick, der rußgeschwärzte kleine Mund arbeitete eifrig, aber erst nachdem der kastanienfarbene Kopf eine krampfhafte Schluckbewegung gemacht hatte, erhielt Perry eine Antwort.
„Mein lieber Junge, wenn Sie nach Sherbury Court oder Sherbury Cottage wollen, immer Ihrer Nase nach. – Wenn Sie aber den Ort meinen, hätten Sie eine Meile früher nach rechts abbiegen müssen. Das Nest liegt dort unten.“
Über dem Rain erschien nun auch noch eine kleine schmale Hand und ein rußiger Zeigefinger deutete nach dem bewaldeten Hang.
„So – danke ...“, sagte der junge Mann zerstreut, setzte das eine Bein ohne sonderliche Mühe auf die Straße, schwang das andere nach, machte einen langen Schritt über den Graben und drei weitere über das anstoßende Feld und stand auch schon neben dem knisternden Lagerfeuer.
Das erste, was er zu seiner angenehmen Überraschung feststellte, war, daß zu dem anziehenden Gesichtchen eine völlig und äußerst vorteilhaft ausgewachsene junge Dame gehörte, die seiner baumlangen Männlichkeit so wenig Bedeutung beimaß, daß sie sich dadurch in ihrer bequemen Lage nicht im geringsten stören ließ. Sie war anmutig auf dem Grashang hingestreckt, und der kurze Sportrock ließ sehr viel von einem Paar zart gefesselten Beinen sehen. Auch unter der grünen gestrickten Bluse entdeckte der scharfäugige Perry einiges, was seinen angeborenen Schönheitssinn fesselte, aber an ihm schien die Betreuerin des Feuers rein gar nichts zu finden, was der Beachtung wert gewesen wäre. Sie hob nicht einmal den Blick, sondern stocherte mit einem Stück Holz angelegentlich in der Glut herum. Dann bugsierte sie eine rußige Kugel in das Gras und bließ so heftig darauf, daß eine ganze Fontäne von schwarzen Flocken und Asche aufstob.
Hugh fand seine Rolle eines unbeachteten Zuschauers mit der Zeit etwas peinlich.
„Was machen Sie denn da?“ fragte er endlich, um sich nicht gar so überflüssig vorzukommen.
„Das – phhh – sehen – phhhh – Sie – phhh – doch – phhhh ...“, erwiderte die Schöne, indem sie den rauchenden Knollen behutsam zwischen den Fingerspitzen drehte und die verkohlte Kruste abkratzte. „Ich nehme eine kleine Zwischenmahlzeit ein. Bei uns gabs heute Mittag bloß Kabeljau, und darauf bekomme ich immer sofort wieder Hunger. – Übrigens sind im Feuer gebratene Kartoffeln meine Leibspeise ...“
„Meine auch“, stimmte der junge Mann mit wässrigem Munde lebhaft zu. „Das ist was Feines. – Schon der Geruch macht einem Appetit.“
Er schnupperte begehrlich, und die Herrin des Herds wußte, was die Gastfreundschaft der Prärie gebot.
„Wenn Sie wollen, können Sie mittun“, sagte sie, indem sie den Fremdling endlich einer flüchtigen Betrachtung würdigte. „So hochaufgeschossene junge Leute sind ja immer hungrig. Bedienen Sie sich also. Aber geben Sie acht, daß Sie sich nicht die Pfote oder den Mund verbrennen. Hier in dem Papier haben Sie Salz.“
Nach dieser freundlichen Einladung grub das reizende Wesen die blinkenden Zähne vorsichtig in die Kartoffeln und beobachtete kritisch, wie der Gast sich anstellen würde.
Hugh saß bereits mit untergeschlagenen Beinen und benahm sich überraschend geschickt. Er verschmähte sogar das Holz, holte sich einen der Knollen einfach mit dem Finger aus der Glut und bließ nicht einmal, während er ihn abschälte.
Miß Garrad war zwar nicht so leicht zu beeindrucken, aber das imponierte ihr. Wenn dieser lange, sehnige Junge nicht so gut angezogen gewesen wäre, hätte man ihn für einen Feuerschlucker aus einem Wanderzirkus halten können, oder für einen Arbeiter, der den ganzen Tag in flüssigem Eisen herumplantschte.
„Sie scheinen ja richtiges Sohlenleder an den Händen zu haben“, bemerkte sie und ging dann daran, ihre erwachende Wißbegierde zu stillen. „Nachdem Sie nach Sherbury wollen, sind Sie sicher auch ein Zeitungsreporter. Es sind schon eine Menge dort.“
Perry hatte eine ganze Kartoffel zwischen den kräftigen Kauwerkzeugen und würgte hastig daran. „Entschuldigen Sie – sehe ich so aus?“ fragte er gekränkt, und seine Gastgeberin musterte ihn wiederum mit einem prüfenden Blick.
„Eigentlich nicht“, gab sie zu. „Dazu schauen Sie zu wenig intelligent aus. Nicht einmal eine Brille oder einen Klemmer haben Sie. – Ich würde eher sagen, daß Sie Tormann einer Rugbymannschaft oder Langstreckenläufer sind; nach einem scharfen Training. – Wollen Sie sich vielleicht hier ein bißchen erholen?“
„Ja ...“, stammelte der junge Mann mit rotem Kopf und nickte krampfhaft. Er war doch sonst gewiß nicht auf den Mund gefallen, aber die offenbar sehr selbstbewußte Kartoffelbraterin behandelte ihn so von oben herab, daß er ganz aus der Fassung geraten war. „Sie müssen nämlich wissen, ich habe ...“ Er wollte ihr von dem Reißen im Bein, dem Stechen im Kopf und den Sandflöhen erzählen, überlegte sichs aber noch rechtzeitig. „Ja – ich habe ein paar Tage Ferien. – Und hier ist so gute Luft und ländliche Ruhe, wie ich mir sagen ließ.“
„Ländliche Ruhe – ha–ha–ha ...“ Das hübsche Kind lachte sehr gereizt. „Da sind Sie schön reingefallen, mein Lieber. Sie werden schon sehen. – Bei uns geht...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Inhalt
  4. Kapitel 1
  5. Kapitel 2
  6. Kapitel 3
  7. Kapitel 4
  8. Kapitel 5
  9. Kapitel 6
  10. Kapitel 7
  11. Kapitel 8
  12. Kapitel 9
  13. Kapitel 10
  14. Kapitel 11
  15. Kapitel 12
  16. Kapitel 13
  17. Kapitel 14
  18. Kapitel 15
  19. Kapitel 16
  20. Kapitel 17
  21. Kapitel 18
  22. Kapitel 19
  23. Kapitel 20
  24. Kapitel 21
  25. Kapitel 22
  26. Kapitel 23
  27. Kapitel 24
  28. Kapitel 25
  29. Kapitel 26
  30. Kapitel 27
  31. Kapitel 28
  32. Kapitel 29
  33. Kapitel 30
  34. Kapitel 31
  35. Kapitel 32
  36. Kapitel 33
  37. Kapitel 34
  38. Kapitel 35
  39. Kapitel 36
  40. Kapitel 37
  41. Kapitel 38
  42. Kapitel 39
  43. Kapitel 40
  44. Kapitel 41
  45. Kapitel 42
  46. Kapitel 43
  47. Kapitel 44
  48. Kapitel 45
  49. Kapitel 46
  50. Kapitel 47
  51. Kapitel 48
  52. Kapitel 49
  53. Kapitel 50
  54. Kapitel 51
  55. Kapitel 52
  56. Kapitel 53
  57. Zum Autor und seinen Krimis
  58. Leseprobe „Der Skorpion“
  59. Impressum