III Therapie
13 Behandlung depressiver Episoden bei bipolaren Störungen
Tom Bschor, Philipp Ritter und Michael Bauer
Kapitelübersicht
Einleitung
13.1 Unterschiede zwischen uni- und bipolaren Depressionen
13.2 Pharmakologische Behandlungsstrategien bei bipolaren Depressionen
13.2.1 Allgemeine Prinzipien der Pharmakotherapie
13.2.2 Stimmungsstabilisierer
13.2.3 Antidepressiva
13.2.4 Antipsychotika
13.2.5 Therapieempfehlungen zur Pharmakotherapie
13.3 Psychotherapie bei bipolarer Depression
13.4 Nicht pharmakologische Therapieverfahren bei bipolarer Depression
Literatur
Einleitung
Definition
Eine depressive Episode im Verlauf einer bipolar affektiven Erkrankung wird als bipolare Depression bezeichnet.
Die Behandlung der bipolaren Depression stellt eine besondere therapeutische Herausforderung dar. Im Vergleich zur (unipolaren) majoren Depression ist die Erkenntnislage dünner und zugleich mit mehr Risiken und Fallstricken versehen.
Häufig werden Therapiestrategien per Analogieschluss von der unipolaren auf die bipolare Depression übertragen, ohne dass dies wissenschaftlich belegt ist. Weiter verkompliziert wird die Datenlage durch die verschiedenen Verlaufstypen bipolar affektiver Erkrankungen, insbesondere durch die Unterteilung in Bipolar-I und Bipolar-II (Typ I mit voll ausgeprägten manischen Phasen; Typ II mit lediglich hypomanen Phasen), die erst in jüngeren Untersuchungen getrennt berücksichtigt werden (Müller-Oerlinghausen et al. 2002).
Es ist zu beachten, dass Patienten aufgrund nicht erfasster, leichter oder nur kurz andauernder hypomaner Episoden oftmals falsch als unipolar diagnostiziert werden (Akiskal 1995; Vieta et al. 2004; Smith et al. 2011; Angst et al. 2010). Die internationale BRIDGE-Studie mit über 5.600 Patienten, die wegen einer depressiven Episode in psychiatrische Behandlung kamen, zeigte, dass je nach angewandten Kriterien bei bis zu 40 % die Diagnose einer bipolaren Erkrankung zu stellen war (Angst et al. 2011; Bschor et al. 2012).
13.1 Unterschiede zwischen uni- und bipolaren Depressionen
Da Depressionen, die im Verlauf einer bipolar affektiven Erkrankung auftreten, einige bedeutsame Unterschiede zu unipolaren Depressionen aufweisen, ist es klinisch bedeutsam, die richtige Diagnose zu stellen. Bipolare Depressionen unterscheiden sich insbesondere bezüglich des Verlaufs, epidemiologischer Merkmale und der Pharmakotherapie, weniger im psychopathologischen Querschnittsbild (Bschor und Bauer 2005): Die bipolare affektive Erkrankung hat ein höheres Rezidivrisiko, eine höhere Episodenfrequenz und ein höheres Suizidrisiko als die unipolare Depression. Frühere Erstmanifestation und ausgeglichenes Geschlechterverhältnis (bei unipolaren Erkrankungen doppelt so viele Frauen wie Männer) sind ein weiteres Unterscheidungsmerkmal (Beesdo et al. 2009). Komorbidität mit Angsterkrankungen und Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Suchtstoffen sind bei bipolaren affektiven Erkrankungen häufiger (Fogarty et al. 1994; Suppes et al. 2001).
Bezüglich der Behandlung weist die bipolare Depression folgende Besonderheiten auf, die bei therapeutischen Überlegungen beachtet werden müssen:
• Gefahr des Umschlagens in ein manisches Syndrom (»switch«) – bereits spontan besteht bei bipolaren Depressionen ein Risiko des Umschlagens, das unter antidepressiver Therapie möglicherweise erhöht ist (DGBS und DGGPN 2019).
• Gefahr der zyklischen Akzeleration durch antidepressive Behandlung: zunehmende Verkürzung der Zyklusdauer (Zeitspanne vom Beginn einer affektiven Phase bis zum Beginn der nächsten affektiven Phase), im ungünstigen Fall in ein schwer behandelbares Rapid Cycling (vier oder mehr affektive Phasen in zwölf Monaten) mündend (Altshuler et al. 1995).
• Gefahr des Übergangs der depressiven Symptomatik in einen Mischzustand (Dilsaver und Swann 1995).
• Therapeutisches Dilemma im Anschluss an die Remission der depressiven Symptomatik: Fortführen der antidepressiven Medikation mit dem Risiko einer Manieinduktion oder baldiges Absetzen mit dem Risiko eines depressiven Rezidivs (Altshuler et al. 2003b).
• Viele gängige Antidepressiva sind nur für unipolare Depressionen untersucht.
• Viele der zur Behandlung kommenden bipolar depressiven Patienten sind bereits medikamentös vorbehandelt, z. B. mit einem Phasenprophylaktikum (sog. Durchbruchsepisode, »break through episode«).
Merke
Bipolare Depressionenunterscheiden sich insbesondere bezüglich des Verlaufs, epidemiologischer Merkmale und der Pharmakotherapie, weniger im psychopathologischen Querschnittsbild.
Im Folgenden soll die Behandlung der bipolaren Depression unter Beachtung der genannten Besonderheiten besprochen werden.
13.2 Pharmakologische Behandlungsstrategien bei bipolaren Depressionen
13.2.1 Allgemeine Prinzipien der Pharmakotherapie
Den aktuellen, umfassendsten und methodisch hochwertigsten Überblick zur Pharmakotherapie der bipolaren Depression gibt die zweite Auflage der S3-Leitlinie Bipolare Störungen (Update 2019), die im Internet unter
www.leitlinie-bipolar.de eingesehen werden kann (Bschor et al. 2020; DGBS und DGPPN 2019; Pfennig et al. 2012). Zur pharmakologischen Behandlung einer bipolaren Depression kommen insbesondere Antidepressiva, die in die Kategorie Stimmungsstabilisierer (Phasenprophylaktika; engl.: mood stabiliser) eingeordneten Pharmaka und sogenannte atypische Antipsychotika in Betracht (Köhler et al. 2014; Müller-Oerlinghausen et al. 2002). Schon zu Beginn einer Pharmakotherapie sollte aufgrund des hohen Rezidivrisikos bipolarer Erkrankungen bei der Auswahl des Akut-Pharmakons dessen Eignung zur Fortführung als Phasenprophylaktikum (
Kap. 15) mitbedacht werden. Wie lange eine erfolgreiche antidepressive Therapie fortgeführt werden soll, ist in der Literatur nicht genau definiert. Für die Behandlung der bipolaren Depression ist das Konzept der Erhaltungstherapie (Begriff aus der Behandlung unipolarer Depressionen: etwa sechsmonatige Fortführung einer erfolgreichen Therapie nach Remission) nicht ohne Weiteres übertragbar, da prospektive kontrollierte Studien zur Frage, wie lange eine antidepressive Pharmakotherapie ab Remission fortgeführt werden soll, fehlen. Außerdem muss bei der Fortführung der antidepressiven Pharmakotherapie das Risiko der Manieinduktion bedacht werden.
Merke
Die aktualisierte S3-Leitlinie Bipolare Störungen (DGBS und DGPPN 2019) differenziert nach dem Schweregrad der bipolaren Depression und empfiehlt eine depressionsspezifische Pharmakotherapie bei leichten Episoden nur in Ausnahmefällen und bei mittelgradigen Episoden als eine wesentliche Option. Selbstverständlich sollte aber auch bei leichten Episoden eine suffiziente phasenprophylaktische Medikation auf der Basis wissenschaftlicher Empfehlungen durchgeführt werden (
Kap. 15). Bei schweren Episoden spricht sich die Leitlinie mit einer »Sollte-Empfehlung« für eine depressionsspezifische Pharmakotherapie aus. »Depressionsspezifische Pharmakotherapie« bezieht sich auf sämtliche der nachfolgend dargestellten Medikamentengruppen und nicht etwa nur auf Antidepressiva.
13.2.2 Stimmungsstabilisierer
Bei allen Subtypen bipolarer Erkrankungen sollte eine Therapie mit einem Stimmungsstabilisierer die Basis sein. Es kann auch eine Monotherapie mit bestimmten Stimmungsstabilisierern zur akut antidepressiven Therapie in Betracht gezogen werden.
Lithium ist als wirksames Antimanikum und Phasenprophylaktikum zentraler Standard in der Pharmakotherapie bipolar affektiver Störungen (Bschor 2009). Ältere Übersichten (Adli et al. 1998) und eine Metaanalyse (Souza und Goodwin 1991) zeigen auch eine akut antidepressive Wirkung von Lithium, wobei diese bei bipolaren Depressionen stärker ausgeprägt zu sein scheint als bei unipolaren Depressionen. Allerdings waren die Fallzahlen dieser älteren Studien ebenso wie der Anteil bipolar depressiver Patienten gering (Goodwin et al. 1972; Baron et al. 1975; Souza und Goodwin 1991; Adli et al. 1998). Neuere Untersuchungen gezielt bei bipolarer Depression konnten eine akut antidepressive Wirksamkeit nicht mit Sicherheit bestätigen. In dem einzigen Vergleich mit Placebo bei ausschließlich bipolar depressiven Patienten (Young et al. 2010), der aktuellen methodischen Anforderungen genügt, war Lithium nicht signifikant besser als das Scheinmedikament. Bei der Interpretation der Studie ist allerdings zu beachten, dass der mittlere Serumspiegel von Lithium nur bei 0,61 mmol/l lag und nur 64 % der Patienten tatsächlich den angestrebten Mindest-Serumspiegel von 0,6 mmol/l erreichten. In einer weiteren neueren Studie zur Behandlung einer Depression bei Bipolar-II-Erkrankung wurde Lithium ebenfalls eher sparsam dosiert und schnitt signifikant schlechter ab als die Vergleichssubstanz Venlafaxin (Amsterdam und Shults 2008). Beim Vergleich mit Lamotrigin hingegen schnitten beide Substanzen gleich ab (Suppes et al. 2008).
Lithium kann daher nicht uneingeschränkt als Monotherapeutikum zur Behandlung einer akuten bipolaren Depression empfohlen werden. Dennoch gibt es verschiedene Gesichtspunkte, die für eine Lithiumbehandlung sprechen können: die zentrale Stellung als Phasenprophylaktikum, da – wie schon ausgeführt – dieser Aspekt bereits bei der Akutbehandlung mitbedacht werden sollte; die antimanische Wirkung (
Kap. 14), die es zu einem günstigen Kombinationspartner in der Depressionsbehandlung macht und so vermutlich die Gefahr eines Umschlagens der Depression in eine Manie senkt; und schließlich die einzigartige, inzwischen gut belegte antisuizidale Wirkung (z. B. Cipriani et al. 2013; Goodwin et al. 2003; Lauterbach et al. 2008).
Für Carbamazepin gibt es neben einigen unkontrollierten Untersuchungen (Matkowski und Rybakowski 1992; Dilsaver et al. 1996) mit Hinweisen auf eine antidepressive Wirksamkeit nur eine randomisierte, doppelt verblindete Studie zur Behandlung bipolarer Depressionen (Zhang et al. 2007), in der Carbamazepin dem Placebo signifikant überlegen war. Carbamazepin ist daher durchaus ein Pharmakon der zweiten Wahl für diese Indikation, jedoch muss sein hohes Interaktionspotenzial mit anderen Medikamenten beachtet werden.
Für Valproat ist nur eine akut antimanische Wirkung überzeugend belegt (
Kap. 14). Akut antidepressive Effekte bei bipolarer Störung sind in kleineren Studien und in einer Metaanalyse nur schwach ausgeprägt (Davis et al. 2005; Bond et al. 2010). Daher ist Valproat als Monotherapeutikum in dieser Indikation nicht zu empfehlen.
Lamotrigin ist nur zur Phasenprophylaxe (Verhinderung depressiver Episoden im Rahmen einer bipolaren Erkrankung) zugelassen. Eine kontrollierte, doppelblinde Studie zeigte auch eine Wirksamkeit von Lamotrigin in der Behandlung der akuten bipolaren Depression, allerdings nur in sekundären Zielparametern und nur für die 200 mg-, aber nicht für die 50 mg-Dosierung (Calabrese et al. 1999). Eine Metaanalyse von fünf kontrollierten Studien (vier dieser Studien nicht mit signifikantem Ergebnis) konnte nur eine zwar signifikant, aber schwach ausgeprägte Überlegenheit (NNT = 11) von Lamotrigin über Placebo in dieser Indikation zeigen (Geddes et al. 2009). Hinderlich für die akut antidepressive Behandlung ist neben der fehlenden Zulassung das Er...