
- 320 Seiten
- German
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eBook - ePub
Über dieses Buch
Über das Medium Computerspiel findet zunehmend eine Auseinandersetzung mit psychologischen Traumata statt. Posttraumatische Belastungsstörung, Krankheit und Tod sowie Depressionen und Phobien sind hierbei vorherrschende Themen und Motive. Thomas Spies zeigt in einem historischen Überblick und in vergleichenden Analysen Tendenzen der kulturellen Repräsentation auf. Die Beschäftigung mit Titeln wie »Papers, Please«, »Hellblade: Senua's Sacrifice« und »Disco Elysium« lässt deutlich werden, wie Computerspiele zunehmend medienspezifische Möglichkeiten finden, die Vielfalt und Komplexität traumatischer Erfahrungen zu vermitteln.
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Information
Thema
SozialwissenschaftenThema
SozialgeschichteV.Komplexe Trauma-Repräsentation: Ausführliche Analysen
1.Distraint 1 & Distraint 2
»›Das habe ich getan‹, sagt mein Gedächtnis. ›Das kann ich nicht getan haben‹ – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach.«
– Friedrich Nietzsche, 1886
– Friedrich Nietzsche, 1886
Die Computerspiele DISTRAINT (veröffentlich 2015, hier als DISTRAINT 1 bezeichnet) und DISTRAINT 2 (veröffentlicht 2018) wurden als Ein-Mann-Projekte von Jesse Makkonen entwickelt. Der finnische Grafikdesigner brachte sich selbst eine Programmiersprache bei, die auf visuellen Ereignissen aufbaut. (Vgl. Spies 2019) Seine Spiele, wie auch Makkonens Erstlingswerk SILENCE OF THE SLEEP (2014),1 konzentrieren sich auf die Innen- oder Gedankenwelten ihrer Protagonisten in Extremsituationen und beobachten mentale (Verarbeitungs)Prozesse: »I find it fascinating how the mind works and perhaps that’s the reason it’s so strongly presented in my games.« (Ebd.) Makkonens Mindscapes sind traumähnliche Zwischenreiche, in denen sich traumatische Erinnerungen als intrusive Momente des Horrors offenbaren. Dass hierbei DISTRAINT 1 und DISTRAINT 2 Trauma unterschiedlich konkretisiert repräsentieren, zeigt die Gegenüberstellung der beiden Spieletitel. Ausgehend vom Beginn des ersten Teils, wird ein Bogen gespannt zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Trauma-Repräsentation beider Teile, verwoben mit einem intermedialen Rückbezug auf Makkonens filmisches Vorbild LOST HIGHWAY (Lynch 1994).
1.1Traum-Welt
»My humanity was for sale… and I sold it. That very moment sent me into decay. This is my story. And these are my regrets.« Mit dieser Texteinblendung beginnt DISTRAINT 1.2 In den Worten, die eine Nacherzählung von Ereignissen implizieren,3 schwingen bereits zwei zentrale Motive mit, die für den Handlungsverlauf des Spiels bedeutsam sein werden: Kapital und Schuld. Beim erstmaligen Spielen erfährt man darüber hinaus zunächst nicht viel, direkt übernehmen wir die Steuerung eines (noch) namenlosen Avatars in Gestalt eines jungen Mannes im schwarzen Anzug. Im Flur eines großen, heruntergekommenen Wohnhauses besteht die erste Handlungsmöglichkeit im Klopfen an Wohnungstüren, anscheinend ist der Protagonist auf der Suche nach einer Mrs. Goodwin, wie weitere Texteinblendungen verraten (es gibt keine Sprachausgabe).4
Mit voranschreitender Handlung erfahren wir, dass der Nachname des Protagonisten Price ist, der als neu Angestellter einer großen Firma namens McDade, Bruton & Moore beauftragt wurde, nacheinander drei Personen bei sich zuhause aufzusuchen, um ihnen mitzuteilen, dass ihr Mietverhältnis beendet wird und sie ihre Wohnung aufgeben müssen – die erste ist besagte Mrs. Goodwin, eine ältere freundliche Dame. Es erklärt sich so der Spieltitel, der sich mit Pfändung übersetzen lässt, aber ebenso mit Arrest; das Substantiv distraints wiederum meint Fesseln, und so ergibt sich eine Bedeutungsverschiebung weg von den Opfern der Immobilienhaie hin zu der Situation, in der sich Price (selbstverschuldet?) befindet. Vermeintlich gekettet an die Aussicht auf einen beruflichen und damit finanziellen Aufstieg, ignoriert er sein Gewissen und Mitgefühl bis hin zur Selbstaufgabe, was er in einem Off-Kommentar reflektiert: »Something inside tried to stop me. I ignored that something. I didn’t stop.«
Das unmoralische Handeln löst in Price nicht nur ein tiefsitzendes Gefühl der Schuld aus, es traumatisiert ihn regelrecht. DISTRAINT 1 versetzt die Spielenden also in eine widersprüchliche Situation: Einerseits ist Price Täter, er fügt anderen Menschen existenziellen Schaden zu; in seiner Nacherzählung sieht er sich auch selbst in dieser Rolle. Andererseits ist Price gleichzeitig Opfer – in dem Sinne, dass er aus bestimmten Zwängen heraus (dazu später mehr) zu Taten verleitet wird, die ihn ebenfalls existenziell schädigen, da sie sich tiefgehend in seine Psyche einschreiben.
Verfolgt nicht nur von seinen Taten, sondern auch von seinem Unvermögen, alternativ zu handeln, stellt Prices Erzählung eine Beichte dar. Und eine Warnung, denn zum Spielende des ersten DISTRAINT-Teils sitzt Price in seinem Esszimmer am Tisch mit einer anderen Person, die seinem jüngeren Ich frappierend ähnelt – dass hier möglicherweise das Ende des Spiels auch gleichzeitig sein Anfang ist, wird noch thematisiert werden. Price hat zuvor das Grab der verstorbenen Mrs. Goodwin besucht und aus Reue bei McDade, Bruton & Moore kündigen wollen. Aufgrund seiner ›guten‹ Arbeit wird er jedoch zum Firmenpartner ernannt, was er nicht ablehnt. Durch den finanziellen Aufstieg lebt er jedoch über seine Möglichkeiten hinaus, eine Alkoholsucht wird angedeutet, er verliert seinen Job. Der junge Mann, der Price in dieser Situation aufsucht, hat nun dessen vormalige Aufgabe übernommen: Er soll die Wohnung pfänden. Scheinbar wird auch er alle Ratschläge und Warnzeichen missachten und nicht, wie Price es ihm durch seine Schilderungen nahelegt, frühzeitig einen alternativen Beruf suchen – seine verabschiedenden Worte sind: »I give my career a second thought for sure… but you have to move out at the end of the month.« Allein zurückgelassen, schreibt Price einen Abschiedsbrief und steckt sich eine Schrotflinte in den Mund. Das Spiel blendet zu dem jungen Mann, der gerade auf den Aufzug im Flur vor Prices Wohnung wartet, das Bild wird schwarz, der Knall der Schrotflinte ist zu hören.
Erscheint die Narration von DISTRAINT 1 zunächst linear, wird dieser Eindruck von Beginn an durch zahlreiche Details in Frage gestellt. In seinem Abschiedsbrief schreibt Price »What goes around comes around«, was nicht nur davon zeugt, dass er von seinen Taten eingeholt wird, sondern auch eine Kreisbewegung impliziert. Tatsächlich findet Price zu Spielbeginn, nach seinem ersten Treffen mit Mrs. Goodwin, eine Leiche im Flur des Hauses, mit zerschossenem Kopf und einem identischen Abschiedsbrief. Früh im Spiel wird hier klar, dass wir uns nicht in einer ›realen‹ Welt befinden, in der Zeit und Raum (chrono)logisch funktionieren, sondern vielmehr in einer fantasierten Gedankenwelt, erwachsen aus Traum und Trauma.
Erzählt wird, in Bezug auf Fromm (1951, S. 25), eine latente Geschichte: »Was als kausale Abfolge äußerer Ereignisse erscheint, steht stellvertretend für Ereignisse, die aufgrund ihrer Assoziation mit inneren Erlebnissen miteinander zusammenhängen.«
Zwar erwacht Price mehrmals (sein Wecker klingelt und er liegt im Bett in seinem Apartment), doch sind Wach- und Traumphasen weder narrativ noch auf der Bildebene getrennt und gehen ineinander über. Im Erinnerungs-Raum der Spielwelt ist der Traum hier nicht mehr als der Verdrängungsversuch von Prices Bewusstsein, das sich selbst suggeriert: ›Ich kann das nicht getan haben, ich habe das nur geträumt.‹ Das Wachsein wiederum ist nur eine andere Zustandsform der inneren Informationsprozessierung, in der das Geschehene symbolhaft verschleiert wird, um Prices moralischem Zensor (siehe Kapitel 2.1, Teil III) zu entgehen. Und so wird sich der vermeintliche Suizid schließlich in DISTRAINT 2 als ein gerade noch ins Leere verlagerter Schuss herausstellen – und die Erlebnisse von Price im ersten Teil als reine Kopfgeburten. Gefesselt an seine Vergangenheit, durchleben wir mit Price im Freudschen Sinne bereits Geschehenes als aktuelle Aufgabe und werden mit Affekten konfrontiert, die eine Rückbindung an ein traumatisches Erlebnis implizieren.
1.2Symbol-Welt
Grafisch weisen beide DISTRAINT-Titel einige Besonderheiten auf. Der Bildschirm wird nur zu einem Drittel gefüllt, zwei schwarze Balken begrenzen den Bildausschnitt oben und unten. So entsteht der Eindruck eines Schlauchs, durch den man sich bewegt, und der gleichzeitig einengt. Visuell an Rohrers von Metaphern durchzogenes Autorenspiel PASSAGE erinnernd (Abbildung 32 und Abbildung 33), weisen DISTRAINT 1 und DISTRAINT 2 vor allem Symbole auf, deren Bedeutung sich im Spielverlauf in der Regel eindeutig entschlüsseln lassen. Schon bei Price handelt es sich um einen sprechenden Namen: Er steht für eine Betonung des Kapitals und ökonomischer Zwänge, deutet darüber hinaus das Schicksal des Protagonisten an – alles hat seinen Preis.
Abbildung 32: Spielbeginn von Distraint.

Abbildung 33: Spielbeginn von Passage.

Freud zufolge (vgl. Freud 1920) konservieren Erinnerungsbilder bzw. Erinnerungsobjekte Ungesagtes. Diese Konservierung kann nur bestehen bleiben, solange die mit ihnen verbundenen Erlebnisspuren vergessen sind. Sobald sie bewusst gemacht werden, wird die Diskontinuität von Gedächtnis und Erinnerung deutlich. In DISTRAINT 1 findet Price bei einer weiteren Leiche eine Notiz mit den Worten »There’s an elephant in the room« – was wortwörtlich zu verstehen ist, denn plötzlich wird er von einem blutig entstellten Elefanten verfolgt. Der Elefant im Raum wird grafisch dargestellt als manifestiertes schlechtes Gewissen (Abbildung 34), dem Price zu entkommen versucht. Ein intrusives Erinnerungsbild (Fischer & Riedesser 2009), das ihn verfolgt, und vor dem die Spielenden in den wenigen Spielpassagen, in denen ein Bildschirmtod möglich ist, fliehen müssen. Der Elefant ist, neben anderen, in den DISTRAINT-Spielen ein zufälliges Symbol, das mit Prices Biografie verknüpft ist und dessen persönliche Bedeutung sich erst mit zunehmendem Spielfortschritt offenbart.5
Price gelingt es, den Elefanten als Repräsentanten eines verdrängten Kindheitserlebnisses zu entlarven: Er wartete als Kleinkind zuhause auf seine Eltern, an ihrer Stelle klingelte ein Polizist und teilte ihm mit, dass seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Aus dem Wrack hatte der Polizist einen Stofftierelefanten gerettet, den er Price übergab. (Abbildung 35)
Abbildung 34: »There’s an elephant in the room.«

Abbildung 35: Der eigentliche Elefant im Raum.

Die neben dem Protagonisten vorkommenden Figuren sind oft keine zufälligen, sondern eindeutige Symbole, stehen für sich selbst und benennen auf der Textebene konkret ihre Funktion. Gleich zu Beginn von DISTRAINT 2 trifft man auf einen alten, weißbärtigen Mann mit großem Rucksack, der sich als Reason vorstellt (»I’ll be your guide, if only you let me.«) und eben die Vernunft verkörpert. Er erklärt Price, er sei an diesem besonderen Ort, um sich selbst zu vergeben und schickt ihn auf die Suche nach Hope: »It’s the only way for you to heal.«
Unterwegs in der Spielwelt begegnet man Figuren wie Loss und Inspiration, die ebenso auf sich selbst verweisen. Andere Figuren tragen zwar keine sprechenden Namen, sind aber auch mit einer finiten Bedeutung belegt. Mrs. Goodwin steht so für Prices Vermögen, sich selbst zu vergeben, ein Jugendfreund namens Charlie für Mut – einer der wenigen Fälle, wo die Zuschreibung bis kurz vor dem Spielende nicht offensichtlich ist. Ansonsten sind die Symbole in der Regel konventionalisierte...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titelseite
- Impressum
- Inhalt
- Danksagung
- Vorwort
- I. A Play of Bodies
- II. Trauma-Forschung
- III. Audiovisuelle Trauma-Repräsentationen
- IV. Komplexe Trauma-Repräsentation
- V. Komplexe Trauma-Repräsentation: Ausführliche Analysen
- Nachwort
- Quellenverzeichnis