Die chinesische Nelke
eBook - ePub

Die chinesische Nelke

  1. 220 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Die chinesische Nelke

Über dieses Buch

"'Chinesische Nelke … Gut aufbewahren … – Niemandem …', keuchte er mühsam, und in seinem erlöschenden Blick lag ein erschütterndes Flehen. Dann wollte er offenbar noch etwas hinzufügen, denn seine Lippen bewegten sich weiter, aber seine Stimme versagte bereits …" Professor Bexter ist tot, man hat ihn ermordet. Der Wissenschaftler hat mit seinem Assistenten Wilkens eine Entdeckung gemacht, die die Energiegewinnung revolutionieren könnte. Was aber hat dies mit der chinesischen Nelke zu tun, einer robusten Blume, die in Ostasien heimisch ist? Privatdetektiv Donald Ramsey versucht Bexters Nichte Susan und die Formel des Professors zu schützen, setzt sich dabei jedoch selbst größter Gefahr aus. Auch Scotland Yard und der Secret Service ermitteln. Ziehen sie am selben Strang?Mit Paul Dahlke, Dietmar Schönherr und Klaus Kinsky wurde das Buch turbulent und actionreich verfilmt.

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Die chinesische Nelke von Louis Weinert-Wilton im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Kriminal- & Mysterienliteratur. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

1

Es war am 23. Dezember, zwischen zehn und elf Uhr vormittags, als in dem Schicksal der schönen, aber arg bemakelten Miss Maud Hogarth und einiger anderer, weniger anziehender, dafür aber höchst geachteter Persönlichkeiten durch das Zusammentreffen verschiedener kleiner Zufälle plötzlich eine entscheidende Wendung herbeigeführt werden sollte.
Die Sache fing damit an, daß ein sehr gut und sehr jugendlich aussehender Gentleman, der sich Donald Ramsay nannte, diesen Londoner Wintermorgen völlig hoffnungslos fand. Die Welt vor den Fenstern des unscheinbaren Hauses nahe der Westminster-Brücke in Lambeth steckte in einem dicken schmutziggelben Dunst, und der Gedanke, sich durch diese triefende Finsternis hindurchtasten zu müssen, hatte gar nichts Verlockendes.
Also stemmte der junge Mann die Füße wieder gegen den wärmenden Kamin und nahm nochmals die „Times“ auf.
Aber erst auf der wappengeschmückten Seite mit den Personalnachrichten und sonstigen Anzeigen blieben seine lebhaften Augen plötzlich auf einer Stelle haften, und dann spitzten sich die bartlosen Lippen zu einem dünnen Pfiff. „Das läßt sich hören ...“, murmelte er und las die Ankündigung noch ein zweites Mal.
Sie betraf das Weihnachtsessen des Piccadilly-Hotels am 25. Dezember um 8 Uhr abends, das edeck zu sechs Guineen. Für diese Kleinigkeit gab es neunzehn erlesene Gänge.
„Imperial Pfahlaustern – Marinière – fein ...“, wiederholte der Gentleman, nachdem er mit dem Studium der Speisenfolge zu Ende war, und zog entschlossen das Tischtelefon heran, um die wichtige Angelegenheit sofort zu erledigen. Das Gespräch mit der Hotelleitung gestaltete sich kurz und ergab keine Schwierigkeiten.
„Nein, besondere Wünsche wegen des Platzes habe ich nicht“, erklärte Ramsay, und als ihm daraufhin ein Vorschlag gemacht wurde, war er ohne weiteres damit einverstanden. „Gut, also Nummer 28, äußerste Reihe rechts. Die Tischkarte wird noch im Laufe des heutigen Tages abgeholt werden. – Danke.“
Der junge Mann legte den Hörer auf und warf einen Blick auf die Uhr. Da diese eben ein Viertel vor zehn zeigte, klingelte er.
Bereits in der nächsten halben Minute tauchte nach einem schüchternen Klopfen Mrs. Machennan auf. Sie war eine zierliche, immer noch recht hübsche Frau mittleren Alters, aber das Anziehendste an ihr war die Sanftmut, die sich in ihrem ganzen Wesen offenbarte. Sie hatte geradezu rührend sanfte Rehaugen, eine sanfte, sehr angenehm klingende Stimme, und um den etwas üppig geratenen kleinen Mund spielte ewig ein gewinnendes Lächeln.
Donald Ramsay empfing sie mit einem freundlichen Nicken, und Mrs. Machennan schlug verschämt die sanften Rehaugen nieder. Dann atmete sie tief auf und ließ ihre angenehme Stimme hören.
„Ich hoffe, daß alles nach Ihren Wünschen ist, Mr. Ramsay“, sagte sie. „Leider konnte ich in der Eile ...“
„Es ist alles ganz nach meinen Wünschen, und ich fühle mich bei Ihnen sehr behaglich“, versicherte der neue Hausgenosse lebhaft, und das Lächeln um den Mund der Frau wurde geradezu glückselig. „Machen Sie also meinetwegen keine weiteren Umstände. Die Nachbarschaft könnte sonst vielleicht aufmerksam werden, und das wäre mir nicht angenehm.“
Mrs. Machennan lächelte unentwegt und schüttelte den Kopf. „Die Nachbarschaft kümmert sich nicht um uns, Mr. Ramsay“, erklärte sie. „Ich habe gar keinen Verkehr, und das Mädchen ist etwas menschenscheu und sprechfaul. Außerdem benützen wir stets den Ausgang durch den Hof, und dort gibt es nur Kontorgebäude.“
„Das ist mir lieb“, sagte Donald Ramsay. „Im übrigen werde ich in einigen Stunden aufs Land fahren und erst übermorgen nachmittag zurückkehren. – Ja – und am Abend werde ich dann das Weihnachtsessen im Piccadilly mitmachen.“
Mrs. Machennan, die sehr aufmerksam zugehört hatte, neigte den kokett frisierten Kopf. „Da werden Sie also den Frack benötigen; ich werde alles zurechtlegen. Wünschen Sie auch eine Blume fürs Knopfloch, Mr. Ramsay? – Und was für eine?“
Der junge Mann hob die Oberlippe und zeigte seine kräftigen tadellosen Zähne. „Donnerwetter, Sie denken doch wirklich an alles, liebe Mrs. Machennan. Natürlich eine Blume. Aber was für eine – jawohl ... Das ist sehr wichtig ... Sagen wir also eine ...“
Der Gentleman überlegte mit großer Gründlichkeit. „Ja – also sagen wir: eine chinesische Nelke. Sie verstehen mich? Nicht eine gewöhnliche Gartennelke, sondern eine richtige Chinesen-Nelke. Vielleicht können Sie so etwas auftreiben?“
„Oh, sicher werde ich sie bekommen“, erwiderte Mrs. Machennan und wurde mit einem Mal gesprächig. „Zufällig weiß ich genau, wie solch eine chinesische Nelke aussieht, man kann mir daher nicht etwas anderes aufhängen“, erklärte sie. „Ich habe nämlich diese Blume bei der aufregenden Verhandlung gesehen, die vor einigen Monaten in Old Bailey gegen Miss Maud Hogarth stattfand, weil die junge Dame einen Offizier erschossen haben sollte. Die Sache war sehr geheimnisvoll, und es haben dabei gerade solche chinesischen Nelken eine gewisse Rolle gespielt. Deshalb hat auch ein ganzer Strauß davon vor dem Richter gestanden, und die Leute haben sich um die Blumen förmlich gerauft, als das Urteil gesprochen war. – Leider ist der rätselhafte Fall nicht aufgeklärt worden, und Miss Hogarth wurde nur freigesprochen, weil die Geschworenen keine Beweise hatten ... Ja.“
Mrs. Machennan brach etwas unvermittelt und verwirrt ab, denn ihr zerstreuter Zuhörer sah mit sichtlicher Ungeduld wieder nach der Uhr.
„Es dürfte nun bald ein Mann kommen“, sagte er.
„Der Mann ist bereits hier“, lispelte Mrs. Machennan mit ihrem allersanftesten Lächeln. „Ich habe ihn allerdings auf den Hof geschickt, damit er sich die Schuhe gründlich reinigt. Ich werde ihn sofort heraufbringen.“
Als sich die Tür hinter der geschäftigen Frau geschlossen hatte, sah sich Donald Ramsay veranlaßt, die kurze Anzeige von der Chinesen-Nelke zum dritten Male zu überfliegen.
„DIE ‚CHINESISCHE NELKE’ hat neue Blüten getrieben. Wenn sie ins Haus kommt, hat man genau fünf Tage Zeit, nochmals die Wahl zu treffen“, las er halblaut Wort für Wort vor sich hin und wurde so nachdenklich, daß er diesmal das schüchterne Klopfen völlig überhörte.

2

„Der Mann ...“, meldete Mrs. Machennan und griff hinter sich, um eine schwerfällige Gestalt mit sanfter Gewalt ins Zimmer zu schieben. Hierauf verschwand sie lautlos, und der Besucher ließ einen tiefen Schnaufer der Erleichterung vernehmen. Er trug die wetterfeste verschossene Kleidung der Leute vom Hafen, aber seine derben Stiefel glänzten äußerst feiertäglich. Auch sonst hatte er offenbar für seinen äußeren Menschen ein übriges getan, und dabei waren einige Hautstreifen von den lederartigen Wangen und dem Bulldoggenkinn am Rasiermesser hängengeblieben.
Peter Owen sah weder nett noch sonderlich vertrauenerweckend aus, aber Ramsay nickte befriedigt und schob sogar einladend einen der behaglichen Klubsessel zurecht.
„Setzen Sie sich und zünden Sie sich eine Zigarre an“, sagte er freundlich und dämpfte dann seine Stimme, so daß sie eben nur bis zum Ohr des Besuchers reichte. „Ich habe gehört, daß Sie sehr zuverlässig sind und allerlei Winkel Londons kennen, die man nicht so leicht zu sehen bekommt. Vielleicht läßt es sich machen, daß Sie mich in der nächsten Zeit ein bißchen herumführen und mir auch sonst in Verschiedenem an die Hand gehen?“
Er sah den vierschrötigen Mann erwartungsvoll an, aber dieser vermochte noch immer nicht, ins Gleichgewicht zu kommen. Er drehte den dicken Glimmstengel unschlüssig zwischen den noch dickeren Fingern, schielte scheu nach der Tür, durch die Mrs. Machennan davongeschlüpft war, und ließ die Zigarre schließlich mit einem bösartigen Knurren in der Tasche verschwinden. Dann tastete er mit der Zungenspitze verzweifelt im Munde herum, begann mit den gewaltigen Kiefern zu mahlen, und erst, als die saftige Verwünschung, die ihn würgte, hinuntergeschluckt war, kam Peter Owen endlich zur Sache.
„Natürlich läßt es sich machen, Sir“, erklärte er bereitwillig. „Sie müssen mir nur so beiläufig sagen, was Sie sehen wollen.“ In seinen Augen lag eine gespannte Frage, und um den breiten zerschundenen Mund spielte ein verschlagenes Lächeln.
Der junge Gentleman betrachtete sehr angelegentlich das Lichterspiel in dem kristallenen Kronleuchter. „Ich möchte zunächst einmal unter recht viele Leute kommen“, bemerkte er ausweichend. „Besonders auch unter ausländisches Volk. Das weitere wird sich dann vielleicht ergeben.“
Peter kraulte sich nachdenklich das rostbraune struppige Kalbfell auf dem wuchtigen Schädel. „Recht viele Leute und ausländisches Volk ... Das wäre also einmal Tims feine Bude draußen im Dockwinkel“, überlegte er halblaut. „Da gibt es alles, was in der Welt auf zwei Beinen herumläuft. Aber mancher der Jungens sieht aus, als ob sein Vater und seine Mutter noch auf den Bäumen spazieren geklettert wären. Vielleicht ist das wirklich das, was Sie suchen, Sir, nur ...“
Er schnitt eine nachdenkliche Grimasse, und der Blick, mit dem er sein Gegenüber aus verkniffenen Augen musterte, verriet, was er sagen wollte. Er war für solche Führerdienste immer zu haben und nahm es selbst mit einer ganzen Hölle voll tückischer Teufel auf, aber wenigstens ein bißchen mußte sein Begleiter sich seiner Haut doch auch allein wehren können, wenn es not tat. Er hatte schon mit verschiedenen Leuten zusammengearbeitet, aber da hatte man auf den ersten Blick gesehen, daß sie für solche Möglichkeiten das nötige Handwerkszeug bei sich hatten. Dieser Gentleman hingegen schien blutjung, und mit den langen schmalen Händen, die er über dem aufgezogenen Knie gefaltet hatte, konnte man wohl kaum ein ordentliches Nasenbein kaputt schlagen oder einen Magen ins Schaukeln bringen. Das war schlimm, weil ...
Weiter kam Peter in seinen Erwägungen nicht, denn der andere schnellte plötzlich mit einem federnden Sprung auf die Beine.
„Schön, abgemacht – beginnen wir also mit Tims feiner Bude“, sagte er unternehmend. „So bald wie möglich. Vielleicht schon am ...“
Während Ramsay schlüssig zu werden suchte, erkannte Peter, daß die jugendlichen Züge ihn bisher getäuscht hatten. Der Gentleman mußte weit älter sein, als er bei der ersten flüchtigen Betrachtung erschien. Nun, da das volle Licht des Lüsters auf das gebräunte Gesicht fiel, traten um die Mundwinkel scharfe Linien hervor, und auf dem dichten dunkelblonden Haar schimmerte hier und dort bereits ein leichter Reif.
Mit einem Mal gab es dem Manne vom Hafen einen gewaltigen Ruck, und er polterte unter ziemlichem Lärm in die Höhe, um sich krampfhaft in Positur zu stellen.
„Ja“, schreckte Donald etwas verwundert auf – „also vielleicht am zweiten Weihnachtsfeiertag? Da wird es dort gewiß einen besonders großen Betrieb geben.“
„Zu Befehl, Sir“, brüllte Peter mit seiner heiseren Stimme und stand steif wie ein Stock. Dann schnappte er aufgeregt nach Luft und ging in ein gedämpftes Krächzen über. „Vor acht Jahren, Sir, wenn Sie sich zu erinnern belieben ... Bootsmaat Peter Owen. Auf ...“
Ramsay fuhr blitzschnell mit der Hand an Peters offenem Mund vorbei, als ob er nach einer Fliege haschte. „So“, sagte er freundlicher, aber mit Nachdruck, „damit wäre diese Sache ein für allemal abgetan. Und am zweiten Weihnachtstag können Sie mich so um die neunte Abendstunde hier abholen. Nehmen Sie in Zukunft immer den Weg durch den Hof. Mrs. Machennan wird ihn Ihnen zeigen.“
Er machte Miene, den Klingelknopf zu drücken, aber Peter Owen geriet so außer Rand und Band, daß er jeglichen Respekt vergaß und dem anderen in den Arm fiel.
„Tun Sie's nicht, Sir“, stieß er ängstlich hervor, „ich finde den Weg schon allein. Wo der Hof ist, weiß ich bereits. Sie hat mich ja dreimal mit der Bürste hinausgeschickt, weil ihr meine Stiefel nicht blank genug waren. Es wird vielleicht besser sein, wenn ich einfach immer vor dem hinteren Eingang auf Sie warte, Sir ... Es ist nämlich wegen des Priems“, erklärte er auf den verwunderten Blick Ramsays etwas verlegen und gallig. „Ich muß so was im Mund haben, wenn ich auf dem Damm sein soll, aber die Lady hat gesagt, daß ein Teppich kein Themsewasser ist, und daß man es nachher im ganzen Haus riecht. Als ob unsereiner keine Manieren hätte und fortwährend nur so wild rumspuckte! Das hab' ich ihr auch gesagt, aber sie hat mich sehr freundlich angelächelt und hat gesagt: ,Geben Sie das Ding heraus.’ Ich aber habe darauf ebenso freundlich gesagt: ‚Nein’, und da ist sie mir auf einmal mit einem Kochlöffel, den sie hinter dem Rücken versteckt hatte, blitzschnell zwischen die Zähne gefahren und hat mir den Priem einfach herausgefischt. Er war gut einen halben Finger lang und gerade frisch ...“
„Die sanfte Mrs. Machennan?“ fragte Ramsay mit einem ungläubigen Lächeln.
Peter verzog bedenklich den linken Mundwinkel, besann sich aber noch rechtzeitig auf den Teppich und auf seine guten Manieren.
„Sie ist eine Schottin, Sir, was ich sofort gehört habe. Das hat immer den lieben Gott auf der Zunge und den Teufel im Leib. Wie gesagt, ich werde nächstens lieber draußen warten. Von acht Uhr an bin ich zur Stelle. Und vielleicht wird es gut sein, wenn Sie sich so herrichten, daß Sie zu mir passen. Es kommen ja manchmal auch feiner angezogene Leute in den ,Durstigen Stockfisch‘, aber da gibt es dann immer ein albernes Hälserecken und Tuscheln. Besonders seitdem die Geschichte mit dem Mann passiert ist, der behauptet hatte, daß so eine lumpige chinesische Nelke fünfhundert Pfund wert sei ...“
„Wie?“ entfuhr es Ramsay, und Peter blickte ihn ganz verdutzt an, weil die kurze Frage gar so scharf geklungen hatte.
„Natürlich ist das Unsinn“, glaubte er sich rechtfertigen zu müssen, „aber der Mann hat es wahrhaftig gesagt. Vielleicht hatte er schon ein bißchen zuviel getrunken, obwohl man ihm davon nichts anmerkte. Er hat nur schrecklich protzig getan, und deshalb hat sich sofort eines der aufgetakelten Barmädchen zu ihm gesetzt. Und weil diese diebischen Weiber immer erst mit Kleinem anfangen, wollte sie ihm zunächst einmal die Blume ziehen, die er im Knopfloch stecken hatte. Aber da hat ihr der Mann auf die Finger geklopft, daß es nur so klatschte, und hat ganz laut geschrien:,Davon laß deine Pfötchen, mein Kind, das ist nichts für dich. Das ist eine chinesische Nelke, die gut ihre fünfhundert Pfund wert ist.’ – Tja, dabei wäre natürlich weiter nichts gewesen, aber zwei Stunden später hat eine Polizeipatrouille den Mann in der nächsten Gasse mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden. – Und wenn wir schon davon reden“, schloß der vorsichtige Peter Owen, indem er sich wieder einmal geräuschvoll das Kalbfell kratzte, „möchte ich sagen, daß es auch gut wäre, wenn Sie etwas Sicheres zu sich steckten, Sir ...“
„Soll geschehen“, erwiderte Donald Ramsay etwas zerstreut, denn seine Gedanken waren bei der chinesischen Nelke, von der er in der letzten Stunde von drei Seiten so verschiedene Dinge vernommen hatte.

3

Auch Maud Hogarth hatte die Ankündigung von der chinesischen Nelke gelesen, und kaum eine Stunde später war ein großer Strauß dieser ihrer Lieblingsblumen ohne jede Begleitzeile für sie abgegeben worden.
Wenn sie noch im Zweifel gewesen wäre, ob die Botschaft in der „Times“ wirklich ihr gelte, so mußte ihr diese Aufmerksamkeit von unbekannter Seite darüber volle Gewißheit bringen. Aber Maud war sich über den Sinn und Zweck der Anzeige bereits von dem Augenblick an im klaren, da sie sie zu Gesicht bekommen hatte. Und sie nahm sie um so ernster, als man nicht einmal den Weg der Öffentlichkeit gescheut hatte, um der Aufforderung besonderen Nachdruck zu geben.
Nach kurzem Aufatmen sollte also für sie der unheimliche Kampf von neuem beginnen; ein Kampf um eine Sache, die für sie alles bedeutete, und gegen einen geheimnisvollen Gegner, der vor keinem Mittel zurückschreckte. Sie hatte das bereits einmal erfahren, und sooft sie daran dachte, schien es ihr geradezu ein Wunder, daß sie in der tückisch gestellten Schlinge nicht wirklich hängengeblieben war.
Immerhin aber hatte sie einen hohen Preis zahlen müssen. Die Gesellschaft, von der sie bisher umschwärmt und verwöhnt worden war, hatte sie plötzlich fallen lassen, und es war recht einsam um sie geworden. Maud empfand das zwar nicht allzu hart, aber das Verhalten ihrer Bekannten empörte ihren Stolz.
Diese Erbitterung spiegelte sich in ihrer ganzen Persönlichkeit wider. Sie trug die ohnehin mehr als mittelgroße Gestalt hoch aufgerichtet, der rassige Kopf mit dem leicht gewellten tiefbraunen Haar war herausfordernd zurückgeworfen, und in dem dunklen Gesicht stand zwischen den seidig schimmernden Brauen eine scharfe Falte.
Alles das mochte es wohl bewirken, daß die ungewöhnliche Schönheit der kaum zwanzigjährigen Lady kalt und herb wirkte.
„Hoheitsvoll und streitbar“ hatte sie ein Reporter in seinem Bericht über die Gerichtsverhandlung genannt. Es waren aber auch Stimmen laut geworden die von einer „vollendeten Komödiantin in wohlberechneter Pose“ gesprochen hatten, von einer “geradezu zynischen Art, die bei einem jungen Mädchen von solcher Herkunft und Erziehung doppelt unfaßbar erscheinen muß’.
Maud hatte allen Grund, sich dieser und anderer noch weit üblerer Dinge heute lebhafter denn je zu erinnern. Sie wußte nur zu gut, daß die an sie gerichtete neuerliche Aufforderung keinen bloßen Schreckschuß bedeutete, sie wußte aber auch, daß ihr die Möglichkeit einer Wahl genommen war. Mit dem, was man forderte, durfte und wollte sie ihre Ruhe nicht erkaufen. Wenn man glaubte, daß die vielfachen Foltern der letzten Monate sie furchtsam und mürbe gemacht hätten, sollte man sich getäuscht sehen. Vorläufig konnte sie nichts anderes tun, als die weiteren Dinge abwarten, um zu erfahren, woher die neue Gefahr drohte.
Trotz dieser beklemmenden Gedanken vermochte Maud äußerlich ihre Gelassenheit zu bewahren. Sie war sogar imstande, sich mit den unheilverkündenden Blumen völlig unbefangen zu beschäftigen und sie in einer Vase zu ordnen.
Mrs. Adelina Derham, die noch immer bei ihrem ersten Frühstück saß, verfolgte das Tun ihrer Nichte mit scheuen Augen. Sie kannte zwar die Bedeutung des Straußes nicht, aber Nelken, ob nun chinesische oder nichtchinesische, waren ihr seit der schrecklichen Geschichte furchtbar unheimlich. Hatte sie doch wegen dieser Blumen Aufregungen durchmachen müssen, die ihr angeborenes und überdies noch in volle hundertvierundneunzig Pfund gebettetes Phlegma arg ins Wanken gebracht hatten. Sie brauchte nun wirklich Ruhe, und Maud ließ sie nicht dazu kommen. Das Kind hatte ewig irgendwelche unmöglichen Einfälle. Wie eben jetzt wieder dieses Weihnachtsdinner.
Tante Ady war darüber so bekümmert, daß ihr nicht einmal das Frühstück so recht munden wollte. Sie löffelte das dritte Ei nur aus, weil es eben da war, aber dann seufzte sie sehr tief und hörbar. „Du soll...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Inhalt
  4. Kapitel 1
  5. Kapitel 2
  6. Kapitel 3
  7. Kapitel 4
  8. Kapitel 5
  9. Kapitel 6
  10. Kapitel 7
  11. Kapitel 8
  12. Kapitel 9
  13. Kapitel 10
  14. Kapitel 11
  15. Kapitel 12
  16. Kapitel 13
  17. Kapitel 14
  18. Kapitel 15
  19. Kapitel 16
  20. Kapitel 17
  21. Kapitel 18
  22. Kapitel 19
  23. Kapitel 20
  24. Kapitel 21
  25. Kapitel 22
  26. Kapitel 23
  27. Kapitel 24
  28. Kapitel 25
  29. Kapitel 26
  30. Kapitel 27
  31. Kapitel 28
  32. Kapitel 29
  33. Kapitel 30
  34. Kapitel 31
  35. Kapitel 32
  36. Kapitel 33
  37. Kapitel 34
  38. Kapitel 35
  39. Kapitel 36
  40. Kapitel 37
  41. Kapitel 38
  42. Kapitel 39
  43. Kapitel 40
  44. Kapitel 41
  45. Kapitel 42
  46. Kapitel 43
  47. Kapitel 44
  48. Kapitel 45
  49. Kapitel 46
  50. Kapitel 47
  51. Kapitel 48
  52. Kapitel 49
  53. Kapitel 50
  54. Kapitel 51
  55. Kapitel 52
  56. Kapitel 53
  57. Kapitel 54
  58. Kapitel 55
  59. Kapitel 56
  60. Kapitel 57
  61. Zum Autor und seinen Krimis
  62. Leseprobe „Spuk am See“
  63. Impressum