Dem Leben einen Dreh geben
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Dem Leben einen Dreh geben

Selbstmitgefühl bei psychischen Erkrankungen

  1. 192 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Dem Leben einen Dreh geben

Selbstmitgefühl bei psychischen Erkrankungen

Über dieses Buch

Freundlicher Umgang mit sich selbstWenn etwas aus dem Lot geraten ist, braucht ein Mensch Zuwendung, nicht nur von anderen, sondern auch von sich selbst. Beschämung und Selbstverachtung sind schlechte, aber häufige Begleiter fast jeder psychischen Erkrankung. Was nicht nur in Lebenskrisen hilft, ist der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und die Bedürfnisse dahinter aufzuspüren.Die Autorin bietet Betroffenen und ihrem Umfeld einfühlsame Begleitung dabei an: Konkrete Beispiele für die Arbeit an Emotionsregulierung, Achtsamkeit, Atmung und zwei durchgängige Fallbeispiele sowie Übungen und Reflexionen zum Selbstmitgefühl leiten den freundlichen Umgang mit sich selbst an und helfen, die eigenen Ressourcen aufzuspüren.

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Information

Dem Leben einen Dreh geben

»Gesund zu werden war für mich ein Prozess des Lernens. Damit ist es wie mit anderen Dingen, die man gelernt hat, Fahrradfahren oder Lesen zum Beispiel: Wenn man es erst einmal gelernt hat, muss wirklich einiges geschehen, dass man es wieder verlernt.« ARNHILD LAUVENG
Eine heilsame, offene und engagierte Haltung sich selbst und anderen gegenüber kann jeder Mensch durch Üben lernen. Ich finde es sehr ermutigend zu wissen, dass inzwischen die moderne neurologische und psychologische Forschung bestätigt hat, dass Mitgefühl, ähnlich einem Muskel, trainierbar ist (DAVIDSON 2018). In diesem Kapitel stelle ich dir deswegen eine Auswahl von Übungen vor, mit denen du Beruhigung und Mitgefühl schrittweise erfahren, lernen und wie einen Muskel aufbauen kannst.

Das Üben zählt, nicht das Ergebnis

Es ist wichtig, dass du dich in deinem eigenen Tempo an die Übungen herantastest. Regelmäßiges Training wird dir helfen, dein Beruhigungs- und Fürsorgesystem zu aktivieren. Behalte im Blick, dass es bei diesen Übungen nicht in erster Linie darum geht, einen bestimmten körperlichen oder emotionellen Zustand anzustreben. Es ist die Absicht, etwas Gutes für unsere Gesundheit zu tun, die unserem Leben einen Dreh verleiht, und nicht ein Ziel, dem wir keuchend hinterherlaufen.
Der springende Punkt ist, dass wir ohne Voreingenommenheit und überhöhte Erwartungen an die Übungen herangehen: mit Offenheit und unserem Anfängergeist, der nicht schon alles besser weiß, sondern neugierig bleibt. Dann können sich langfristig Beruhigung und angenehme Empfindungen einstellen.
Das Gemeinsame aller Übungen ist, dass sie uns mit unserem Beruhigungs- und Fürsorgesystem verlinken und es aktivieren. Diese Erfahrung kann jeder machen, es braucht vor allem geduldiges Dranbleiben. Durch das Wiederholen dieser Erfahrung bilden Nervenzellen neue und stärkere Verknüpfungen aus. Dadurch werden die Momente der Geborgenheit und Sicherheit immer mehr. Das Erstaunliche ist, dass bereits kurzes und regelmäßiges Üben von nur fünf bis zehn Minuten pro Tag sich über die Zeit positiv auf unsere Gesundheit auswirken kann (vgl. z. B. XU u. a. 2017).
Einige Übungen werden dir leichtfallen, andere werden dir richtig schwer vorkommen. Beginne mit Übungen, die dich spontan ansprechen. Bleibe für eine Weile dabei, um Erfahrungen sammeln zu können. Am besten achtest du gleich von Beginn an auf Hindernisse, die sich dir beim Üben in den Weg stellen. Sie gehören dazu und sind keine Anzeichen dafür, dass mit dem Üben etwas nicht gut läuft. Sie zeigen einfach unsere Schwierigkeiten auf, uns selbst eine freundliche Aufmerksamkeit entgegenzubringen.
Für Menschen, die in ihrer Seele verletzt wurden oder an einer psychischen Erkrankung leiden, können Selbstberuhigung und Selbstfürsorge manchmal Widerwillen und abstoßende und beängstigende, unangenehme Gefühle wecken. Falls du bemerkst, dass dich die Übungen emotionell stark belasten oder sie dich zu destabilisieren drohen, überlege dir therapeutische Hilfe zu suchen, um die Übungen in einem sicheren Rahmen kennenlernen zu können.
Selbstberuhigung und Selbstfürsorge gehen mit einer Annäherung an sich selbst und eben auch an sein verletzliches Selbst einher. Blockaden dabei sind deshalb natürlich und zu erwarten.
Du wirst später in diesem Kapitel noch Gelegenheit finden, deine persönlichen Übungshindernisse zu entdecken, und Möglichkeiten kennenlernen, wie du sie aus dem Weg räumen kannst. Das Wichtigste ist, dass du dir immer wieder vergegenwärtigst, warum Selbstberuhigung und Selbstfürsorge für dich gut sein können und wofür du sie kultivieren möchtest: um etwas für deine Gesundheit und deine Lebensfreude zu tun.
Aus dem Wissen und der Erfahrung, dass Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl bei uns allen eng mit unserer Verletzbarkeit zusammenhängen, lege ich dir ans Herz, beim Üben sehr behutsam mit dir umzugehen und dich in kleinen Schritten voranzutasten. Schon einzelne kleine Momente von Offenheit und Wohlwollen für andere oder sich selbst können sich ausdehnen und vertiefen.
Die Übungen, die nun folgen, sind in ihrer Wirkung langfristig angelegt. Das heißt aber auch, sie sind kein Notfallmittel in akuten Krisen. In der Praxis sind Patienten immer wieder darüber enttäuscht, dass sich ihre Belastung nach den ersten Übungen nicht im Geringsten verändert hat. Das ist nicht überraschend.
Mitgefühlsübungen können kein Leid wegmachen, sie schaffen gegen Leid eine gesunde innere Atmosphäre. Das bewirkt langfristig enorme Entlastung und manchmal Heilung.
Für viele Leute hat es sich als günstig erwiesen, über die Atmung mit ihrem Körper und so mit sich selbst in Kontakt zu kommen. So bildet die Übung »Einen beruhigenden Atemrhythmus finden« (siehe S. 123) einen guten Einstieg und eine gute Grundlage für alle weiteren Meditationen. Bereits in dem Kapitel »Der Wirklichkeit in die Augen sehen« wurde beschrieben, wie Achtsamkeit eine grundlegende und äußerst wirksame Praxis ist. Für viele Menschen ist und bleibt achtsames Atmen die wichtigste und hilfreichste Übungspraxis von allen Achtsamkeitsübungen, auf die sie immer wieder zurückkommen.
Zu Beginn kann das Fokussieren auf den Atem vorübergehend verunsichern und irritierend sein und anstatt zu Beruhigung zu mehr Unruhe führen. Meistens legt sich das schnell. Um dir einen möglichst angenehmen Einstieg zu ermöglichen, möchte ich dir drei Varianten der Atemberuhigung vorstellen. Danach nähern wir uns schrittweise dem Mitgefühl, lernen seine Eigenschaften kennen und wie wir die dazugehörigen Fertigkeiten kultivieren können.

Selbstberuhigung üben

Die Aufmerksamkeit sanft auf die Atmung zu richten und seinen beruhigenden Atemrhythmus zu finden, ist eine der kraftvollsten und effektivsten Beruhigungsmöglichkeiten überhaupt. Über das Finden eines angenehmen und entspannenden Atemrhythmus lässt sich der jüngste Teil des autonomen Nervensystems aktivieren (der neue vordere Vagusast des Parasympathikus, siehe S. 110), durch den auch andere, mit dem Atem verbundene Körperfunktionen wie die Herzfrequenz und der Blutdruck herunterreguliert werden können. Parallel werden Stoffwechselfunktionen so gesteuert, dass Erholung und der Aufbau körpereigener Reserven möglich werden.
Die Atmung ist für uns eine einmalige und praktische Möglichkeit, direkt in die Wirkweise des autonomen Nervensystems einzugreifen und dieses zu beeinflussen. Durch Verlangsamung und Fokussierung auf die Ausatmung können wir den »Ruhenerv« selbst anknipsen. Das Social Engagement System (siehe S. 110 ff.) wird aktiviert und eine warme, offene Verbundenheit mit sich selbst, mit anderen und der Welt wird möglich. Wenn der Körper sich beruhigen kann, findet auch unsere Seele Ruhe und ein Gefühl von Sicherheit.
Viele Menschen, die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, können sich selbst sehr schlecht beruhigen und leben fast andauernd in einem Alarmzustand. Bei Mobilisierung durch akuten psychischen Stress und Angst beobachten wir typischerweise eine beschleunigte oberflächliche und flache oder auch stockende Atmung. Der Körper stellt sich auf Kampf oder Flucht ein und pumpt sich mit Energie und Sauerstoff voll. Die Körperempfindungen sind unangenehm und triggern häufig noch mehr Angst. Auf die Atmung zu achten und ein paarmal ruhig durchzuatmen, kann bereits zu einer ersten Beruhigung beitragen. Mit Übung wird das Anknipsen des Parasympathikus durch achtsames Atmen immer einfacher, die beruhigende Wirkung tritt verlässlich ein und eine Art Ruhepolster wird aufgebaut, das mehr und mehr Stress abzufedern vermag. Unsere Stresstoleranz nimmt zu.

Anregungen für Atemübungen

Die erste Übung ist eine Atemmeditation. Die zweite Übung ist vor allem für Leute geeignet, die nicht gerne meditieren und sich lieber durch eine App anleiten lassen, den Fokus von belastenden Gedanken und Gefühlen weg auf etwas Visuelles außerhalb des eigenen Körpers zu lenken. Die dritte Atemübung wird für viele Leute überraschenderweise irgendwann die spannendste. Hier zählst du ganz einfach deine Atemzüge. Vielleicht versuchst du alle drei Übungen und konzentrierst dich dann auf diejenige, die dir am meisten zusagt.
Vorbereitung für alle Übungen
Plane in deinem Alltag wenigstens fünf bis zehn Minuten für dich ein, in denen du nicht gestört wirst. Finde möglichst jeden Tag einen idealen Moment zur gleichen Zeit. Richte dir einen einfachen, möglichst wohligen...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über das Buch
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Übungen in diesem Buch
  7. Vorwort von Andres »Stress« Andrekson
  8. Deine Begleiter
  9. Was du vorab wissen solltest
  10. Der Wirklichkeit in die Augen sehen
  11. Emotionen und unsere verletzliche Natur begreifen
  12. Dem Leben einen Dreh geben
  13. Letzte Zeilen
  14. Dank
  15. Referenzen
  16. Anregungen zum Hören, Lesen und Üben
  17. Über die Autorin