Überwinden depressiven Grübelns
In diesem Kapitel geht es nun um die Dinge, die man tun kann: Wie gerate ich weniger oft ins Grübeln hinein? Wie steige ich schneller wieder aus Grübelprozessen aus? Basierend auf den verschiedenen Annahmen und Untersuchungsergebnissen zur Entstehung und Aufrechterhaltung des Grübelns werden dazu verschiedene Schritte und Techniken beschrieben. Zunächst wird es darum gehen, Auslöser und Konsequenzen von Grübelprozessen zu beobachten und eigene Vorstellungen und Befürchtungen bezüglich des Grübelns genau unter die Lupe zu nehmen. Im Folgenden wird eine Möglichkeit vorgestellt, die Kontrolle über die persönliche Aufmerksamkeitslenkung zu trainieren, und es werden Strategien dargestellt, die kurzfristig dabei helfen, Kontrolle über Grübelprozesse zu erlangen. Anschließend werden Hilfestellungen dazu gegeben, wie man einen distanzierteren Blick auf belastende Gedanken und Vorstellungen einnehmen kann. Wir werden überdies positive Erwartungen an das Grübeln nochmals kritisch infrage stellen. Zum Schluss geht es dann um Alternativen zum Grübeln: Zum einen wird es um Schritte konkret-handlungsorientierten Problemlösens gehen und zum anderen wird die Technik des expressiven Schreibens als Möglichkeit, sich mit vergangenen und aktuellen Belastungen auseinanderzusetzen, vorgestellt.
Wir empfehlen Ihnen, die einzelnen Kapitel nacheinander durchzugehen – viele Inhalte bauen aufeinander auf und sollten daher in der richtigen Reihenfolge geübt werden. Falls Sie sich für die ausführlichen wissenschaftlichen Ausführungen im ersten Kapitel nicht begeistern konnten, ist dies überhaupt nicht schlimm. Sie können sämtliche Übungen auch ohne die Hintergründe gewinnbringend einsetzen. Die Ausführungen im Kapitel zu den Ursachen depressiven Grübelns (ab S. 43) sollten Sie aber gelesen haben, wenn Sie verstehen wollen, warum wir Ihnen die verschiedenen Übungen vorschlagen.
Im Idealfall nehmen Sie sich für die folgenden Kapitel einmal in der Woche in etwa eine Stunde Zeit. In dieser Stunde sollten Sie ein bis zwei Kapitel durchlesen und die beschriebenen Übungen ausprobieren. Zusätzlich sollten Sie täglich (mindestens aber dreimal pro Woche) für 15 Minuten die beschriebenen Übungen ausführen. Begreifen Sie die verschiedenen Übungen als Experimente: Probieren Sie sowohl die Dinge aus, die Ihnen schon bekannt sind, als auch die Sachen, die Ihnen komisch vorkommen und die sie noch nie probiert haben. Von Letzteren profitiert man in der Regel am meisten, und ob etwas funktioniert, lässt sich erst beurteilen, nachdem man es probiert hat.
Grübeln unter der Lupe
Im ersten Schritt geht es darum, dass Sie persönliche Auslöser für Grübeleien, wiederkehrende Grübelinhalte, Auswirkungen des Grübelns und positive Erwartungen sowie Befürchtungen bezüglich des Grübelprozesses genau kennenlernen, damit Sie sich später gezielt mit ihnen auseinandersetzen können.
Versuchen Sie nun, eine persönliche Grübelsituation, an die Sie sich noch gut erinnern können, unter der Lupe zu betrachten. Am besten nehmen Sie sich Zeit zur Beantwortung der folgenden Fragen und tragen Ihre Antworten dann direkt in das Arbeitsblatt 1 auf Seite 63 ein. Wenn Ihnen der Platz hier im Buch nicht ausreicht, können Sie sich alle Arbeitsblätter unter www.balance-verlag.de/buecher/detail/book-detail/ gruebeln.html herunterladen und ausdrucken.
1. Situation: Vergegenwärtigen Sie sich zunächst eine Situation in der letzten Woche, in der Sie gegrübelt haben. An welchem Tag war das? Um wie viel Uhr? Wo waren Sie? Waren Sie allein oder mit anderen zusammen? Was haben Sie gemacht, bevor Sie ins Grübeln geraten sind? Ist irgendetwas vorgefallen? Ist Ihnen etwas eingefallen? Denken Sie nicht nur an die Situation, sondern versetzen Sie sich noch einmal in Ihre Erinnerung. Gehen Sie die Ereignisse in Ihrem Kopf durch.
2. Auslöser: Versuchen Sie nun, noch etwas genauer herauszufinden, was der Auslöser für die grüblerische Auseinandersetzung war. Woran haben Sie gedacht, bevor das Grübeln losging? Gab es beispielsweise einen Gedanken wie »Ich schaffe das nie!«, »Ich werde nie dazugehören«, »Alle anderen sind besser als ich« oder »Immer geht es mir schlecht«, »Ich genüge nicht« oder »So wie ich bin, bin ich nicht okay«? Gab es also Ideen über Sie selbst, Ihr Umfeld oder Ihre Vergangenheit, die Sie zum Grübeln provoziert haben? Oft ist es schwer, solche Gedanken im Nachhinein zu identifizieren. Lassen Sie die Antwort ruhig offen, wenn Sie sich an nichts Schlüssiges erinnern können. Versuchen Sie einfach in der nächsten Grübelsituation, Ihr Augenmerk stärker auf solche möglichen Auslöser zu richten.
3. Inhalt des Grübelns: An den Inhalt der Grübeleien kann man sich in der Regel besser erinnern als an den Auslöser. Was war das Grübelthema in dieser speziellen Situation? Und wie haben Sie darüber nachgedacht: eher selbstkritisch-unzufrieden oder sachlich-distanziert? Waren Sie also eher nett mit sich und Ihrem Erleben oder haben Sie sich oder Ihrem Leben Vorwürfe gemacht? Sind Sie bei diesem einen Thema geblieben oder sind Ihnen im Verlauf des Grübelns immer weitere Themen / Ereignisse eingefallen, mit denen Sie auch unzufrieden sind? Seien Sie an dieser Stelle vorsichtig, dass Sie nicht direkt wieder in das Thema einsteigen. Es reicht, wenn Sie ein Stichwort notieren, dem Grübeln also eine Überschrift geben.
4. Folgen des Grübelns: Im nächsten Schritt vergegenwärtigen Sie sich die Konsequenzen des Grübelns: Was ist mit Ihrer Stimmung passiert? Was haben Sie getan? Sind Sie aktiver oder energieloser geworden? Sind Sie mit einer Problemlösung vorangekommen oder haben Sie Dinge verstanden, die Ihnen vorher noch nicht klar waren? Überlegen Sie auch, was Sie zu diesem Zeitpunkt eigentlich hätten tun wollen oder müssen, wenn es nicht zum Grübeln gekommen wäre. Prüfen Sie also, ob das Grübeln dabei geholfen haben könnte, etwas Anstrengendes oder Unangenehmes zu vermeiden. Haben Sie z. B. eine Verabredung abgesagt oder eine Tätigkeit liegen lassen, weil Sie ins Grübeln geraten sind?
5. Negative Metakognitionen: Wenden Sie sich nun Bewertungen zu, die Sie in dieser Situation über das Grübeln selbst getroffen haben. Haben Sie in dieser speziellen Grübelsituation in irgendeiner Weise angefangen, über das Grübeln nachzudenken? Haben Sie so etwas gedacht wie »Oh nein, jetzt sitze ich hier schon wieder und grüble vor mich hin« oder »Ich vertue meine Zeit mit der ganzen Denkerei«? Wenn ja, was war es genau, das Sie am Grübeln gestört hat? Fanden Sie es nur nervig oder fanden Sie es richtiggehend besorgniserregend? Was genau beunruhigte Sie am Grübeln? Gab es Ideen (negative Metakognitionen) wie:
»Ich habe keine Kontrolle über mein Grübeln.«
»Ich bin meinen Grübeleien hilflos ausgeliefert.«
»Wenn ich weiter so viel grüble, werde ich als psychisches Wrack enden.«
»Wenn andere mitbekommen würden, dass ich so viel grüble,
würden sie sich von mir zurückziehen.«
»Das viele Grübeln zeigt, dass mit meinem Gehirn etwas nicht stimmt.«
»Grübeln zeigt, dass ich nicht normal bin.«
»Grübeln verhindert, dass ich auch nur einen klaren Gedanken fassen kann.«
Prüfen Sie bitte auch, ob Ihnen solche Ideen über das Grübeln grundsätzlich vertraut sind, auch wenn Sie sich nicht daran erinnern, sie in der speziellen Grübelsituation gedacht zu haben. Um weitere Bewertungsgedanken zu erschließen, können Sie sich auch fragen, was das Schlimmste daran wäre, wenn Sie Ihr ganzes Leben weiterhin so viel grübeln würden.
Schätzen Sie abschließend bitte noch ein, wie kontrollierbar Sie das Grübeln – bei sich persönlich – einschätzen:
| Grübeln ist unkontrollierbar | stimme nicht zu |
| stimme ein wenig zu |
| stimme mäßig zu |
| stimme stark zu |
Wenn Sie der zweiten Aussage zumindest mäßig zustimmen, dann können Sie im Arbeitsblatt 1 unter negative Metakognition »Grübeln ist (nahezu / gänzlich) unkontrollierbar« ergänzen. Ab S. 75 werden wir uns mit der Unkontrollierbarkeit des Grübelns noch ausführlich beschäftigen.
6. Positive Metakognitionen: Kommen Sie nun wieder zu der speziellen Grübelsituation zurück. Fragen Sie sich, ob Ihnen das Grübeln in dieser Situation irgendetwas versprochen hat. Welche Versprechungen haben Sie zum Grübeln verführt? Was hat Sie in der Situation weitergrübeln lassen? Gab es Ideen (positive Metakognitionen) wie:
»Grübeln hilft mir, mich besser zu verstehen.«
»Grübeln hilft mir dabei, Dinge zu verarbeiten.«
»Grübeln hilft mir dabei, Problemlösungen zu finden.«
»Grübeln steigert den Druck, sodass ich ins Handeln komme.«
»Ich muss über meine Fehler nachdenken, um aus ihnen zu lernen.«
»Ich muss herausfinden, warum ich so geworden bin, damit ich mich verändern kann.«
»Es ist besser, pessimistisch zu sein, als enttäuscht zu werden.«
»Grübeln hilft mir, mich auf Enttäuschungen und Schwierigkeiten vorzubereiten.«
»Grübeln verschafft mir Erleichterung.«
»Darüber nachzudenken, wie schlecht ich bin, ist die Strafe, die ich verdiene.«
»Grübeln trägt dazu bei, dass ich wichtige Personen oder Ereignisse nicht vergesse.«
Prüfen Sie wiederum, ob Ihnen solche Ideen über das Grübeln grundsätzlich vertraut sind, auch wenn Sie sich nicht daran erinnern, sie in der speziellen Grübelsituation gedacht zu haben. Fragen Sie sich in diesem Zusammenhang auch, ob Grübeln möglicherweise für das Bild, das Sie von sich selbst haben bzw. haben möchten, relevant ist. Zum Beispiel: Hilft Grübeln Ihnen dabei, sich als tiefgründig, intellektuell oder sorgfältig zu erleben? Stellen Sie sich dann noch die Frage, ob etwas Negatives passieren könnte, wenn Sie von heute auf morgen aufhören würden zu grübeln. Würde Ihnen dann etwas fehlen? Würde Ihnen etwas entgehen?
ARBEITSBLATT 1 Grübeln unter der Lupe (Teismann u. a. 2012, S. 148)
All diese Fragen sind schwer zu beantworten. Insbesondere außerhalb von Grübelphasen kann der Gedanke, man verspräche sich etwas vom Grübeln, richtiggehend absurd erscheinen. Es ist deshalb wichtig, dass Sie sich diese Fragen erneut stellen, wenn Sie sich beim Grübeln erwischen. Menschen, die Angst vor Spinnen haben, können auch sehr vernünftig erklären, dass Spinnen ungefährlich sind und man keine Angst davor haben muss – bis eine vor ihnen sitzt! Möglicherweise verspricht Ihnen das Grübeln aber auch wirklich nichts. Kein Problem, dann ist es für Sie nicht wichtig, den Versprechungen des Grübelns zu widerstehen, sondern es geht für Sie nur darum, dass Sie mehr Kontrolle über Ihr Denken bekommen. Auch dazu werden in den folgenden Kapiteln verschiedene Möglichkeiten vorgestellt.
Eine erste Grübelsituation haben Sie nun sorgfältig analysiert. Wie Sie bemerkt haben, verlief die Analyse in einer etwas anderen Reihenfolge, als Arbeitsblatt 1 nahelegt. Das Arbeitsblatt muss also nicht unbedingt von oben nach unten ausgefüllt werden. Wir haben den Eindruck, dass die Reihenfolge, die wir Ihnen vorschlagen, es leichter macht, relevante Aspekte zu identifizieren. Sie können die Analyse auch in einer anderen Reihenfolge vollziehen. Grundsätzlich sollten Sie nicht erwarten, dass es Ihnen allein durch die Exploration schon irgendwie besser geht. Es ist ein Anfang – nicht mehr und nicht weniger. Wahrscheinlich braucht es auch noch einige Übung, bis es Ihnen wirklich leicht fällt, die einzelnen Punkte zu ...