Adoptiv- und Pflegekindern ein Zuhause geben
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Adoptiv- und Pflegekindern ein Zuhause geben

Informationen und Hilfen für Familien

  1. 232 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Adoptiv- und Pflegekindern ein Zuhause geben

Informationen und Hilfen für Familien

Über dieses Buch

Es sind meistens ähnliche Herausforderungen, denen sich Eltern stellen müssen, egal ob sie ein Kind adoptieren oder in Pflege nehmen. Wie fängt man frühe seelische Verletzungen durch das Verlassenwerden auf? Wie fördert man Identitätsentwicklung? Wie gestaltet man Kontakte zur Herkunftsfamilie und Geschwisterbeziehungen?Einfühlsam und kenntnisreich gibt dieser Ratgeber Anregungen, welche inneren Haltungen und Konzepte die Familien entwickeln können, um diesen jungen Menschen einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Die Autorin Irmela Wiemann gilt als ausgewiesene Expertin in der Beratung von Pflege- und Adoptiveltern sowie den Herkunftsfamilien. Für diesen Ratgeber hat sie alles Wissenswerte für diese Familien und ihre (Wunsch-)Kinder zusammengetragen, um ihnen eine möglichst positive Entwicklung zu ermöglichen.

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Information

1 Pflege- und Adoptiveltern – nicht die einzigen Eltern des Kindes

»Als Adoptivkind bin ich eine Schwindlerin. Ich bin eine von jenen Trickfiguren, die ständig ihre Größe und Gestalt ändern. Manchmal bin ich ein hilfloses, wankelmütiges Geschöpf, manchmal ein allmächtiges Wesen vom anderen Stern. Ich bin nicht wirklich.« (Lifton 1982, S. 12)
Es ist beachtlich, was Adoptiv- und Pflegeeltern leisten: Sie entwickeln eine Eltern-Kind-Bindung zu einem Kind, das anderswo Eltern hat. Das ist nicht immer einfach. Annehmende Eltern haben einen Doppelauftrag: Sie übernehmen die Elternrolle für ein Kind und sie sollten zugleich das Kind bei seinem außergewöhnlichen Schicksal, nicht bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen zu können, intensiv unterstützen und begleiten.
In früheren Jahren konnten die meisten Familien mit dieser besonderen Situation nur umgehen, indem sie die Herkunftsfamilie der Kinder ausklammerten, vielleicht den Kindern gar nichts davon sagten. Heute wissen wir, dass dieses Abtrennen der Existenz der Herkunftsfamilie den Kindern am allerwenigsten hilft. Ihr Vertrauen in ihre zweiten Eltern wird inniger, wenn diese die Herkunftseltern achten, mit dem Kind deren Grenzen betrauern, und ihnen einen emotionalen Platz im Leben des Kindes einrichten. Für die positive Entwicklung von Kindern in Adoptiv- und Pflegefamilien ist die innere Haltung der annehmenden Eltern zu den Herkunftseltern von großer Bedeutung.
BEISPIEL Die fünfjährige Leonie (von Baby an in der Pflegefamilie) trifft ihre leibliche Mama Katja besuchsweise zwei- bis dreimal im Jahr. Dazwischen malt Leonie ihrer Katja-Mama Bilder, bastelt kleine Geschenke und bittet die Pflegemama, diese der Katja-Mama zu schicken. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Leonie nicht über ihre Katja-Mama spricht und sich beschwert, dass diese ihr Kind nicht behalten hat. Ihre Pflegemama hat ihr erklärt, dass die Katja-Mama Leonie sehr lieb hat, aber nicht genug Kraft, jeden Tag für ein Kind da zu sein. Leonie fragt dann: »Was ist denn so schwer daran, ein Kind großzuziehen? Die müsste doch nur Essen einkaufen. Alles andere geht doch von selbst.« Und dann versichert sie schnell: »Aber eigentlich will ich ja bei euch bleiben. Hier bin ich daheim!«
Die Herkunftsfamilie – ganz gleich, wie nah sie ist, ob es Umgang mit ihr gibt oder ob sie für immer unauffindbar bleibt – spielt im Seelenleben der Kinder und damit auch in der annehmenden Familie eine bleibende Rolle. Die Kinder tragen ihre Eltern in sich. »Wir können die Kinder aus ihren Familien nehmen, aber nicht die Familien aus den Kindern«, sagte Riet PORTENGEN (2006) einmal.
BEISPIEL Leonie ist eines dieser Kinder, die zeigen können, dass es wehtut, von der Mama »hergegeben« worden zu sein. Leonie bezieht das ausschließlich auf ihre Mutter. Über den Papa und dass auch dieser sie hätte behalten können, darüber macht sich Leonie keine Gedanken. Hier spiegelt sich das gesellschaftliche Rollenklischee: Es erlaubt Vätern, ohne ihre Kinder zu leben. Den Müttern wird dasselbe jedoch nicht gestattet.
Vermutlich spürt Leonie bei Kontakten zur leiblichen Mutter, wie hilfebedürftig ihre Katja-Mama ist, und möchte gut für sie sorgen.
Es gibt aber noch eine andere mögliche Bedeutung für Leonies demonstrative »Verehrung« gegenüber der leiblichen Mama: Nahezu in jedem fremdplatzierten Kind gibt es die unbewusste oder offene Angst, seine neuen Bindungspersonen könnten es auch wieder hergeben. Deshalb sorgt Leonie vor: Sie signalisiert ihrer Pflegemama: Komme mir nicht zu nah. Ich habe Angst, mich dir ganz auszuliefern.
Leonies Pflegemama, die verunsichert und ein wenig eifersüchtig war, lernte in der Beratung, eine neue innere Haltung sowie die Perspektive des Kindes einzunehmen. Die folgenden Worte zeigen diese innere Haltung. Dies sind keine Worte, die zum Kind direkt gesprochen werden, sondern es handelt sich um eine »innere Ansprache«, eine innere Orientierung: Du hast Angst, auch mich zu verlieren. Die Erfahrung, von der Katja-Mama verlassen worden zu sein, kann ich dir nicht abnehmen. Aber ich kann für dich da sein. Ich erlaube dir, dass du manchmal Stacheln mir gegenüber ausfährst, weil du dich vor meiner Zuneigung schützen willst. Ich will meine Zuneigung unbeirrt aufrechterhalten. Und du darfst deine Katja-Mama verehren und um sie trauern. Ich bin und bleibe deine Jeden-Tag-Mama.
Wenn es annehmenden Eltern gelingt, die Eltern der ihnen anvertrauten Kinder in ihren Krisen und ihrer Not und ihrem »Anderssein« zu achten und die Untröstlichkeit ihres Kindes anzuerkennen, dann kann das Kind sein Leben mit seinen zwei Familien bewältigen und zu einem starken, das Leben mit seinen glücklichen und schwierigen Seiten meisternden Menschen heranwachsen.

Eltern und Jugendamt geben den Auftrag

Ob ein Kind in Heimerziehung kommt oder ob die Hilfe einer Privatfamilie in Anspruch genommen wird, ob die leiblichen Eltern gar das Kind zur Adoption freigeben, all das ist das Ergebnis eines Klärungs- und Beratungsprozesses der sozialen Fachkräfte des Jugendamtes zusammen mit den betroffenen Herkunftseltern. Und wenn die Kinder alt genug sind, werden auch sie in diesen Prozess mit einbezogen.
Genau genommen erbringen Pflege- oder Adoptiveltern eine »Leistung« für die Kinder- und Jugendhilfe und für die Eltern des Kindes. Auch die Adoption ist zunächst eine »Jugendhilfemaßnahme«. Adoption dient nicht in erster Linie dazu, kinderlosen Paaren zu einem Kind zu verhelfen, sondern will Kindern, die nicht mit ihren leiblichen Eltern leben können, im Auftrag dieser leiblichen Eltern passende neue Eltern zur Seite stellen.
Anders als bei einer Adoptivfamilie bleiben bei einem Pflegekind die leiblichen Eltern mit dem Kind gesetzlich verwandt, selbst dann, wenn ihnen einzelne oder alle Elternrechte entzogen wurden. Pflegeeltern sind einerseits Privatfamilie und erfüllen andererseits einen öffentlichen Auftrag des Jugendamtes. Die leiblichen Eltern haben einen Rechtsanspruch auf diese Hilfe.
Pflegeeltern bekommen Unterhalt für die Lebenskosten des Kindes und ein (kleines) »Erziehungsgeld« für die pädagogische Leistung. Pflegefamilien leben durch das Kind in einem veränderten Familien- und Beziehungsgeflecht. Das Jugendamt hat Beratungs- und Aufsichtspflicht. Durch die Präsenz der leiblichen Eltern gibt es oftmals zusätzliche Themen und Konflikte. Außerdem mischt sich die »Öffentlichkeit« häufig ein: Freunde, Lehrer, Nachbarn, Verwandte, Großeltern des Kindes etc. fühlen sich für ein Pflegekind »mit zuständig«.
Die Besonderheiten einer Adoptiv- oder Pflegefamilie werden in den folgenden Abbildungen der vier Dimensionen der Elternschaft aufgezeigt. Väter und Mütter und auch Pflege- und Adoptiveltern können damit einordnen, welche elterlichen Aufgaben sie innehaben.
Vier Dimensionen der Elternschaft bei Familienpflege
In dem sehr empfehlenswerten Buch Wo gehöre ich hin? von T. Ryan und R. Walker werden nach Vera Fahlberg drei Bereiche der Elternschaft aufgezeigt: die leibliche Elternschaft, die nie mehr aufhebbar ist, die soziale Elternschaft, die nach Jahren der Bindung und des Zusammenseins ebenfalls nicht mehr austauschbar ist, und die rechtliche Elternschaft (RYAN/ WALKER 2020, S. 85).
Vera Fahlberg ordnet die ökonomische Elternschaft der rechtlichen Elternschaft zu. Doch dies ist meines Erachtens ein vierter zentraler Bereich, weil rechtliche Elternschaft und ökonomische Elternschaft oftmals auf verschiedene Personen oder Institutionen verteilt sind.
Die beiden Abbildungen zeigen den Unterschied zwischen einer Pflege- und einer Adoptivfamilie auf. Das Kind wurde von den leiblichen Eltern geboren. Die Pflegefamilie hat ausschließlich – je nach zusammengelebter Zeit – den Bereich der sozialen elterlichen Beziehung inne. Die Rechte liegen entweder weiterhin bei den leiblichen Eltern oder bei einem Vormund. Der Auftraggeber Jugendamt übernimmt die Aufgabe der zahlenden Elternschaft (und die leiblichen Eltern werden weiterhin für die Kosten des Kindes herangezogen). Doch auch viele leibliche Eltern haben Lebenszeit mit dem Kind verbracht und sind soziale Eltern für ihr Kind gewesen. Sie haben jedoch ihre Jeden-Tag-Verantwortung für ihr Kind abgeben müssen.
Vier Dimensionen der Elternschaft bei Adoption

Adoption

Nach dem Abschluss der Adoption sind Adoptivfamilien – im Gegensatz zu Pflegefamilien – ausschließlich Privatfamilien. Adoptiveltern haben alle elterlichen Aufgaben, Verantwortungen und Rechte, genauso wie leibliche Eltern. Sie sind die gefühlsmäßigen Eltern, die rechtlichen Eltern und sie kommen für das Kind allein finanziell auf, bis es einmal selbstständig ist. Das Kind ist auch erbberechtigt. Die rechtmäßige Verwandtschaftsbeziehung zur Herkunftsfamilie ist laut Gesetz erloschen. Allerdings sieht die psychische Realität anders aus. Adoptiveltern leben eine »soziale Elternschaft« und haben es mit nicht leiblichen Kindern zu tun, die in einer anderen Familie...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Zu diesem Buch
  6. 1 Pflege- und Adoptiveltern – nicht die einzigen Eltern des Kindes
  7. 2 Die leiblichen Eltern von Pflege- und Adoptivkindern
  8. 3 Der Schmerz, von den Eltern weggegeben worden zu sein
  9. 4 Frühe Bindungs- und Verlusterfahrungen
  10. 5 Das innere Bild von den leiblichen Eltern
  11. 6 Intensität und Qualität der sozialen Elternschaft
  12. 7 Die Wirkung früher Stresserfahrungen auf die Kinder
  13. 8 Hilfen für Kinder mit frühen Stresserfahrungen
  14. 9 Kontakte der Kinder zu ihren leiblichen Eltern
  15. 10 Pflege- und Adoptivkinder aus anderen Regionen der Erde
  16. 11 Geschwisterbeziehungen in Pflege- und Adoptivfamilien
  17. 12 Jugendzeit und Erwachsenwerden
  18. Nachwort
  19. Literaturverzeichnis
  20. Über die Autorin