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Kapitel 5: »Der sich und Anderen fremd werdende Mensch (Schizophrenie)« aus dem sozialpsychiatrischen Standardwerk »Irren ist menschlich« jetzt als preiswerter Einzelband!
Das Lehrbuch »Irren ist menschlich« hat mit klaren Positionen die Versorgung psychisch erkrankter Menschen erneuert und geprägt. Die in ihm vertretene Position, dass es für das volle Verständnis von psychischen Beeinträchtigungen und Krankheiten auf die Haltung ankommt, mit der wir uns den Betroffenen und den Phänomenen nähern, hat die nachfolgenden Generationen geprägt.
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5Der sich und Anderen fremd werdende Mensch (Schizophrenie)
Uwe Gonther
Landschaft als Zerreißprobe
Entwicklung
Das Wort Schizophrenie
Zur Begriffsgeschichte
Annäherung von außen
Der Anderen fremd werdende Mensch – Alienation
Notwendige Vorüberlegungen für korrektes Diagnostizieren
Wie kommen wir von den Symptomen zur Diagnose?
Symptome
Syndrome
Verlaufsformen
Versuchte Wahrnehmung von innen
Das Sich-selbst-fremd-Werden – Alienation
Psychotische Erlebnisse
Die Strahlenkanone
Begegnung und Behandlung
Grundhaltung
Verrückte Sprache
Spezifisch schizophren?
Typisch schizophrene Themen?
Gesundheitspolitik als Rahmen der Begegnung
Welche Rolle spielen Medikamente?
Was heißt hier »Psycho-sozio-therapie«?
Gute klinische Praxis
Epidemiologie und Prävention
Verbreitung
Bedingungen
Bedeutung
Prävention
Ausblick
»Warum einem Verrückten die Welt gefällt wie sie ist und manchmal nicht
Einem Verrückten gefällt die Welt wie sie ist, weil er in ihrer Mitte wohnt. Nicht irgendwo in irgendeiner Mitte, sondern in der gefährlich-inschüssigen Mitte-mitte, im Zwing-Ei. Ein unbedacht aus diesem Heikelraum entferntes Haar brächte die Welt ins Wanken und dann auf Schlingerkurs Mond Sonne Milchstraße ade systemwärts é-é. Das alles weiß der Verrückte genau und hütet sich, zum Beispiel seinen Arm in eine zu hohe Grußstellung zu heben, damit nicht Unglücke geschehen, Felsbrocken herabstürzen, große Brocken auf kleine, noch größere auf schon stattliche, und die zarten Angeln zerbrechen, in denen die Welt hängt. Ihm, das versteht man ja leicht, sind nur winzige Bewegungen erlaubt, und es schmerzt ihn, wenn man ihn von einem Bett ins andere trägt oder in ein schiefes Zimmer stellt, denn er liebt die Welt wie sie ist, er liebt sie, er liebt sie. Und sonst? Noch irgendwelche Sorgen? Ja. Leider Sorgen die Menge.
Die Sorge, daß ein Knopf abspringt.
Die Sorge, daß man ihn bloß hingekritzelt hat.
Die Sorge, daß seine himmlischen Verbindungen verloren gehen.
Die Sorge, daß man durch seinen Nabel Frost einbläst.
Die Sorge, daß falsche Gemahlinnen ihn bei Gericht verklagen. […]
Es fängt damit an, daß der Mann erkennt, wie die Welt in allen ihren Einzelheiten, und bevorzugt in ihren kleinsten, eine Botschaft für ihn bereithält. Das Lindenblatt, das vor ihm im Wind glitzert, bekennt seine Mitschuld am Tod des Nibelungen Siegfried und fordert ihn auf, einmal mit dem Finger über es zu streichen und die kaum mehr zu tragende Schuld fortzuwischen.«
Die wichtigste Entwicklungsaufgabe im jungen Erwachsenenalter (15. bis 30. Lebensjahr) besteht darin, sich von der Herkunftsfamilie zu lösen und eine eigene Position in der Welt zu finden, das heißt Freundeskreise, Partnerschaft, Arbeitsplatz und dort jeweils tragfähige menschliche Beziehungen. Die Koordinaten dafür finden sich zwischen den Polen Abhängigkeit und Autonomie. Diese Haltung zur Welt zeigt sich in der Fähigkeit zur Gestaltung von Beziehungen, Beziehung zu sich selbst in der Reflexion und Beziehung zu Anderen. Nähe und Distanz müssen reguliert werden, das gilt für das Verhältnis zu Eltern, Partnern, Freunden, Kindern, Nachbarn, Kollegen, Zeitgenossen. Die Position in der Welt wird nicht einmal eingenommen und dann entweder gehalten oder aufgegeben. Vielmehr wird sie immer wieder neu verhandelt. Teils wird sie passiv angenommen und teils aktiv hervorgebracht, sie kann bewusst weiterentwickelt werden oder erstarren. Der Weg durch die Landschaft des jungen Erwachsenen stellt ihn vor große Herausforderungen. Gerade erst wurden in der Pubertät, oft unter Schmerzen, die eigenen Werte, Überzeugungen und Maßstäbe gefunden, da müssen sie sich an der Wirklichkeit messen. Sind sie tauglich, den Menschen durch seinen Alltag zu steuern? Wohin führt diese Reise? Bestenfalls hin zu einer eigenen neuen Selbstverständlichkeit, die sowohl Individualität zulässt als auch Verbindung zu anderen Menschen und Geborgenheit im Common Sense der jeweiligen Zeit bietet.
Unterwegs müssen wir alle Rückschläge hinnehmen, Umwege finden. Bei kaum jemandem halten alle alten Freundschaften, selten nur wird aus der ersten großen Liebe die Partnerschaft des Lebens. Nicht immer glückt die erste Ausbildungs- oder Studienwahl. Fast nie ist der Weg zum Traumjob ganz glatt. Die erlittenen Niederlagen sind Zerreißproben und helfen, so wir sie bestehen, zu verbesserter innerer Stabilität und eben dabei, eine Position im Leben zu finden. Gefährdungen hält der je eigene Weg für so ziemlich alle bereit. Es gibt keine risikolose Entwicklung. Einige Menschen trifft massives Unglück, etwa wenn sie Opfer von Gewalt, Kriegen, Unfällen oder Katastrophen werden oder wenn sie in instabilen, invalidierenden Verhältnissen aufwachsen. Die Integration von inneren Vorstellungen mit der Wahrnehmung der äußeren Realität gelingt dann noch schwerer. Dissoziation kann die Folge sein. Psychotisches Erleben und Verhalten stellt einen Versuch dar, zunächst Unvereinbares zu verbinden, die Widersprüche doch auszuhalten in einer neuen Form. So gesehen ist Psychose ein Anpassungsversuch an Ambivalenzen, die anders nicht ausgehalten werden können. Die sogenannte schizophrene Psychose ist gewissermaßen die Urform des Verrücktwerdens. Sie stellt eine Leistung im Sinne der Erhaltung der Integrität der betroffenen Person dar, indem sie genau diese Integrität scheinbar aufs Spiel setzt. Es kann damit der betroffenen Person gelingen, den verspürten drohenden Weltuntergang oder den unumgänglich scheinenden Suizid abzuwenden und eine alternative Lebensweise zu finden. Psychose wird dann zu einem existenziellen Notausgang. Vermutlich interessieren sich deshalb so viele Menschen außerhalb psychiatrischer Zusammenhänge, besonders auch Philosophen, Künstler und Geistliche, für das Verrücktwerden, weil es eine Seinsweise anbietet, die eine annähernd transzendente Alternative verheißt, nämlich ein Leben zugleich innerhalb und außerhalb der Realität.
Diese grundsätzliche Alternative zum normalen Leben mit seinem Anspruch, die Widersprüche entweder aufzuheben oder ignorieren zu können, erweist sich als anthropologische Konstante. In ihrer jeweiligen Ausgestaltung unterliegt sie den kulturellen Gegebenheiten. Im Wesentlichen scheint es sich jedoch um eine allgemein menschliche Möglichkeit zu handeln, gewissermaßen um eine Sonderrolle, nämlich die des Narren, der den Vernünftigen einen Spiegel vorhält. Weitergedacht stellt sich hier die Frage, warum nicht alle Menschen in Anbetracht der Widersprüche des Lebens verrückt werden. Durch die Jahrhunderte haben sich Künstler wie Torquato Tasso, Friedrich Hölderlin, Vincent van Gogh, Robert Walser, Camille Claudel, Olga Spessivtseva und viele andere explizit mit dem Wahnsinn auch in ihrer Kunst beschäftigt, noch bevor sie selbst psychotische Erfahrungen gemacht haben. Von ihnen können wir sehr viel lernen in der Psychiatrie.
»Es ist eine unermessliche Kluft zwischen ihm und dem Rest der ganzen Menschheit. Er ist entschieden aus ihr hinaus getreten, wie ihm auch ihre Kräfte versagt haben.«
»Nun versteh’ ich den Menschen erst, da ich fern von ihm und in der Einsamkeit lebe.«
Wilhelm WAIBLINGER über Hölderlin (1826/1982, S.62, 56)
Auf der Reise durch die Landschaft des jungen Erwachsenen kann man verloren gehen. Diejenigen, bei denen ein solches Aus-der-Rolle-Fallen kurz und heftig wie in einem Gewitter geschieht, bezeichnen wir als akut psychotisch. Diejenigen, die gleichsam Schiffbruch erleiden und auf einer einsamen Insel stranden, so sie dies überleben, nennen wir chronisch schizophren. Sie haben den Rückzug aus der vorherigen Umgebung angetreten und leben nun für sich selbst wie Robinson Crusoe, allerdings inmitten anderer Menschen. Die Landschaft des psychotischen Lebenswegs ist eine Landschaft mit Riss, der sich so weit verbreitern kann, dass die Betroffenen hineinstürzen können. Der Riss zieht sich anfänglich durch das Alltagsbewusstsein an der Stelle, wo innere und äußere Bilder, Erlebnisse und Erfahrungen in die Lebensgeschichte eines Individuums integriert werden. Dieser Riss kann sich auch wieder schließen. Bereiche, die er durchzieht, fallen dadurch auf, dass die Realitätsprüfung, also das Für-wahr-Nehmen der Wahrnehmungen, nicht mehr problemlos gelingt. Situationen, Gegenstände und auch andere Menschen werden dann nicht mehr so gesehen, gehört, gerochen, gespürt, wie dies ansonsten üblich ist. Die Welt wird immer fragwürdiger. Die veränderte Wahrnehmung wird dann durch innere Erlebnisqualitäten ergänzt, die auf die Außenwelt projiziert werden. Es entsteht jedoch kein realistisches Bild, sondern zunehmende Irritation und aus dieser heraus Angst. Dadurch verbreitert und vertieft sich der Riss. Gerade in der beginnenden Psychose entsteht eine charakteristische Wahnstimmung, das Gefühl, es liege etwas Besonderes in der Luft, irgendetwas müsse bald geschehen, etwas ganz Spezielles stehe unmittelbar bevor, zu dem die Betroffenen in einer eigenartigen Verbindung stehen. Eine solche besondere Bedeutungsbeimessung kann von den Mitmenschen in der Regel nicht nachvollzogen werden. Die Zerreißprobe wird immer heftiger.
Im Leben junger Erwachsener gibt es besonders viele Situationen, die als ambivalent erlebt werden. Wie viel Widersprüchliches kann ertragen werden, wie viel Eindeutigkeit wird benötigt und von außen erwartet in Beziehungen, im Beruf, in Freizeitgruppen? Wie werde ich angesehen? Auch im Internet, z.B. in sozialen Medien? Überall stellt sich die Frage: Wer bin ich? Wer will und werde ich sein? Soziokulturelle Umbrüche wie Migration und familiäre Umwälzungen wie Scheidung der Eltern erhöhen, besonders für sensible Menschen, das Risiko, die geforderte Vereinheitlichung von Empfindungen und Verhaltensweisen nicht mehr zu schaffen. Um mit den Widersprüchen in der jeweiligen Welt zurechtzukommen, ohne verrückt zu werden, hat die menschliche Psyche Verhaltensweisen zur Verteidigung entwickelt, die wir funktionale Abwehr nennen können. Neben der von Natur aus unterschiedlich ausgeprägten Empfindsamkeit, die für das Zusammenleben mit anderen Menschen ebenso notwendig ist wie für den Umgang mit sich selbst, haben alle Menschen auch eine unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeit, sich abzugrenzen.
In bestimmten Situationen lassen Menschen bestimmte Probleme nicht an sich heran. Rauschmittel, manche Konsumgewohnheiten und Verhaltensweisen können vorübergehend dazu führen, dass Konflikte verdrängt werden: Alkohol, Fernsehen, Neue Medien, Autofahren, aber auch Sport, Reisen, Essen sind hier zu erwähnen. Die Abwehrleistung mit derartigen Verdrängungsmitteln ist in der Regel im Hinblick auf das psychische Problem nicht f...
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