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Kapitel 6: »Der sich und Andere aufbrechende Mensch (Manie)« aus dem sozialpsychiatrischen Standardwerk »Irren ist menschlich« jetzt als preiswerter Einzelband!
Das Lehrbuch »Irren ist menschlich« hat mit klaren Positionen die Versorgung psychisch erkrankter Menschen erneuert und geprägt. Die in ihm vertretene Position, dass es für das volle Verständnis von psychischen Beeinträchtigungen und Krankheiten auf die Haltung ankommt, mit der wir uns den Betroffenen und den Phänomenen nähern, hat die nachfolgenden Generationen geprägt.
Häufig gestellte Fragen
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Wir befinden uns manisch meist in der Lebensphase Anfang des dritten Lebensjahrzehnts. An der Pubertät und Nachpubertät, der zugleich großartigsten und schrecklichsten Zeit des Lebens, sind wir nicht gescheitert: an der Phase, in der man die Grundsatzfrage aufwirft, jeder Gedanke die Welt infrage stellt, jedes Gefühl die Existenz bedroht, jede Moral radikal ist, wir uns zwischen uns und der Welt aufzuteilen haben. Das haben wir hinter uns – ohne daran schizophren geworden zu sein. Damit sind grundsätzlich die Positionen zwischen uns, den Eltern, Geschwistern und Fremden so weit klar, dass wir uns sicher genug fühlen, in die Welt der Erwachsenen aufzubrechen – privat, beruflich, politisch. Dort aber sind alle Positionen von Autoritäten besetzt. Wir müssen sie erobern. Das können wir nur mit der Optik, dass die Erwachsenen-Autoritäten kleinkariert, verknöchert und korrupt sind. Wir durchschauen sie. Wir können und wollen die Welt neu schaffen, großzügiger und fröhlicher, lebendiger, demokratischer und partnerschaftlicher, gerechter und lebenswerter, freier, gleicher und brüderlicher. Das geht nur, indem wir die Autoritäten überzeugen oder besiegen, indem wir zeigen, dass man anders besser leben kann, indem wir vorbildlich alternativ leben, heiterer, menschlicher, natürlicher, auch die Natur achten, notfalls Wut, Zorn und Gewalt dazu einsetzen. Wenn die Erwachsenen ihr überlegenes Gewaltarsenal dagegen ins Feld führen, umso besser: Es ist der beste Beweis unserer moralischen Überlegenheit, auch wenn wir dabei umkommen. Das ist die Welt der immer wieder anderen Jugendbewegung, des Wandervogels, der antiautoritären Bewegung, der Ostermarschierer, der Hippies, Rocker und Punker, der Gruftis, der Hausbesetzer, der ökologischen und der Friedensbewegung, der Skins, der Globalisierungsgegner, der militanten Veganer, der Netzaktivisten, der Flashmobs – die Landschaft der permanenten gewaltlosen und gewaltsamen Provokation, mit der wir uns selbst und die Anderen aufbrechen.
Da niemand dabei in sich sicher und alles ein ständiges Experimentieren ist, macht das Aufbrechen Angst. Doch eher würde man sich die Zunge abbeißen, als diese Angst und diesen (heimlichen) Schmerz des Besserwissens den Eltern und ihren gesellschaftlichen Ersatzautoritäten zu zeigen, während man versucht, sie zu entlarven, lächerlich zu machen, auszutricksen, zum Weinen zu bringen, zu besiegen, um zur Überlegenheit der eigenen Welt und Person zu kommen. Auch hier ist das Spiel nicht nur das des Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, sondern zugleich auch das der Eltern und anderen Autoritäten: Auch sie glauben, ihre Angst nicht zeigen zu dürfen, fürchten, Zugeben einer Schwäche führe zum Chaos. Dabei würden – früh genug – das Zeigen der Angst, ein Signal, dass auch Eltern schwach sind, das Nachgeben beim Wertemonopol, freilich bei unerbittlicher Verteidigung der eigenen letzten Werte, die den Erwachsenen bei dieser Gelegenheit meist erst klar werden, ein paar gemeinsam vergossene Tränen aus Verzweiflung darüber, dass man sich nicht mehr verstehen kann – etwas von alledem würde schon genügen, um aus dem gegenseitigen Vernichtungskampf eine Begegnung von Gegnern zu machen, die vom wechselseitigen Respekt lebt. Nur so käme die Begegnung auf ein erwachsenes Niveau des dauerhaften, gegenseitig befruchtenden Austauschs.
Dann kommt noch das tief beeindruckende Erleben partnerschaftlicher und sexueller Beziehungen hinzu: Das Streben nach Partnerschaft und Sexualität wird ein zentraler Punkt des Lebens in dieser Phase. Schlaflos sieht die Welt wunderbar aus, das Grundgefühl ist ein großartiges, und alles gelingt.
Das ist die Landschaft, in der ein Jung-Erwachsener den notwendigen und auch von ganzem Herzen gewünschten Aufbruch zugleich nicht riskiert, brav ist, wo er nicht brav sein will, und beide Seiten Angst und Verunsicherung nicht zeigen, sondern abwehren. Verlierer ist dabei vor allem der biografisch Jüngere. Er erstickt an seinem Unabhängigkeitswunsch, für den er nichts zu tun riskiert, was ihn innerlich traurig und verzweifelt macht. Aber da er auch das überspielt und die Unterdrückung der Angst und des Unabhängigkeitswunsches ihn immer dranghafter und übertriebener macht, kommt es irgendwann zur Explosion: Er wird manisch. Im Schutz dieses »unzurechnungsfähigen Zustandes« kann er endlich seine Gefühle äußern und jedem seine Meinung ins Gesicht schreien, alles niedermachen. Manche kommen leichter auf diesen gefährlichen Weg, nachdem sie längere Zeit Alkohol, Medikamente oder Drogen genommen haben, was die Abwehrkontrollen lockert und die Fiktion einer Befreiung erzeugt. Manche kommen erst dann auf diesen Weg, wenn sie zu früh geheiratet haben, wobei der biografisch »Ältere«, also unabhängigere Partner die Rolle des Verantwortlichen in diesem Autoritätskonflikt übernimmt oder sich in diese Rolle hineindrängen lässt, ohne es früh genug zu merken. Für das weitere Leben gilt auch hier: Wer einen Ausweg einmal gelernt hat, wird ihn später schon bei geringeren Anlässen leicht wieder benutzen.
Beispiel
Der 26-jährige Herr B. lebt in einer Schausteller-Großfamilie. Er ist jetzt zum dritten Mal jeweils Anfang des Jahres wegen einer Manie zwangseingewiesen worden, in der er zu Hause lauter Unsinn machte und die Möbel kurz und klein schlug. – In der Angehörigengruppe lernen wir Ehefrau und Vater kennen, beide vital, kontrolliert, vernünftig. Wir erfahren, dass Herr B. das ganze Jahr über brav und sensibel wie ein Kind lebt und arbeitet. Nur zum Jahresbeginn bekommt er seine »Krise«: Dann nämlich ist die Zeit, in der man »beweisen muss, dass man ein Mann ist«. Innerhalb eines Monats muss man schnell und entscheidungsfreudig die besten Auftrittsverträge bekommen und abschließen, die über das Einkommen der Familie für das ganze Jahr entscheiden. Jedes Jahr möchte Herr B. dies von ganzem Herzen besonders gut machen und wird – stattdessen – manisch. Folge: Jedes Jahr muss die Ehefrau mehr »die Hosen anziehen«.
Selten bekommt jemand erst im 70. Lebensjahr seine erste Manie. Das erinnert daran, dass keine unserer Lebensphasen je ganz abgeschlossen ist. Am leichtesten aber werden wir manisch in dem Alter, in dem wir den Umgang mit Autorität zu lernen haben.
Zur Abrundung des manischen Landschaftsbildes noch ein Gedanke: Jedes Manischsein kann auch mit schizophrenen Symptomen, vor allem Stimmen und Wahnideen, einhergehen. Vielleicht waren also die alten Psychiater nicht so dumm, wenn sie die manischen und fast alle schizophrenen Störungen gemeinsam unter dem Begriff »Manie« sahen. Beide Wege sind verwandt und typische Notbremsen bei der jugendlichen oder adoleszenten Lebensaufgabe, des (sich und Andere) Teilens, Lösens, Fügens und Aufbrechens. Nur: Wer manisch wird, hat ein paar Grundsatzprobleme der Existenz schon gelöst und sich bereits ein Stück weit auf die realen Lebensprobleme des Erwachsenendaseins einlassen können, steht schon im Bruch mit der Tradition, dabei allerdings Angst machend statt in Angst lebend.
Auffälligkeiten (Außenansichten)
Niemand ist weniger für sich und mehr für die Öffentlichkeit auffällig als der manische Mensch: Er sprengt jeden Rahmen, setzt jede soziale Übereinkunft für sich außer Kraft: Takt, Geschmack und alle Erwartungen, auf die sich die Menschen im Umgang miteinander üblicherweise verlassen können. Jede sonst verlässliche Distanz ist aufgehoben. Das geht von der nachlässigen oder abenteuerlichen Scheidung über das rastlose und unerwartete Tätigsein und Außer-sich-Sein bis zur Einmischung in alles und jedes – Bewitzeln, Lächerlich-Machen, Besserkönnen oder gewalttätiges Angreifen. Für die Diagnose »Manie« muss ich Folgendes beobachten, wobei nicht in allen Aspekten das Gegenbild des Depressivseins entsteht:
Stimmung gehoben
Dies kann sich heiter, witzig, ansteckend, mitreißend, menschheitsumarmend äußern; oder provozierend, gereizt, angriffslustig, zornig, arrogant; oder nur gehoben im Sinne von gefühlsleer, nur auf einer anderen Etage als die depressive Stimmungsleere. Nur der Begegnung von innen, nicht der Beobachtung erschließt sich die gleichzeitige unterschwellige Traurigkeit. Nicht wenige Menschen in der Manie fühlen aber zeitgleich Traurigkeit oder Niedergestimmtheit. Eine Vermischung von Manie und Depression ist eher die Regel als die Ausnahme. Dies ist aber in unterschiedlichem Maße der Fall, bis hin zu der Situation, dass Depression und Manie gleichzeitig auftreten, was Psychiater des frühen 20. Jahrhunderts als »Mischzustand« oder »gemischte bipolar affektive Episode« bezeichnet haben (MARNEROS ...