Kapitel Zwölf
Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel an deinen Arm! Stark wie der Tod ist die Liebe.
(Hoheslied 8,6)
Arden hatte etwas sehr Wichtiges, das er Zoe mitteilen wollte; aber er hielt sich zurück und suchte sie erst spät am Morgen auf, da er wusste, dass sie die Ruhe nötig hatte. Als er nicht länger warten konnte, ging er die kurze Strecke zu ihrer Hütte hinüber und klopfte an ihre Tür. Er erhielt keine Antwort. Dann erblickte er Mara, die draussen Wäsche zum Trocknen aufhing. „Ruht Zoe noch?“
„Bis vor kurzem, ja. Jetzt ist sie unten am Wasserfall, Prinz Arden.“
„Ich danke dir, Mara.“ Als sich Arden dem Wasserfall näherte, konnte er Zoes Lachen hören. Er stand abseits in einiger Entfernung und sah ihr zu, wie sie mit Brogan spielte. Er bewunderte ihre Schönheit und Sanftheit. Als er auf sie zuging, liess sich plötzlich Edan neben ihm auf dem Boden nieder.
„Edan, mein Freund, es ist gut, dich heute Morgen zu sehen. Ich danke dir für deine Nachricht über Zoe. Sie ist gut hier angekommen, aber ich fürchte sehr, dass sie durch Crendor grossen Gefahren ausgesetzt ist.“
„Ja, ich habe bereits von dem Vorfall der letzten Nacht gehört, aber für den Augenblick ist sie hier in Sicherheit.“ Edan sah Arden genau an. „Aber was kann ich da in deinen Augen erkennen?“
Arden liess einen Augenblick verstreichen, tief in Gedanken versunken. „Es sind schon viele junge Frauen durch unser Land gekommen, aber keine von ihnen hat mein Herz so berührt wie Zoe. Erinnerst du dich noch an die Prophetie, die mir mein Vater gegeben hat?“
„Bitte, mein Freund, hilf meinem Gedächtnis nach.“
„Er sprach von einer jungen Frau, die in der Nacht kommen und Schutz suchen würde. Ich würde sie retten. Er erwähnte ihre ausgesuchte Schönheit. Weiter sagte er, sie würde auf einer Reise sein, und dass wir eine Zeit lang getrennt werden würden. Aber danach würden wir wieder vereint sein. Edan, als ich sie das erste Mal sah, fühlte ich mich sofort zu ihr hingezogen, und ich glaube, dass sie die Erfüllung dieser Prophetie ist. Ich habe sie wirklich letzte Nacht gerettet, sie ist eine seltene Schönheit, und sie befindet sich auf einer Reise. Aber das sind nicht die einzigen Gründe, weshalb ich das Gefühl habe, dass sie meine Braut wird – mein Herz sagt mir, dass sie die Richtige ist! Wie kann ich sie so bald wieder ziehen lassen, nachdem ich ihr nun endlich begegnet bin? Vor allem, wenn ihr Leben doch solchen Gefahren ausgesetzt ist.“
Edan streckte seine Schwingen für einen Moment und trat näher an Arden heran. „Ich habe von Feena erfahren, dass der König Zoe auf die Reise nach Remira gerufen hat. Sie muss gehen, Arden – es ist ihre Bestimmung. Sie wird verändert werden, und danach nur noch geeigneter sein, ihren Platz als Prinzessin einzunehmen, wenn sie wirklich die Richtige ist. Es wäre falsch, ihr diese Reise zu versagen. Wie du selbst sehr gut weisst, sind Glaube und Geduld nötig, um die Verheissungen des Königs zu empfangen. Wenn sie wirklich die Richtige ist, ist sie die Wartezeit wert, aber warten musst du auf jeden Fall.“
„Das macht es nicht gerade einfacher.“
„Arden, sie ist ein guter Schütze und hat bereits mehrere Kämpfe mit Kamaron überstanden. Sie ist eine starke Frau, auch wenn ihr das selbst noch nicht bewusst ist. Trotz der zusätzlichen Gefahr durch Crendor dürfen wir sie nicht von ihrer Reise nach Remira abhalten.“
Arden wusste, dass Edan Recht hatte. „Ich stimme dir zu. Aber ich muss mit ihr über die Gefahren sprechen, denen sie mit Sicherheit begegnen wird.“
Noch als er diese Worte sprach, tauchte Zoe plötzlich auf, dicht gefolgt von Brogan. Arden stockte bei ihrem Anblick der Atem.
„Guten Morgen, Prinz Arden und Edan.“ Sie knickste höflich. „Ich freue mich sehr, Euch zu sehen.“
Arden war überwältigt von der Eleganz ihrer Bewegungen, ihrer zarten Gestalt und ihrem vollen Haar, das sie ungehindert bis an ihre Taille umspielte. Er fürchtete, einen Narren aus sich zu machen, weil er seine Augen nicht von ihr abwenden konnte. Während er sie unverwandt anblickte, löste ihr liebliches Lächeln seltsame Dinge in seinem Herzen aus. Er war so gefesselt, dass er kein Wort über die Lippen brachte.
Edan durchbrach das Schweigen. „Auch wir sind froh, dich zu sehen. Du siehst heute Morgen blendend aus.“
„Danke, Edan. Das kommt von der wunderbaren Ruhe und dem Schwimmen vorhin. Solchen Frieden habe ich nicht mehr empfunden, seit ich mein eigenes kleines Häuschen verlassen habe.“
Sie fuhr fort: „Prinz Arden ist nicht nur mein Retter, sondern seine Gastfreundschaft hat mich auch zu neuem Leben erweckt.“ Ihre Augen begegneten sich, und Edan spürte, dass er in diesem Augenblick nur stören würde. Daher beschloss er, dass es an der Zeit war, sich zu verabschieden.
„Wir sind sehr froh, dass du nun ausgeruht bist, Zoe. Ich wollte mich noch von dir verabschieden, da ich einen dringenden Auftrag für Feena zu erledigen habe. Ich bin gewiss, dass sich unsere Wege bald wieder kreuzen werden.“
Ihre Augen spiegelten eine Sehnsucht wider, die Arden nur noch mehr faszinierte. „Ach, Feena fehlt mir so. Wir geht es ihr?“
„Ausgezeichnet und viel beschäftigt, wie immer.“
„Edan, bitte richte ihr ganz liebe Grüsse von mir aus, wenn du sie siehst. O, und vielen Dank, dass du Prinz Arden benachrichtigt hast, dass ich durch den Rundenwald kommen würde. Ich weiss gar nicht, was ich ohne all eure Hilfe getan hätte. Ich werde euch ewig dankbar sein.“
„Es war mir eine Ehre, helfen zu können, und ich werde dir auch in der Zukunft nach besten Kräften zur Seite stehen. Aber ich muss mich jetzt verabschieden. Zoe, dir noch eine wunderbare und sichere Reise.“ Mit diesen Worten flog er davon.
Mara rief nach Brogan, da sie etwas Besonderes zu essen für ihn zubereitet hatte, so dass Zoe und Arden mit einem Mal allein waren.
„Vergebt mir, Zoe, wenn ich Euch anstarre, aber ich bin überwältigt von Eurer Schönheit.“
Zoe errötete und schlug die Augen nieder. „Ich danke Euch, Prinz Arden“, stammelte sie verlegen, da sie es nie für möglich gehalten hatte, dass sie in den Augen eines anderen schön oder wichtig sein könnte.
Arden lächelte und berührte sanft ihre Wange. „Würdet Ihr ein Stück mit mir durch den Wald gehen, damit wir über einige Dinge sprechen können?“
„Ja, das würde ich gerne tun.“
Arden war sich nicht sicher, wo er anfangen sollte, weil so viel auf seinem Herzen lag, das er Zoe mitteilen wollte. „Edan hat mir erzählt, dass Ihr auf der Reise nach Remira seid.“
„Das stimmt, und bisher ist es eine fantastische Reise gewesen. Ich wollte Abenteuer erleben, und ich habe sie bekommen! Sie war gewiss das Beste, aber auch das Schwierigste, was ich jemals unternommen habe. Aber bereits jetzt hat sich die ganze Anstrengung auf jeden Fall gelohnt.“
Arden lächelte wissend. „Ich habe die Reise selbst vor zwei Jahren gemacht, unmittelbar nach dem Tod meiner Mutter.“
Zoe war nicht überrascht. „Mara hat mir von Eurer Mutter erzählt. Ich bedauere ihren vorzeitigen Tod sehr.“
„Ich danke Euch, Zoe. Es war die härteste Zeit, die ich gefühlsmässig jemals durchgestanden habe. Der Schmerz lässt allmählich etwas nach, aber sie fehlt mir immer noch sehr.“
Zoe blickte ihn an, als könnte sie seinen Schmerz verstehen. „Ich hatte schon vermutet, dass Ihr die Reise nach Remira unternommen habt, Prinz Arden. Ihr habt nicht nur hervorragende Fähigkeiten als Anführer, Ihr seid auch mitfühlend und weise, weit über Eure Jahre hinaus. Als ich heute Morgen über Euch nachdachte, kam ich zu der Überzeugung, dass nur die enorme Anstrengung und intensive Erfahrung der Reise nach Remira in einem so jungen Mann solche Charakterstärke hervorbringen konnten.“
„Einundzwanzig ist wohl jung, aber ich musste schneller erwachsen werden als die meisten meiner Altersgenossen, da ich in unserem R...