Im Dialog mit dem Körper
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Im Dialog mit dem Körper

Mit Focusing und Achtsamkeit die Selbstheilungskräfte aktivieren

  1. 216 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Im Dialog mit dem Körper

Mit Focusing und Achtsamkeit die Selbstheilungskräfte aktivieren

Über dieses Buch

Wenn wir krank werden, gibt es ein im Körper spürbares Wissen über den Weg zur Gesundheit. Das Focusing ist bestens dafür geeignet, dieses dem Verstand zunächst verborgene Wissen in Sprache zu übersetzen und damit die Selbstheilung anzuregen.Die erfahrene Psychologische Psychotherapeutin, Achtsamkeitspionierin und Focusing-Ausbilderin Susanne Kersig gibt praktische Anleitungen, wie man: Körpersymptome in Sprache oder Bilder übersetzen und deren überraschende, lebensförderliche Bedeutung erfahren, mithilfe von Gedanken, Gefühlen und Verhalten die Selbstheilungskräfte unterstützen, den ganz eigenen Weg zur Gesundheit finden und Achtsamkeit in den medizinischen oder therapeutischen Alltag integrieren kann.Das Buch bringt komplexe Themen aus der Mind-Body-Medizin fundiert, lebendig und anschaulich auf den Punkt. Es verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse, praxistaugliche Übungsanleitungen und bewegende Fallbeispiele.Material zum Buch im Arbor Online-CenterGeführte Meditationen und ein Gesundheitsplan sind über einen Link im Buch zum Download verfügbar.

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Kapitel 1

Selbstverantwortung und Patientenkompetenz

»You can go your own way!« sang die Band Fleetwood Mac in den 70er Jahren. Den eigenen Weg gehen – gilt das auch für unsere Rolle als Patien­tinnen und Patienten? Sollten wir uns bei medizinischen Entscheidungen nicht einfach denjenigen anvertrauen, die ein langes Studium absolviert haben und schließlich ExpertInnen auf diesem Gebiet sind? Oder sollten wir uns vielleicht auch einmal fragen, wer letztendlich die Verantwortung für unsere Gesundheit trägt? Im ÄrztIn-PatientIn-Verhältnis hat sich in Hinblick auf diese Fragen in den letzten Jahrzehnten einiges verändert.
Als junge Psychologin arbeitete ich Mitte der 80er Jahre in einer Rehabilitationsklinik in einem winzigen Dorf im Schwarzwald. Zu uns kamen PatientInnen mit orthopädischen und internistischen Problemen sowie mit Augenerkrankungen. Ich war offen gestanden zunächst schockiert darüber, wie sich viele PatientInnen in der Sprechstunde darstellten: Sie erwarteten, von unserem Team behandelt, therapiert und am besten täglich massiert zu werden, ohne etwas an ihrem – aus meiner Sicht häufig krankmachenden – Lebensstil verändern zu wollen. Eines Tages hielt ich in Anwesenheit meines Chefs, eines freundlichen, aber etwas ­ängstlichen Internisten, eine flammende Rede und bat die ­PatientInnen darum, die Klinik nicht wie eine Kfz-Werkstatt zu betrachten, nicht wie einen Ort, an dem man herumliegen kann, um sich Medikamente einträufeln und passiv therapieren zu lassen. Mein Chef kräuselte während meiner Ansprache zunächst die Stirn und warf mir zunehmend böse Blicke zu, die mir zu verstehen gaben, ich möge mit diesem Unsinn bitte umgehend aufhören. Im anschließenden Gespräch mit ihm begriff ich, dass er nicht nur Angst davor hatte, ich könnte unsere Patienten mit meiner norddeutschen Direktheit vor den Kopf stoßen, sondern dass er sich mündige Patienten gar nicht unbedingt wünschte!
Mittlerweile befinden wir uns in der Gestaltung der ÄrztIn-PatientIn-Beziehung an einem Wendepunkt. Über Jahrhunderte hinweg sollten PatientInnen nur passiv sein und den Anweisungen ihres – meist männlichen–Arztes möglichst Folge leisten, ohne viel nachzufragen. Noch in den 60er Jahren wurden den PatientInnen Diagnosen zum Teil nicht mitgeteilt, oder sie wurden nur unzureichend über ihre Erkrankung informiert. Diese Haltung prägt unsere Gesellschaft immer noch tief. Nicht selten geben wir auch heute noch die Verantwortung für unsere Genesung blind an die behandelnden ÄrztInnen ab.
Warum aber ist es so entscheidend, dass wir sie selbst übernehmen?
Eine ÄrztIn kann uns mit medizinischen Informationen und messbaren Parametern versorgen, sie kann aber unseren Körper nicht von innen fühlen. Sie kennt weder unsere Lebenssituation noch unsere inneren Konflikte. Letztendlich können nur wir die Bedeutung unserer Symptomatik finden, nur wir können unseren Lebensstil in Richtung Gesundheit verändern. Die Ärztin oder der Arzt kann uns darin begleiten und unterstützen.
Des Weiteren ist die Datenlage in der Medizin ist nicht so gesichert, wie es von außen erscheinen mag. Aus verschiedenen Gründen musste ich selbst wegen der Behandlung meiner Schilddrüsen-Unterfunktion mehrmals die ÄrztIn wechseln. Die erste Ärztin diagnostizierte vor ca. 22 Jahren bei mir Hashimoto-Thyreoiditis, eine Autoimmun-Erkrankung, bei der sich die Schilddrüse selbst zerstört. Diese Erkrankung sei ­chronisch, ich müsse damit leben, bräuchte mir aber keine Gedanken darüber zu machen, da man sie mithilfe von Schilddrüsen-Hormonen gut in den Griff bekäme. Ich nahm und nehme die empfohlenen Hormone bis heute ein. Zehn Jahre später zog ich aus Süddeutschland nach Hamburg. Dort suchte ich erneut einen Spezialisten auf, um meine Schilddrüse kontrollieren zu lassen. Dieser Professor erläuterte mir, dass ich nie eine Hashimoto-Thyreoiditis gehabt hätte, die Datenlage sei eindeutig. Ich fühlte mich erleichtert. Als ich auf Anraten einer Heilpraktikerin Jahre später doch noch einmal abklären wollte, ob ich denn nun eine Hashimoto-Thyreoiditis habe oder nicht, konsultierte ich einen weiteren, sehr erfahrenen Endokrinologen. Dieser Facharzt sagte nach Auswertung aller Ergebnisse, er könne mir nicht sagen, ob ich diese Erkrankung hätte, vielleicht sei sie auch ausgeheilt, es sei aber auch egal, denn es würde an der Therapie nichts ändern. Nachdem dieser Spezialist eine astronomisch hohe Rechnung ausgestellt hatte, ging ich bei der nächsten fälligen Kontrolle der Schilddrüse zu einer mir von verschiedenen Seiten empfohlenen Endokrinologin. Diese kam zu dem Schluss: »Sie haben eindeutig eine Hashimoto-Thyreoiditis. Diese Erkrankung kann nicht ausheilen, sie ist chronisch.« Sie verordnete zusätzlich zu den Schilddrüsen-Hormonen die Einnahme von Selen und empfahl mir ein Buch über Leben mit Hashimoto-Thyreoiditis.
Vier ÄrztInnen, drei Meinungen. Diese verwirrenden Ergebnisse liegen meiner Ansicht nach nicht an der Inkompetenz der von mir aufgesuchten Fachleute – es waren alles erfahrene und angesehene VertreterInnen ihres Faches –, sondern daran, dass die Fakten in der Medizin eben häufig nicht so eindeutig sind, wie wir sie gerne hätten. Dies betrifft nicht nur die Diagnosen, sondern auch die Therapien. »Man glaubt es kaum, aber die meisten medizinischen Behandlungsmethoden können sich nicht auf wirklich gutes quantitatives Belegmaterial berufen,« so der angesehene Medizinprofessor und Direktor des Stanford Prevention Research Centers, John Ioannidis (Freedman 2010). Viele Studien, die in ­renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, werden zum Beispiel kurze Zeit später von anderen, weiteren Studien zur gleichen Frage widerlegt.
Hinzu kommt, dass nicht alle medizinischen Empfehlungen ausschließlich zum Wohle der PatientInnen getroffen werden. Kliniken und Praxisbetreiber stehen mittlerweile unter einem großen Druck, hohe Renditen zu erzielen. So wird in Deutschland wesentlich häufiger operiert als in anderen Ländern. Einer Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zufolge gibt es bei uns zum Beispiel jährlich 70 000 Schilddrüsenoperationen, wobei bei 90 Prozent der Eingriffe keine bösartigen Veränderungen vorliegen. Auch seien 70 Prozent der Verordnungen für Magensäureblocker, die zu den am häufigsten verordneten Medikamenten zählen, medizinisch nicht notwendig (IGES 2019).
Darüber hinaus sind ÄrztInnen immer wieder gezwungen, Interventionen anzuordnen, die ihnen selbst nicht sinnvoll erscheinen, um sich gegen Schadensersatz-Prozesse abzusichern. Obwohl zum Beispiel mehr als 20.000 AmerikanerInnen im Jahr an krankenhausbedingten Infektionen sterben und Intensivstationen in dieser Hinsicht am gefährlichsten sind, kann es sein, dass ein behandelnder Arzt die Verlegung dorthin anordnen muss, auch wenn sie ihm im Einzelfall nicht richtig erscheint. Nur so kann er sich vor möglichen Rechtsansprüchen klagender Angehöriger absichern. Prof. Gerd Gigerenzer spricht von einer tickenden Zeitbombe im Gesundheitssystem und meint damit den drohenden Vertrauensverlust von Patienten angesichts ärztlicher Entscheidungen, die nur dem Selbstschutz vor Klagen oder dem eigenen Profit dienen und nicht das Patientenwohl als oberste Prämisse haben (Gigerenzer 2013).
Angesichts dieser Gründe macht es zutiefst Sinn, dass wir die Verantwortung für die eigene Gesundheit nicht blind abgeben, sondern selbst übernehmen. Das bedeutet, dass wir uns bei weitreichenden medizinischen Maßnahmen umfassend informieren, vielleicht auch eine zweite Meinung einholen, bevor wir eine Therapieentscheidung verantwortlich treffen. Besonders bei chronischen Erkrankungen bedarf es der aktiven Übernahme von Verantwortung von Betroffenen und den Mut, den eigenen Weg zu gehen, manchmal eben auch gegen ärztlichen Rat oder gegen drängende Angehörige, indem wir unserer inneren Überzeugung und dem inneren Körperwissen treu bleiben. Studien über PatientInnen, die entgegen aller ärztlichen Prognosen ihre Krebserkrankung besiegt haben, ergaben, dass sie allesamt für ihre Gesundheit selbst Verantwortung übernommen haben, natürlich nicht ohne medizinischen Rat (Turner 2015).
Dabei muss man als betroffene Person damit rechnen, vom medizinischen Fachpersonal nicht immer freundlich behandelt zu werden, wenn man die Kontrolle über die eigene Genesung selbst übernimmt. Der amerikanische Psychoonkologe Lawrence LeShan schrieb in seinem lesenswerten Buch Diagnose Krebs, Wendepunkt und Neubeginn (LeShan 1993), dass er sich oft Sorgen um seine PatientInnen machte, wenn er sie in der Klinik besuchte und das Personal ihn besonders freundlich empfing. Er schlussfolgerte daraus, dass sein Patient oder seine Patientin angepasst ist. Wurde er hingegen vom Personal eher grimmig begrüßt, weil ein(e) PatientIn sich aufmüpfig verhielt, freute er sich, denn so wusste er, dass diese(r) auf dem Wege der Besserung war.
PatientInnen sind heute wesentlich aufgeklärter und selbstverantwortlicher, und möchten, dass ihnen MedizinerInnen partnerschaftlicher begegnen als noch vor einigen Jahrzehnten. Vielleicht wird ja der Begriff »Patient«, lateinisch »geduldig, aushaltend, ertragend«, eines Tages durch das passendere Wort »Agent«, also jemand, der handelt, ersetzt – das wünscht sich Harald Walach, der ehemalige Leiter des Instituts für transkulturelle Gesundheitswissenschaften an der Europa-Universität Viadrina. (Walach 2011)
»Die Kraft des Arztes liegt im Patienten«, erkannte Paracelsus bereits im 16. Jahrhundert. Medikamente und Operationen können den Heilungsprozess unterstützen und anregen. Letztendlich findet er aber im Körper und Geist der Betroffenen statt, mithilfe ihrer Fähigkeit zur Selbstheilung. Um als PatientInnen die eigene Kompetenz und Verantwortung voll ausschöpfen und wirklich das Steuer in die Hand nehmen zu können, brauchen wir neben einer guten fachlich-medizinischen Begleitung auch Wissen und Methoden, um die Sprache unseres ­Inneren Arztes / unserer Inneren Heilerin zu verstehen und zu nutzen. Dieses Wissen möchte ich Ihnen in dem vorliegenden Buch an die Hand geben.

Kapitel 2

Grundlage des Körperdialogs: Das Focusing

Eugene Gendlin, der Begründer der Selbsthilfemethode des Focusings, ist ein 1926 in Österreich geborener und 2017 in den USA verstorbener Philosoph und Psychotherapeut, der in New York lebte, schrieb, therapierte und unterrichtete. Faszinierend waren für mich seine Augen: Wach, lebendig, warm und eine Tiefe ausstrahlend. Wenn er sprach, wirkte es häufig auf mich so, als kämen seine Worte nicht aus dem Vorratsspeicher seines Gedächtnisses, sondern als würden sie in diesem Moment völlig frisch aus seiner Intuition und seinem jetzigen Erleben geformt. Sprache mit ihren Worten, Vorstellungen und Konzepten hat ja oft die Eigenschaft, die Welt in ihre Einzelteile zu zerlegen und zu trennen. Nicht so bei Gendlin. Sprach er, empfand man beim Zuhören ein tiefes Gefühl von Verbundenheit. Es war so, als kämen seine Worte aus einer tieferen Schicht seines Bewusstseins, in dem alle Dinge eins sind und in Verbindung miteinander stehen.
Als junger Mann arbeitete er in Chicago an einem Forschungsprojekt von Carl Rogers mit, dem Begründer der Klientenzentrierten Psychotherapie. Die Fragestellung des Projektes war: Was wirkt eigentlich in einer Psychotherapie? Um diese Frage zu beantworten, nahm man ­tausende Therapiesitzungen unterschiedlicher Richtungen und verschiedener TherapeutInnen auf Tonband auf und wertete sie aus. Dabei machte Gendlin eine erstaunliche Entdeckung: Ob eine Klientin oder ein Klient mit der Therapie Erfolg haben würde oder nicht, hing gar nicht so sehr von der gewählten Psychotherapie-Methode oder von der Persönlichkeit des Therapeuten bzw. der Therapeutin ab, wie man vielleicht vermuten würde, sondern in erster Linie von den Betroffenen selbst! An der Art, wie sie ihr Problem in der ersten Sitzung vortrugen, konnte man zuverlässig vorhersagen, ob die Therapie zu den gewünschten Veränderungen führen würde oder nicht. KlientInnen, die beim Sprechen auch manchmal innehielten, seufzten, stammelten, nach einem Wort rangen, Menschen also, bei denen die Sprache mit dem Körper verbunden war, zeigten im Laufe des therapeutischen Prozesses die gewünschten Veränderungen. Redete aber eine Person ohne sichtbare emotionale Beteiligung über ihr Problem, hatte sie später auch nicht den gewünschten Therapieerfolg.
Was machten denn nun »erfolgreiche« KlientInnen anders als die Nicht-Erfolgreichen? Offenbar spürten sie in ihren Körper hinein, während sie sprachen. Sprache und inneres Erleben waren also miteinander verbunden.
Gendlin untersuchte dieses Phänomen umfassend und bildete es in einer Methode ab, die er Focusing nannte. Es handelt sich beim Focusing demnach nicht um etwas vollständig Neues, sondern das Focusing systematisiert nur einen Prozess, den wir alle kennen, wenn wir eine Einsicht haben, die nicht nur kognitiv ist, sondern uns verändert. Ein Aha-­Erlebnis, eine körperlich gefühlte Erkenntnis, die uns aufatmen lässt, die unser Lebensgefühl erweitert und uns anders handeln lässt als zuvor. Wie kommt es nun zu einem derartigen Aha-Effekt?
Gendlin hat diesen organismischen Prozess in sechs Schritten abgebildet, um ihn als Methode lehrbar zu machen. Wir brauchen dafür zunächst ein Thema, eine Fragestellung. Das Thema könnte z. B. sein: Was hindert mich daran, gesund zu werden?

Die sechs Schritte im Focusing

  1. Zu Beginn des Prozesses schaffen wir Freiraum, um genügend Abstand zu haben, damit etwas Neues passieren kann (vgl. Kapitel 7).
  2. Der Felt Sense: Nun lassen wir das Thema auf uns wirken und achten darauf, wie es sich in unserem Körper anfühlt, welche körperlich gefühlte Resonanz es auslöst. Diese Resonanz, z. B. ein mulmiges Gefühl im Bauch, wird Felt Sense genannt. In ihr steckt die ganze Bedeutung, die ein Thema für uns hat. Verweilen wir bei ihr mit absichtsloser Aufmerksamkeit, entfaltet sich von alleine der Sinngehalt des Themas. Es entstehen Bilder, Worte, Gefühle oder Gesten, die unser inneres Erleben ausdrücken und bewusst machen. Passen diese Symbolisierungen des Felt Sense, dann spüren wir, dass durch sie eine Veränderung des Bauchgefühls geschieht: Es wird entweder stärker, nimmt ab oder verwandelt sich in ein anderes Empfinden...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Vorwort zur Neuausgabe
  6. Einführung
  7. Kapitel 1
  8. Kapitel 2
  9. Kapitel 3
  10. Kapitel 4
  11. Kapitel 5
  12. Kapitel 6
  13. Kapitel 7
  14. Kapitel 8
  15. Kapitel 9
  16. Kapitel 10
  17. Anhang