
- 622 Seiten
- German
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eBook - ePub
Hans im Glück
Über dieses Buch
Um den Bevormundungen und strengen Regeln seiner christlichen Familie zu entkommen, zieht der junge Däne Per Sidenius im späten 19. Jahrhundert nach Kopenhagen, um dort zu studieren. Er träumt davon, mithilfe eines großen Wasserprojektes das Land zu revolutionieren. Doch die Finanzierung ist schwierig, kaum jemand glaubt an Pers revolutionäre Idee. Doch dann lernt Per die hübsche Jakobe, Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie kennen, und verliebt sich in sie. Wird sich das Blatt für Per wenden?
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Information
Thema
LiteraturAchtzehntes Kapitel
Als Per am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich nicht wohl. Er schlief häufig unruhig. Diese Nacht hatte er die Decken abgeworfen und gefroren.
Wie er sich im Bett aufrichtete, durchfuhr seine Brust ein stechender Schmerz. Da bekam er Angst. Den Schmerz kannte er. Es war derselbe, der ihn schon mehrfach auf seiner Reise beunruhigt hatte, das letztemal in Wien nach den anstrengenden Bootsfahrten auf der Donau. Weil er den ausländischen Ärzten mißtraute und vielleicht auch aus einer gewissen Scheu, die Wahrheit zu hören, hatte er sich bislang nicht untersuchen lassen. Nun aber war es höchste Zeit. Er läutete nach dem Stubenmädchen und ließ einen der bekanntesten Krankenhausoberärzte Kopenhagens rufen.
Nach einigen Stunden kam der Arzt. In seiner Einsamkeit hatte Per genug Zeit, sich in die Vorstellung hineinzuphantasieren, diese sich wiederholenden und jedesmal heftiger auftretenden Schmerzen seien die Vorboten des Todes.
Sterben – schon jetzt? Mit vierundzwanzig Jahren? Er hatte sein Lebenswerk noch nicht vollbracht, ja nicht einmal begonnen! Das war doch sinnlos, vollkommen unlogisch wie das Leben überhaupt.
Ja, den Standpunkt vertrat er schon längst nicht mehr, daß man übermütig mit seiner Gesundheit Schindluder treiben durfte und dem Tode trotzen konnte, in der Einbildung, das Leben könne nicht auf einen verzichten, weil seine Fähigkeiten und Kräfte zur Aufrechterhaltung und Förderung des Vaterlandes vonnöten seien. Nun wußte er, daß die Natur reich genug war, um verschwenderisch sein zu können, daß viel fähigere Menschen ins Grab gegangen waren, ohne sich entfalten zu können. Der Knochenmann bat nicht um Erlaubnis. Wie die Sonne Gerechte wie Ungerechte beschien, so griff er, der Mann der Nacht mit den leeren Augenhöhlen, blindlings nach Berufenen und Unberufenen, ohne die mindeste Rücksicht auf den Nutzen zu nehmen.
Per empfand nicht länger ein abgrundtiefes Grauen bei dem Gedanken an die Vernichtung. Wie er so dalag in dem großen Prachtbett unter einer farbenstrahlenden Seidendecke und sich auf sein Todesurteil vorbereitete, war er verhältnismäßig ruhig und gefaßt. Sogar wenn er keine Schmerzen hatte, gab es Augenblicke, da er sich in seiner Müdigkeit fast mit dem Gedanken aussöhnte, diese Welt zu verlassen und von den unnützen Kümmernissen des Lebens befreit zu werden. Der Lärm der Fuhrwerke, der vom Markt heraufdrang, das Geklingel der Straßenbahn, die Vorstellung, erneut mit dummen und frechen Spekulanten verhandeln zu müssen – das alles erfüllte ihn in diesen Augenblicken mit unsäglichem Ekel.
Je länger er jedoch wartete, desto schwerer wurde, es ihm, sein Unbehagen zu unterdrücken. Ein quälendes Gefühl des Verlassenseins erfaßte ihn und trieb ihm den kalten Schweiß aus dem Körper. Wie furchtbar, hier liegen und sterben zu müssen, ohne einen Menschen um sich zu haben!
Um die trüben Gedanken zu zerstreuen, wollte er lesen.
Am Vortag hatte er die Bücher ausgepackt, die er von seiner Reise mitgebracht hatte: vor allem große kostbare technische Werke. Darunter waren aber auch Schriften allgemeinbildenden Inhalts, die er während des langen Winteraufenthalts in Dresack angeschafft und später in Rom vermehrt hatte.
Von diesen letzten suchte er sich eine Sammlung griechischer und lateinischer Philosophen aus in deutscher Übersetzung, ein Buch, das ihn schon einmal unter ähnlichen Umständen getröstet hatte.
Er war jedoch noch nicht weit mit der Lektüre gekommen, als der Arzt eintrat. Es war ein kleiner graubärtiger Mann, der sich ohne viele Worte auf einen Stuhl vor das Bett setzte. Nachdem er Per einige Fragen gestellt hatte, klopfte er ihm Brust und Rücken ab.
Dann sagte er: »Mit den Lungen soll bei Ihnen etwas nicht in Ordnung sein? Das glaube ich eigentlich nicht. Es sind ja die reinsten Blasebälge! … Wo fühlen Sie die Schmerzen vor allem?«
Per zeigte auf eine Stelle auf der rechten Seite des Körpers, ungefähr bei der untersten Rippe.
»Ist es da? Aber vorhin meinten Sie doch, es sei mehr hier, auf der linken Seite.«
»Ja, der Schmerz wechselt.«
»Aha – hm. Tut es jetzt weh, wenn ich – so – hier draufdrücke?«
»Nein, das kann ich nicht behaupten.«
»Sie spüren nichts Besonderes?«
»Nein.«
»Vielleicht haben Sie gar keine Schmerzen mehr?«
Per mußte gestehen, daß das quälende, beklemmende Gefühl in der Brust und der Bauchgegend jetzt fast verschwunden war. Nun konnte er wieder tief einatmen, ohne daß er dabei Stiche hatte.
Der Doktor erwiderte nichts, untersuchte aber auch den Unterleib und die Beine. »Mit Ihren Lungen ist, weiß Gott, nichts in Unordnung«, wiederholte er, als er fertig war. »Wünschen Sie sich bloß nicht, die gegen andere einzutauschen. Aber Ihre Muskulatur ist ein bißchen schlaff. Das Herz könnte auch schneller schlagen. Erzählen Sie mir doch mal, wie Ihre tägliche Lebensweise ist. Treiben Sie Gymnastik? Duschen Sie jeden Morgen kalt? – Ja, das sollten Sie aber! Und dann Hantelübungen! Es gibt nichts Besseres als ein paar kräftige Armbewegungen mit 20-Pfund-Gewichten bei nüchternem Magen. Sehen Sie zu, daß Sie Ihr geehrtes Blut etwas flotter zirkulieren lassen. Weiter scheint Ihnen offensichtlich nichts zu fehlen. Aber das ist in Ihrem Alter auch schon mehr als genug. Bleiben Sie jetzt ein paar Tage liegen und versuchen Sie, Ihre Nerven wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Ich kann Ihnen überhaupt nicht genug empfehlen, ein bißchen mehr auf sich aufzupassen. Denn trotz Ihres unbedingt männlichen Körpers neigen Sie anscheinend zu – ja, wie soll ich es mit einem anständigen Wort bezeichnen –, na, zu solchen kleinen Unpäßlichkeiten wie heute morgen. An und für sich ist die Sache leicht zu erklären. Erst mal waren Sie auf einer drei- bis viertägigen Eisenbahnfahrt, während der Sie weder ordentlichen Schlaf noch vernünftige Mahlzeiten bekommen haben, und sind so richtig durchgeschüttelt worden. Dann hatten Sie – wie Sie selbst bemerkten – allerlei Geschäfte mit viel Unruhe wahrzunehmen und waren außerdem auch noch auf Gesellschaften. Das alles ist eine vollkommen ausreichende Erklärung, da wir ja alle hier oben eine ziemlich schwache Konstitution haben, auch wenn Sie selbst zu den kräftigen Typen gehören.«
Bei den letzten Worten hatte er ein eigenartiges böses Funkeln in den kleinen, etwas schielenden Augen. Per hörte ihm kaum noch zu. Nachdem er Gewißheit erlangt hatte, daß er nicht lungenkrank war, fühlte er sich ganz wohl und wünschte nichts sehnlicher, als den redseligen Mann loszuwerden.
Als der Arzt gegangen war, stand er sogleich auf. Mit erneuertem Lebensgefühl schritt er summend im Zimmer auf und ab und kleidete sich an. Dann frühstückte er mit recht gutem Appetit und setzte sich an seinen Arbeitstisch. Plötzlich war wieder Schaffensdrang in ihm erwacht. Er nahm seine Zeichnungen vor, auch die Zeichengeräte, die Tabellen und die anderen Hilfsmittel. Jetzt Volldampf voraus! Full steam!
Als er alles für die Arbeit geordnet hatte, entdeckte er das Buch, in dem er gelesen hatte, ehe der Doktor kam. Er hatte es vorhin auf den Tisch geworfen, zwischen die Zeichenrollen. Nun konnte er es nicht lassen, noch einmal hineinzusehen, bevor er es weglegte. An der Stelle, wo er gelesen hatte, war ein Zeichen. Es war Platons Bericht über jene freimütige Unterhaltung, die Sokrates mit seinen Schülern über den Tod geführt hat, unmittelbar vor der Hinrichtung des großen Lehrers. Pers Blick fiel auf den Abschnitt, wo Sokrates von dem Körper als von dem schweren klebrigen Teig spricht, mit dem die Seele zusammengeknetet wurde und der die Ursache dafür ist, daß die Menschen niemals auf befriedigende Weise in Besitz dessen gelangen, wonach sie streben, soweit dies nicht das Niedrige und Unedle ist.
»Denn der Körper verursacht uns tausenderlei Unbequemlichkeiten. Er erfüllt uns mit Liebesgelüsten und Begierden, mit Besorgnissen und mancherlei Trugbildern und vielen Kindereien … Um den Besitz von Geld und Gut nämlich entstehen alle Kriege. Geld und Gut aber müssen wir uns erwerben um des Körpers willen, dessen Pflege wir besorgen müssen. Wenn er uns auch einige Muße läßt und wir uns anschicken, etwas zu untersuchen, so kommt er uns bei den Untersuchungen wieder in die Quere, stört und verwirrt uns und bringt uns aus der Fassung, so daß wir seinetwegen die Wahrheit nicht erkennen können … Und solange wir leben, werden wir, wie es scheint, nur dann dem Wissen am nächsten sein, wenn wir sowenig wie möglich mit dem Leibe zu schaffen haben und nur, wo es unbedingt nötig ist, in Gemeinschaft mit ihm treten, und wenn wir uns nicht mit seiner Natur anfüllen …«
Per ließ das Buch sinken und sah eine Weile sinnend mit zusammengezogenen Brauen vor sich hin. Seltsam! dachte er. Diese Worte, vier Jahrhunderte vor Christi Geburt geäußert, waren ja wie aus einem christlichen Andachtsbuch abgeschrieben!
Er las die Seite zu Ende und auch die nächste Seite und noch eine … Er konnte nicht wieder aufhören. Das tiefsinnige Spiel der Phantasie mit dem Übernatürlichen versetzte sein innerstes, verborgenstes Seelenleben in Schwingungen. – Der Vormittag war schon fast vorbei, ehe er zu seinen Zeichengeräten und Tabellen griff.
Aber er hatte an diesem Tag nicht mehr Glück mit seiner Arbeit als am vorhergehenden. Früher hatte er kein Stückchen Karte sehen können, ohne von Arbeitsfieber erfaßt zu werden. Ja, die Schwierigkeit hatte bei ihm vor allem darin bestanden, mit Umsicht unter seinen wimmelnden Einfällen auszuwählen, die bei der Arbeit unablässig wie Knospen emporschossen. Jetzt fiel es ihm schwer, sich auf das vor ihm liegende Papier zu konzentrieren. Alle möglichen Dinge, die ihn gar nichts angingen, jeder Ruf auf der Straße, jedes Klingeln im Hotel störte und zerstreute ihn.
Wie am Vortag endete es schließlich damit, daß er in krankhafter Erregung das ganze Projekt für verfehlt hielt und in düsterer, hoffnungsloser Verzweiflung sitzen blieb, die Hände vor dem Gesicht.
Da fiel ihm Professor Pfefferkorn aus Berlin ein, der sich während seines dortigen Aufenthalts so angelegentlich für ihn interessiert hatte. Per hatte ihm seinerzeit auf dessen Wunsch hin einen schriftlichen Bericht über seine Ideen zugeschickt. Als Dank dafür hatte ihm der Professor einen längeren Brief geschrieben. Diesen suchte er jetzt unter seinen Papieren hervor.
» … Was erstens Ihren hydraulischen Motor betrifft, möchte ich mich darüber mit Vorsicht äußern. Hiermit haben Sie einen ganz neuen Weg eingeschlagen; da ist es nur natürlich, daß der erste Schritt unsicher ist. Übrigens, bei einer unserer Unterhaltungen habe ich wohl erwähnt, daß man in Amerika ähnliche Versuche gemacht hat und dort unablässig an der Lösung dieser wirklich gewaltigen, lockenden Aufgabe arbeitet, sogar die unerschöpfbare Kraft des Ozeans an das Gängelband menschlicher Klugheit zu legen. Es ehrt Sie, daß auch Sie von diesem Gedanken gepackt sind. Ob allerdings der Weg, den Sie angegeben haben, zum Ziel führen kann, darüber möchte ich mich – wie gesagt – nicht äußern. Hingegen bin ich der Ansicht, da ich mich nun sehr aufmerksam in Ihr neues System zur Regulierung der Windmotoren vertieft habe, daß Sie hier einen glücklichen Einfall gehabt haben. Der Gedanke mit der eingeschobenen Gewichtsstange und vor allem die Methode für das Ausgleichen spricht mich an. Sie haben hier auf Dinge verwiesen, die außerordentliche Beachtung verdienen. Daß gerade Sie die entscheidende und endliche Lösung dieses großen, schwierigen Problems gefunden haben, das von ungeheurer Bedeutung für alle an Gebirgen und Flüssen armen Länder ist, glauben Sie natürlich selbst nicht. Die Regel, daß Vollkommenheit nur durch unendlich viele kleine Verbesserungen erreicht wird, gilt auf keinem Gebiet mehr als auf dem technischen. Sie werden sich sicher nicht mit den bereits gewonnenen Erkenntnissen zufriedengeben. Ich werde Ihnen stets mit Interesse in Ihrer Entwicklung folgen, soweit die Umstände es mir gestatten. Vor allem sehe ich mit gespannter Erwartung den Ergebnissen Ihrer ständigen Bemühungen auf den hier berührten Gebieten entgegen. Über Ihre reichen Anlagen sind Sie sich ja selbst nicht in Zweifel. Bestimmt werden Sie es weit bringen, wenn es Ihnen mehr als bisher gelingt, Ihren erstaunlich offenen Blick für die großen Zusammenhänge der Dinge mit der Vertiefung ins Detail zu verbinden, die man in der Jugend gern unterschätzt, worauf aber in Wirklichkeit der weite Überblick beruht. Ich meine mich zu erinnern, daß es Ihre Absicht war, auf Ihrer Studienreise auch Nordamerika zu besuchen. Das ist sicher sehr empfehlenswert. Dort werden Sie besser als irgendwo sonst Gelegenheit haben, Ihre Erfahrungen auf dem rein praktischen Gebiet zu vervollkommnen. – Und ich meine hiermit eigentlich nicht ausschließlich die Technik. Auch auf anderen Gebieten sind wir die Lehrlinge der Neuen Welt geworden. In diesem Land der bedeutenden Erfindungen werden Sie vor allem lernen können, daß gewaltige Wirkungen sehr oft mit scheinbar recht unansehnlichen Mitteln erreicht worden sind.«
Dieser alte halbvergessene Brief, der nichts für Per bedeutet hatte, weil er ihm nicht anerkennend genug erschienen war, richtete nun sein Selbstvertrauen wieder auf. Außerdem ließ er den Entschluß in ihm reifen, endlich seine unterbrochene Studienreise fortzusetzen. Er wollte deshalb wiederum die Weiterführung seiner Geschäfte in Ivans Hände legen, und vor allem wollte er es ihm völlig überlassen, mögliche neue Verhandlungen mit den Börsenspekulanten aufzunehmen. Per wollte in aller Stille abreisen – und diesmal direkt nach Amerika. Es hatte keinen Zweck, sich noch einmal der Gefahr auszusetzen, den Verlockungen der Alten Welt zu erliegen.
Nachmittags fuhr er hinaus nach »Skovbakken«, um mit Jakobe hierüber zu sprechen. Sie war im Garten, als er kam. Sie saß auf einer Bank im Sonnenschein neben dem Pavillon.
Obgleich sie Pers Stimme von der Terrasse her sehr wohl gehört hatte, blieb sie ruhig sitzen und gab auch durch keinen Zuruf zu erkennen, wo sie war. Als er sie endlich fand, reichte sie ihm nur ihre Wange zum Kuß, obwohl er ihren Mund gesucht hatte. Sie brachte es auch nicht über sich, ihm für die mitgebrachten Blumen zu danken, zumal sie deutlich merkte, daß er es erwartete.
Den ganzen Tag über war sie in einem erzwungenen, angestrengten traumähnlichen Zustand umhergegangen und hatte sich bemüht, zu vergessen, was vorgefallen war. Sie liebte sonst stets die Klarheit; doch in ihrem Verhältnis zu Per fing sie an, auch auf die Weise sich selbst untreu zu werden, daß sie soweit wie möglich vor der Wahrheit die Augen verschloß, wo ihr Liebesglück bedroht war. Wie jemand, der aus süßen Träumen erwacht ist und sich auf die andere Seite legt, in der Hoffnung, weiterträumen zu können, gab sie sich sogar mit einer Art Wollust ihrem Selbstbetrug hin.
Per konnte sich nicht sofort überwinden, ihr zu erzählen, daß sie sich schon wieder trennen müßten. Überhaupt war es ihm nicht leichtgefallen, den Entschluß zum Aufbruch zu fassen. Er war des unsteten Wanderlebens müde, und die Tatsache, daß er sich nur schwer in den fremden Sprachen ausdrücken konnte, von denen das Deutsche ihm noch am einfachsten vorkam, trug das Seine zu seiner Reiseunlust bei. Außerdem tat es ihm leid, Jakobe gerade jetzt verlassen zu müssen, da sie sich endlich in voller Aufrichtigkeit und gegenseitigem Verständnis gefunden hatten. Doch es half nichts – es mußte sein.
Zu Anfang war er zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um die Veränderung in Jakobes Wesen zu bemerken. Doch wie er nun neben ihr auf der Bank saß und überlegte, wie er sie am besten vorbereiten könne, bemerkte er, daß sie hastig etwas von ihrer Wange wischte, so als verscheuche sie mit der Hand eine Fliege. Aber Per hatte Zeit gehabt, zu entdecken, daß es eine Träne war.
Er war ganz verstört. Noch niemals hatte er sie weinen sehen.
»Aber – Liebste!« drang er in sie. »Was ist geschehen? Hast du Kummer?«
»Nein, es ist nichts … Es ist nur Nervosität«, erwiderte sie und schob seinen Arm von sich, als er ihn um ihre Hüfte legen wollte.
»Ist dir vielleicht nicht gut?«
»O doch, mir fehlt nichts. Wie ich dir sage: es hat nichts zu bedeuten … Wollen wir nicht ein bißchen spazierengehen. Mich friert.«
Sie stand schnell auf. – Seine Fürsorglichkeit war ihr peinlich. Sie gingen zum Strand hinunter. Jetzt fiel es Per plötzlich auf, wie elend sie aussah und wie vergrämt. – Und er schwankte wieder, ob er reisen sollte.
Mitten in seinem Mißmut kam ihm ein verlockender Gedanke. Wie ein einziger Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht, plötzlich eine weite Landschaft verwandeln kann, so vergoldete ihm diese Idee im Nu das Dasein. Jakobe konnte ja mitkommen! Sie würden heiraten und dann vor Gott und aller Welt zusammen abreisen. – Daß er nicht eher daran gedacht hatte! Die Unannehmlichkeiten der Reise, das öde Hotelleben, die Einsamkeit – alles, was ihn bisher mutlos gemacht hatte, verwandelte sich plötzlich in Lust und Freude. Aus Erfahrung wußte er ja, was für eine vorzügliche Reisegefährtin Jakobe war, unerschrocken, anspruchslos, mütterlich besorgt – und dazu bewandert in allen fremden Sprachen.
»Jakobe! Jakobe!« Er blieb mitten auf dem Gartenweg stehen, und ehe sie es verhindern konnte, hatte er die Arme um sie geschlungen. Und nun bekannte er ihr alles, was er seit gestern durchlebt und durchlitten hatte und welche Pläne er für sie beide geschmiedet hatte.
Jakobe ging eine Zeitlang schweigend weiter, den Kopf an seine Schulter gelehnt, in einer Art glücklicher Selbstbetäubung, die ihr das Blut aus Wangen und Lippen sog. Sie wußte genau, daß sie ihn weder begleiten konnte noc...
Inhaltsverzeichnis
- Titel
- Kolophon
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- Siebentes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- Zehntes Kapitel
- Elftes Kapitel
- Zwölftes Kapitel
- Dreizehntes Kapitel
- Vierzehntes Kapitel
- Fünfzehntes Kapitel
- Sechzehntes Kapitel
- Siebzehntes Kapitel
- Achtzehntes Kapitel
- Neunzehntes Kapitel
- Zwanzigstes Kapitel
- Einundzwanzigstes Kapitel
- Zweiundzwanzigstes Kapitel
- Dreiundzwanzigstes Kapitel
- Vierunzwanzigstes Kapitel
- Fünfundzwanzigstes Kapitel
- Sechsundzwanzigstes Kapitel
- Siebenundzwanzigstes Kapitel
- Achtundzwanzigstes Kapitel
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