1.1 Typ- 1-Diabetes mellitus
Fallbeispiel: Die 14-jährige Gymnasiastin wird abends von ihren Eltern in die Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht. Dem behandelnden Arzt berichtet sie, dass es ihr schon seit einigen Tagen immer schlechter ginge; eine ausführliche Anamnese war aufgrund des schlechten Zustands der Patientin nicht möglich. Die Eltern berichten, dass Bauchschmerzen, Übelkeit und körperliche Schwäche der Tochter im Verlauf des Tages so schlimm geworden seien, dass sie nun mit einer Untersuchung nicht mehr hätten warten können. Die Eltern berichten zudem, dass sie festgestellt hätten, dass die Tochter seit kurzem ungewöhnlich müde und seit dem späten Nachmittag kaum noch ansprechbar gewesen sei. Die Sprache sei zunehmend unverständlich geworden. In den Tagen zuvor habe sie ungewöhnlich großen Durst gehabt, habe viel getrunken und habe dementsprechend oft die Toilette aufsuchen müssen. Außerdem habe die Tochter in den letzten Wochen Gewicht abgenommen, was ihnen Sorge bereite, worüber die Tochter aber sehr froh sei, da sie nun endlich ihr Traumgewicht erreicht habe. Während der Anamnese muss die Patientin wieder dringend zur Toilette, zu der sie von einer Pflegekraft begleitet werden muss.
Der Arzt ordnet einen Blutzuckertest an und eine Untersuchung des Urins auf Eiweiße, Ketone sowie ein großes Blutbild. Im Gespräch mit der Patientin bemerkt der Arzt einen auffälligen Mundgeruch nach Azeton. Aufgrund der beschriebenen Symptome hat der Arzt schon direkt den Verdacht auf einen Diabetes, der durch das Ergebnis des Blutzuckertests untermauert wird. Das Testgerät zeigt keinen Wert mehr an, sondern das Wort „high“.
Der Arzt legt einen venösen Zugang und eine Infusion mit Flüssigkeit und einem Insulinperfusor an. Anschließend wird sie zur Überwachung auf die Intensivstation gebracht. Am nächsten Morgen ist sie deutlich wacher und ansprechbar. Sie hat Hunger und der große Durst ist verschwunden. Der Allgemeinzustand hat sich soweit verbessert, dass sie nach weiteren 3 Tagen auf eine Allgemeinstation verlegt werden kann. Inzwischen liegen die Laborergebnisse vor: der Blutzuckerwert lag am Aufnahmetag bei 725 mg/dl, die Ketone bei 3,8 mmol/l, der pH-Wert war bei 7,04, der HbA1c-Wert lag bei 14,8 %. Die Verdachtsdiagnose „Diabetes mellitus“ wird damit bestätigt. Spätere Antikörperbestimmungen sichern die Diagnose „Typ-1-Diabetes“. Die Pflegekraft spritzt ihr vor dem Frühstück Insulin subkutan und kündigt dabei an, dass am Vormittag der Arzt mit ihr sprechen werde und auch eine Diabetesberaterin zu ihr kommen werde, um das weitere Vorgehen mit ihr zu besprechen. Als die Eltern kommen, sind diese sehr erleichtert, dass es ihrer Tochter schon wieder so gut geht. Im Arztgespräch wird der Patientin die Diagnose mitgeteilt und das weitere Vorgehen besprochen. Sie werde auf Insulin eingestellt und um mit der Erkrankung zukünftig bestmöglich umzugehen, wird sie in ein Fachkrankenhaus verlegt, in der sie und ihre Eltern lernen werden, was die Krankheit Diabetes eigentlich ist und wie man sie selbst behandeln kann. Der Arzt betont, dass er froh ist über die schnelle Besserung des Gesundheitszustands, dass sie aber nun eine Krankheit habe, die nicht heilbar sei, dass aber alles getan werde, ihr den Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern. Er sagt, Diabetes sei eine gut behandelbare Erkrankung und er zeigt sich zuversichtlich, dass sie es schaffen werde, gut mit der Erkrankung leben zu lernen. Es wäre wünschenswert, wenn auch die Eltern an der Schulung teilnehmen könnten, da sie ihre Tochter gerade in der ersten Zeit unterstützen sollten und auch im Weiteren die ganze Familie vom Diabetes betroffen sei.
Ein halbes Jahr später stellt sich die Patientin erneut bei ihrem ambulanten Diabetologen vor und erzählt voll Stolz, dass sie sich getraut habe, zum ersten Mal seit der Diagnose bei einer Freundin zu übernachten und dass alles gut gegangen sei. Die Gewichtszunahme, die kurz nach der Manifestation wiedereingesetzt habe, bereite ihr Probleme, da sie sich damit nicht ganz wohl fühle. Das Gewicht sei aber seit einem Vierteljahr stabil.
1.1.1 Symptomatik und klinisches Bild
Der Typ-1-Diabetes mellitus ist gekennzeichnet durch eine progrediente Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen in den Langerhansschen Inseln des Pankreas. Dies führt innerhalb kürzester Zeit zu einem kompletten Untergang der Insulinproduktion. Bereits mit der Diagnosestellung sind mehr als 80 % der Betazellen des Pankreas zerstört, so dass es zu einem Anstieg des Blutzuckers kommt. Der Typ-1-Diabetes tritt bevorzugt im jüngeren Lebensalter auf, kann sich jedoch auch im späteren Lebensalter manifestieren. Typischerweise lassen sich beim Typ-1-Diabetes, dessen Hauptursache eine Autoimmunität ist, Antikörper nachweisen [1]. Zu diesen gehören: Inselzellantikörper, Insulin-Auto-Antikörper (bevorzugt im Kindes- und Adoleszentenalter, selten bei Erwachsenen), Auto-Antikörper gegen die Glutamat-Decarboxylase (GAD65A), Auto-Antikörper gegen Tyrosin-Phosphatase und Auto-Antikörper gegen den Zink-Transporter 8 der B-Zelle.
Es gibt jedoch auch einen idiopathischen Typ-1-Diabetes mellitus. Patienten mit idiopathischem Typ-1-Diabetes mellitus haben einen permanenten Insulinmangel, neigen zu wiederholten Episoden einer Ketoazidose (Stoffwechselübersäuerung (Azidose) durch die vermehrte Bildung von Ketonkörpern) und sind Auto-Antikörper-negativ. Diese Form des Typ-1-Diabetes ist mit hoher Penetranz vererbbar, tritt sehr selten und überwiegend bei Patienten mit asiatischem oder afrikanischem Hintergrund auf [2].
Patienten mit einem Typ-1-Diabetes haben oft dramatische Symptome, die zur Vorstellung beim Arzt führen. Zu diesen zählen: massiver Durst, häufiges und besonders auch nächtliches Wasserlassen, Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit und Konzentrationsstörungen. Bei einer massiven Entgleisung führt dies zur Ketoazidose, die eine intensivstationäre Behandlung nach sich zieht [3].
Die Definition des Typ-1-Diabetes schließt auch Patienten ein, die zunächst klinisch häufig als Typ-2-Diabetes diagnostiziert werden und dann entweder bei der Diagnosestellung oder erst einige Jahre später auf Grund eines positiven Insel-Auto-Antikörpers als LADA bezeichnet werden. LADA steht für „Latent Autoimmune Diabetes in adults“. Der Begriff LADA ist keine eigenständige diagnostische Entität. Patienten mit LADA findet man etwa dreimal häufiger als klassische Patienten mit Typ-1-Diabetes im mittleren Lebensalter [4].
1.1.2 Prävalenz und Epidemiologie
Laut dem aktuellen Diabetesatlas der International Diabetes Federation (IDF) aus dem Jahre 2017 liegt Deutschland mit einer Anzahl von 7,5 Millionen Menschen mit Diabetes mellitus an zweiter Stelle in Europa und im internationalen Vergleich an neunter Stelle. Die meisten Betroffenen sind an einem Typ-2-Diabetes erkrankt. Darüber hinaus ist von einer Dunkelziffer von mindestens 2 Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland auszugehen. Im Gegensatz zum Typ-2-Diabetes erkranken vorwiegend Kinder und Jugendliche an Typ-1-Diabetes. Laut den neuesten Schätzungen im Rahmen des nationalen Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut besteht deutschlandweit bei etwa 32.000 Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ein Typ-1-Diabetes. Dies entspricht einer Prävalenz von 236 pro 100.000 Personen. Die Inzidenz des Typ-1-Diabetes liegt bei etwa 2.200 Neuerkrankungen pro Jahr und ist in Deutschland daher viel höher als in anderen europäischen Ländern [5].
Hinsichtlich der Lebenserwartung bei Typ-1-Diabetes sind in den letzten Jahren international deutliche Verbesserungen festzustellen. In den Studien vor 1971 lag das relative Mortalitätsrisiko für Menschen mit Typ-1-Diabetes im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung bei etwa 6. Nach 1990 ging das relative Risiko auf 3 zurück. Bis zu einem Lebensalter von 30 Jahren versterben die meisten Patienten durch akute Komplikationen wie einer Ketoazidose und als Folge einer Hypoglykämie. Ab dem 30. Lebensjahr waren kardiovaskuläre Todesursachen am häufigsten zu verzeichnen. Im zunehmenden Lebensalter geht die Mortalität dann weiter zurück. Es kann also davon ausgegangen werden, dass sich die Lebenserwartung bei Typ-1-Diabetes auch in Deutschland auf Grund der verbesserten Betreuung und Therapie in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat [5].
1.1.3 Definition und Klassifikation
Derzeit werden bei der Erkrank...