V. WAHRE UND ANDERE
HERRSCHER*INNEN
14 Kaiserin hinter dem Vorhang
Pinyin Cixi
(1835-1908)
Stellen Sie sich vor im Hamburger Hafen erschiene eines Tages ein chinesisches Kriegsschiff und forderte die Bevölkerung auf, den Hafen zu räumen. Das geschieht und die Okkupanten lassen dann zu, dass das ganze Land mit einer bislang unbekannten Droge überschwemmt wird. Ein Großteil der Bevölkerung befindet sich danach in einem anhaltenden Rauschzustand und die Besatzungsmacht nutzt dies zu weiteren Eroberungen. Die deutsche Regierung würde sich selbstverständlich dagegen verwahren und die Droge vermutlich verbieten, es würde den Chinesen mit Waffengewalt und Anschlägen der Weg versperrt werden, doch unser Land wäre sicherlich unterlegen. Man würde das chinesische Botschaftspersonal in Geiselhaft nehmen und die Truppen der Ostasiaten marschierten dann auf Berlin zu, befreiten ihre Landsleute und zerstörten das Brandenburger Tor, den Dom, das neu errichtete Schloss und anderes und zögen mit eroberter Kunst irgendwann wieder ab. Ziemlich unvorstellbar?
Ganz ähnlich aber trug es sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts umgekehrt in China während der Opiumkriege zu und die Besatzer waren immer wieder europäische Mächte, zuletzt auch Deutschland.
In diesen für China so schweren Zeiten spielte eine Frau die Schlüsselrolle in dem alten Kaiserreich.
Pinyin Cixi wurde 1835 als Tochter eines kaiserlichen Beamten geboren. Die Familie war angesehen, kam aber schon bald in große Schwierigkeiten, weil der Kaiser den verstorbenen ehemaligen Schatzmeister und Urgroßvater Cixis für verschwundene Millionensummen verantwortlich machte. Kurzerhand inhaftierte man dann eben den Großvater. Tag für Tag saß da wohl der Vater mit sorgenvollem Gesicht und überlegte, wie er denn an die Kaution zu dessen Freilassung kommen könne. Cixi beteiligte sich mit nützlichen Ratschlägen und schließlich war der Opa frei. Das veranlasste den Vater zu Lobeshymnen: „Diese Tochter ist mehr wie ein Sohn!“ Er verschaffte ihr Einblick in Staatsangelegenheiten, die eigentlich für Mädchen tabu waren. Ein lebenslanges Interesse war geprägt.
Inzwischen war ein neuer junger Kaiser an der Macht und der war auf der Suche nach einer passenden Gemahlin. Zur Sicherstellung der Nachkommenschaft wurden gleich noch elf Nebenfrauen und zahlreiche Konkubinen hinzugenommen, ausgesucht aus den vornehmsten Mandschu-Familien des Landes. Es wurden Mädchen gewählt, die soeben erst geschlechtsreif geworden waren. Es war in dieser Suchphase pauschal allen solchen Jungfrauen schlichtweg verboten, schon eine Ehe einzugehen, denn es könnte doch sein, dass sie erwählt sein würden, sicher ein Traum oder auch Albtraum. Die Auswahl geschah in der Regel durch die Witwe des verstorbenen Kaisers gemeinsam mit zahlreichen Hofbeamten. Erst dann wurden sie auch dem zukünftigen Gatten vorgeführt.
Pinyin kam in die engere Wahl. Alle Mädchen mussten nun auf Mauleselkarren, die auf zwei großen Rädern herbeiholperten – eine ziemlich ungemütliche Art des Reisens – in die „Verbotene Stadt“ gebracht werden.
Dieser rechteckige 720.000 m2große Bereich in Peking, so groß also wie hundert Fußballfelder, wurde im 15. Jahrhundert mit etlichen Palastanlagen errichtet. Dort lebte nur ein zeugungsfähiger Mann, der Kaiser nämlich und mit ihm 3000 Eunuchen, zumeist zwangskastrierte Kriegsgefangene. Dazu die Frauen, Nebenfrauen, Zofen und Putzfrauen. Wie der Name schon andeutet, war es jedwedem normalen Einwohner strengstens verboten, die Tore zu diesem geheiligten Bereich zu durchschreiten. Er sollte dem gottgleichen Kaiser vorbehalten sein, der das Prinzip des Yang, des Himmels auf Erden spiegelte, während seine Frau das Ying mitbrachte, die Erde dem Himmel zu. Die Dächer leuchteten in Gold, weil ihre Ziegel mit einer speziellen, geheim gehaltenen Farbe gebrannt waren.
Die große Schar der Jungfrauen rollte nun am Abend vor dem sehr speziellen Casting ein und musste die ganze Nacht noch hinter den blauen Vorhängen ihrer Eselskarren ausharren.
Die engere Auswahl der geeigneten Frauen erfolgte vor allem nach Charakter, Anmut und guten Sitten. Die etwa 16jährige Cixi stach wohl hervor, weil ihr nicht wie vielen anderen Mädchen als Kind schon die Füße gebrochen worden waren, um sie im Wachstum klein zu halten, vielleicht wurde sie auch wegen ihres schönen Mundes, des bezaubernden Lächelns oder aber wegen ihrer so strahlenden Augen auserwählt. Später haben so manche diese Augen eher als bedrohlich und stechend empfunden.
Dem Kaiser hat sie damals gefallen, so dass sie zwar nicht Kaiserin aber doch Nebenfrau im 5. Rang wurde.
China war in diesen Jahren in erheblichen Schwierigkeiten. Neben den eingangs erwähnten Opiumkriegen war es zu Aufständen gekommen und der junge Kaiser in ziemlicher Not. Da erdreistete sich die Nebenfrau, ihn zu beraten, in der Meinung, sie könnte ebenso helfen wie einst ihrem Vater. Das aber war gegen alle Regel und Xianfeng ließ sogar extra eine testamentarische Klausel verfassen, dass diese Frau bei seinem möglichen Tod zu beseitigen sei.
Nach zwei Jahren aber erhörte er sie doch, eher auf die traditionelle Weise und ließ sie wie üblich nackt eingehüllt in eine Seidendecke zu sich tragen. Jede sexuelle Begegnung des Kaisers wurde im Übrigen nicht nur notiert, sondern auch überwacht. Und, welch Glück, sie wurde schwanger und dann, großes Glück, gebar sie dem jungen Kaiser den ersten und einzig überlebenden Sohn Zaichun. Damit war Pinyin die allererste Nebenfrau neben der Kaiserin Zhen, die ihr im allgemeinen wohlgesonnen war und hieß nun Yi Guifei – „edle kaiserliche Gemahlin“. Sie durfte in zauberhafte Gemächer ziehen, mit den kaiserlichen Pekinesen spielen, sticken oder Aquarelle malen, wofür sie auch Begabung hatte. Ihre Karriere aber hatte erst begonnen und das Erstaunlichste stand noch bevor.
Zunächst kam es sehr schlimm mit dem Kaiserreich. Im zweiten Opiumkrieg besetzen die Engländer die Hauptstadt und der Kaiser musste fliehen. Cixi kam mit, was ihre größte Schmach zeitlebens blieb. Dass die Feinde dann auch noch den Sommerpalast plünderten und niederbrannten, gab dem Kaiser wohl den Rest und er verfiel zusehends. Aber wer sollte Nachfolger werden? Der Kaiser hatte noch niemanden bestimmt. Es musste nicht automatisch der Sohn sein, sondern wurde mit einem sehr besonderem Ritual bestimmt, notiert und in ein Kistchen eingeschlossen. Ein einflussreicher Hofbeamter machte es sich schon auf dem Thron bequem und hatte sich auf dem kaiserlichen Porzellan Essen servieren lassen. Cixi hatte es mit Empörung beobachtet. Ein solch ungeheurer Verstoß gegen die Etikette ließ ihn bald tief stürzen. Eigentlich hatte Cixi kaum eine Möglichkeit, zum totgeweihten Kaiser vorgelassen zu werden. Es gelang ihr dann mit dem mittlerweile 4jährigem Sohn auf dem Arm aber doch, in das Sterbezimmer zu kommen. Im Angesicht seines Sohnes hauchte der Sterbende dann zweimal dessen Namen und rief ihn vor reichlich Zeugen zum Nachfolger aus, bestimmte wohl auch, dass eben Cixi die Regentschaft übernehmen solle.
Damit war sie 1861 die faktische Herrscherin in China, einem Reich, in dem ein Drittel der damaligen Menschheit lebte, allerdings von allen Seiten bedroht und besetzt. Ihre Stellung war auch von innen her angefochten. Es gelang ihr jedoch auf Umwegen, ihre Macht zu erhalten und sie etablierte eine „Herrschaft hinter dem Vorhang“, bei der offiziell ihr Sohn regierte, sie ihm aber aus dem Hintergrund einflüsterte, was er zu tun habe. Diese Regierungsweise entwickelte sie zum Prinzip, das sie mehrfach wiederholte und so immer selbst Regentin blieb, weil die eigentlichen Kaiser auch an verschiedenen Umständen starben. Ganz offenbar nutzte Cixi geschickt ein Machtvakuum und lenkte auf diese Weise 47 Jahre lang die Geschicke Chinas. Damit bereitete sie in etwa schon den Übergang von der Monarchie auf die Republik vor.
Ihre Regierung konnte aufgrund der äußeren Bedingungen aber kaum erfolgreich sein. Auch war sie selbst zwiegespalten zwischen Tradition und der Erkenntnis notwendiger Reformen. Von beiden Kräften und ihren Fraktionen bedrängt, entschied sie einmal mehr in dieser, dann wieder in die andere Richtung. Das Land war weder militärisch noch wirtschaftlich den europäischen Alliierten gewachsen. Beispielsweise rissen Aufständische die soeben gebauten Eisenbahnlinien wieder aus dem Boden, weil dadurch Lastenträger überflüssig wurden. China wurde immer mehr zu einer Kolonie der europäischen Großmächte und verlor den Anschluss an die moderne Entwicklung.
Im sogenannten „Boxeraufstand“30 provozierten traditionelle Kräfte durch ein Kidnapping europäischer Botschafter mehrere Länder, u.a. auch Deutschland, einen neuen Krieg gegen China zu beginnen. Ein willkommener Vorwand, das Land restlos zu unterwerfen. Es kam dann auch zu Kämpfen in der Nähe der verbotenen Stadt. Die Kaiserin, inzwischen im Rentenalter, erwies sich im Krieg als völlig ungeeignet und beschwerte sich nur, dass sie aufgrund des Lärms nicht gut schlafen könne. Es müsse jetzt mit den Kämpfen ein Ende nehmen.
Auf Abbildungen erscheint Cixi nun wenig attraktiv, dabei aber immer noch eitel wie ein alter Buddha, wie sie über sich selbst meinte. Im Westen wurde sie als „Hexe aus dem fernen Osten“ verteufelt. Das wird ihr sicher nicht gerecht. Selbst ihre Tagebücher wurden von europäischen Journalisten gefälscht, um die Hexenthese zu untermauern.
Aber sie litt sicher an einem gewissen Realitätsverlust. Statt sich um eine Reform des Landes zu kümmern, beschäftigte sie sich mit dem Wiederaufbau des Sommerpalastes aus Marmor. Nun stand sie wirklich zwischen allen Stühlen. Als dann auch noch Kugeln in den Palast einschlugen, war der Nimbus der verbotenen Stadt für immer zerstört. Cixi floh ein weiteres Mal, getarnt als gewöhnliche Chinesin. Der Palast lag nun offen vor den ausländischen Truppen. Die hielten nicht an sich vor chinesischen Heiligtümern, sondern plünderten mit großem Eifer und machten aus diesem Zentrum chinesischer Kultur eine Kaserne. Es gibt Darstellungen von Soldaten, die auf dem Goldenen Thron sitzen. Der Schmerz sitzt tief und begleitet die Chinesen bis heute. Man muss sich vor Augen halten, dass diese größte Palastanlage der Welt gewissermaßen einen eigenen Kosmos darstellte. Für traditionelle Chinesen war der Bezirk etwas Übersinnliches, direkt mit dem Himmel verbunden, durch sich ewig wiederholende Rituale Zeugnis einer gänzlich alltagsfernen Welt. Nach der Flucht von Cixi ging all das mit einem Schlag verloren.
Sie selbst lebte noch einige Jahre und setzte einen weiteren Neffen als Marionettenkaiser ein. Ihre Nachfolge trat er aber dann nicht an, sondern starb auf obskure Weise durch Arsen am Tag vor ihrem eigenen Tod. Sie selbst soll eine Influenza gehabt haben. An ihrem letzten Lebenstag setzte sie noch einen letzten Kindkaiser ein, erst zwei Jahre alt, bekannt durch den Film „Der letzte Kaiser“. Dessen Macht aber ging zwischen den Kriegen völlig zugrunde. Schon bald kam es zur Revolution.
So endete das chinesische Kaisertum mit einer Frau, die eigentlich eben keine Kaiserin war, sondern im Wesentlichen Witwe und Mutter von Kaisern. Machtinstinkt und Geschick hatte sie in jedem Fall: eine recht begabte Politikerin steckte in dieser Frau. Es gelang ihr aber nicht, das Kaisertum zu retten und das chinesische Reich vor Elend zu bewahren, zu verhaftet war sie in der alten Tradition.
30 Die Boxer waren eine Sekte, die sich sehr stark für die traditionelle Linie einsetzten und alle Ausländer aus dem Land werfen wollten.
15 Das gefährliche Leben der
Königin von Münster
Engelle Kerkerinck
(ca. 1517 – 1555)
„Schwarz – Münster – Paderborn“, so hieß es vor nicht allzu langer Zeit in Bezug auf die große Katholizität jener Städte. Als ich 1980 in ein Zimmer in Münster einziehen wollte, schränkte der Vermieter noch ein, dass ich ja zwar „vom ande...