Kapitel 1: Mittwoch, 15:34 Uhr
„Detektivbüro Fender, guten Tag.“
„Hallo Fender, hier ist Jan. Jan Friese.“
„Jan! Was für eine Überraschung. Schön, von dir zu hören!“
„Alma Diaz ist tot.“
„Wie bitte?“
Ich hatte Jan Friese vor ein paar Jahren bei einer Opernpremiere kennengelernt. Damals hatte er noch eine Agentur für Sänger. Wir waren in Kontakt geblieben, aber ich hatte jetzt schon eine ganze Weile nichts mehr von ihm gehört. Vielleicht lag das daran, dass er inzwischen Direktor der Semperoper in Dresden und deshalb meistens ziemlich im Stress war.
„Fender, du musst mir helfen“, sagte er. „Du bist doch noch
Detektiv, oder?“
„Klar, aber …“
„Kannst du herkommen? Nach Dresden?“
„Langsam, Jan, was ist los? Was ist mit Alma Diaz?“
„Sie wurde ermordet. Hier, in der Oper. Heute Vormittag hat man sie gefunden.“
„Das ist ja schrecklich!“
Alma Diaz war einer der großen Stars der Opernwelt. Ich hatte sie schon in verschiedenen großen Rollen gesehen. Ich konnte gar nicht fassen, dass sie tot war.
„Du musst ihren Mörder finden.“
„Jan, ich glaube nicht, dass das ein Fall für mich ist. Die Polizei …“
„Natürlich, die Polizei ist schon hier. Das ist eine große Sache.“
„Und wie soll ich dir da helfen?“
„Fender – schneller als die Polizei … Das sagst du doch immer, oder?“
Das stimmte, das war wirklich meine Werbung. So stand es auch auf meiner Webseite:
„Im Internet kann man schon die ersten Artikel lesen“, sagte Jan. „Heute Abend ist die ganze Sache im Fernsehen, morgen in allen großen Zeitungen. Die Polizei wird den Täter sicher finden, aber wann? Es muss jetzt schnell gehen. Am Samstag ist die Premiere von ‚La Traviata‘. Das Publikum läuft uns davon, wenn der Mord nicht schnell aufgeklärt wird.“
„Wann ist es denn passiert?“, fragte ich.
„Gestern Abend nach der Probe. Und in drei Tagen … Was mache ich denn jetzt ohne meinen Star?“
„Und gefunden wurde sie heute?“
„Ja, heute Morgen, als die Bühnenarbeiter kamen, war Alma auf der Bühne. Die Arbeiter haben zuerst gar nicht gemerkt, dass sie tot ist. Die waren bloß sauer, dass sie sie bei der Arbeit stört. … Ach Gott, es ist so schrecklich.“
„Jan, ich würde dir wirklich gerne helfen. Aber ich habe einen größeren Auftrag hier in Wien. Den kann ich nicht absagen.
Übermorgen geht es los.“
„Also bleibt doch morgen.“
„Das ist ein Witz, oder?“
„Ich zahle das Doppelte von deinem normalen Preis.“
„Es geht nicht ums Geld. Man fängt einen Mörder nicht an einem einzigen Tag.“
„Und wenn ich alle Verdächtigen in die Oper bringe und du kommst einfach nur her und befragst sie?“, fragte Jan.
„Alle Verdächtigen, wie soll denn das gehen?“
„Das lass meine Sorge sein.“
„Du meinst das ernst, oder?“
„Ja, klar. Also, wann kommst du?“
„Das ist völlig verrückt“, sagte ich. „Aber okay, wir können es versuchen …“
„Sehr gut, abgemacht. Ich buche dir ein Hotel in der Nähe der Oper. Sag mir, wann du ankommst, dann schicke ich dir ein Taxi zum Flughafen. Morgen hole ich dich um 9 Uhr vom Hotel ab.“
Ein Tag … Für diesen Auftrag brauchte ich auf jeden Fall Hilfe, also rief ich Julia an. Sie war Studentin und hatte mir bei zwei von meinen Fällen sehr geholfen. Seitdem erledigte sie immer wieder kleinere Arbeiten für mich, vor allem Recherchen. „Julia Kalman.“
„Hallo Julia, hier Fender. Haben Sie morgen Zeit?“
„Morgen … Hmm … Um was geht es denn?“
Ich erzählte ihr von dem Mord in Dresden.
„Ich weiß noch nicht viel über den Fall“, sagte ich dann. „Ich würde Sie morgen im Lauf des Tages anrufen, sobald ich Sie brauche. Wäre das okay?“
„Das sollte gehen. Ich muss für eine Prüfung lernen, aber ein bisschen Zeit für Recherchen habe ich sicher.“
„Vielen Dank! Ich melde mich dann.“
die Premiere: wenn eine Oper /ein Theaterstück zum ersten Mal gespielt wird
die Agentur: sucht Künstler z. B. für Opernhäuser oder Theater
ermorden, der Mörder: → S. 12
der Täter, der Mord, aufklären: → S. 12
La Traviata: berühmte Oper von Giuseppe Verdi
die Verdächtigen, befragen: → S. 12
Kapitel 2: Donnerstag, 8:58 Uhr
„Guten Morgen, Fender. Gut geschlafen?“, fragte Jan, als er mich am nächsten Morgen vom Hotel abholte, und reichte mir einen Kaffee.
„Geht so“, sagte ich und nahm dankbar den Becher.
Ich war viel zu früh aufgewacht, hatte die Zeit dann aber genutzt, um ein bisschen über Alma Diaz zu recherchieren.
Sie wurde in Santa Inés, einem kleinen Dorf in Argentinien, geboren und studierte dann später in der Hauptstadt Buenos Aires Musik. Ihr Talent wurde schnell von einem internationalen Agenten entdeckt.
„Du hast Diaz entdeckt und zum Star gemacht“, sagte ich zu Jan.
„Das habe ich gar nicht gewusst.“
„Ja, was für eine Stimme! Weltklasse! Das habe ich sofort gemerkt, als ich sie in dem kleinen Theater in Buenos Aires zum ersten Mal singen hörte.“
Jan bekam feuchte Augen. Wer weiß, dachte ich, vielleicht war da ja mehr gewesen als nur eine professionelle Beziehung?
„So, und jetzt musst du mir erklären, warum du schon alle Verdächtigen kennst“, sagte ich.
„Ganz einfach.“ Jan sah mich an. „Der Mord ist zwischen 23 und 24 Uhr passiert, sagt die Polizei. Zu dieser Zeit ist nur noch ein einziger Ausgang in der Oper geöffnet. Und dort gibt es eine Kamera.“
„Du weißt also, wer nach 23 Uhr das Haus verlassen hat.“
„Genau. Einer von ihnen muss der Mörder sein.“
„Langsam, Jan. Der Mörder könnte sich auch über Nacht in der Oper versteckt haben.“
„Das stimmt. Aber wir haben nur einen Tag Zeit. Wir müssen es so versuchen.“
Wir waren an der Oper und gingen hinein.
„Einverstanden“, sagte ich. „Und jetzt erzähl mir bitte, warum
Alma Diaz so spät noch auf der Bühne war.“
„Keine Ahnung. Die Probe war schon vorbei. Die Lichttechnikerin war wohl die Letzte, die sie lebend gesehen hat.“
„Was weißt du über Diaz? Hatte sie Probleme? Feinde?“
„Fender, sie war ein Weltstar – natürlich hatte sie Feinde.
Aber deshalb gleich ein Mord?“
„Nützt ihr Tod denn jemandem?“
„Alma hatte die wichtigste Rolle in ‚La Traviata‘: die ‚Violetta‘. Jetzt wird die Zweitbesetzung bei der Premiere singen.“
„Ist sie eine von deinen Verdächtigen?“
„Ja, du wirst sie gleich kennenlernen.“
Jan öffnete die Tür zum Opernsaal. In der ersten Reihe in der...