Der 'Willehalm'. Wolfram von Eschenbach antwortet seinen Kritikern
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Der 'Willehalm'. Wolfram von Eschenbach antwortet seinen Kritikern

  1. 164 Seiten
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Der 'Willehalm'. Wolfram von Eschenbach antwortet seinen Kritikern

Über dieses Buch

Wolfram von Eschenbach scheint sich mit dem Willehalmepos selbst zu widersprechen. In seinem Parzivalroman verbietet der Gral den Tempelrittern den Minnedienst. Das haben ihm Kritiker verübelt. Im Willehalmepos gibt Wolfram eine herausfordernde Antwort. Der Minnedienst von Willehalm für Giburg beherrscht das Geschehen.Willehalm muss eine Schlacht gegen den heidnischen König ­Tybalt führen, dessen Gemahlin Giburg er entführt und gehei­ratet hat. Mit Willehalms Sieg soll Gott zeigen, dass er diese Ehe segnet. Doch das christliche Heer wird vernichtend geschlagen. Trotzdem lehnt es Willehalm ab, sich von Giburg zu trennen.Parallel gewinnt die Geschichte vom heidnischen Königssohn Rennewart Bedeutung, der am französischen Königshof als Gefangener lebt. Da er sich weigert getauft zu werden, verbannt man ihn in die Küche. Willehalm gewinnt den ungewöhnlich starken Rennewart für seine zweite Schlacht gegen Tybalt und die Christen siegen.Wolfram von Eschenbach beendet das Willehalmepos mit einem offenen Schluss. Es endet sogar mitten in einem Satz. Margot Thiele versteht das als Herausforderung an das Publikum, den Schluss selbst zu suchen und sie findet im Text Hinweise, die es ermöglichen das Epos überzeugend zu Ende zu erzählen.

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Information

1. Eine rätselhafte Dichtung

Minneritter und Kreuzzug

Minne und Minnedienst waren ein literarisches Thema des Hochmittelalters. Im 12. Jahrhundert erfanden Troubadoure in Frankreich den Minnesang und verfassten Epen, die dem Minnedienst der Ritter einen hohen Stellenwert gaben. In dieser Dichtung bekam das erotische Verhältnis des Mannes zur Frau eine neue Wertung. „Die höfische Liebe […] ist ein Spiel, dessen Terrain nicht Verpflichtung und Schulden umfasst, sondern die Abenteuer der Freiheit.“ (Duby 1993: 48) Man glaubte in dieser Dichtung das Vorbild einer vollkommenen Lebensführung für die adelige Gesellschaft gefunden zu haben. Edle Ritter setzten im Kampf ihr Leben ein, um als Sieger die Dame ihres Begehrens zu gewinnen. Die große Anzahl der handschriftlichen Texte, die uns aus dieser Zeit noch zugänglich sind, zeugt von der damaligen Aktualität der Minnedichtung. Da diese Dichtung nicht mehr in lateinischer Sprache, sondern volkssprachlich verfasst wurde, war sie auch den Laien am Hofe zugänglich, wo sie mündlich vorgetragen wurde. Den Buchdruck gab es noch nicht.
Deutsche Dichter übernahmen Stoff und Form der französischen Epen und übertrugen sie ins Deutsche. Ihre Landsleute nahmen die Minnedichtung begeistert auf. Nur Wolfram von Eschenbach teilte die Begeisterung für den Minnedienst nicht, er lehnte in seinen Epen die hohe Bewertung des Minnedienstes ab. Im Parzivalroman arbeitet er heraus, dass Ritterkämpfe im Minnedienst nicht zu akzeptieren sind, weil sie schwere Verletzungen oder sogar den tödlichen Ausgang einkalkulieren. Das Minnedienstverbot des Grals wird in vielen Geschichten dem Minnedienst der Ritter gegenübergestellt. Wolfram arbeitet dabei heraus, wie unsinnig Kämpfe im Minnedienst sind.
Nachdem er den Parzivalroman geschrieben hat, erhält er vom Landgrafen Hermann von Thüringen einen neuen Auftrag. Er sollte ein chanson aus dem Zyklus La Bataille d‘Allicans (entstanden um 1185) ins Deutsche übertragen. In diesem französischen Heldenlied geht es um Kämpfe von Christen gegen Heiden, also um das Kreuzzugsthema.
Bei der Übertragung des Heldenliedes, das bei Wolfram nach der Hauptfigur „Willehalm“ heißt, übernimmt Wolfram die äußere Handlung und verändert wenig daran. „In der künstlerischen Durchformung und in der Sinngebung ist der ‚Willehalm‘ jedoch ein vollkommen neues Werk.“ (Bumke 1997: 236) Der Auftrag des Landgrafen bedeutet für Wolfram, dass er sich mit dem Thema Kreuzzug auseinandersetzten muss. Willehalm, der Held der Geschichte, lebte um 800 und hatte die Aufgabe, die Grenzen Frankreichs gegen Muslime zu schützen, die nach dem Verständnis des Mittelalters Heiden waren. Wolfram lebte um 1200. Zu dieser Zeit hatte die Kreuzzugsidee bereits an Anziehungskraft verloren. Die Kreuzzüge selbst hatten zum Umdenken geführt, da die Reiterzüge in den Orient für die westliche Gesellschaft eine Horizonterweiterung brachten. Im Kontakt mit der orientalischen Kultur kam es im Westen zur Auseinandersetzung mit der antiken und arabischen Philosophie. Dazu führte der Fernhandel zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Eine Folge dieser Entwicklung war:
Die Begegnung des Westens mit dem Osten, die Auseinandersetzung mit dem Fremden, den Andersgläubigen führte zu einer Revision des herkömmlichen negativen Heidenbildes. Die Heiden wurden nicht mehr ausschließlich als verdammungswürdige Ausgeburten der Hölle gesehen (wie etwa in den chansons de geste), sondern auch als Repräsentanten einer verfeinerten höfischen Kultur. (Greenfield und Miklautsch 1998: 30)
Vom Thema Kreuzzug hatte sich Wolfram im Parzivalroman bereits distanziert. Dort zieht Parzivals Vater Gahmuret nicht deshalb zu den Heiden, weil er das Heilige Land befreien will, sondern weil er für den mächtigsten Fürsten dieser Erde kämpfen will. Zu dieser Zeit ist das der Kalif Baruc von Baldac, der bei den Heiden die gleiche Macht besitzt wie der Papst bei den Christen. Ihm sind große Reiche untertan. Gahmuret hat als Zweitgeborener das Erbe des Vaters seinem älteren Bruder überlassen müssen und hofft nun, in Barucs Diensten selbst Reichtum zu gewinnen. Das gelingt ihm auch. Danach heiratet er die heidnische Königin Belakane und wird Herrscher in ihrem Land. Doch schon bald nach der Hochzeit verlässt er Land und Königin und heiratet die christliche Königin Herzeleide. Aus beiden Ehen gibt es einen Sohn. Belakane bringt Feirefiz zur Welt und Herzeleide Parzival, den späteren Helden des Epos. Parzivals Halbbruder ist somit ein Heide. Am Ende des Epos treffen beide Söhne Gahmurets aufeinander. Christ und Heide sind glücklich, sich als Brüder zu erkennen. Soweit hatte Wolfram seine Toleranz gegenüber den Heiden entwickelt. Die Frage ist: Wie wird er das Thema Kreuzzug im Willehalmepos gestalten, da es für ihn überholt ist und seiner Überzeugung nicht entspricht?
Für den neuen Auftrag des Landgrafen Hermann verändert er die Geschichte vom Markgrafen Willehalm, um sich sowohl mit dem Thema Kreuzzug als auch mit dem Thema Minnedienst zu beschäftigen. Es sind beides Themen, die für ihn im Parzivalroman schon abgeschlossen schienen. Im Willehalmepos nimmt er in 467 Versblöcken zu je dreißig Versen erneut Stellung zum Minnedienst. Warum tut er sich das an, und wohin führt diese selbstgestellte Herausforderung?
Obwohl im Willehalmepos zwei Schlachten gegen die Heiden ausgetragen werden, erfüllt es mit seiner vorrangigen Minnegeschichte nicht die Kriterien eines Heldenliedes. Es ist aber auch kein höfischer Roman, in dem es um Minne, höfische Erziehung und ritterliche Zweikämpfe geht. Auch weist das Epos nicht die Kriterien einer Heiligenlegende auf, obwohl Wolfram vom „heiligen Ritter Willehalm“ spricht, der im französischen Text „Comte Guillaume d‘Orange“ heißt. Diese historische Gestalt wurde im Jahre 1066 heiliggesprochen. Comte Guillaume starb 812 im Kloster Gellone, das er gegründet hatte. Zur Art seines Epos „Willehalm“ sagt Wolfram selbst:
5,1
diutscher rede deheine dirre, die ich nû meine, ir letze und ir beginnen. Schwerlich kommt ein deutsches Werk diesem gleich, mit dem ich jetzt beginnen will, seinem Ende, seinem Anfang
Was aber ist diese Dichtung? Greenfield und Miklautsch (1998) beantworten diese Frage folgendermaßen:
Dieses Werk ist vom genre her schwierig einzuordnen, weil es die gattungsspezifischen Grenzen der höfischen Literatur überschreitet aber auch, weil es ein Fragment ist. Das Willehalmepos ist sicherlich eine der rätselhaftesten Dichtungen des deutschen Hochmittelalters: Wolfram scheint in diesem Werk die Grenzen der höfischen Literatur überschritten zu haben, weil er bei der Bearbeitung dieses Stoffes auf der Suche war, nach einer Möglichkeit, die Probleme dieser Welt in einer Dichtung zu lösen. (270)
Im „Willehalm“ legt sich Wolfram schriftstellerisch auf keinen zeitgenössischen Stil fest. Er sucht Anleihen bei der Heiligenlegende und beim Rolandslied, dem damals in Deutschland bekanntesten Heldenlied. Er bezieht sich aber auch auf andere Werke zeitgenössischer Dichter. Zudem erwähnt er immer wieder Personenamen aus seinem Parzivalroman. Die Namen Anfortas, Feirefiz und Parzival tauchen auf, obwohl zu diesen Figuren im jeweiligen Geschehen nicht leicht ein Bezug herzustellen ist. Wolfram könnte mit diesen Namenshinweisen sein Publikum ermahnen, den Inhalt des Parzivalromans nicht aus dem Sinn zu verlieren. Es soll im Willehalmepos einen Unterschied und Widerspruch zu den Werten des Parzivalromans wahrnehmen.
In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, dem Rätsel auf die Spur zu kommen.

Rittertum im Parzivalroman und im Willehalmepos

Es scheint so, als vertrete Wolfram im Willehalmepos eine völlig gegensätzliche Einstellung zu den Werten des Rittertums, die er im Parzivalroman vertritt. Die Ziele der Handelnden im Willehalmepos sind weit von den Idealen entfernt, die Wolfram im Parzivalroman herausgearbeitet hat. Dort gewährleisten die strengen Regeln des Grals den Gralsrittern eine gute Erziehung, die sie zum rechten Herrschen befähigt. Ihre Kampfkraft dürfen die Gralsritter ausschließlich zur Sicherheit und zum Wohl der Gralsburg und ihrer Bewohner einsetzen. Auf Minnedienst müssen sie verzichten. Der König darf heiraten, aber nur eine Frau, die der Gral für ihn ausersehen hat. Der Name der zukünftigen Gemahlin erscheint als Inschrift auf dem Gralsstein, was mit dem Willen Gottes gleichzusetzen ist.
Pz. 495,7
swer sich diens geim grâle hât bewegn, gein wîben minne er muoz verpflegen. wan der künec sol haben eine, ze rehte ein konen reine, unt ander die got hât gesant ze herrn in hêrrenlôsiu lant. Wer sich entschlossen hat, dem Gral zu dienen, der muss auf die Liebe zu den Frauen verzichten.
Bloß der König, der hat als einziger das Recht, ein reines Weib zu nehmen, das dürfen außer ihm nur die, die Gott in herrenlose Länder gesandt hat.
Gegenüber Verfehlungen der Gralsritter ist der Gral unerbittlich. Hält ein Herrscher der Gralsburg die Gralsregeln nicht ein, muss er abdanken. Das Beispiel im Roman ist der Gralskönig Anfortas. Obwohl ihm Minnedienst verboten war, diente er seiner Minnedame Orgeluse. Der Gral kann das nicht dulden und wünscht für Anfortas einen Nachfolger.
Im Willehalmepos scheint das Gralsprinzip nicht mehr zu gelten, mit dem Wolfram sich im Parzivalroman mit 24810 Versen auseinandersetzt. Der Unterschied zwischen den Werten, die Wolfram im Parzivalroman verteidigt, und denen, die im Willehalmepos gelten, könnte nicht größer sein. Fast alle Ritter, Heiden und auch Christen, kämpfen im Willehalmepos um die Gunst einer Frau.

Widersprüche

Das Willehalmepos beginnt mit einem Gebet, in dem Wolfram seinen Glauben bekennt. Er ruft Gott an und nennt ihn den wahren, vollkommenen und dreieinigen Gott. Gott ist der Schöpfer der Welt, seine Macht ist ohne Anfang und ohne Ende. Gott ist der Vater, der Beter ist sein Kind. Durch die Menschwerdung Gottes in Christus ist Wolfram auch sein Bruder und kann sich Christ nennen. Gottes Kind zu sein ist edler als aller Erdenadel.
Wolframs Worte zeugen in diesem Gebet von einem aufrichtigen und demütigen Glauben.
Dieses Glaubensbekenntnis als Einführung hat drei Funktionen. Zum einen ist es eine Anlehnung an das Rolandslied, das mit einem Glaubensbekenntnis des Pfaffen Konrad beginnt. Und somit scheint das Willehalmepos zunächst dem Stil eines Heldenepos zu entsprechen. Als zweite Funktion soll das Gebet den Zuhörern die Möglichkeit geben, die religiöse Einstellung Wolframs mit der seiner Hauptfiguren zu vergleichen. Denn die meisten Figuren bezeugen keinen demütigen Glauben. Deren Glaubensaussagen und Handlungen müssen an Wolframs Glaubensbekenntnis gemessen werden. Als drittes könnte Wolfram die Geistlichen unter seinem Publikum besänftigen, denn sie könnten es als Gotteslästerung einstufen, dass der Protagonist als heilig deklariert wird.
Nach dem Gebet leitet Wolfram zu der Geschichte über, die er erzählen will. Er bittet Gott, ihm zu helfen, einen Ritter zu besingen, der Gott nie vergaß – der dîn nie vergaz (2,27). Die Beschreibung des Ritters beginnt mit der Bemerkung, dieser habe durch sündhaftes Verhalten Gottes Zorn verdient. Zur Sühne dafür habe er tapfere Heldentaten für Gott vollbracht und dafür dessen Huld erworben. Wolfram spricht zu Gott:
2,23
diu helfe dîner güete sende in mîn gemüete unlôsen sin sô wîse, der in dînem namen geprîse einen rîter, der dîn nie vergaz. swenn er gediende dînen haz mit sündehaften dingen, dîn erbarme kunde in bringen an diu werc, daz sîn manheit dînen hulden wandels was bereit. Hilfreich sende Deine Güte in mein Herz so ernste, weise Einsicht, dass ich in Deinem Namen einen Ritter preise, der Dich nie vergaß. Wenn er mit Sünde Deinen Zorn verdiente, hat ihn Dein Erbarmen zu Werken hingeführt, mit denen seine Tapferkeit Buße tat und Deine Huld zurückerwarb.
Besagter Ritter ist die Titelfigur Willehalm. Für einen Heiligen ist das eine merkwürdige Einführung. Der Ritter ist ein Sünder, der für seine Sünde Buße tut. Das ist noch keine Voraussetzung für Heiligkeit. Danach wird die Beschreibung noch bedenklicher, denn es he...

Inhaltsverzeichnis

  1. Motto
  2. Inhalt
  3. Vorwort
  4. 1. Eine rätselhafte Dichtung
  5. 2. Ritterkampf als Lebensinhalt des Grafen Heimrich von Narbonne
  6. 3. Willehalms Schlachten um Giburg
  7. 4. Minnedame Giburg
  8. 5. Rennewart und die zweite Schlacht
  9. 6. Der offene Schluss
  10. 7. Vermutungen über das weitere Schicksal von Rennewart und Willehalm
  11. Literatur
  12. Impressum