Miratur: „Sed mox, quid prosunt marmora“, dixit,
„aut similes vivis vultus! Me Musa secundo
carmine, cuncta novem referant mea facta Sorores.“1
(Basinio da Parma, Hesperis 4, 573–575)
Eine überdauernde Erinnerung, den festen Platz im kollektiven Gedächtnis der Nachwelt, versprach man sich in der Frühen Neuzeit von einer literarischen Gattung, die von Italien aus zu neuer Blüte gelangt war, dem lateinischen Epos. Der Ruhm, den die Dichtung durch die musenbegabte Schau des Göttlichen zu schenken vermöge, überrage jedes menschenähnliche und in Marmor geschlagene Denkmal – so die Worte, die Basinio da Parma dem Helden seiner Hesperis (fertiggestellt 1455), des ersten Großepos auf einen frühneuzeitlichen Herrscher, in den Mund legt. Basinio, der für seine dichterische Verewigung der Taten Sigismondo Malatestas nicht allein auf die römischen Epen, sondern besonders auch auf Homer zurückgriff,2 ist mit seinem dreizehn Bücher umfassenden Werk nur der erste einer langen Reihe von Dichtern und ihren Epen auf frühneuzeitliche Herrscher:3 Episches Heldentum als Form der Panegyrik war bald an den Fürstenhöfen Italiens – und nicht nur dort – mehr als eine Mode, es wurde zum festen Bestandteil herrschaftlicher Legitimation und Propaganda.4 In den dichtungstheoretischen Schriften der Zeit wurde das Epos als erhabenste Gattung angesehen.5
Bereits in der Antike galt das carmen heroicum als eine Gattung, die dauerhaften Ruhm versprach:6 Nicht zu Unrecht bemitleidet Horaz diejenigen Helden, die vor Homer lebten (c. 4, 9, 28). Auch Cicero hegte die Hoffnung auf unvergänglichen Ruhm durch ein Epos (Arch. 28–30), welche ihm von dem griechischen Dichter Archias zwar nicht erfüllt wurde, aber ein Paradigma blieb: Gerade Francesco Petrarca, der „father of Italian humanism“,7 rekurrierte anlässlich seiner Dichterkrönung 1341 auf Ciceros Verteidigungsrede und der darin hervorgehobenen Bedeutung des Dichters als Garant der Erinnerung.8 Dass man im Quattrocento das Epos gerade als panegyrische Gattung ansah, liegt vor allem darin begründet, dass bereits der spätantike Kommentator Servius Vergils Aeneis – das bedeutendste Vorbild für die frühneuzeitliche Epik – als ein Lobgedicht auf Augustus laß.9
Zu Basinios Zeit sah man im epischen Helden – im Gegensatz zum tragischen – den „Inbegriff aller kriegerischen, moralischen und aristokratischen Tugenden“:10
Vor allem im epischen Helden verdichtete sich das Idealbild der heroischen Lebens- und Persönlichkeitssteigerung. In ihm sammelten sich brennpunktartig die Kräfte der Moral, des Mutes, des Verstandes und des Willens und gelangten zur höchsten Steigerung.11
Für die Konstruktion eines solchen Heldentums boten Homers Ilias und Odyssee sowie die lange Tradition lateinischer Epen ein nahezu unerschöpfliches Repertoire an Bauformen zur Heroisierung, an Figurationen des Heroischen und letztlich heroischen Figuren selbst, an die im Text erinnert werden konnte.12 Gerade Homers und Vergils Dichtung sind auch bei denjenigen frühneuzeitlichen Dichtern stets präsent, die zeitgenössische Themen behandeln; Elemente des Mythos dienten zur variatio der historischen Grundlage,13 gleichzeitig aber auch zur Idealisierung und dadurch zur Überhöhung.14 Nicht nur, dass vergangene heroische Figuren, besonders auch mythische, Kontrast- und Reflexionsfiguren für gegenwärtige waren, auch spielte die italienische Vergangenheit für die Identifikation frühneuzeitlicher Herrscher eine gewichtige Rolle. „In Italien ist die Geburt der Nation als Wiedergeburt erfahren worden“,15 konstatiert Klaus Garber.
Nach Petrarcas Tod richtete sein Zeitgenosse Giovanni Boccaccio eine Klage an das personifizierte Epos Africa, Petrarcas Gesang auf die Taten Scipios d. Ä. im Zweiten Punischen Krieg, wonach es sich um der Heldenerinnerung willen erheben und sich selbst vor den Flammen und der Vergessenheit bewahren solle.16 Dass Boccaccio Petrarcas Epos auf den antiken Helden Scipio als ‚erhabene Zierde Italiens‘ („Italiae sublimis honor“; 1) und später als ‚erneuerte Zierde Italiens‘ („renovatus honor Italiae“; 37) bezeichnet, weist die gegenwartsbezogene Relevanz der Antike und ihrer Helden in der Frühen Neuzeit mehr als deutlich aus.
Epische Helden des Quattrocento wie Sigismondo Malatesta sind jedoch keineswegs einfach als neuer Achill oder zweiter Aeneas dargestellt. In den antiken Figuren ist vielmehr ein Ausgangspunkt zu sehen, von dem aus Dichter wie Basinio ihre eigenen Helden konstruierten, die ihren Vorläufern zwar in vielerlei Hinsicht ähneln, aber durchaus anders und besser als diese agieren. So schöpft beispielsweise Lorenzo de’ Medici in Naldo Naldis Volaterrais (fertiggestellt 1474) das diplomatisches Geschick zur Kriegs- und Gewaltvermeidung aus und Figuren wie Malatesta in der Hesperis oder Francesco Sforza in Francesco Filelfos Sphortias (unvollendet) lassen sich stets von der Milde, der clementia, leiten, womit sie eine christliche Ethik verkörpern. „As time passes experience accumulates“,17 bemerkt Osborne B. Hardison zur Notwendigkeit der Modifikation antiker Heldenbilder. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass die Modifikation erst vor dem Hintergrund etablierter Denkfiguren sichtbar wird und jedes neue Heldenbild erst im Kontrast als Auseinandersetzung mit vorausgehenden wahrnehmbar wird.
1.1 Maximilians gedechtnus
Die Ausbreitung des lateinischen Epos nördlich der Alpen ist im Wesentlichen einem Herrscher zu verdanken, der in bis dahin einzigartiger Weise seine bedeutungsvolle Erinnerung in der Nachwelt über Jahrzehnte hinweg und unter Ausschöpfung der Medien seiner Zeit organisierte, Kaiser Maximilian I. (1459–1519, römisch-deutscher König ab 1486, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches ab 1508).18 Leitidee seines sogenannten Ruhmeswerkes war die Vorstellung von einer gedechtnus, welche ihn vor dem Vergessen nach dem letzten Glockenschlag bewahren sollte.19 Jan-Dirk Müller hat diese in zahlreichen Studien aufgearbeitet und sieht in ihr vier Hauptbestandteile: erstens die Sicherung der Erinnerung durch religiösen Kontext, etwa durch Stiftungen von Kirchen, zweitens historische Forschungen, d.h. Aufarbeitung der Vergangenheit und die dauerhafte Sicherung dieser Kenntnisse und ihrer Relikte (dass er etwa seltene Erzählungen im Ambraser Heldenbuch zusammenbinden ließ), drittens – was damit einhergeht – die Sammlung und Archivierung „aller möglichen Wissensbestände im Umkreis von Regiment, Hof und fürstlichem Haus“, insbesondere die Aufzeichnungen in Urkunden und Registern. Viertens nun – und diesem Punkt widmet sich die vorliegende Studie – meint gedechtnus „die überhöhende Darstellung der eigenen Taten in Text und Bild für die Nachwelt“.20 Müller unterstreicht, dass die gedechtnus – und das bedeutet vor allem schriftliche Fixierung –21 nicht nur der eigenen Ehre gedient habe, sondern maßgeblich der Legitimation von Dynastie und Herrschaft; insofern sei die Archivierung der ...