Der Schwur der Engel
  1. 222 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Über dieses Buch

Als Privatdetektiv Aron eine Leiche findet, die sich als seine Frau entpuppt, bringt er die Polizei auf Trab. Die Polizei glaubt ihm nicht, als er ihnen sagt, dass er nichts mit dem Mord zu tun hat. Im Gegenteil, sie halten ihn komplett aus den Ermittlungen heraus. Als Aron beschließt, seine eigenen Nachforschungen anzustellen, kommen eine Menge Geheimnisse ans Licht und es stellt sich heraus, dass er viel weniger über die Vergangenheit seiner Frau weiß, als er dachte...-

Häufig gestellte Fragen

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1

Sie lag mit dem Gesicht nach unten, in zwei dicht stehende Bäume am Ufer verfangen. Ihre Hände waren gespreizt, wie zwei kleine ockergelbe Fächer im leicht schäumenden Wasser der Aker. Ich balancierte über die wackeligen Steine im Flussbett und stand bis zu den Knien im Wasser. Da erkannte ich meine Frau an der kleinen Grube zwischen Schädel und Nacken, die ich so oft massiert hatte.
Ich drehte sie nicht um. Es genügte, sie so zu sehen. Ihren Hals zu sehen. Er hatte eine dunkelrote Kerbe, verursacht von einer Schnur, die die Vertiefung ihres Nackens mehrfach kreuzte und so stramm saß, dass ich nicht einmal einen Finger darunter schieben konnte. Ich befreite sie aus den Bäumen, hob sie hoch, stützte ihren Oberkörper auf mein Knie und streichelte ihren eingeschnürten Hals. Über das Haar konnte ich ihr nicht streichen. Sie hatte keine Haare mehr. Von ihrem dichten Blond waren nur ungleichmäßig abgeschnittene Stoppeln geblieben. Wie eine Badekappe. Jemand war so rücksichtsvoll gewesen, ihr eine Badekappe aufzusetzen. Sie war voll bekleidet. Die Strömung trieb sie immer weiter in meine Arme. Ich begann, den malträtierten Nacken mit leichten Küssen zu bedecken.
Irgendwann hörte ich ein Geräusch auf den Steinen hinter mir. Es kam Bewegung ins Wasser. Ich blickte hoch und sah verschwommen eine Uniformhose mit aufgenähten Leuchtstreifen. Ich hielt Turid fester – die Polizei war da. Sie störte unseren Frieden.
«Lassen Sie uns hier übernehmen», sagte eine Stimme. Jemand berührte mich vorsichtig an der Schulter.
«Ganz ruhig, wir tun ihr nichts», sagte ein anderer, als ich mich wehrte.
«Ihr nichts tun?», hörte ich mich antworten, so zäh, als habe mir jemand den Mund verklebt. Als könne man ihr noch Schlimmeres antun.
Als ich wieder auf meine Hände sah, war sie mir entglitten. Sie drehten sie um. Ihre Augen waren verdreht und weiß. Die Nase gebrochen. Ich sagte ihren Namen wie eine Beschwörung, wie einen Bann gegen diesen Anblick – und wurde taumelnd ans Ufer geführt. Sie zogen mich eine zwei Meter hohe Mauer hoch, bis ich im kalten Nieselregen schwankend auf dem Asphalt stand. Fünfzig Meter weiter flussaufwärts stürzte das Wasser einen kleinen flutlichterleuchteten Wasserfall hinab, die Vøyenfälle. Sie dröhnten wie Dampfhämmer. Am anderen Ufer waren ein paar Spaziergänger stehen geblieben, sie beobachteten neugierig die Autos mit Blaulicht und die Techniker der Spurensicherung, die mit ihrer Arbeit begonnen hatten. Jemand bot mir eine Zigarette an. Ich nahm sie, obwohl ich seit zehn Jahren nicht mehr geraucht hatte. Meine Lungen vertrugen es nicht. Jemand klopfte mir auf den Rücken, bis der Hustenanfall vorüber war, und ich rauchte die Zigarette bis zum Filter. Dann warf ich sie weg, und sie verlosch im Flusswasser, aus dem die inzwischen eingetroffenen Sanitäter Turid gerade herausholten.
Ein Frauengesicht erschien in meinem Blickfeld. Ein unzerstörtes Frauengesicht, dachte ich sofort. Mirjam Paulsen. Strenge Frisur und zweckmäßige Kleidung.
«Kommen Sie. Ich möchte kurz mit Ihnen sprechen. Wenn Sie können», sagte sie und wies mit der Hand auf einen Streifenwagen, als hätte ich schon geantwortet.
Der Nieselregen wurde stärker, der Motor brummte, der Wagen drehte von der Aker ab. Es war still im Auto. Eine ungebrochene Stille. Ich sank in mich hinein. Aber ich drang nicht bis zu mir durch. Nicht zum Privatdetektiv Aron Ask, nicht einmal zum privaten Aron. Ich kam nur bis zu Turid, meiner Frau. Sie war alles für mich gewesen. Doch jetzt war sie tot, und mir blieb nur noch eines: Ich stand in ihrer Schuld, sie hatte mir so viel bedeutet. Die Polizisten waren fraglos ebenso motiviert wie ich, denn Turid war im Dienst ermordet worden. Sie hatten ihren Korpsgeist. Ich meine Liebe. Damit würden wir weit kommen. Vielleicht nicht jeder für sich, aber zusammen.
In Kommissarin Paulsens engem Büro hängte ich meinen Kamelhaarmantel zum Trocknen auf und entledigte mich der tropfnassen Schuhe und Socken. Erst jetzt begann ich zu frieren. Solange ich im Wasser gestanden hatte, war mir nicht kalt gewesen – jetzt zitterte ich, klapperte mit den Zähnen, trank mit großen Schlucken bitteren Automatenkaffee, der aber nichts bewirkte. Wir waren nicht allein. Paulsens Kollege Svenning saß dabei, und neben der Tür stand diskret ein Mann in einer rissigen Lederjacke und Schnürstiefeln.
«Ich weiß, dass das schwer für Sie ist. Es ist für uns alle schwer. Aber wir müssen trotzdem ein paar Dinge klären», meinte Paulsen vorsichtig und blickte mit unverhohlenem Ekel auf meine deformierten und verfärbten Zehennägel.
«Ja. Zum Beispiel, wer sie umgebracht hat», sagte ich trocken und spürte meine letzte Liebkosung ihrer Haut wie einen Phantomschmerz in den Fingerspitzen.
«Wie haben Sie sie gefunden?» Svenning war wesentlich jünger als seine Vorgesetzte. Er hatte Bodybuilderschultern und trug einen Ring im Ohr.
«Ich sah sie. Im Fluss», sagte ich, denn so war es gewesen. Auch jetzt noch sah ich sie, nichts als sie. Immer wieder hob ich sie aus dem Wasser, bettete ihren Kopf auf mein Knie.
«Wir wissen, dass sie im Fluss lag», sagte Paulsen sanft. «Vielleicht könnten Sie etwas ... ausführlicher werden?»
«Sie hätten sie finden sollen. Nein, Sie hätten verhindern sollen, dass ihr das überhaupt zustößt.»
Sie deutete auf den stummen Türwächter. «Vegard Bakke. Verdeckter Ermittler. Turid war heute Abend mit ihm zusammen. Dann ... haben sie sich aus den Augen verloren.»
«Aus den Augen verloren?», fragte ich und sah Bakke an, als liege die Beweislast bei ihm. Er fühlte sich nicht angesprochen.
«Genauer gesagt: Sie sagte, sie habe eine Verabredung. Vielleicht mit Ihnen?»
Die Phantomschmerzen hielten an. Lag sie jetzt auf einem Metalltisch mit einem Nummernzettel um die große Fußzehe? Bereitete man sie für das Obduktionsmesser vor? Ja, wir waren verabredet gewesen. Die Verabredung, die wir jeden Abend hatten, wenn wir nach Hause kamen, sie spät von der Schicht, ich spät von meinen jeweiligen Recherchen. Es hätte ein Abend mit Seinfeld-Videos werden sollen. Avocado mit leckerer Füllung. Dazu Rot- oder Weißwein. Die Brise des Föhns in ihrem frisch gewaschenen Haar, dazu die letzten Neuigkeiten aus dem Polizeipräsidium. Sie musste immer erst einmal den ganzen Klatsch und Tratsch und Ärger des Tages bei mir abladen, bevor sie etwas essen oder trinken konnte, dazwischen lachte sie sich über die mehr oder weniger intelligenten Kalauer in der Glotze schlapp. Dabei öffnete sich ihr drachenflammender Kimono wie ein Bühnenvorhang. Dann legte sie sich nackt in unser Bett, das ich frisch bezogen hatte, denn ich erledigte den überwiegenden Teil der Hausarbeit. Diese alltäglichen Tätigkeiten hatten mich zu etwas gemacht, was ich zuvor nicht gewesen war: zu einem ausgeglichenen Mann.
Das Gespräch zog sich so lange hin, dass in mir das beunruhigende Gefühl aufkeimte, die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und mir werde nicht ganz so glatt laufen. Die Aussichten verbesserten sich nicht dadurch, dass sie mich mit einem Auto in Verbindung brachten, das im Maridalsvei geparkt stand, nördlich der Waldemar Thranesgate. Meinem Auto.
«Bakke hat Turid zuletzt unten am Alexander-Kiellands-Platz gesehen. Er ermittelt gegen eine Spielhölle in der Gegend. Jetzt haben wir Klein-Balkan in Oslo», sagte Mirjam Paulsen mit einem schiefen, sarkastischen Lachen. «Vom Alexander-Kiellands-Platz bis zu Ihrem Wagen sind es zu Fuß keine fünf Minuten. Was haben Sie da gemacht?» «Sie ... Sie wissen, was ich mache.»
«Ja, Turid hat erzählt, dass Sie Privatdetektiv sind.»
«Eine unglückselige Allianz. Sagen Sie es ruhig.»
«Lassen wir das. Ich muss Sie leider noch einmal fragen: Was haben Sie im Maridalsvei gemacht?»
«Ich war wegen eines Kunden da.»
«Und der heißt?»
«Das kann ich nicht so ohne weiteres sagen.»
«Das werden Sie aber müssen.»
«Kann ich darüber schlafen?»
«Glauben Sie, Sie werden schlafen können?», fragte die Kommissarin mit einer aufrichtig wirkenden Fürsorglichkeit in der Stimme.
Damit ließen sie mich gehen. Ich wurde nach Hause gebracht. Die steilen Kehren hinauf zum Mehrfamilienbungalow im Betzy Kjelsbergvei im Stadtteil Grefsen knallte der Regen wie Splitterbomben gegen die Scheiben. Nachdem ich die Wohnungstür geöffnet hatte, blieb ich lange lauschend im Flur stehen, flüsterte ihren Namen. Die Leere, die sie hinterließ, war so groß, dass ich nach Luft schnappte. Alles schien über mir zusammenzuschlagen. Ich musste ihr ihre Würde wiedergeben. Wenn ich lebte, dann war es ihr Leben in mir. Ihres und das des Ungeborenen. Sie war im dritten Monat schwanger gewesen.
Das Tageslicht war nichts als ein unwilliger kleiner Spalt Grau. Nach einer schlaflosen Nacht, die mir die Polizistin so korrekt vorausgesagt hatte, lag ich zusammengerollt und von kaltem Schweiß bedeckt auf der einen Seite des Betts und fixierte die kaum merkliche Vertiefung auf der anderen Seite der Matratze. Vom Körper meiner Geliebten, den es nur noch in meiner Erinnerung gab.
Später schnitt ich mich beim Rasieren, ließ die Klinge in das blutgerötete Wasser fallen, setzte mich auf den Kachelboden, schlang die Arme um die Knie und brach in Schluchzen aus. Schaukelte, schüttelte, zitterte die Tränen heraus. Es war, als risse das Weinen alles aus mir heraus, alles außer ihr, sie war wie ein harter Kern, es gab nur noch sie und meinen festen Vorsatz, ihr Genugtuung zu verschaffen. Meine Trauer war noch neu, sie war erst im Entstehen, aber es war bereits eine entschlossene Trauer.
Turid war nicht in einem Vakuum gestorben. Ich war nicht der einzige Hinterbliebene. Sie hatte eine Familie, die ich allerdings kaum kannte. Musste ich sie nicht unterrichten? Ich stand mit dem Hörer in der Hand da, konnte mich aber nicht überwinden, die Tasten zu drücken, die mich mit ihrem Heimatort verbunden hätten. Jevnaker. Die Polizei würde das für mich tun, wenn sie es nicht schon getan hatte. Ich hatte eine andere Aufgabe. Ich musste mich dem unfassbaren ersten Tag nach dem Mord stellen.
Im Bus saß ich am Fenster und ließ die Schaufenster mit Weihnachtsdekoration passieren, sie widerten mich an. Den Maridalsvei hinunter erschienen mir die renovierten, bunt gestrichenen Holzhäuser wie Schwarzweißfernsehen, eine Idylle mit kleinen Fenstern und weißen Gardinen, die weiter unten von moderneren Gebäuden abgelöst wurde.
Mein zehn Jahre alter Golf stand nicht weit von der Stelle, wo sich Maridalsvei und Sagvei gabelten. Ich sah zu den Fenstern der Wohnung hinauf, in die mich mein Auftrag geführt hatte, sie lag im zweiten Stock eines sandgelben, lang gestreckten Mehrfamilienhauses. Wieso hatte man mich mit dem Auto in Verbindung gebracht? Ich hatte nicht falsch geparkt; der Wagen war also nicht wegen einer Verkehrswidrigkeit an das Polizeipräsidium gemeldet worden.
Auf dem Klingelschild stand Johnsen. Knapp. Geschäftsmäßig.
«Ich komme hoch», sagte ich in die Gegensprechanlage.
«Habe nicht geöffnet.»
«Für mich schon.»
Als ich im zweiten Stock ankam, stand sie schon in der Tür und ließ mich ebenso schnell ein wie zwölf Stunden vorher. Das Paneel der Flurwände war mit gerahmten Fotos bedeckt. Tiere und Kinder. Zwei der Kinder waren ihre eigenen. Sie wohnten beim Vater in Lørenskog. Richtige Jungs, hatte sie gesagt, als erkläre das alles. «Er ist seither nicht mehr hier gewesen?»
«Welcher ‹er›?», sagte sie und zupfte an ihrem geräumigen Pullover herum. Ihre Stimme klang wie ein Rennwagenmotor im Leerlauf. Längliches Gesicht mit hohen Wangenknochen. Das Haar weizenblond, die Spitzen sonnengebleicht. Barfuß und ungeschminkt. Außer Dienst.
«Der, wegen dem Sie mich angerufen haben.»
«Ach der», sagte sie, als sei ihr so früh am Morgen noch kein Gedanke an Männer gekommen.
Tiere und Kinder auch an den Wohnzimmerwänden. Lämpchen mit viel Dekor. Flokatis. Übermöbliert, die Luft von einträglichem Männerschweiß durchdrungen. Das drei Quadratmeter große Handtuch mit einem Gran-Canaria-Motiv lag nicht mehr auf dem Fußboden. Fußboden oder Sofa, nie im Schlafzimmer, hatte sie mir gesagt. Ihre Tarife begannen bei 1500. Sie hatte mir alles aufgezählt – ihre komplette Angebotspalette. Als sei ich deswegen gekommen, beim ersten Mal. Dabei hätte ich ihr durchaus sagen können, dass ihr Anliegen nicht zu meiner Angebotspalette gehörte, und sie an ein Krisenzentrum oder etwas Ähnliches verweisen können. Aber ich war zu ihr gegangen. Warum eigentlich?, fragte ich mich, während sie sich auf das Sofa setzte und den Pullover wie eine Zeltplane über die Knie zog. Wusste ich das wirklich nicht? Ich kannte doch meine verheerende Neigung, dem anderen Geschlecht zu Diensten sein zu wollen. Diese übertriebene Ritterlichkeit, die allzu oft dazu geführt hat, dass ich selbst Prügel bezog. Sie hatte angerufen, ich war angerannt gekommen. Manche lernen es eben nie.
Sie zündete eine Pall Mall an und pulte sich ein wenig zwischen den Fußzehen herum, während im Radio die Zehn-Uhr-Nachrichten liefen. In der Küche prustete die Kaffeemaschine. Ihr griffbereit platziertes Nokia brach in schrilles Vogelgezwitscher aus.
«Wollen Sie nicht antworten?»
«Nicht um diese Tageszeit.»
«Es könnte sich um etwas anderes handeln.»
«Das tut es nie.»
«Es gibt eine Tote», sagte ich.
«Tote?», sagte sie mit deutlichem Entsetzen vor dem, was das Wort implizierte.
Ich drückte die Klinke zur Balkontür herunter.
«Die klemmt ganz furchtbar», sagte sie, als wolle sie mich davon abhalten. Ich zog so heftig, dass das Glas klirrte. Mein Fingernagel versank im Holz.
«Fängt an zu modern.»
«Kriege keine Handwerker. Die bewegen ihren Arsch erst, wenn die dicke Kohle winkt.»
«Ja, ja», sagte ich geistesabwesend und trat auf den Balkon. Eine zusammengeklappte Sonnenliege mit verflecktem Bezug. Eine Wäscheleine, die mir ins Gesicht schlug. Die Aussicht ging auf Fabrikdächer sowie auf die Grünfläche neben der Stelle, wo Turid starb.
«Jemand, den ich kenne», sagte ich, als ich wieder hereinkam.
«Das tut mir Leid», sagte meine Auftraggeberin aus der Küche. Als sie zurückkam, hatte sie zwei Becher mit Teddymuster in den Händen. War das jetzt Entsetzen oder nur professionelles Mitleid? Ich saß ihr gegenüber im Sessel und konnte sehen, dass sie nicht alle Requisiten weggeräumt hatte. Unter dem Sofa lag ein Paar altmodische Damenpumps, die aussahen, als stammten sie noch aus den fünfziger Jahren. Als ich sie darauf hinwies, angelte sie sich ungerührt einen und ließ ihn an den Zehen baumeln. «Für Sie oder einen Kunden?»
«Einen Kunden. Hätte fast den Abs...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Kolophon
  3. 1
  4. 2
  5. 3
  6. 4
  7. 5
  8. 6
  9. 7
  10. 8
  11. 9
  12. 10
  13. 11
  14. 12
  15. 13
  16. 14
  17. 15
  18. 16
  19. 17
  20. 18
  21. 19
  22. 20
  23. 21
  24. Über Der Schwur der Engel