Die letzten und die ersten Tage
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Die letzten und die ersten Tage

Dokumentation über Geschehnisse in Mecklenburg im 2. Weltkrieg und danach

  1. 195 Seiten
  2. German
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Die letzten und die ersten Tage

Dokumentation über Geschehnisse in Mecklenburg im 2. Weltkrieg und danach

Über dieses Buch

Außerordentlich gründliche und langzeitige Recherchen versetzten den Autor in die Lage, dieses packende Buch zu verfassen, welches wenig aufgearbeitete Geschehnisse beinhaltet, die sich in den letzten Tagen des 2. Weltkrieges in Mecklenburg und besonders in der Schweriner Region ereignet haben. Ein klärendes Buch, welches nachdenklich stimmt.INHALT: Kapitel 1: Geschehen in Schwerin1. Mord aus Idealismus?Der Oberstaatsanwalt klagt anTheorien zum "unwerten Leben"Pflege und Fürsorge wird geheucheltDie Vergasung wird vorbereitetMit SS-Personal auf TransportDer Akt der VergasungTodesanzeigen und TodesnachrichtenEs gibt Nachfragen, Beschwerden und ProtesteMord durch InjektionenPfleger Berkholz sagt ausAnstaltsärzte werden in Berlin diszipliniertDer Pfarrer hegte VerdachtPolitischer Mord im Anstaltspark"Tieffliegeropfer" werden verscharrtVier TodesurteileRechtsanwälte konstatieren ZwangslageAnstalt Bethel hatte das Morden behindert und verzögertEindrücke eines ProzessbeobachtersDr. Leu wird in Köln freigesprochenFaschistische Ideale wären vorgetäuscht wordenSchweriner Ärzte sollten unglaubwürdig seinDie Gesamtbilanz der Opfer2. Jubiläum auf dem Sachsenberg3. Das "Kriegstagebuch" der Ilse Behrens4. Der Bombenangriff vom 7. April 1945 auf Schwerin5. Nach dem Todesmarsch in Schwerin erlebt6. "Ich war innerlich wie abgestorben"Kapitel 2: Geschehen in Blievenstorf und StolpeKapitel 3: Geschehen bei Schwerin1. All seine Freunde wurden in Treblinka ermordet2. Was ist richtig und was falsch an dem Beitrag "Die Blutnacht zwischen Crivitz und Schwerin"3. Zeitzeugen zum KZ-Außenlager Neustadt-GleweDie Außenstelle des Zuchthauses Dreibergen-Bützow in Neustadt-Glewn4. Das Kriegsende 1945 in Pinnow erlebt5. Im Kampfeinsatz zwischen Oder und Störkanal bei Schwerin6. Nach 61 Jahren erstmals am Grab des Vaters7. Die Mordaktionen von Holzendorf-Müsselmow 1945. Faschistische Gräuelpropaganda forderte 10 OpferZehn Tote am Heidensee und auf dem Pfarrhof HoltendorfDie Täter, Mittäter und Opfer waren verwandtTatort HeidenseeDie Morde auf dem Pfarrhof in HoltendorfBründel und Kunst blieben lange unbestraft8. Anmerkungen zum Faksimile: "Todesurteil für Mörder in Müsselmow"9. "Tanzen möcht ich, jauchzen möcht ich"...

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Kapitel 1: Geschehen in Schwerin

1. Mord aus Idealismus?

von Kurt Redmer

Vorbemerkung

„Wenn das so weiter geht, lande ich noch auf dem Sachsenberg“, hörte ich schon in meiner Jugendzeit nach dem Zweiten Weltkrieg geistig überforderte bzw. gestresste ältere Mitbürger sagen. Dadurch wusste ich wie wohl die Mehrheit der Mecklenburger: Auf dem Sachsenberg in Schwerin werden Nervenkranke behandelt, versorgt und geheilt.
In der Zeit des Faschismus wurde die Anstalt wie andere Nervenheilanstalten auch, zur Tötung unwerten Lebens missbraucht. Mir war nicht in Erinnerung, dass es in Schwerin schon 1946 einen aufsehenerregenden Prozess gegeben hatte, in dem sich Ärzte und Krankenpfleger für ihre Untaten verantworten mussten. Der Hauptbeschuldigte, der stellvertretende Leiter der Anstalt Dr. Leu, war im Westen untergetaucht. Erst 1949 kam es dort zu einem Prozess.
Beim Studium von Prozessakten war ich dann überrascht, mit welcher Grausamkeit und Skrupellosigkeit in der NS-Zeit bei der Auslöschung sogenannten unwerten Lebens vorgegangen worden war. Damals wurde ausführlich in der „Landeszeitung“ Schwerin über den Prozess berichtetet. Am Ende gab es vier Todesurteile, die später in lange Haft umgewandelt wurden.
Für die Menschen heute - so mein Gedanke - ist das Geschichte, die in Vergessenheit geraten ist. Aber sie sollen wissen, was einmal bei uns geschah, weil es dergleichen für immer zu verhindern gilt. Und auch deshalb, da seit einiger Zeit in Deutschland eine Umbewertung der Geschichte betrieben wird, die „die Deutschen“ als die Opfer in den Vordergrund rückt und die vom Faschismus begangenen großen Verbrechen relativiert.
Archivalien des Mecklenburgischen Landeshauptarchivs (MLHA) Schwerin belegen, dass sich die damalige Landesforschungsstelle beim Landessekretariat der Verfolgten des Naziregimes (VdN) Mecklenburg bereits 1950 mit der Aufarbeitung der Tötungs-Verbrechen in den psychiatrischen Anstalten im Lande beschäftigen wollte. Die Hauptabteilung Gesundheitswesen im Ministerium für Sozialwesen teilte aber mit: Die Unterlagen seien dem Oberstaatsanwalt in Dessau, Staatsanwaltschaft Bernburg, am 23. 7. 1946 unter dem Aktenzeichen VI / 6602/94 übersandt worden. (Mecklenburgisches Landeshauptarchiv (MLHA) Schwerin, Akte Ministerium für Sozialwesen, Nr. 3188) Sie sind wahrscheinlich bis heute nicht nach Schwerin zurückgeschickt worden. Aber die über das Protokoll des Prozesses hinausgehenden Unterlagen machen eine umfassende Beschreibung der damaligen Ereignisse durchaus noch möglich.
Der Autor dieses Beitrages ist sich bewusst: Der Streit um Euthanasie (Sterbehilfe), der Streit zwischen den Befürwortern einer aktiven Sterbehilfe und ihren entschiedenen Gegnern, wird wohl kaum jemals beigelegt werden können. Im Jahre 1992 haben sich 200 Medizin-Professoren, Sozialwissenschaftler, Juristen, Theologen und Politiker im „Kinsauer Manifest“ (Sophien-Stiftung, Kinsau) gegen die Legalisierung einer aktiven Sterbehilfe ausgesprochen. Es heißt darin: „Ist die Tötung auf Verlangen erst einmal legalisiert und gesellschaftlich akzeptiert, dann hat auch der, der nicht freiwillig aus dem Leben geht, die Last selbst zu verantworten, die sein Leben für andere bedeutet.“ (Schweriner Volkszeitung (SVZ) von 18.07.1992, S. 5)
Die Leitung der heutigen Nervenklinik Schwerin, insbesondere ihr leitender Chefarzt Herr Dr. Fuchs, half mit Ratschlägen und Hinweisen bei der Erarbeitung dieses Beitrages. Das MLHA Schwerin stellte alle verfügbaren Archivalien zur Verfügung. Die Töchter des Rechtsanwaltes Scharenberg, einem der Verteidiger im Prozess, erteilten die Genehmigung zur Einsicht in den Nachlass ihres Vaters, der sich im Landeshauptarchiv Schwerin befindet. Ihnen allen sei an dieser Stelle für ihre Hilfe gedankt.
Bild
Faschistische Propaganda (Aus einem Biologiebuch für Gymnasien von 1940)

Der Oberstaatsanwalt klagt an

Vor den Schranken des Schwurgerichtes Schwerin, das von Oberlandespräsident Dr. Unikower geleitet wurde, standen am 15. und 16. August 1946 in einem öffentlichen, gut besuchten Prozess - durchgeführt im damaligen Saal der Landeszeitung, Wismarsche Str. 144 - Ärzte, Krankenpfleger und eine Krankenpflegerin. (Landes-Zeitung (LZ) vom 16. 08. 1946. Verbrechen gegenüber der Menschlichkeit) Sie wurden von Oberstaatsanwalt Enskat angeklagt, von 1941 bis 1945 laufend und systematisch Insassen der Heil- und Pflegeanstalt auf dem Sachsenberg ermordet zu haben. Die beiden Hauptschuldigen fehlten.
Der Direktor, Obermedizinalrat Dr. Johannes Fischer, hatte vor der Besetzung Schwerins durch amerikanische Truppen am 2. Mai 1945 zusammen mit seiner Familie Selbstmord verübt. Der Hauptschuldige, Medizinalrat Dr. Alfred Leu, war in westliche Richtung geflohen.

Theorien zum „unwerten Leben“

Bereits im 19. Jahrhundert hatte es in Deutschland „Denkmodelle“ und „Theorien“ gegeben, wie mit unwertem Leben umgegangen werden könne. Nicht wenige Autoren hatten in diesem Zusammenhang Darwins Lehre vom „Kampf ums Dasein“ und von der ,„Auslese der Tauglichen“ im Tierreich mechanisch auf die menschliche Gesellschaft übertragen und damit das Sozialverhalten der Menschen in eine biologische Weitsicht gezwängt. Schon vor, aber dann verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg erhob man - immer unüberhörbarer - die Forderung, „Ballastexistenzen“ aus der Gesellschaft zu eliminieren. Der Freiburger Ordinarius für Neuropathologie Hoche beklagte das ungeheure Kapital in Form von Nahrungsmitteln, Kleidung und Heizung, das durch die Pflege psychisch Kranker dem Nationalvermögen für einen unproduktiven Zweck entzogen wird. (Przybylski, Peter: Täter neben Hitler, Brandenburgisches Verlagshaus Berlin, 1990, S. 141) Die „Humanität“ der Natur soll die Schwächeren vernichten.
Die deutschen Hitlerfaschisten waren also durchaus nicht die geistigen Väter der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“: Wie auch anderes Inhumane und Vulgäre nahmen sie auch diese schon vorhandene Doktrin in ihr Programm auf, spitzten sie zu und setzten sie, was bisher niemand gewagt hatte, brutal in die Tat um.
An eben schon Vorhandenes anknüpfend, schrieb Hitler in seinem Buch Mein Kampf: „Ein stärkeres Geschlecht wird die Schwachen verjagen, da der Drang zum Leben in seiner letzten Form alle lächerlichen Fesseln einer sogenannten Humanität des Einzelnen immer wieder zerbrechen wird, um an deren Stelle die Humanität der Natur treten zu lassen, die die Schwächeren vernichtet. Schon auf dem Reichsparteitag der NSDAP 1934 hatte der Reichsärzteführer Dr. Gerhard Wagner den Anwesenden deutlich gemacht und beklagt, dass jährlich 1,2 Mrd. Reichsmark für die Patienten der Heil- und Pflegeanstalten aufgewendet werden müssten. (Przybylski, Peter: Täter neben Hitler, Brandenburgisches Verlagshaus Berlin, 1990, S. 143) Und nur ein Jahr später hatte sich Hitler erstmals gegenüber dem Reichsärzteführer konkret zur Vernichtung „Lebensunwerter“ geäußert. Aber zu Friedenszeiten fürchtete er die Proteste der Öffentlichkeit, ganz besonders aus dem Ausland. Im Kriege sollten nach der Vernichtung der „unnützen Esser“ aus den Anstalten Lazarette werden. Ärzte und Pfleger wurden für die Versorgung der zu erwartenden Verwundeten des lange geplanten Revanche- und Eroberungskrieges verplant.

Pflege und Fürsorge wird geheuchelt

Im Jahre 1938 hatte Reichsinnenminister Frick in vertraulichen Erlassen die Kranken- und Sozialversicherungskassen angewiesen, alle voraussichtlich dauernd erwerbsunfähigen Versicherten in staatliche Heil- und
Pflegeanstalten zu überweisen. Die Bürger sollten veranlasst werden, die von ihnen versorgten Invaliden und geistesschwachen Angehörigen zur Pflege in diese Anstalten zu geben. Der Staat versprach, dort alles nur Erdenkliche für das Wohl dieser Menschen zu tun. Die Familienangehörigen ahnten wohl kaum, dass sie damit ihre hilfsbedürftigen und völlig wehrlosen Anverwandten ihren Mördern auslieferten. (LZ 10. 08. 1946, S. 1)

Die Vergasung wird vorbereitet

Im Jahre 1938 begann die „Reichskanzlei des Führers“ die Massenvernichtung von Geisteskranken vorzubereiten.
Es entstand eine Zentrale, die - welch ein Zynismus - den Namen „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“ erhielt und in Berlin W 35, Tiergartenstraße 4 ihren Sitz erhielt. Abgeleitet von dieser Adresse, wurde von der „Aktion T 4“ oder auch der „Aktion Gnadentod“ gesprochen. (LZ 13.08.1946. Das Volk verlangt Gerechtigkeit) Um die zu erwartende hohe Anzahl von Menschen schnell liquidieren zu können, entschloss sich die Reichskanzlei nach einigen Diskussionen für eine Vergasung mit Kohlenmonoxid in dafür ausgewählten Heil- und Pflegeanstalten. Kurzfristig wurden alle dafür erforderlichen baulichen und technischen Anlagen, wie als Duschräume getarnte Vergasungsräume und Verbrennungsöfen zur Beseitigung der Leichen geschaffen.
Hitler befahl „T4“ dann im Oktober 1939. Der Befehl wurde auf den Kriegsbeginn, den 1. September 1939, zurückdatiert. Er lautete: „Reichsleiter (der NSDAP) Bouhler und Dr. med. Brandt (Hitlers Leibarzt, K.R.) sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“ (Kaul, Friedrich-Karl: Ärzte in Auschwitz, Verlag Volk und Gesundheit, Berlin 1968, S. 28) Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass in Deutschland seit 1938 missgestalteten Kindern der Gnadentod gewährt werden konnte. In diesem Jahr hatte sich eine Familie mit der Bitte an Hitler gewandt, ihr missgestaltes Kind, das sich in der Klinik von Prof. Catel in Leipzig befand, töten zu lassen. Hitler entsprach dem Antrag und erteilte Vollmacht, von nun an auch künftig in gleicher Weise zu verfahren. Bei eventuellen gerichtlichen Untersuchungen wurde deren Niederschlagung zugesichert.
Anfang Januar wurde im Zuchthaus Brandenburg die Tötung Geisteskranker durch Kohlenmonoxid erprobt. Das Gas lieferte der IG-Farben-Konzern, Vorläufer der Badischen Anilin- und Sodafabriken (BASF). Die erforderlichen Stahlflaschen kamen - wie die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main später ermittelte - für alle Vergasungsstätten aus den Mannesmann-Röhrenwerken. Die Gaskammern entstanden bei den Pflegeanstalten Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein, Bernburg/Saale und Hadamar. Für den „Sachsenberg“ in Schwerin wurde Bernburg zuständig.

Mit SS-Personal auf Transport

Von der Heil- und Pflegeanstalt Schwerin-Sachsenberg gingen am 18.7.1941 140 und am 1.8.1941 135 Kranke auf Transport nach Bernburg/Saale. Den gehfähigen Kranken klebte man einen Pflasterstreifen mit Namen und Geburtsdatum auf den Rücken. In Autobussen wurden sie zum Güterbahnhof gebracht und dort in Personenwagen verladen. Durchgeführt wurde diese „Verlegung“ von der „Gemeinnützigen Transport GmbH Berlin“. (MLHA Schwerin. Ministerium für Sozialwesen, a. a. O., Zwei Transporte vom Sachsenberg nach Bernburg) Schon damals merkten die Schweriner Pfleger, dass mit dem für die Begleitung vorgesehenen Personal etwas nicht stimmte. Es waren ausschließlich Männer, bei denen unter den weißen Kitteln schwarze Stiefel und Stiefelhosen sichtbar waren. Sie vermuteten, was sich später bestätigte: Diese Männer waren Angehörige der SS. (Graf, Irma: Die Entwicklung der Psychiatrie in Mecklenburg-Schwerin von den Anfängen bis zur Gegenwart ..., med. Dissertation 1980, in: MLHA Schwerin, S. 74) In Bernburg nahm die Tragödie dann ihren Lauf. Etwa zwei Wochen nach der Ankunft der Todeskandidaten lebte von ihnen niemand mehr.

Der Akt der Vergasung

Der Mord geschah mit größter Wahrscheinlichkeit in folgender Weise:
Unter dem Vorwand, gebadet zu werden, wurden 40 bis 50 der Opfer geschlossen in den als Duschraum getarnten Vergasungsraum geführt. ln dem Vertrauen, wirklich gebadet zu werden, ließ sich die Mehrzahl der Kranken ohne Widerstand in diesen Raum bringen. Gegen Widerspenstige, die vielleicht ihr Schicksal vorausahnten, wurde Gewalt angewendet. Nachdem die Türen verschlossen waren, wurde etwa 10 bis 20 Minuten lang Kohlenmonoxidgas in den Raum geblasen. Den Gashahn bediente grundsätzlich ein Arzt, da die Tötungsermächtigung Hitlers vom 01.09.1939 ausschließlich Ärzten erteilt worden war. (Kaul Friedrich-Karl: Ärzte in Auschwitz, Verlag Volk und Gesundheit, Berlin 1968, S. 30 f.) Unter den Patienten aus Schwerin, die der SS zur Vergasung übergeben wurden, befanden sich auch verwundete Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Selbst sie fanden keine Gnade.
Den Tod beurkundete der Standesbeamte Klein vom Standesamt Bemburg II. Die Todesursache wurde frei erfunden. Besonders oft waren Furunkulose, Blinddarmentzündung, akute Bronchitis und Kreislaufschwäche angegeben. (MLHA Schwerin. Akte: Generalstaatsanwalt des Landes Mecklenburg, Nr. 685)
Die Todestransporte aus Schwerin lassen sich auch über die Statistik der Heil- und Pflegeanstalt belegen. Bei einer Kapazität von 700 Betten erreichte die Belegung mit 170 Männern und 198 Frauen zum 31.08.1941 einen extrem niedrigen Stand. (Statistik der Heil- und Pflegeanstalt Sachsenberg, in: LHA Schwerin)

Todesanzeigen und Todesnachrichten

Der Reichspropagandaminister Goebbels hatte gehäufte Todesanzeigen, die den Mord an den Kranken hätten bestätigen können, verboten. Trotzdem fanden sich in der zeitgenössischen mecklenburgischen Presse konzentriert Todesanzeigen, die den Tod von Nervenkranken anzeigten. Angehörige aus Schwerin, Rostock, Wismar, Neukloster, Lüdersdorf, Sternberg, Ritzerow und anderen Orten gaben den Tod ihrer Anverwandten in den Heil- und Pflegestätten Bernburg und Schwerin bekannt. Ein Archivar sammelte schon damals diese Anzeigen. Es handelt sich um Menschen im Alter zwischen 34 und 62 Jahren. In einem Fall wird Justizinspektor i. R. und in einem anderem Landwirt als Beruf angeführt. In f...

Inhaltsverzeichnis

  1. Impressum
  2. Zum Geleit
  3. Vorwort
  4. Kapitel 1: Geschehen in Schwerin
  5. Kapitel 2: Geschehen in Blievenstorf und Stolpe
  6. Kapitel 3: Geschehen bei Schwerin
  7. Kapitel 4: Aus aktuellem Anlass: Versöhnungstreffen in Plau am See wirft Fragen auf
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