1. Oktober
Wenn du die Füße des Elefanten vor dir siehst, zählt kein
Alter
Sprichwort aus dem Umbundo
Sonntag. Im Speisesaal - U-förmig angeordnete Tische aus
Fahrzeugplanken. Außer Reis, Fisch und Bananen zu den Hauptmahlzeiten wird es
alles andere aus der Büchse geben. Die Leberwurst, die Butter, die Marmelade,
das Brot.
Zu den Frühstücksbroten trinken wir Limonade. Wasser kommt
erst nach zehn Uhr.
Erster Gang durch die Stadt. Uige - die Portugiesen nannten
es Carmona - war aus einem Militärposten entstanden, den die Portugiesen zur
Sicherung ihres Gebietes südlich des Kongos errichtet hatten. Das war 1917. In
den Jahren 1948/49 ließen sich Händler in der Nachbarschaft der Militärs
nieder, und erst seit 1956 spricht man von einer Stadt mit wichtigen
kommerziellen Einrichtungen inmitten des nördlichen Kaffeeanbaugebietes
Angolas. Fünfundvierzigtausend Leute leben in Uige.
Wenige Schritte von der Straße entfernt eine Hütte aus roten
Lehmquadern mit einem Wellblechdach, daneben ein winziger Gemüsegarten. Im
Schatten der Hütte, auf einer Matte, ein junges Paar. Er hat seinen Kopf in
ihren Schoß gelegt, und sie liest ihm aus einem Buch vor. Ihr Haar ist zu
unzähligen kleinen, borstig abstehenden Zöpfen geflochten. Als ich vorbeigehe,
blickt sie lächelnd auf.
Uige, eine Stadt nach dem Ausnahmezustand. Nur wenige
Geschäfte sind geöffnet. Im Zentrum moderne mehrstöckige Gebäude.
Herausgerissene Türen, zerschlagene Fensterscheiben. Müll in den Hausfluren.
Im Hotel in Luanda hatte ich in einer alten Zeitung ein Foto
gefunden. Das Bild zeigte den Führer der Terrororganisation FRENTE NACIONAL
PARA A LIBERTACAO DE ANGOLA - der Nationalen Front zur Befreiung Angolas -,
FNLA, Holden Roberto, an der Seite seiner chinesischen Berater in den Straßen
der Provinzstadt Uige. Nun stehe ich neben dem Gebäude, vor dem 1975 das Foto
gemacht wurde. Damals, im Herbst, unmittelbar vor der Befreiung der Stadt durch
die Soldaten der MPLA.
Fünfunddreißig Grad im Schatten treiben mich aus der Stadt
in den Bungalow zurück.
Hinter unserem Haus stürzte am Nachmittag ein Junge von einer
Palme, lakonischer Kommentar eines Brigadisten: Mir scheint, hier ist eben ein
Brikett vom Baum gefallen. Dann saß er aber auch schon im Auto und fuhr das
Kerlchen ins Krankenhaus.
Am Abend unter dem Schattenpilz. Endlich eine Erklärung zu
den Merkwürdigkeiten unserer Fahrt von Luanda hierher.
Die von uns befahrene Straße wird häufig von der FNLA
belagert, Fahrzeuge werden geplündert und die Kraftfahrer verschleppt.
Terroraktionen, die Unsicherheit verbreiten sollen und mit denen man den
nationalen Wiederaufbau stören will.
Gegen Mitternacht liege ich im Bett. Nach einer halben
Stunde ist das Laken nass geschwitzt. Mein Schlafdefizit vergrößert sich.
2. Oktober
Um acht beginnen wir mit der Arbeit in der Werkstatt.
Domingo, der angolanische Werkstattmeister, freut sich über die vielen
kräftigen brigadistas da RDA.
In der nach drei Seiten geschlossenen Reparaturhalle die
Fahrzeuge, andere stehen auf dem Hof. Neben der Werkstatt, fast schon unter den
Kaffeesträuchern, Wracks ausgeschlachteter Lastwagen.
Ich stelle mit den beiden Lehrlingen Alfredo und Eduardo die
Bremsen eines W 50 ein.
Von zwölf bis zwei Mittagspause.
Dann endlich halb sechs - Feierabend.
Jose, unser angolanischer Karosserieklempner, nimmt mich zur
Seite und zeigt mir stolz das von ihm reparierte Fahrerhaus.
Eine Arbeit, wie sie von uns niemand besser erledigen
könnte. Müde und durstig steigen wir den Hügel hinauf zur Unterkunft.
Um sechs stürzt die Sonne vom Himmel. Mit der Dunkelheit
kommen die Geräusche. Die Nacht scheint mir lauter als der Tag. Wir sitzen vor
dem Haus. Unzufriedenheit über die fehlenden Werkzeuge, über die mangelhafte
Grundausrüstung der Werkstatt. Waschpaste, Putzlappen müssen her. Gut gesagt,
was bei uns als Putzlappen gilt, tragen hier unsere angolanischen Schlosserkollegen
manchmal auf dem Leib.
Plötzlich strömt es vom Himmel. Ja, es ist Regenzeit.
Als der Himmel aufklart, gehe ich noch einmal vor die T ür.
Es tropft von den hohen Schattenbäumen in der Kaffeeplantage. Dunstschwaden
liegen über der Asphaltstraße zur Stadt. Verhalten lockt im nahen Dorf eine
Trommel, von der anderen Seite des Hügels wird ihr geantwortet.
Ich bin angekommen, in Afrika, in Angola, in Uige!
4. Oktober
Meine Schreibmaschine steht auf einer hochkant gestellten
Verpflegungskiste am Fenster. Blick auf das Ananasfeld und auf unseren
Wirtschaftshof.
Die erste Reportage für den Rundfunk ist fertig geworden.
Habe sie den Jungen vorgelesen.
Die Arbeit unserer Vorgänger kann sich sehen lassen.
Gemeinsam mit den angolanischen Schlossern wurden über zweitausend Reparaturen
an Fahrzeugen, stationären Motoren und Kaffeeschälmaschinen durchgeführt. Ein
knappes Hundert companheiros wurde auf dem LKW 50 eingewiesen. Und wenn
wir die Orangenlimonade DUSOL ohne Bezahlung bekommen, dann liegt das daran, dass
die Brigadisten hier in Uige die Limonadenfabrik, die die ganze Provinz
beliefert, nach Abzug der Portugiesen wieder in Gang brachten.
Am Nachmittag in der Werkstatt. Arbeit am Bremsventil und am
Pressluftbehälter. Anschließend Probefahrt.
Auf der Straße außerhalb der Stadt ein Mann mit einem Hund.
Ich muss wegen des Hundes bremsen. Als ich zurückkomme, hält das Herrchen das
Tier an den Vorderpfoten. Den Hund schützend, dreht er der Straße den Rücken
zu. Über die Schulter schaut er uns entgegen. Ich sehe, es ist ein sehr alter
Mann.
Kurz vor Feierabend rollt ein W 50 mit eingedrücktem
Fahrerhaus und zersplitterter Frontscheibe auf den Hof.
José geht mit dem 32-er Maulschlüssel in der erhobenen Faust
auf den Kraftfahrer los.
Wir halten ihn zurück.
Man muss es ihnen erklären, dass die Autos jetzt uns gehören
und dass sie kein Spielzeug sind. Man muss es ihnen erklären, und wenn sie
nicht verstehen wollen, dann hiermit!
Er hält uns das schwere Werkzeug unter die Nase und fügt
hinzu: Wenigstens drohen! Das ist doch erlaubt, oder?
Unser Dolmetscher redet auf José ein. Der aber lässt uns
einfach stehen, schiebt die Mütze ins Genick und geht sich kopfschüttelnd den
Schaden begucken.
José, dreiundzwanzig Jahre alt, Haupternährer der
sechsköpfigen Familie. Der Vater ist vor drei Jahren bei den Kämpfen gegen die
FNLA im Busch nahe der Stadt gefallen.
Es ist die Wahrheit, die temperamentvolle Fahrweise der motoristas,
der Kraftfahrer, bringt ihnen nicht selten schlimme Blechschäden ein. Mit großem
Spaß lenken die Kraftfahrer die großen Autos, in denen ihnen zur Zeit der
Überseeprovinz Portugals bestenfalls der Beifahrersitz zukam. Der Bedarf an
Kraftfahrern ist groß. Die VR Angola, zwölfmal so groß wie die DDR, verfügt nur
über dreitausendsiebenhundertzwanzig Kilometer Eisenbahnstrecke. Das sind vier
Linien, die nicht miteinander verbunden sind. Sie führen von der Küste ins
Landesinnere.
Der Landtransport muss vor allem mit Kraftfahrzeugen
organisiert werden. Das Land schreit nach Kadern. Wenn aber von zehn Angolanern
nur zwei lesen und schreiben können, werden die, die wenigstens vier Klassen
abgeschlossen haben, oft schon in leitende Funktionen eingesetzt. Ein
Kraftfahrer muss jetzt noch mit weniger Bildung auskommen. Und noch ist zu
wenig Zeit, um das Zusammenwirken der einzelnen Systeme des Kraftfahrzeugs
jedem Kraftfahrer genau zu erklären.
Der Kaffee muss von den Fazendas in die zentralen
Aufbereitungsanlagen. Maschinen, Getreide, Zement müssen von Nord nach Süd, von
Ost nach West, von den Häfen in die Dörfer des Hochlandes. Wer das Fahrzeug
einigermaßen sicher führen kann und die wichtigsten Gesetze des Straßenverkehrs
beherrscht, bekommt sein „Papier“. Kraftfahrzeugtechnisches Wissen muss
nachgeholt werden. Um dabei zu helfen, auch deshalb sind wir hier.
5. Oktober
Als die Jungen aus dem Haus sind, setze ich mich an die Schreibmaschine. Das Geklapper lockt Pedro, unseren Koch, und Enrico, seinen Gehilfen, an. Sie schauen ins Fenster, und wir versuchen ein Gespräch miteinander.
Pedro spricht neben Portugiesisch Kikongo. Das ist eine im Norden Angolas stark verbreitete Sprache, die Sprache der Bakongo.
Um die vierzehn Prozent der angolanischen Bevölkerung sprechen dieses Kikongo.
Enrico spricht Kimbundo und ist sehr stolz darauf. Die Hauptgebiete dieser Sprachgruppe liegen im nordwestlichen Mittelangola. Also in der Gegend um Uige bis hinunter nach Luanda. Rund ein Viertel der Bevölkerung spricht Kimbundo.
Zum Schwatz findet sich dann auch noch Julia ein. Sie lässt die Wäsche stehen und setzt sich zu uns. Während der Arbeit trägt sie ihren dreijährigen Bernardo auf dem Rücken. Julia ist guter Dinge, sie erzählt, dass sie im siebenten Monat schwanger ist. Wir kommen auf Geld zu sprechen. Pedro als Koch verdient im Monat fünftausend Kwanza, Enrico dreitausend und Julia zweitausend. Unsere Schlosser in der Werkstatt bekommen dreitausend Kwanza. Ein Kraftfahrer geht monatlich mit acht- bis zehntausend Kwanza nach Hause.
Nach der Mittagspause in der Werkstatt.
Kurz vor Feierabend rollt ein blauer BEDFORD auf den Hof. Mürrisch knallt der Kraftfahrer steinharten Gefrierfisch auf die Betonplatte. Dreißig Kwanza das Kilo.
Die Frauen unserer Schlosser kommen.
Zufrieden tragen sie die mit Fisch gefüllte Schüssel auf dem Kopf nach Hause.
Am Abend trifft der „Leitarzt“ aus Luanda ein.
Einweisung in die Benutzung des Schlangenbestecks. Also: Bissstelle zum Körper abbinden, Bissstelle mit dem Messer aufritzen, damit die Gewebeflüssigkeit einen Teil des Giftes ausspült, die erste der hellen Ampullen aufziehen und dicht an der Bissstelle spritzen, die zweite der hellen Ampullen aufziehen und ins Gesäß spritzen, die Kanüle stecken lassen, die Biampullen nacheinander aufziehen und ins Gesäß spritzen, die Wunde mit Sepso versorgen und verbinden, schnellstens zum Arzt. Die Chance zu überleben hängt vom Zeitpunkt der Behandlung ab. Sagt er.
Nur zwei dieser Bestecke sind an der Basis, gearbeitet aber wird an drei voneinander entfernten Orten: die Schlossergruppe, die über Land fährt, um Kaffeeschälmaschinen und stationäre Motoren in den Fazendas zu reparieren, Julia und die anderen im Hauptgebäude und wir in der Werkstatt.
Die Gefährdung durch Schlangen ist ziemlich groß. In den Bananenstauden hatte Pedro am Vormittag eine grüne Bananenschlange entdeckt. Sie...