Abitur im Sozialismus
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Abitur im Sozialismus

Schülernotizen 1963 - 1967

  1. 296 Seiten
  2. German
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Abitur im Sozialismus

Schülernotizen 1963 - 1967

Über dieses Buch

"Nun sagt mir doch endlich mal, was das ist, die DDR!" Diese Frage seiner damals 10-jährigen Enkelin lässt dem Autor Werner Müller keine Ruhe. Hinzu kommen die vielfältigen Erinnerungen von Schulfreunden aus den vier Jahren an der Erweiterten Oberschule "Rainer Fetscher" während eines Klassentreffens. Die oft abwertenden Äußerungen der westlich geprägten Medienlandschaft über das Schulsystem im kleineren der beiden deutschen Nachkriegsstatten rufen Unmut hervor. Deshalb beschließt der Autor, gemeinsam mit ehemaligen Klassenkameraden auf eine Zeitreise in die Mitte der 1960-er Jahre zu gehen. Damit dieser Ausflug der Erinnerungen nicht zu sonnig wird, stöbert er in den Klassenbüchern von damals, holt seine alten Tagebücher hervor und arbeitet sich durch Zeitungen, Bücher und Internet. So entsteht das vielfältige Bild eines Schulalltages dieser Zeit in der DDR, ein Stück Dokumentarliteratur. Dabei werden auch Wechselbeziehungen West-Ost gezeigt, Vergleiche herangezogen. Die Wahrnehmung der gemeinsamen Vergangenheit ist bei den Mitschülern oft unterschiedlich, widersetzt sich jedoch der heute immer noch beliebten Schwarzfärberei in Medien und Politik. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass eine realistische Darstellung der deutschen Geschichte bis 1990 nur in ihren Gemeinsamkeiten und Wechselwirkungen möglich ist. Das gilt nicht nur für die gezeigten vier Schuljahre. Wann das sein wird, ist im Nebel der Zukunft verborgen.

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Information

Kapitel 1: Wie alles kam

„Aber für das, was ich in den vier Jahren in der Fetscher-Schule gelernt habe, dafür bin ich meinen Lehrern, unserer Schule, noch heute dankbar!“ – Das äußerte anlässlich eines Klassentreffens in vorgerückter Stunde während einer lebhaften Diskussion einer meiner Mitschüler. War das Rüdiger oder Gottfried oder…? Ich weiß es nicht mehr. Das ist auch gleichgültig, denn alle in der Nähe Sitzenden, die das hörten, gaben im allgemeinen Stimmenwirrwarr des Treffens ihre Zustimmung zu erkennen.
Das war im September 2012. Einer schönen Tradition folgend trafen sich die Schüler aller vier Klassen des Abiturjahrganges 1967 der Erweiterten Oberschule „Rainer Fetscher“, Pirna, alle fünf Jahre, später alle drei Jahre, um über alte und neue Zeiten zu reden oder sich ganz einfach mal wieder zu sehen. –Wiedersehenstreffen! Gemeinsam hatten wir diese Schule seit September 1963 besucht und nach vier Jahren 1967 mit Abitur und Facharbeiterbrief wieder verlassen, um so gerüstet ins Leben hinauszugehen.
Seltsam, an diesen Moment erinnere ich mich jetzt ganz deutlich, als ich Anfang Juli 1967 nach Erledigung der letzten Abmeldeformalitäten im Sekretariat durch den Internatseingang die Schule endgültig verließ. Vier durchaus anstrengende Jahre lagen hinter uns, vor uns entweder meistens sofort (Geburtsjahrgang 1949) oder erst nach 18 Monaten Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (Geburtsjahrgang 1948) ein Studium.
Im Jahr dieses Treffens 2012 befanden sich schon viele von uns im Ruhestand, waren Rentner, Pensionäre oder wie man das eben nennt. Die anderen sahen ihren letzten aktiven Arbeitsjahren entgegen. Von 30 Schülern der Klasse B2 des Jahrganges 1963 bis 1967 waren 25 gekommen. Der Rest fehlte wegen gesundheitlicher Probleme oder hatte einen unaufschiebbaren Termin. Einer hatte uns schon gänzlich verlassen, Bernd; ein anderer war allen Klassentreffen fern geblieben.
 
Thema der vorn genannten Diskussionsrunde war die Aufhebung unserer damaligen Erweiterten Oberschule, nach 1990 „Rainer-Fetscher-Gymnasium“, zugunsten des 1992 aus der 10-klassigen Schiller-Schule neu gegründeten „Schiller-Gymnasiums“. Nicht nur uns machte das sehr betroffen, nein auch die anderen Klassen unseres Jahrganges und noch viele andere fanden das unangebracht, ja falsch. Aber darüber wird noch zu reden sein. Und natürlich ergaben sich dann auch Themen zum Schulalltag heute, zu der Zersplitterung einer eigentlich gesamtnationalen Aufgabe der Bildung auf 16 Bundesländer und zur unterschiedlichen Wahrnehmung der Schulbildung sowohl der ehemaligen DDR als auch der ehemaligen BRD.
Dazu kam damals schon, also 2012, die sich anbahnende Misere eines Lehrermangels in Sachsen. Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion war am 31. August 2012 nach einer harten Auseinandersetzung um die Schulpolitik der CDU/FDP-Regierung von seinem Amt zurückgetreten. Im Kern ging es dabei um die Umwandlung von Mittelschulen in sogenannte Oberschulen, die er als Etikettenschwindel bezeichnete, und den Lehrermangel an sächsischen Schulen. Bereits im November 2011 hatte er geäußert, dass in Sachsen ein funktionierendes Schulsystem „ohne Not an die Wand gefahren“ werde (WIKIPEDIA).
 
Nun sind wir, die Schülerinnen und Schüler unserer B2, schon über 25 Jahre in der neuen BRD angekommen und erleben mit Erstaunen, manchmal mit Groll, manchmal mit Erheiterung, auch angesichts der unvermeidbaren PISA - Studien, wie unterschiedlich und beziehungslos, oft sehr einseitig, über bestimmte Zeiträume und Ereignisse dieses Bereiches geschrieben und diskutiert wird. Je weiter oben das angesiedelt ist, desto schräger und verzerrter können die Darstellungen sein. Neuerdings lässt auch mancher seriöse Bericht aufhorchen. Immer aber entdeckt der kritische Bürger in den verschiedensten Medien (unabhängige Berichterstattungen gibt es trotz aller gegenteiliger Beteuerungen wenige) Versuche, die kleinere der ehemaligen zwei deutschen Republiken zu delegitimieren.
So formulierte zum 15. Deutschen Richtertag, am 23.9.1991, der damalige Justizminister Klaus Kinkel: „Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das … seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat, während es … einen Staat aufbaute, der in weiten Bereichen genauso unmenschlich und schrecklich war wie das faschistische Deutschland ….“ (Deutsche Richterzeitung 1992, S. 4/5).
Danach wurde dann und wird auch noch vielfach verfahren, und das nicht nur auf dem Gebiet der Justiz.
 
In einem Informationsforum des Internets war folgende Anfrage eines Schülers zu finden: „Hallo Leute, ich mache meinen MSA vortrag für die 10. klasse. Mein Thema ist Wie war das Alltagsleben in der DDR/BRD? Und wo liegen die Unterschiede. Meine Frage ist nun ob ihr vllt. ein paar Seiten zu dem Thema kennt. (am besten mit tabelle) Oder auch vllt. etwas aus eurer eigenen erfahrung berichten könnt?! Ich freue mich über antworten . “ – (Original-Zitat, nichts verändert!)
 
Die Antworten waren interessant und im Gegensatz zu tendenziösen Medienaufmachungen erfrischend offen, ehrlich und um echte Erkenntnisse bemüht. So jedenfalls mein ganz persönlicher Eindruck.
Und so wuchs dann stetig der Gedanke: Sollte man nicht einmal aufschreiben, wie wir unsere Schulzeit erlebt haben, bevor uns das von heute 30-Jährigen oder damals nicht in diesem Land Anwesenden fragwürdig beschrieben wird? - Zumindest für unsere Enkel könnte das interessant sein, wenn sie dieses Thema einmal im Geschichtsunterricht behandeln sollten.
Einer, der wegen seines Einsatzes für den von der DDR zwangsweise ausgebürgerten Wolf Biermann gemaßregelt wurde und dann selbst den Weg in den Westen nahm, der Schauspieler Hilmar Thate, bemerkt 2006 in seiner Autobiografie, er finde die Siegermoral, die Erhabenheit und scheinbare Makellosigkeit in der Darstellung der alten BRD fad und anmaßend. Man brauche sich nicht zu wundern, dass in der DDR aufgewachsene und dort gebliebene Menschen widersprechen und sich zu Wort melden. (Hilmar Thate, „Neulich als ich noch Kind war“, Autobiographie, Verlag Lübbe, 2006, S.250).
Also melden wir uns zu Wort! - Wie war das denn damals?

Kapitel 2: Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht …

Erich Kästner meint kurz und bündig in einem seiner Epigramme, die Erinnerung bilde die Menschen um. Wer das Schöne seiner Vergangenheit vergisst, würde böse; wer das Schlimme seiner Vergangenheit vergisst, würde dumm. (Erich Kästner, „Kurz und bündig.“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln. Berlin 1965, S. 34). – Wie schön und richtig!
 
Auf der Webseite des Pirnaer Heimatforschers und früheren Geschichtslehrers Hugo Jentsch fand ich in einem seiner Beiträge folgende kritische Bemerkungen zu dem Thema:
„,Nichts ist trügerischer als die eigene Erfahrung’, sagte mal ein namhafter Historiker. Besteht sie doch meist aus bruchstückhaft aufbewahrter, stark selektierter und über die Jahre vielfach abgewandelter, oft emotional aufgeladener Erinnerung, während anderes verdrängt und abgeblockt wird. Werden Erinnerungen durch andere abgerufen, dann folgt man meist deren Fragestellung oder Erwartung. Handelt es sich beim ins Bewusstsein Zurückgerufenen um Ereignisse, die mehr als 50 oder gar 60 Jahre zurückliegen, fällt die Rekonstruktion von Ereignisabläufen schwer, wenn sie nicht gar unmöglich ist. Erlebtes vermischt sich mit Gehörtem zu einem Bild. Was und wie damals gedacht wurde, ist inzwischen mehrfach in wandelnden Zeiten überlagert und verwandelt worden. Das alles fordert von jedem über Geschichte Schreibenden ein Mindestmaß an quellenkritischen Bedenken. Was von den aufgenommenen Erinnerungen Befragter nahm der Autor in seine Darstellung auf, was ließ er unberücksichtigt. Nach welchen Kriterien selektierte er Erinnerungen und Tagebuchworte?“
Der Schauspieler Eberhard Esche hatte folgende Meinung:
„…nämlich die, dass sich die Erinnerung vor der Wahrheit verlaufen kann, um entweder in die Abwege der Verteufelung oder die Irrwege der Vergoldung zu geraten. Oder den bekannten Dritten Weg sucht, der alle bedienen will und keinem nützt und so allen und der Sache schadet." (Eberhard Esche, „Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen“, Eulenspiegel-Verlag 2011, S. 153).
Peter Ensikat, der unvergessene Kabarett-Autor war der Meinung, die Erinnerung sei umso schöner, je schlechter das Gedächtnis ist (Peter Ensikat, „Das schönste am Gedächtnis sind die Lücken“, Karl Blessing Verlag München, 2005, S. 10). Gerade das aber, Verklärung, ist in diesem Buch nicht beabsichtigt.
 
Tatsächlich, nach über 50 Jahren ist vieles vergessen.
Da springt auch das oft genannte Langzeitgedächtnis der Älteren nicht ein, das ist aber auch keine beginnende Demenz. Das ist Physiologie des Gehirns. In einer Jahresarbeit meiner EOS-Zeit schrieb ich mal ausführlich über Verhaltensweisen bei der Hausziege, über bedingte und unbedingte Reflexe, über Verknüpfungen von Abläufen im Gehirn. Aber diese vorhandenen Erinnerungen helfen jetzt nicht so richtig weiter.
Da kam mir die Idee, doch einmal in den alten Klassenbüchern nachzulesen über Unterrichtsstunden, Inhalte und Themen der damaligen Jahre. Sicher würde das die Erinnerungen beflügeln. Mein Klassenkamerad in den vier Jahren EOS, Bernhard, jetzt in Dresden wohnend, ebenfalls im Ruhestand, sagte spontan seine Mitarbeit zu, obwohl gerade selbst mit einer literarischen Arbeit beschäftigt.
Nach dem Aufbewahrungsort der Bücher brauchten wir nicht lange suchen. Hier half mir der Zufall. In einem kurzen Film berichtete das Stadtfernsehen Pirna (Video) im Internet über den Umzug des Stadtarchivs in die Räume des neuen Sitzes des Landratsamtes Pirna. Dabei, welch Zufall, waren Kisten mit der Aufschrift „Klassenbücher Rainer-Fetscher-Oberschule“ kurz zu sehen gewesen.
 
Also machten wir uns auf den Weg. Die zuständige Archivarin freute sich über unser Interesse an den Beständen des Archivs, und nach datenschutzrechtlicher Belehrung tauchten Bernhard und ich ein in die Lektüre einer über 50 Jahre zurückliegenden Schulzeit. Da lagen vier Klassenbücher vor uns, etwas abgenutzt und verstaubt, aber angefüllt mit unserem Schülerleben, was den offiziellen Teil betrifft. Wir fanden Namen und Anschriften der Eltern, Zensuren, Einträge zu den Themen der Unterrichtsstunden und natürlich auch zu den üblichen Schülerschandtaten wie Verspätung zum Unterricht, vergessenen Unterschriften und Hausaufgaben oder auch, in höchster Not versucht, zu Abschreibversuchen (Spicken!) während einer Klassenarbeit und so fort.
Eigentlich ein Wunder, dass es diese Bücher noch gab. Sie waren aus unerklärlichen Gründen entgegen der wohl sonst üblichen Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren nicht kassiert, wie das in der Sprache der Archivare heißt, sondern für spätere Generationen aufbewahrt worden. Dass sie die betroffene Erlebnisgeneration selbst wieder nutzen, lesen, bewerten, auswerten würde, war weder beabsichtigt noch vorherzusehen gewesen. Wir taten das nun. Bernhard und ich verbrachten mehrere Tage im Archiv und versuchten, die Schrift unserer Lehrer zu entziffern.
Besonders schwierig gestaltete sich diese Grafologie bei unserem Geschichtslehrer der neunten und zehnten Klasse. Er hatte es nicht immer leicht mit uns. Als Leiter der Schulbücherei mit ihrem nicht kleinen Buchbestand ist er mir noch in guter Erinnerung. Ich habe dort eine komplette Ausgabe der Werke von Theodor Storm lesen können. Dr. Zippel freute sich über jeden Leser der Bücherei und beriet gern bei der Auswahl von Büchern.
Einträge von Herrn Rieger erinnerten an die Themen in Staatsbürgerkunde bzw. später Philosophie (des Marxismus). Auch hier eine Erinnerung: Mit diesem Lehrer kam ich in der Pause mal über Ringelnatz ins Gespräch und über die Schwierigkeit, von ihm Gedrucktes zu erhalten. Daraufhin bot er mir eine noch gar nicht so alte Auswahl von Ringelnatz-Gedichten einer kürzlich erschienenen Buchausgabe zum Ladenpreis an. Er hatte das Buch doppelt, und es steht jetzt noch in meinem Bücherschrank.
Gut, nun hatte ich sie ja in der Hand, unsere Klassenbücher. Wie weiter?
Ich stieg auf den geräumigen Dachboden unseres Hauses mit seinen Schränken und Regalen. Ich suchte, ich wühlte mich durch Stapel alter Bücher, blickte kurz in meine Dissertationsschrift, verweilte bei alten Texten des Dramatischen Zirkels unsrer EOS und dann fand ich sie – meine Tagebücher. Leider waren von ehemals drei Heften nur noch zwei vorhanden. Das eine vom 30.12.1963 bis 30. 9.1964, das andere vom 12.7.1965 bis 8.6.1967. Dazwischen fehlen also etwa 10 Monate.
Einer Idee von Wolfgang U. folgend, meines Freundes aus der damaligen Zeit, hatte ich schon vor einigen Monaten, bevor ich dieses hier schrieb, per E-Mail bei allen Klassenkameraden angefragt, ob sie wohl bei meinem Vorhaben mitwirken möchten. Die Adressen hatte ich mir beim letzten Klassentreffen geben lassen. Immerhin 18 bekundeten sofort Zustimmung. Das macht Mut! Wir könnten uns also ergänzen.
Ja, dann ist da noch diese herrliche Errungenschaft des Internets mit seinen vielen Möglichkeiten zum Erhalten von Auskünften vielerlei Art. Heureka!

Kapitel 3: 1963 – der Beginn unserer Zeit an der Erweiterten Oberschule – in welcher Zeit?

Wie war nun diese, unsere Zeit? Die Zeit der 1948 oder 1949, im Gründungsjahr dieser zwei deutschen Staaten Geborenen? Wie beeinflussten die damaligen Verhältnisse unser Umfeld, nicht zuletzt unsere Eltern und Lehrer, und natürlich vor allem uns Schüler? Es war die Zeit der Ost-West-Konfrontation, die auch die beiden deutschen Teilstaaten mit einbezog. Der Meinungen hierzu gibt es viele.
Auch ich habe versucht und versuche es immer wieder, mir dazu eine eigene Meinung zu bilden. Das ist nicht einfach im pluralistisch geprägten deutschen Gesellschaftssystem, dessen Vielfalt aber nicht selten Einschränkungen unterliegt. Also nutze ich die Möglichkeiten des Internets von heute, um mehr zu erfahren über gestern, versuche mich hineinzuversetzen in diese Zeit.
Ich rechne nach: Der Beginn unseres Lernens an der Erweiterten Oberschule „Rainer Fetscher“ in Pirna war gut 18 Jahre nach Beendigung des 2. Weltkrieges, nach Zusammenbruch des Naziregimes in Deutschland, nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am achten Mai 1945. Heute sind seit der Wiedervereinigung Deutschlands über 25 Jahre vergangen. Ist das nun viel oder wenig?
Nach dem Ende des sogenannten Dritten Reiches installierten die Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich in ihren deutschen Besatzungsgebieten eine parlamentarische Demokratie, die Sowjetunion in ihrem Herrschaftsbereich die Diktatur der Arbeiterklasse und ihrer führenden Partei nach sowjetischem Vorbild.
Im September 1947 trafen sich Briten und Amerikaner (die sogenannte Bizone) und einigten sich, ohne Anwesenheit von Deutschen, auf die schnelle Gründung eines Staates nach Vorgaben der westlichen Alliierten. Am 23. Mai 1949 wurde aus den drei westlichen Besatzungszonen die Bundesrepublik Deutschland gegründet, am 7. Oktober 1949 aus der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik.
In der Bundesrepublik führte Adenauer mit seinen Parteifreunden konsequent die westliche Politik weiter, unter Vermeidung jeglicher Möglichkeiten zur innerdeutschen Verständigung. Motto: Teile und herrsche. Dem trug dann auch die sogenannte Hallstein-Doktrin (1955 bis 1969) Rechnung. Erst die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt gab diese Doktrin auf, die immer schwieriger zu handhaben war und die bundesdeutsche Außenpolitik schließlich beschränkte.
Grundlage der Doktrin war der Alle...

Inhaltsverzeichnis

  1. Impressum
  2. Nur wer losgeht kommt an
  3. Vorwort
  4. Kapitel 1: Wie alles kam
  5. Kapitel 2: Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht …
  6. Kapitel 3: 1963 – der Beginn unserer Zeit an der Erweiterten Oberschule – in welcher Zeit?
  7. Kapitel 4: Nach Ende der 8. Klasse in die Erweiterte Oberschule
  8. Kapitel 5: Abitur und Berufsausbildung – eine besondere Herausforderung
  9. Kapitel 6: Unser Schulalltag von 1963 bis 1967
  10. Kapitel 7: K & Co. – die Band, die eigentlich die „The Others“ war
  11. Kapitel 8: Politinformation in der Klasse B2 1963 bis 1967
  12. Kapitel 9: Das Internat und seine Bewohner
  13. Kapitel 10: Außerschulische Arbeit/Tätigkeit – was war da los?
  14. Kapitel 11: Unsere Arbeitsgemeinschaften (AG)
  15. Kapitel 12: Pause
  16. Kapitel 13: Mathe, Chemie, Bio und Physik
  17. Kapitel 14: Geschichte und Staatsbürgerkunde
  18. Kapitel 15:  Deutsch
  19. Kapitel 16: Russisch und Englisch
  20. Kapitel 17: Zeichnen/Kunstgeschichte und Musik
  21. Kapitel 18: Erdkunde und Astronomie
  22. Kapitel 19: Sport und Sonstiges
  23. Kapitel 20: Dem Ende zu - Abiturprüfung, Wehrdienst und/oder Studium
  24. Kapitel 21: Fetschers zweiter Tod - Erlöschen einer Tradition
  25. Kapitel 22: Was noch zu sagen wäre
  26. Nachwort
  27. Bildnachweis
  28. Begriffserklärungen
  29. Werner Müller