Tanz einfach!
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Tanz einfach!

Wie Rhythmus und Musik uns gesund, glücklich und stark machen

  1. 208 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Tanz einfach!

Wie Rhythmus und Musik uns gesund, glücklich und stark machen

Über dieses Buch

Dr. Peter Lovatt erklärt, welche erstaunlichen kognitiven und emotionalen Vorteile das Tanzen für uns bereithält und wie wir uns buchstäblich glücklich tanzen können. Er ist der Gründer des "Dance Psychology Lab", wo er Tänzer*innen und das Tanzen aus wissenschaftlich-psychologischer Perspektive untersucht.Tanzen ist nicht nur schlichtes Bewegungstraining. Die Erfahrung, sich einem Rhythmus hinzugeben, kann einen tiefgreifenden Einfluss auf alle unsere Lebensbereiche haben – sie hilft uns, besser zu kommunizieren, kreativer zu denken und sie kann uns kraftvolle Impulse geben, um unser Leben positiv zu verändern. Sich selbst im Moment bei einem Song oder einem anderen Musikstück zu verlieren, kann Ängste, Depressionen und Gefühle von Einsamkeit lindern.Neben faszinierenden Anekdoten aus der Geschichte des Tanzens und zahlreichen Fallbeispielen aus seinem Dance Psychology Lab sowie seinem eigenen Leben teilt der ehemalige Profitänzer Lovatt die besten Schritte, Figuren und Bewegungsabläufe mit seinen Lesern und gibt Tipps, welche Musikstücke sich seiner Erfahrung nach eignen, jeden dazu zu inspirieren, die Musik aufzudrehen, aufzustehen und sich selbst glücklich zu tanzen – auch und gerade diejenigen, die von sich selbst glauben, sie könnten nicht tanzen.Nach Art einer "Tanzapotheke" "verschreibt" Dr. Lovatt in "Tanz einfach!" seinen Lesern den perfekten Tanz für jede Gelegenheit und gibt Anleitungen, welcher spezielle Tanz sich zur Erfüllung unserer Bedürfnisse oder zur Lösung unserer Probleme am besten eignet: •Möchten Sie einfühlsamer werden? Versuchen Sie einen Scottish Country Dance.•Wünschen Sie sich mehr Kreativität? Hier hilft ein zeitgenössischer Tanz.•Stress abbauen? Verlieren Sie sich in einem Punk-Pogo.•Möchten Sie lange gesund und munter bleiben? Das Geheimnis liegt im Zumba.•Braucht Ihr Selbstvertrauen eine Stärkung? Hier helfen Ballett und Bauchtanz weiter.In einer unwiderstehlichen Mischung aus Wissenschaft und Lebensfreude zeigt "Tanz einfach!" wie Sie den Beat anschalten und Ihr Leben ändern!

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KAPITEL 1

MEINE GESCHICHTE

Wenn ich tanze, fühle ich mich in vielerlei Hinsicht anders: Ich nehme meine Gefühle deutlicher wahr, es fällt mir leichter, mit Menschen in Beziehung zu treten, mein Kopf ist weniger voll und, vielleicht am wichtigsten von allem, ich bin mehr „bei mir“. Wenn ich mich bewege, auf die Musik höre, den Groove spüre, springe, mich drehe, hüpfe und in die Vorbereitung zu einer doppelten Pirouette gehe, empfinde ich ein Gefühl der Vollständigkeit. Die Welt sieht anders aus, klingt anders und fühlt sich anders an. Meine Lungen und mein Herz füllen sich mit einem weitenden Atemzug, und ich schwebe, fliege und fühle mich völlig frei.
Außerdem kann ich in Bewegung am besten denken. Stillsitzen ist mir noch nie leichtgefallen. Ich zappele, zucke und lasse mich von Klängen, Lichtern, Gerüchen und dem Gefühl von Kleidern an meinem Körper ablenken. Wenn mein Körper stillsteht, rast mein Verstand von einem Gedanken zum anderen und schweift in alle Richtungen ab. Bewegung verleiht meinen Gedanken Ordnung und Gestalt – und interessanterweise scheinen verschiedene Tanzarten meine Gedanken unterschiedlich zu ordnen.
Als Mensch, der nicht gerne sitzt, konnte ich die Schule nicht ausstehen. Ich habe die Schule auch aus anderen Gründen gehasst: Mir fiel der Unterricht schwer – ich hatte wirklich Mühe, die Grundlagen des Lesens und Schreibens zu erlernen; und ich passte nicht ins System. Davon abgesehen hatte ich das große Glück, dass es in meiner weiterführenden Schule eine Tanzgruppe gab. Sie hieß Colour Supplement (eigentlich farbige Magazinbeilage einer Zeitung, Anm. d. Ü.), weil alle Tänzerinnen und Tänzer verschiedenfarbige Ganzkörperanzüge aus Lycra tragen mussten. Meiner war kastanienbraun. Vielleicht war dies der Grund, warum nur sehr wenige Jungen bei Colour Supplement mitgemacht haben – meistens war ich der einzige. Während alle anderen Jungs in meiner Jahrgangsstufe sich zum Fußball umzogen, zwängte ich mich in Lycra-Schläuche und zog Jazztanz-Schuhe an.
Was für mich völlig selbstverständlich war, fanden andere krass unnatürlich. Ende der 1970er scheuten sich die Leute auch nicht, offen auszusprechen, was sie von dir hielten. Meine Klassenkameraden bildeten da keine Ausnahme. Sie nannten mich queer, warmer Bruder, schwul, Schwuchtel, Tunte und alles, was damals im negativen Sinne mit Homosexualität verbunden war. Mir wurden Sätze nachgerufen und an die Tafel geschrieben wie „Hey, Schwuchtel, wo ist dein Tutu?“. Die unvorstellbaren Beleidigungen begannen mit dem Einsetzen der Pubertät und hörten erst auf, als ich einem besonders gemeinen Fiesling namens Ian eiskalt entgegentrat. Er sorgte mit besonderem Ehrgeiz dafür, dass ich immer der erste war, den man öffentlich beleidigte.
Als eines Tages ein Paar Ballettschuhe in meiner Schultasche entdeckt wurden, holte Ian zur ultimativen Demütigung aus. Er ließ mir ausrichten, dass er sich mit mir an der Stirnseite des Schulsportplatzes treffen wollte. Dies konnte nur eins bedeuten: Hier kämpften Jungs um Mädchen, Ehre, sozialen Rang und nun, zum ersten Mal an meiner Schule, um Ballettschuhe. Ich konnte nicht ablehnen. Ich schritt den Sportplatz der Länge nach ab und zog eine ganze Schar Schaulustiger hinter mir her. Das sah aus wie in West Side Story. Alle lachten nervös, weil sie schon damit rechneten, dass der Lycraboy gleich ordentlich was abbekäme. Ian machte den ersten Move. Er rannte auf mich zu und sprang mich an. Aber weil ich es gewohnt war, dass Mädchen auf meiner Schulter saßen, konnte ich sein Gewicht halten und ihn schließlich sogar abwerfen. Weil ich es aber nicht gewohnt war, Leute auf den Boden fallen zu lassen, versuchte ich instinktiv, ihn im Fallen zu packen, und er landete in einem provisorischen Schwitzkasten, sodass sein Kopf unter meinem Arm hervorschaute. Ich hatte noch nie jemandem einen Faustschlag verpasst, ja, ich hatte überhaupt noch nie jemanden schlagen wollen, aber diese Gelegenheit war einfach viel zu gut, um sie verstreichen zu lassen. Ich schaffte es, ihm für jedes Jahr, in dem er mir das Leben zur Hölle gemacht hatte, einen Hieb zu verpassen. Vier kräftige Schläge landeten mit sattem Bums mitten auf seiner Nase. Wir gingen auseinander und starrten uns schweigend an. Als ein Tröpfchen Blut aus seiner Nase nach ein paar Minuten zu einem Sturzbach anschwoll, drehte er sich um und ging. Es war mucksmäuschenstill, bis ihm ein Junge aus dem Publikum nachrief: „Wer ist jetzt die Schwuchtel, Ian?“, und alle lachten. In der Schule war dies für mich ein Wendepunkt – jetzt konnte ich nicht nur unbehelligt alle möglichen Tanzschuhe mitbringen, es zeigte mir auch, wie sehr das Tanzen mich körperlich gestärkt hatte. Die Liegestütze, Körperübungen und die Partnerarbeit hatten mich muskulös gemacht. Ian und seine Gang haben mich nie wieder belästigt.
Rückblickend bin ich froh, dass ich dem Druck, mit dem Tanzen aufzuhören, nicht nachgegeben habe. Es wäre sicher einfacher gewesen, Ballettschuhe gegen Fußballstiefel einzutauschen, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie leer mein Leben dann gewesen wäre. Es macht mich traurig, wie viele Jungs kurz nach dem Einsetzen der Pubertät aufhören zu tanzen. Gesellschaftlicher Druck ist ein wichtiger Teil des Problems, aber es sind nicht nur die unbedachten Beleidigungen, die Jungen und Männer vom Tanzen abhalten. Gesellschaftlicher Druck kann von Gleichaltrigen, Freunden und Familie, aber auch aus der Tanzwelt selbst kommen. Wenn du ein Mann bist, kann sie wenig einladend sein. Tanzläden sind oft rosa, feminin und auf Kinder ausgerichtet, und viele haben gleichzeitig eine Kostümabteilung. Tanzunterricht wird oft von Frauen erteilt, die Kurse sind voller Mädchen, was für Jungen und Männer einschüchternd sein kann.
Der andere wichtige Grund, warum ich die Schule gehasst habe, war das Lesen und Schreiben. Es wurde ständig gefordert, und ich konnte es einfach nicht. Ich bin in den 1970er Jahren aufgewachsen, als Legasthenie noch nicht in so breitem Maße anerkannt war wie heute. Ich war ein langsamer Leser, wurde als „zurückgeblieben“ abgestempelt und galt allgemein als „ein bisschen doof“.
In der Schule konnte ich die Wörter „Hund“ und Katze“ lesen und den Satz „The cat sat on the mat“ verstehen. (dt. „Die Katze saß auf der Matratze“) Aber es gab viele Wörter, die ich nicht laut aussprechen konnte, und andere, bei denen ich einfach keine Ahnung hatte, wie man sie schreibt, zum Beispiel „Rhythmus“. Auch heute noch fällt es mir schwer, bei ähnlich klingenden Lauten die richtige Schreibweise zu finden. Stellen Sie sich vor, Sie würden folgenden Satz hören und müssten ihn aufschreiben: „I didn’t choose to lose my shoes“ (dt. „Ich habe meine Schuhe nicht mit Absicht verloren“. Die Vokale werden hier im Englischen alle wie ein langes u im Deutschen ausgesprochen, sodass man die unterschiedliche Schreibweise nicht hören kann. Anm. d.Ü.). Ich höre, dass die drei Schlüsselwörter „Choose“, „lose“ und „shoes“ gleich klingen. Deshalb erwarte ich, dass sie auch gleich geschrieben werden, zugleich bricht mir aber der kalte Schweiß aus, weil ich irgendwo tief im Innersten weiß, dass dem nicht so ist. In rasender Eile wägt mein Hirn die Möglichkeiten ab und versucht, die Unklarheit zu lösen, aber der Sinn des Satzes ist mir bis dahin längst flöten gegangen.
Meine Anstrengungen, die vertrackten Regeln des Lesens und Schreibens zu erlernen, hatten einen Dominoeffekt auf fast alle anderen Schulfächer. Schließlich beruht die Bildung, die wir in der Schule erhalten, auf einem Lernsystem, das auf umfangreichem Lesen aufbaut. Wenn wir zum Beispiel Geschichte lernten, mussten wir in Lehrbüchern nachlesen, und um zu zeigen, wie viel wir über die industrielle Revolution wussten, mussten wir alles aufschreiben. Ich fürchtete mich immer vor dem Moment im Unterricht, wenn der Lehrer sagte: „Schlagt die Bücher auf Seite 230 auf und lest bis zum Ende des Kapitels.“ Niemals würde ich bis zum Ende des Kapitels kommen. Ich wusste, dass es erst gar keinen Sinn hatte, es auch nur zu versuchen, also träumte ich mich in meine eigene Welt, sah aus dem Fenster, zappelte herum, schaute mich um und fing mir unweigerlich einen Verweis ein, weil ich die anderen ablenkte.
Meine mangelnde Mitarbeit im Unterricht wurde mir als Ungehorsam ausgelegt, und die Gruppe der Unruhestifter, mit denen ich mich schließlich anfreundete, war auch nicht gerade eine Hilfe. Es waren Schülerinnen und Schüler, die sich mit dem Lesen ebenfalls schwertaten. Da sie den Unterricht langweilig fanden, suchten sie wie ich ihre Anregungen anderswo. Je ausgeklügelter unsere rebellischen Akte wurden, desto härter wurden auch unsere Strafen. Sie reichten von Nachsitzen über Stockschläge (jedes Mal drei Schläge) bis schließlich zum zeitweisen Schulausschluss. Einige von uns erhielten einen Schulausschluss, weil sie das Auto eines Lehrers umgeparkt und ihm Apfelkerngehäuse in den Auspuff gesteckt hatten – dieser Schultag hat mir gut gefallen! Ein paar dieser Freunde gerieten schließlich in Konflikt mit dem Gesetz, und einige wanderten sogar eine Zeitlang in Polizeigewahrsam und ins Gefängnis. Ich hatte Glück; das Tanzen hat mich gerettet.
Aber natürlich habe ich die Schule ohne schriftlichen Abschluss verlassen. In Geschichte oder Geografie musste ich zwar keine Prüfung ablegen, wohl aber in Englisch, worin ich wiederholt mit Pauken und Trompeten durchfiel. Als Sechzehnjähriger hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich eines Tages in einen berühmten Verlag in Bloomsbury hineinspazieren und über ein Buch sprechen würde, das ich geschrieben hatte. Mit sechzehn war ich funktionaler Analphabet. Ich hatte noch nie ein Buch gelesen, und es war mir nahezu unmöglich, komplexe Muster schriftlicher Wörter zu verstehen.
Nach der Schule studierte ich am örtlichen College zwei Jahre lang Theater und kreative Künste. Das habe ich geliebt. Danach studierte ich weitere drei Jahre Tanz und Musiktheater an der GSA, der renommierten Guildford School of Acting, die damals berühmt dafür war, dass in wirklich jedem West-End-Musical ein Absolvent oder eine Absolventin der Schule mitwirkte. Diese fünf Ausbildungsjahre waren fabelhaft. Jeder Tag war von morgens bis abends ausgefüllt mit Unterricht in Tanzen (Ballett, Stepp, Jazz, Ausdruck, Pas de deux, Volkstanz, Contemporary), Stimmbildung, Gesang und Schauspiel, verbunden mit der Chance, jedes Jahr in mehreren Tanz- oder Musiktheater-Shows aufzutreten.
In meinem zweiten Jahr an der GSA gab es nur ein Fach, mit dem ich Probleme hatte, die sogenannte „Präsentation“. Jede Woche erhielten wir ein musikalisches Thema oder den Namen eines berühmten Musical-Librettisten. Dann mussten wir ein Lied mit diesem Thema oder von diesem Librettisten lernen, es choreographieren, inszenieren, Requisiten und Kostüme zusammenstellen, und das Ganze dann in der darauffolgenden Woche vor den Leiterinnen und Leitern von Tanz, Musik, Gesang und Schauspiel aufführen. Es war grauenerregend. Das performative Element dieser Übung liebte ich, die Kritik danach allerdings weniger. Die Lehrerinnen und Lehrer nahmen kein Blatt vor den Mund; sie waren brutal, rechthaberisch und schonungslos. Getrieben von dem Wunsch, die absolut besten Musicaldarsteller aus uns zu machen, und ohne Zeit auf Höflichkeiten zu verschwenden, sagten sie uns nur selten, was wir richtiggemacht hatten, sondern konzentrierten sich stattdessen darauf, uns haarklein auseinanderzusetzen, was geändert und verbessert werden musste. Je besser du warst, desto konkreter und detaillierter die Hinweise. Wenn Sie mit einer Flut von „Korrekturen“ konfrontiert werden, ist es manchmal schwer, im Kern den Glauben an die eigenen Fähigkeiten zu bewahren, aber genau dies mussten wir!
Ich hatte das große Glück, etliche Jahre als Profitänzer zu arbeiten. Mein erstes Engagement außerhalb der GSA war bei einem Varieté, das durch ganz England und Schottland tourte und in einigen der größten Landestheater spielte, darunter dem Nottingham Theatre Royal, dem Birmingham Hippodrome und dem Sunderland Empire. Auf dieser Tour habe ich sehr viel über Auftritte vor Live-Publikum gelernt – darüber, die Energiewelle zu reiten, die einem 1500 Zuschauerinnen und Zuschauer entgegenbringen; und auch darüber, dieselbe Leistung vor nur achtzehn Leuten zu bringen, die an einem sonnigen Mittwochnachmittag in den hintersten Reihen eines ansonsten leeren Saals sitzen.
Es war wesentlich leichter, vor den 1500 zu spielen, insbesondere wenn es zu den Zugaben kam. Unsere Varieté-Vorstellung hatte eine Liveband, einen großen Chor und drei Gesangssolistinnen und -solisten. Aber bei solchen Tourneevorstellungen war es üblich, einen Soundtrack oder wenigstens einen Clicktrack zu haben, der während der gesamten Vorstellung, bis zur letzten Zugabe, im Hintergrund mitlief, um der Musik einen volleren, orchestralen Klang zu verleihen. Unsere Stimmen waren ebenfalls auf dem Soundtrack, damit wir im gesamten Saal auch dann noch deutlich zu hören waren, wenn wir gegen Ende einer langen Tanz- und Gesangsnummer völlig außer Atem waren. Dies hieß allerdings, sobald der Soundtrack einmal begonnen hatte, musste die gesamte Vorstellung komplett gespielt werden, einschließlich der sechs Zugaben. Das funktionierte gut, wenn wir vor großen, ausverkauften Häusern spielten. Aber als wir vor praktisch leerem Haus im Lakeside Country Club auftraten, wo lediglich meine alte Vermieterin aus Guildford sowie ihr leicht irritierter Mann und ihre Tochter im Publikum saßen, fiel es doch ein wenig schwer, auch zu Beginn von Zugabe Nummer sechs noch dankbar zu lächeln. Hätten sie mich nicht gekannt und wären nicht nur deshalb gekommen, um mich zu unterstützen, wären sie bestimmt in der Pause gegangen, und wir wären an diesem Abend alle früh im Bett gewesen.
Später hatte ich unter anderem ein Tanz-Engagement an Bord des Kreuzfahrtschiffes MV Oceanos. Ich war einer von vier Tänzerinnen und Tänzern mit einem Halbjahresvertrag und tanzte bei über einem Dutzend jeweils zweiwöchiger Karibik-Kreuzfahrten an sieben Abenden pro Woche in verschiedenen Shows.
Ursprünglich hatte mir ein erfolgreicher Musical-Choreograph einen Equity-Vertrag für eine Weihnachtsrevue im Liverpool Empire in Aussicht gestellt. Als dieser Vertrag platzte, bot mir das Büro des Choreographen den Job auf dem Kreuzfahrtschiff an. Ich war total begeistert und ging davon aus, dass der Vertrag in Ordnung wäre. Dabei hätte ich mich besser an den Spruch „Wenn du von etwas ausgehst, kann es für dich nicht gut ausgehen“ halten sollen. Für mich ist diese Geschichte definitiv nicht besonders gut ausgegangen.
Nach ein paar Monaten bekam ich Wind davon, dass meine Gage nicht auf mein Bankkonto überwiesen wurde, wovon ich selbstverständlich ausgegangen war. Als ich aber fragte, ob ich das Schiff verlassen könne, hieß es, dies sei keine Option. Wenn ich vertragsbrüchig würde, müsste ich nicht nur meinen Rückflug nach Großbritannien, sondern auch den Flug eines Ersatztänzers in die Karibik sowie seine zweiwöchige Probenphase bezahlen, was ich mir natürlich nicht leisten konnte. Damals glaubte ich, mir bliebe nur noch der Ausweg, mich so miserabel zu benehmen, dass man mich vom Schiff werfen würde. Das geschah dann auch postwendend, und damit waren eine weitere Tänzerin und ich fast fünftausend Kilometer von zu Hause gestrandet. Zum Glück kamen mir meine Eltern zu Hilfe. Sie hatten zwar selbst nicht viel Geld, schickten mir aber so viel wie möglich, sodass ich nach Hause fliegen konnte.
Wieder in London angekommen, wurde mir geraten, die Gesellschaft zu verklagen, damit ich das ausstehende Geld bekäme. Als ich dem Choreographen schrieb und um mein Geld bat, antwortete er, er schulde mir gar nichts und beendete seinen Brief mit „P.S.: Die korrekte Schreibweise ist ,Karibik‘.“ Alle sinnlosen Gefühle aus der Schulzeit brachen wieder über mich herein. Anscheinend war der Brief, den ich geschrieben hatte, voller Rechtschreibfehler und unverständlicher Grammatik gewesen. Ich begriff nicht, wie jemand, der mir so offensichtlich Geld schuldete, so herablassend sein konnte, seinen Brief mit einer Korrektur meiner Rechtschreibung zu beenden.
Wie sich herausstellte, stammte der Vertrag, den ich unterschrieben hatte, gar nicht von Equity, weshalb Equity mir auch nicht helfen konnte. (Equity ist die Gewerkschaft der darstellenden Künstlerinnen und Künstler; unter anderem schützt sie darstellende Künstler vor schlechter Behandlung durch Arbeitgeber.) Ich wurde von Pontius zu Pilatus geschickt, und es war unklar, bei welchem Gericht ich Klage einreichen sollte. Schließlich gab ich das Geld auf, aber durch diese Erfahrung erkannte ich, dass sich in meinem Leben etwas ändern musste. Ich mochte das Gefühl nicht, dass ich so leicht über den Tisch gezogen werden konnte, und mir wurde klar, dass meine Leseschwierigkeiten Teil des Problems waren.
Den Sommer über arbeitete ich, um meine ausstehende Miete bezahlen zu können und finanziell wieder ins Gleichgewicht zu kommen. In dieser Zeit lernte ich eine Gruppe sehr gebildeter Menschen kennen, die an angesehenen Universitäten studierten. Die Gruppe bestand aus jungen Frauen und Männern, die sehr wortgewandt, belesen, welterfahren und vor allem äußerst selbstbewusst waren. Sie vermittelten den Eindruck, dass sie alles erreichen konnten, was sie sich vornahmen. Und sie hatten eine tiefgreifende Auswirkung auf mein Leben.
Frank war das Alphamännchen der Gruppe. Er war Schulsprecher an einer berühmten staatlichen Schule gewesen, und als ich ihn kennenlernte, studierte er Literatur an der Universität Oxford. Seine Eltern waren für meine Verhältnisse unfassbar wohlhabend, und sein Leben war das genaue Gegenteil von meinem. Auch wenn Frank sich in der Welt, in der Politik und in der Kunst auskannte und einen ganzen Tornister voller Qualifikationen hatte, genoss ich seine Gesellschaft und fühlte mich bei ihm wohl. Ich hatte meine Erfolge im Tanz und in der darstellenden Kunst, und er hatte seine infolge einer klassischen Bildung. Wir hatten beide unsere unterschiedlichen Begabungen – bis Frank in meine Welt übergriff. Als er wieder in Oxford war, stellte er eine Aufführung von Abigail’s Party von Mike Leigh auf die Beine und lud mich zur Vorstellung in sein College ein. Ich ging hin in der Erwartung, dass sie nichts taugen würde. Das tat sie aber natürlich doch. Er hatte seine Sache wirklich gut gemacht. Am darauffolgenden Tag verließ ich Oxford stinksauer, fühlte mich hintergangen und gedemütigt. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, dass ich zwar das Gegenteil von Frank, aber dennoch auf einer Ebene mit ihm war. Sein Regieerfolg warf dies nun über den Haufen.
Dieser Gedanke verfolgte mich wochenlang und schwirrte in meinem Kopf herum. Es kam mir so vor, als bestünde der einzige echte Unterschied zwischen Franks gelehrten Freunden und mir darin, dass sie ihr Leben mit dem Studium von Büchern und Wörtern verbrachten und ich nicht; ich konnte es nicht. Ich fühlte, dass ich tolle Gespräche über Themen verpasste, in denen ich mich nur deshalb nicht auskannte, weil ich nicht las. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Ich konnte entweder der Mensch bleiben, der bei Worten versagt, oder ich konnte lernen, meine Schwächen zu überwinden.
Mit der Lektüre von Das Kreuz und die Messerhelden von David Wilkerson wärmte ich mich für einen Lese-Marathon auf. Dieses Buch suchte ich mir aus, weil eines der Mädchen in der Gruppe es in wenigen Tagen durchgelesen hatte. Ich beschloss, das Lesen so anzugehen, als würde ich einen neuen Tanz lernen. Ich wusste, ich würde nicht jeden Satz, ja, noch nicht einmal jedes Wort verstehen, aber ich dachte mir, wenn ich in der Geschichte einen Rhythmus oder eine Reihe verschiedener Rhythmen finden könnte, könnte ich mir das Lesen einteilen und einfach „einen Achter-Takt nach dem anderen“ lernen. Als Tänzer wusste ich außerdem, dass Perfektion von unermüdlichem Üben kommt und sich der Erfolg in kleinen Schritten einstellt. Tanzen ist vielschichtig, und es ist möglich, einen neuen Tanz Schicht für Schicht zu erlernen. Bei dieser Methode würde uns ein Tanzlehrer oder eine Choreographin zunächst ein Gefühl für das Stück vermitteln, indem sie uns den Kontext vorgeben: Vielleicht tanzen wir eine Szene aus Romeo und Julia und sollen ein verbotenes Begehren darstellen. Dann lernen wir die Grundstruktur kennen: dass es ein Pas de deux sein soll, ein Tanz für zwei Personen. Anschließend schauen wir uns die Art der Bewegungen an: die Hebungen und Figuren, und wie viel Platz wir im Studio brauchen. Wir sprechen darüber, für wen das Stück gedacht ist und welche Erwartungen das Publikum haben könnte; wir hören uns die Musik an und denken über die Stimmung des Stückes nach. Erst dann erstellen oder erlernen wir eine Choreographie, den eigentlichen Bewegungsablauf – aber wir fangen klein an, i...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Widmung
  6. Einführung
  7. KAPITEL 1: Meine Geschichte
  8. KAPITEL 2: Eine universelle Sprache
  9. KAPITEL 3: Tanzen und Gehirn
  10. KAPITEL 4: Emotionen in Bewegung
  11. KAPITEL 5: Was Menschen vom Tanzen abhält
  12. KAPITEL 6: Die Tanzkur
  13. Schlusswort: Tanzen wir!
  14. Die Tanz-Apotheke
  15. Danksagung
  16. Anmerkungen und Literatur
  17. Bildnachweise
  18. Über den Autor