1 Die Basismetaphoriken Àsthetischer Formdiskurse
Burdorf, Dieter. Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte. Stuttgart und Weimar 2001. Der Begriff âFormâ, dessen Verwendung ja keineswegs auf Ă€sthetisch-poetologische Kontexte beschrĂ€nkt ist, erscheint gerade in diesen als besonders proteisch und vieldeutig, bedingt sowohl durch die komplexe Bedeutungsgeschichte des philosophischen Form-Begriffs als auch durch die facettenreiche Geschichte poetologisch-literaturtheoretischer Reflexion ĂŒber Formen und ihre jeweiligen Gegen- bzw. KomplementĂ€rkonzepte. Bereits seit der Antike diskutiert wird die (im Rahmen differenter Ăsthetiken unterschiedlich beantwortete) Frage nach dem ontologischen Status der Form: Das mit dem dt. Wort âFormâ ĂŒbersetzte lat. âformaâ korrespondiert einerseits dem griech. Begriff âeidosâ (und damit der Bezeichnung fĂŒr etwas den Sinnen Transzendentes), andererseits dem der âmorphĂ©â (und damit dem Namen fĂŒr physisch Gestaltetes und sinnlich Wahrnehmbares). Der Ausdruck âFormâ lĂ€sst sich entsprechend divergent interpretieren: als Ăquivalent fĂŒr âallgemeine Beschaffenheit, Wesensbestimmungâ, aber auch fĂŒr âsichtbare Gestalt, UmriĂâ oder fĂŒr âGattungâ (Schildknecht 2007, Bd. 1, 613). Innerhalb der Philosophiegeschichte hat sich der Form-Begriff insgesamt so stark ausdifferenziert, dass das Historische Wörterbuch der Philosophie den Ausdruck gar nicht als einheitlichen Begriff prĂ€sentiert, sondern verschiedene Form-Begriffe in Einzelartikeln separat abhandelt: die âForm des Urteilsâ, die âinnere Formâ, die âlogische Formâ sowie die Begriffsoppositionen âForm und Inhaltâ und âForm und Materie (Stoff)â. Neben dem âInhaltâ und der âMaterieâ kann (mit wiederum anderer Akzentuierung) auch das âChaosâ als Gegenbegriff zur âFormâ fungieren. FĂŒr die Semantiken des Form-Begriffs prĂ€gend sind neben Diskursen der philosophischen Ontologie und Metaphysik nicht zuletzt auch Schöpfungsmythen verschiedener Provenienz, welche die Genese der Welt oder der Geschöpfe als einen Formungsprozess beschreiben, sowie KĂŒnstlermythen und -legenden, die von formender Arbeit berichten.
In Verbindung mit Gegenbegriffen wie âInhaltâ, âGehaltâ, âMaterieâ oder âStoffâ erscheint der Form-Begriff als metaphorisch grundiert. (FĂŒr seine griechischen Ăquivalente âeidosâ bzw. âmorphĂ©â gilt Entsprechendes.) Er gewinnt sein Profil insbesondere innerhalb sprachbildlich vermittelter Vorstellungen von AuĂen-Innen-Relationen, von GefĂ€Ăen sowie von GebĂ€uden, die den Raum organisieren und Wege durch ihr Inneres anbieten respektive vorschreiben. Die Unterscheidung von Form und Inhalt ist aus metaphorologischer Sicht ein wichtiges Beispiel fĂŒr die PrĂ€gung des Denkens durch eine offenbar unhintergehbare Metaphorik. Als Inhalt bestimmt wird dabei entweder die (metaphorisch sogenannte) âstofflicheâ Vorlage oder der gedankliche âGehaltâ, etwa Ideen oder Empfindungen, welche sich an âStofflichesâ knĂŒpfen. GefĂ€Ămetaphorisch induziert ist u. a. die kritische Diagnose âleerer Formenâ.
Kontrovers beantworten Poetiker seit der AufklĂ€rung die Frage, ob sich jeder Stoff mit jeder Form verbinden lasse. Damit verknĂŒpft finden sich vielfach Erörterungen ĂŒber den Status des Rhetorischen in der Dichtung, bei denen wiederum metaphorisch induzierte Vorstellungen ins Spiel kommen. Ist das Rhetorische ein bloĂes Transportmittel? Ist es eine bloĂe Verpackung fĂŒr einen die eigentliche poetische Substanz ausmachenden Inhalt? Ist es als Verpackung womöglich eine VerhĂŒllung; macht es das Innere zunĂ€chst unsichtbar, bis dieses hermeneutisch freigelegt wird? Gibt es einerseits Formen, die Inneres verbergen, andererseits solche, die offenbarend wirken (vgl. Holz 1899, 49-50, wo vom Umgang mit Formen im Rekurs auf handwerklich-malerische Metaphern die Rede ist; vgl. Burdorf 2001, 381)? In der Avantgarde wird diese Offenbarungskraft geradezu als QualitĂ€t der âneuenâ Form im Unterschied zur âaltenâ angesprochen, etwa im Rekurs auf handwerklich-malerische Metaphern bei Arno Holz: âMit der alten Form konnte man noch verwischen und vertuschen, mit der neuen nicht mehr.â (Holz 1899, 49-50).
Mit EinschĂ€tzungen der jeweils gewĂ€hlten Form als einem ĂuĂerlichen verbindet sich vielfach ihre Abwertung als âbloĂ rhetorischâ (und damit implizit eine EinschĂ€tzung der Rhetorik selbst). Im Sinn einer metaphorischen Grunddifferenzierung zwischen Innen und AuĂen charakterisiert noch 1959 Ingeborg Bachmann die öffentliche Rede des Dichter-Ichs als ein âformalesâ und insofern ârhetorischesâ Unternehmen, bei dem das Mitzuteilende, das âIchâ (gedacht als âInneresâ), hinter dem âĂuĂerenâ der Rede verschwinde: âAber schon, wenn Sie hier allein heroben stehen und sagen zu vielen unten âIch sage Ihnenâ, so verĂ€ndert sich das Ich unversehens, es entgleitet dem Sprecher, es wird formal und rhetorisch.â (Bachmann 1993 [1959/60], 217). Mit einem eigentĂŒmlichen Sprachbild, das eine metaphysisch semantisierte Lichtmetaphorik und konkrete Lichtbeobachtungspraktiken amalgamiert, Ă€uĂert sich schon Goethe skeptisch gegenĂŒber der Wahrheit von Formen: âJede Form, auch die gefĂŒhlteste, hat etwas Unwahres; allein sie ist ein fĂŒr allemal das Glas, wodurch wir die heiligen Strahlen der verbreiteten Natur an das Herz des Menschen zum Feuerblick sammeln.â (Goethe 1977a [1775], 47).
AnlĂ€sslich der Frage nach Form und Gehalt bringen sich im Lauf der Ăsthetikgeschichte insgesamt jedoch sehr unterschiedlich semantisierte Grundmetaphoriken des ĂuĂeren und des Inneren zur Geltung. Da ist zum einen ein Ansatz, der physisch ĂuĂeres als (letztlich kontingente) âĂuĂerlichkeitâ auslegt und vom Inneren trennt; da ist zum anderen ein dem spĂ€tantiken Idealismus verpflichteter synthetischer Ansatz: Im Rekurs auf Plotinisches Denken gilt Inneres in Ă€sthetisch-poetologischen Reflexionen oft auch als bedingend fĂŒr die Ă€uĂere Gestaltung Ă€sthetischer Artefakte. Es sind zwar primĂ€r diese âinnerenâ Gehalte, denen das Interesse der idealistischen Ăsthetik gilt; die Ă€uĂere Form gilt dabei aber als genuine EntĂ€uĂerung des Geistigen (s. u.). Dass unterschiedliche Varianten der AuĂen-Innen-Metaphorik gerade im Bereich der Form-Konzepte miteinander konkurrieren können, illustriert exemplarisch ein Gedicht Storms (vgl. Burdorf 2001), das zwei solche Varianten gegeneinander ausspielt (und zwar implizit wertend): die GefĂ€Ămetapher und die Leibmetapher. Dem âgelehrten Dichterâ mag die Form als âGefĂ€Ăâ fĂŒr Inhalte erscheinen; anziehender erscheint ihre Analogisierung mit dem belebten Körper:
Poeta laureatus:
Es sei die Form ein GoldgefĂ€Ă
In das man goldnen Inhalt gieĂt!
Ein Anderer:
Die Form ist nichts, als der Kontur,
Der den lebendâgen Leib beschlieĂt.
(Storm 1987/88 [1885], Bd. 1, 93; vgl. Burdorf 2001, 219)
Werden Formen als HĂŒllen interpretiert, so kann die - ihrerseits metaphorische - Bestimmung des eingehĂŒllten Inhalts als fester oder flĂŒssiger âStoffâ aussagekrĂ€ftige Anschlussmetaphern erzeugen. So etwa im Bild des Glockengusses, das Schillers Lied von der Glocke prĂ€gt: âWenn die Glock soll auferstehen, / MuĂ die Form in StĂŒcken gehenâ, so heiĂt es hier, wobei zu bedenken ist, dass die nach dem GuĂ zerstörte âFormâ ja die Gestalt der Glocke geprĂ€gt hat (Schiller 81987 [1800], 439; vgl. Burdorf 2001, 21). âMasseâ wiederum bezeichnet im achtzehnten Jahrhundert summarisch alles, was sich âauf die körperliche FĂŒlle und Ausdehnung jenseits ihrer Formgebungâ bezieht (vgl. Benne 2015, 495).
Ăsthetisch-kunsttheoretische Reflexionen ĂŒber die Form sind von der Antike bis in die Gegenwart hinein im Ăbrigen vielfach einer (offenbar schwer hintergehbaren) âMaterialâ-Metaphorik verpflichtet. Leib-Seele-Metaphern sind dabei die vielleicht suggestivsten. Kritisch bemerkt der Ăsthetiker Robert Zimmermann 1858:
Dass die moderne Aesthetik dasselbe [Wort âFormâ] in engerem, meist nur im Gebiete der plastischen Kunst giltigen Sinne gebrauchte, hat sie in den Irrthum verwickelt, Inhalt und Form unter dem Bilde von Seele und Leib, Innerem und Aeusserem aufzufassen und so den Einklang zwischen beiden [âŠ] zum ausschliesslichen Bilde der Schönheit zu erheben. (Zimmermann 1870 [1862], 263; vgl. Burdorf 184)
Neben Stoff-Metaphern und GefĂ€Ămetaphern wirken sich auch Derivate wie Bau- und Konstruktions-Metaphern, die bereits bei Plotin prominent entfaltet sind (vgl. Burdorf 2001, 61), bis in jĂŒngere Zeiten prĂ€gend auf Beschreibungen Ă€sthetischer Artefakte aus. Dies illustrieren exemplarisch Titel wie Bauformen des ErzĂ€hlens (LĂ€mmert 1955), aber auch Diskurse ĂŒber das âZerbrechenâ oder âAuflösenâ von Formen. Welche nachhaltige Bedeutung die metaphorisch grundierte Dichotomie von âStoffâ und âFormâ als âInneremâ und âĂuĂeremâ des Artefakts fĂŒr Poetiken besitzt, wird nicht zuletzt deutlich an Versuchen der Konzeptualisierung einer abstrakten Dichtung (auch âkonkrete Poesieâ genannt), die im zwanzigsten Jahrhundert mit dem, was diese Opposition suggeriert, gerade zu brechen suchen (s. u.).
Formdiskurse prĂ€gen die Poetik qua Theorie dichterischer Werke und Intentionen unter werkĂ€sthetischer, unter produktionsĂ€sthetischer sowie auch (ansatzweise) unter rezeptionsĂ€sthetischer Akzentuierung. Die Vielzahl der metaphorisch grundierten oder doch durch Sprachbilder beeinflussten Bedeutungen von âFormâ entfaltet sich in einem Spektrum zwischen deskriptiven und normativen Diskursen. Im Bereich der deskriptiven Verwendung des Terminus lĂ€sst sich unterscheiden zwischen der Gleichsetzung von âFormâ mit âĂ€uĂerer Gestaltâ und âFormâ als Bezeichnung der Relation von Ganzem und Teilen. Der normative Formbegriff ist stĂ€rker facettiert und bezieht sich auf Proportionen, Beziehungen zu einem Ideal etc. (vgl. Burdorf 2001, 23). Die Gegenbegriffe der âUnförmigkeitâ oder âFormlosigkeitâ haben ihre eigene Geschichte, wobei ihre Semantik sich Ă€hnlich stark ausdifferenziert wie die der âFormâ. âFormlosigkeitâ als âGefahrâ zu interpretieren, ist in kunstkritischen Diskursen auch der Moderne noch gelĂ€ufig (vgl. Burdorf 2001, 3). Zur Charakteristik spezifischer Formdiskurse bei verschiedenen Autoren hilfreich erscheint die Differenzierung zwischen einem âemphatischenâ und einem âtechnischen FormverstĂ€ndnisâ (Burdorf 2001, 2).
2 Poetikgeschichtliche Variationen des âFormâ-Begriffs: Aspekte und Etappen im Ăberblick
Rhetorik und Poetik: Formkonzepte und Handwerksmetaphern
Die antike Rhetorik widmet sich im Zeichen der Basisdichotomie von Form und Inhalt der Frage nach den Relationen zwischen sprachlicher âFormâ (verba) und âInhaltâ (res). Vor 1750 dominiert in der Poetik ein rhetorischer Formbegriff, demzufolge es gilt, die Wörter (verba) den Inhalten bzw. GegenstĂ€nden (res) anzupassen. Ein Zuordnungsprozess zwischen an sich verschiedenen Relaten findet statt und wird in entsprechenden Metaphern beschrieben. Eine Form wird einem Gegenstand âgegebenâ; die Form, in der er durch den Formgebungsprozess prĂ€sentiert wird, kann aber auch âverfehltâ werden bzw. âmisslingenâ (wobei der Gegenstand derselbe bleibt). FĂŒr einen Gegenstand die richtige Form zu wĂ€hlen, ist aber ebenso erlernbar wie die praktische Umsetzung dieser Wahl; Dichtung erscheint unter diesem Vorzeichen als eine lehrbare Kunst (vgl. Burdorf 48-50). Handwerkergedichte können dort, wo sie Prozesse der Produktion und Bearbeitung von Stoff reflektieren, als poetologische Texte interpretiert werden - so etwa in einem Beispiel des Heinrich von MeiĂen (âFrauenlobâ), wo es heiĂt: âich forme, ich model, ich mizzeâ (Frauenlob 1981 [um 1300], V. 13).
Bis heute gelĂ€ufige Metaphern und Vergleiche aus dem Bereich der Handwerke und anderer gestaltender Praktiken korrespondieren mit diesem Konzept literarischer Gestaltungsarbeit: Metaphernspender sind das Herrichten von Objekten, das Zubereiten von Stoffen, das Zer- und Verteilen, das Durchdringen und Kneten, das Zusammenstellen (Komponieren) und Verfugen, das Feilen und Polieren. Dabei gilt im Allgemeinen die âgegebeneâ Form nicht als beliebig: Der Inhalt geht der Form voraus und entscheidet (im Zuge von inventio und dispositio) ĂŒber Praktiken und Prinzipien formaler Gestaltung - so wie in Handwerken das zu bearbeitende Material die Auswahl der Instrumente und den Umgang mit diesen bestimmt. Erst im Zuge neuplatonistischer NeuansĂ€tze geht man dazu ĂŒber, Form und Inhalt als Einheit zu denken (s. u.).
AuĂen-Innen-Metaphoriken und ihre Implikationen: Philosophisch-Ă€sthetische Formreflexionen und das Konzept der âinneren Formâ
Es ist Aristoteles, der die Begriffsdichotomie von âFormâ (forma, morphĂ©) und âMaterieâ (hyle) in die Philosophie einfĂŒhrt. Er ordnet die Form der Materie ĂŒber und bestimmt sie als das âSosein eines jeden Dings und sein erstes Wesenâ (Metaphysik, 7,7, 1032 a-b). KĂŒnstlerische Produktion ist fĂŒr ihn die Realisierung einer intendierten Form durch den Arbeitsprozess. Form und Inhalt bilden im Werk eine Einheit. In Abweichung davon konzipiert Plotin eine âinnere Formâ in der Seele des Produzenten, die der âĂ€uĂeren Formâ im realisierten Werk vorangeht und der platonischen âIdeeâ entspricht (vgl. Schildknecht 2007, Bd. 1, 613). Zu Recht spricht Klaus StĂ€dtke bezogen auf die antike Begriffsbildung von âFormâ und âMaterieâ von einer zweifachen Relationierung: zum Stofflichen auf der einen Seite, zu Idee und Bedeutung auf der anderen:
Form steht in einer unaufhebbaren Relation zu âMaterieâ, âMaterialâ, âStoffâ, d. h. zu einem Nicht-Geformten (bzw. Formlosen), und andererseits zu âZweckâ, âInhaltâ, âBedeutungâ, âIdeeâ, d. h. zu einem geistigen, das die Formung verursacht, durch sie zur Existenz gebracht und durch die gestaltete (materialisierte) Form reprĂ€sentiert wird. So bedeutet attributivisch âformalâ in diesen Relationen das bestimmende Moment, âmaterialâ hingegen das bestimmte Moment. (StĂ€dtke 2001, 463-464)
Die Differenzierung zwischen Ă€uĂerer Erscheinung und Inhalt prĂ€gt in Nachwirkung antiker AnsĂ€tze die mittelalterliche Ăsthetik ebenso wie die der Renaissance. In mittelalterlichen Form-Diskursen ist das Konzept der Proportion prĂ€gend, ĂŒber das der Begriff des Schönen bestimmt wird. Entsprechend orientieren sich Ă€sthetische Reflexionen vielfach an mathematischen und architektonischen Vorstellungen. FĂŒr die Poetikgeschichte des Form-Begriffs besonders folgenreich ist die Horazâsche Forderung, das poetische Werk möge eine geschlossene Einheit bilden, âsimplex et unumâ sein. In der AufklĂ€rung allerdings wird diese Forderung allmĂ€hlich zurĂŒckgenommen, vor allem unter dem Einfluss der Ăsthetik Alexander Gottlieb Baumgartens; KomplexitĂ€t und âMannigfaltigkeitâ sind im Folgenden eher positiv konnotiert. Konzepte der Mischung, der Wechselwirkung, der PluralitĂ€t und der Vieldeutigkeit erscheinen sukzessiv als Ă€sthetisch relevant - sei es, dass das Ă€sthetische Artefakt in Analogie zum lebendigen Organismus gedacht wird, sei es, dass es als dessen betont artifizieller Gegenentwurf erscheint. Das Nachdenken ĂŒber Ă€sthetische Formen ist von der Neuaushandlung der Relationen zwischen Einheit und Vielheit, Einfachheit und KomplexitĂ€t, Transparenz und Polysemie evidenterweise nachhaltig betroffen; die Formdiskurse sind durch entsprechende Sprachbilder, Vergleiche und Metaphern geprĂ€gt.
Autonomisierung der Ăsthetik und Formbegriff: die âinneren Formenâ und das Innere des Produzenten
Bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kann von einem genuin Ă€sthetischen Form-Begriff nicht gesprochen werden. Als die Ăsthetik dann zum eigenstĂ€ndigen Diskurs wird, gewinnt der Form-Begriff erkennbar an Bedeutung (dazu Burdorf 2001, 46-47), ablesbar u. a. an EnzyklopĂ€die-Artikeln und Ă€hnlichen Quellen. Im Zusammenhang damit entsteht eine eigenstĂ€ndige Form-Ăsthetik, die sich von der Funktion löst, nur eine technisch-ârichtigeâ Textgestaltung zu lehren. Das Begriffspaar âForm und Inhalt (Gestalt/Stoff, Gehalt)â gewinnt tragende Bedeutung (Schwinger 1972, Sp. 975-977). AuĂen-Innen-Metaphoriken sind im Horizont eines Diskurses, der SubjektivitĂ€t zunehmend nachdrĂŒcklicher als âInnerlichkeitâ interpretiert, von besonders suggestiver Wirkung. Vor allem die Plotinische Ideenlehre bietet ihren neuzeitlichen Rezipienten ein Konzept der Beziehung zwischen Ă€uĂerer Erscheinung und innerer Form, das die Ăberwindung des Ă€lteren Formbegriffs, demzufolge den vorgĂ€ngigen Inhalten gemÀà dem aptum eine Form zugeordnet wird, gestattet. Shaftesbury knĂŒpft an Plotin an und spricht von einer inward form als einer Naturkraft, welche als forming power Ă€uĂere Formen hervorbringe. Der Dichter respektive KĂŒnstler erscheint als formgebende Instanz, wobei sein Inneres - bei Shaftesbury und seinen Nachfolgern - als Fundus derjenigen Formen gilt, auf den dann bei der Ă€uĂeren Gestaltung zurĂŒckgegriffen wird.
Seit sich im achtzehnten Jahrhundert ein genuin Ă€sthetischer Formbegriff konstituiert (so lĂ€sst sich generalisierend feststellen), wird das, was die Form eines Werks ausmacht, nicht mehr als etwas betrachtet, das man aus einem gegebenen Bestand auswĂ€hlt, um damit möglichst effizient seine Zwecke zu verfolgen. Metaphorisch grundierte Vorstellungen eines zweckmĂ€Ăigen Vorgehens mittels bereitstehender Instrumente, eines Zurichtens vorgegebener Materie treten tendenziell (wenn auch nie ganz) zurĂŒck. Ăber das jeweilige Werk respektive Projekt selbst wird nun vielmehr reflektiert, indem ĂŒber eben seine Form reflektiert wird - und in Zusammenhang damit ĂŒber den Arbeitsprozess sowie ĂŒber den Rezeptionsprozess (vgl. Burdorf 2001, 12, Kap. II, 2).
Die Shakespeare-Rezeption des achtzehnten Jahrhunderts steht u. a. im Zeichen kontroverser EinschĂ€tzungen klassizistischer und antiklassizistischer AnsĂ€tze und wirkt sich auch auf den Form-Diskurs prĂ€gend aus. An Positionen klassizistisch-französischer Ăsthetik orientiert, distanziert s...