Deutscher Herbst 2015
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Deutscher Herbst 2015

Essays zur politischen Entgrenzung

  1. 220 Seiten
  2. German
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Deutscher Herbst 2015

Essays zur politischen Entgrenzung

Über dieses Buch

Die Grenzöffnung im Herbst 2015 war ein tiefer Einschnitt in der deutschen Geschichte. Der Beginn der sogenannten "Flüchtlingskrise" markiert eine massive Spaltung quer durch Familien und Freundschaften und eine unversöhnliche Polarisierung der politischen Lager. Praktisch alle Parteien, Medien, Kirchen, Künstler und zivilen Organisationen haben sich dabei von Anfang an geschlossen auf die Seite eines moralischen Universalismus gestellt, der jedes partikulare Interesse als nationalistisch, rassistisch oder "rechts" verortete und seine Protagonisten als "Pack", "Dunkeldeutschland" oder "Hetzer" in das gesellschaftliche Abseits stellte.Im Kern bleibt der moralische Universalismus unpolitisch. Denn seine abstrakten Forderungen reflektieren weder seine historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, noch die größtenteils irreversiblen Folgen seines eigenen Handelns. Ob die mit der Grenzöffnung bereits angestoßenen Entwicklungen noch eine Umkehr ermöglichen, kann niemand mit Sicherheit vorhersagen. Hauptbedingung für eine politische und vor allem mentale Wende ist aber eine nüchterne Analyse und Darstellung der Gegenwart, die sich an der Wirklichkeit, also an dem, was ist, und nicht an dem, was sein soll, orientiert. Die hier vorliegenden Essays wollen dazu einen Beitrag leisten.

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16./17. Januar 2017

DAS ENDE DER ILLUSIONEN

I.

Das wirklich Erschreckende nach dem Terrorangriff auf den Berliner Weihnachtsmarkt war für mich das Schweigen danach. Damit meine ich nicht die unsägliche Haltung der Regierung, sondern die Tatsache, dass mich niemand, keine einzige Person – ich lebe in Berlin – am nächsten Tag darauf ansprach. Es war, als ob der Anschlag des 19. Dezember nicht stattgefunden hätte. Nur Stille, Weitermachen, Alltag. Ich habe mich, auch weil mir andere von ähnlichen Erfahrungen berichteten, danach oft gefragt: »Wie kann man sich dieses Schweigen erklären?«
Eine schlüssige Antwort darauf habe ich nicht. Man könnte die Stummheit als eine Art Ohnmacht oder Schockstarre interpretieren, wie sie nach katastrophalen Ereignissen oft der Fall ist. Es könnte eine Angst sein, die verhindert, das »Böse« zu benennen, damit es nicht existiert, eine psychisch notwendige Verdrängung des Schrecklichen, die ein »normales Weiterleben« ermöglicht. Das alles mag sein. Immer mehr frage ich mich aber, ob wir es hier nicht mit einer fast schon pathologischen Form der Gleichgültigkeit, der Passivität und moralischen Indifferenz zu tun haben, die nicht einmal mehr naheliegende Gefühle, wie etwa Wut auf die dafür Verantwortlichen, zulässt. Warum gab es keine Massenproteste, keine landesweiten Demonstrationen gegen die Regierung, insbesondere als sich herausstellte, dass der tunesische Attentäter bereits auf einen Gefährdungsliste stand, über 14 (!) Identitäten verfügte und schon längst hätte abgeschoben werden müssen? Der scheinbare Gleichmut, mit der eine breite Öffentlichkeit auf den Terroranschlag reagierte, aber auch die Angst davor, etwas Falsches zu sagen (»Wasser auf die Mühlen der Rechten«), waren nur weitere Momente einer staatlich verordneten Schweigekultur über die katastrophalen Folgen der massenhaften Einwanderung seit der verhängnisvollen Öffnung der Grenzen. Selbst für eine Lichterkette, die ansonsten verlässlich und reflexhaft gegen »Rechts« funktioniert, reichte es nach dem Anschlag nicht. Offensichtlich waren es wohl die »falschen Opfer«. In Polen, Italien und Israel wurde der eigenen Opfer deutlich sichtbar gedacht, während das hierzulande – wenn überhaupt – nur auf Druck von Angehörigen geschehen wird.

II.

Die Nachrichtenlage in Deutschland war bereits vor dem Anschlag in Berlin von einer geradezu unglaublichen Verrohung des Alltags bestimmt: Da wurde eine Frau auf offener Straße angezündet, eine andere an einem Seil befestigt mit dem Auto fast zu Tode geschleift. Die Studentin Maria L. wurde in Freiburg vergewaltigt und ermordet, einer junge Frau wurde auf einer U-Bahn-Treppe in Berlin ohne Vorwarnung von hinten in den Rücken gesprungen, aus purer Lust und Vergnügen für den Täter und seine Komplizen. Ein 12-Jähriger wollte eine Nagelbombe auf einem Weihnachtsmarkt deponieren, drei schwule Männer wurden am Alexanderplatz in Berlin von »Südländern« attackiert.
All das waren nur einige Fälle in den Meldungen der Wochen vor dem Terrorangriff am Breitscheidplatz, Nachrichten, die in derselben Tonlage inzwischen jeden Tag in der vor allem regionalen Presse zu finden sind (statistisch, so wird uns »erklärt«, soll die Kriminalität aber sinken). Die öffentlich-rechtlichen Medien waren und sind in der Regel weiter ängstlich darauf bedacht, die in allen zitierten Fällen ausländische Herkunft der Täter (oft Flüchtlinge) möglichst lange zu verschweigen, um ja keine »Vorurteile« zu schüren. Man will ja kein Rassist sein – vielleicht der inflationärste Begriff der letzten Jahre.
Die Nachrichten aus den entstehenden Gewalträumen sind bestürzende Signale einer Welt, die nun in Deutschland mit den Massen vor allem arabisch-afrikanischer Jungmänner und radikalen Islamisten Einzug hält. In meinen Augen scheint niemand die Psychen dieser Täter zu verstehen, die ein Gewaltpotenzial offenbaren, das in diesem Land bis dato unbekannt war. Es geht hier vor allem um die Qualität der Gewalt, die der Definition des Terrors als psychische Erzeugung von Angst und Schrecken nahekommt, indem sie uns allen zeigt, was es etwa heißt, sich als Frau in bestimmten Räumen zu bewegen. Taten, die sich gegen staatlich garantierte Grundrechte richten, müssen Terror genannt werden. Nach aktuellen Umfragen des Emnid-Instituts fühlen sich über die Hälfte der deutschen Frauen nicht mehr sicher im eigenen Land; andere Umfragen ergeben noch viel höhere Zahlen. Dass das nichts mit der schrankenlosen Öffnung der Grenzen zu tun hat, können nur noch Ideologen behaupten.
Die politische Führung, eine Ansammlung von »postfaktischen Dilettanten«, tut seit Sommer 2015 alles dafür, diese verheerenden Entwicklungen weiter zu beschleunigen. Außer verbalen Absichtserklärungen folgte selbst nach den tödlichen Ereignissen von Berlin nichts Konkretes, auch wenn der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel mit seinen opportunistischen Forderungen nun exakt die AfD-Positionen vertritt, die er vor einem Jahr noch als Äußerungen des »Packs« abqualifiziert hatte. Und der weitaus größte Teil der Zivilgesellschaft sieht einfach zu, wie eine über Generationen geschaffene Welt, an erster Stelle ein Leben in Sicherheit und Frieden, sich immer rascher auflöst. Verstärkend wirken hier die linksgrün dominierten Medien in ihrer Mischung aus infantiler Weltsicht, pauschalem Antirassismus und einem ins Pathologische gehenden Selbsthass, wie ihn nur eine (dekadente) Überflussgesellschaft wie die unsere hervorbringen kann.

III.

Die moralische Verkommenheit des Landes zeigt sich auch darin, dass ein Jahr nach den Ereignissen in Köln sich erneut über 1 000 Nordafrikaner, aber auch Syrer, Afghanen oder Iraker (davon die Hälfte, wie es hieß: »fahndungsrelevante Personen«) in Köln versammelten, nach strengen polizeilichen Kontrollen der Angereisten aber ernsthaft eine Diskussion über »Racial Profiling« stattfand. Ohne das massenhafte Aufgebot an Polizisten (1 700!) wäre 2016 exakt dieselbe Situation wie ein Jahr zuvor eingetreten. Kaum jemand stellte sich die Frage, was es eigentlich bedeutet, wenn nicht nur in Köln, sondern auch in Städten wie Essen, Dortmund, Düsseldorf oder Frankfurt tausende arabische Jungmänner lautstark und aggressiv auftreten, in Dortmund »Allahu Akbar« skandieren, alle offensichtlich hypermobil und gut miteinander vernetzt.
Es ist wohl keine Übertreibung, hier von einer Art Landnahme zu sprechen – ein territorialer Besitzgestus, aber auch ein Symbol für die Schwäche des Rechtsstaates und seiner Exekutive, die offensichtlich in den Augen der arabischen »Intensivtänzer« eine Lachnummer ist, die niemanden beeindruckt. Ähnlich verhalten sich auch türkisch-libanesisch-arabische Clans in einzelnen deutschen Städten, auch wenn der Innenminister in NRW oder der Berliner Bürgermeister erklären, es gäbe in Deutschland keine No-go-Areas. Ein Gespräch mit Streifenpolizisten dürfte da Abhilfe bringen.
In tribalistischen, patriarchalen Gemeinschaften ist die Abwertung der gegnerischen Männer über die Demütigung ihrer Frauen ein verbreiteter Akt. Für Kulturen, die nach den Prinzipien von Ehre und Schande funktionieren, ist unsere Gesellschaft mit ihren Freiheitsund Frauenrechten eine, die alles verkörpert, was verachtenswert ist (was denken wohl afghanische Männer darüber, dass wir »Flirtkurse für Asylanten« anbieten?). »Ich ficke Frankreich wie eine Hure«, so der französische Rapper »Sniper« – Ausdruck für die Vorstellung, dass Europa, und vor allem seine Frauen, längst schutz- und wehrlos sind. Der Kölner Silvester 2015 war insofern eine Machtdemonstration und eine Art Test, um zu »beweisen«, dass hier in diesem Land nur noch Frauen und Schwache existieren, an denen man seine Macht und die Wehrlosigkeit der Angegriffenen demonstrieren kann. Jeder Leser kann sich an dieser Stelle die einfache Frage stellen: Wäre in Moskau, Belgrad oder Warschau so etwas wie in Köln möglich gewesen – und wenn nein, warum nicht? Die Antwort liegt in tiefer liegenden mentalen Mustern.
Der Psychotherapeut und Kriegsreporter Eugen Sorg schreibt zur Diskrepanz von hehrer Absicht und der Wirkung unserer Werte auf nicht-westliche Gesellschaften: »Es ist eine der Illusionen des Westens, seine Menschenrechtsgesinnung, seine Dialogdiplomatie, seine Tugenden der Therapiekultur würden bei den afrikanischen, arabischen, asiatischen Clangesellschaften, bei den unzimperlichen außereuropäischen Aufsteigernationen oder nur schon bei den süd- oder osteuropäischen Völkern Respekt oder Bewunderung hervorrufen. Sie werden vielmehr als Zeichen der Verweichlichung und Schwäche ausgelegt, die man auszunutzen versucht, um die eigene Macht und Gewinnchance zu optimieren.«
Das gegenwärtige Dilemma liegt im Wesentlichen in einer gedanklichen Schwäche, einer Art historischer Amnesie, die es verunmöglicht, in Kategorien und Begriffen zu denken, die für ein Analyse und ein Begreifen der aktuellen Lage notwendig sind. Noch bewegen sich viele in diesem Land in der ihnen vertrauten Welt, unfähig zu begreifen, dass wir anfangen müssen, uns von der Illusion zu verabschieden, unsere Werte, unser Humanismus oder unsere Toleranz könnten alle Differenzen zum Verschwinden bringen, indem sie allgemeine Gültigkeit erlangen. Die »One World«-Phantasie bleibt, was sie ist: eine reine Chimäre.

IV.

Im Jahr 2013 habe ich gemeinsam mit der Journalistin Tina Hüttl im Piper-Verlag Porträts von Holocaust-Überlebenden veröffentlicht, die als Kinder oder Jugendliche versteckt in Deutschland überlebten. In den letzten Wochen sind mir die Interviews mit den sehr alten jüdischen Menschen stark in Erinnerung, insbesondere ihre plastischen Schilderungen der innerfamiliären Konflikte rund um die Frage, wie sich die Situation für Juden mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland verändern wird. Selbst als eigentlich alle Fakten sichtbar waren, einzelne Familien schon deportiert wurden, insistierten viele, vor allem die Älteren, noch darauf, es werde »sicher nicht so schlimm werden.« Es war für die meisten einfach unmöglich zu begreifen, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, deren einziges Ziel darin bestand, die jüdische Bevölkerung zu vernichten. Diejenigen, die die Dinge klar sahen, verzweifelten wiederum an der Ignoranz und den Beschwichtigungen der Anderen. Ähnlich geht es heute manchem, der vor den Gefahren des islamistischen Terrors warnt, der mit der Masseneinwanderung nach Europa gekommen ist, und sich dafür als Schwarzseher, Populist oder Rassist bezeichnen lassen muss.
Die Philosophin Hannah Arendt hat in ihrer großen, bereits 1951 erschienenen Studie Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft den Begriff des »objektiven Gegners« eingeführt, wie er sich für sie im Rassenkrieg des NS-Staates bzw. im stalinistischen Klassenfeind manifestierte. Entscheidend für Arendts Begriff des »objektiven Gegners« ist: Was der zu Vernichtende denkt, fühlt oder plant, wie er handelt, was er auch tut, es interessiert den Verfolger nicht. In diesem Sinne ist der zu Ermordende kein politischer Gegner (mit dem man etwa verhandeln könnte); es sind die ewigen Gesetze des Rassen- und Klassenkrieges, die als historische Notwendigkeit seinen Tod verlangen. Deshalb, und um den Bogen zur aktuellen Situation wieder herzustellen, ist es auch ein weit verbreiteter Irrglaube, wir – der Westen, die deutsche Gesellschaft – müssten uns nur anders verhalten, um den radikalen Islam zu besänftigen, der auf der Dichotomie von Gläubigen und Ungläubigen beruht. Auf derselben Ebene befindet sich die Auffassung, Israel müsse den Palästinensern nur einen eigenen Staat geben, dann würde der Terror von selbst verschwinden. Ich darf hier daran erinnern, dass in der Charta der Hamas die Vernichtung Israels explizit genannt wird.
Der Islamismus, der als der Nachfolger der totalitären Systeme Nationalsozialismus und Kommunismus gedacht werden kann (vgl. meinen Essay zum Islamismus als Empörungsparadigma), hat den Ungläubigen als »objektiven Gegner« definiert, dem der Hass und die Vernichtung gilt – einfach deshalb, weil er existiert, und nicht, weil er sich falsch verhält. Im periodisch seit 2014 auf Englisch erscheinenden Online-Magazin des IS mit dem Titel Dabiq, in der islamischen Eschatologie der Ort, an dem die muslimischen Armeen zur Entscheidungsschlacht gegen ihre Feinde antreten, wird diese Tatsache unmissverständlich ausgedrückt:
»The fact is, even if you were to stop bombing us, imprisoning us, torturing us, vilifying us, and usurping our lands, we would continue to hate you because our primary reason for hating you will not cease to exist until you embrace Islam. Even if you were to pay jizyah and live under the authority of Islam in humiliation, we would continue to hate you.«Die radikalen Islamisten haben immer, wie ihre totalitären Verwandten des Dritten Reiches, offen ausgesprochen, was sie vorhaben und was sie leitet. Der IS will und zielt darauf, unsere westliche Gesellschaft von innen zu zerstören, nachzulesen etwa im Management of Savagery, einer Gebrauchsanleitung für Dschihadisten, die vermehrt Angriffe auf sogenannte »weiche Ziele« empfiehlt, also Restaurants, Bars, Musikklubs, Fußgängerzonen oder auch Weihnachtsmärkte. Niemand der politisch Verantwortlichen scheint diese Verlautbarungen ernst zu nehmen. Man flüchtet sich in Selbstberuhigung und Verdrängung, maximal in die üblichen verbalen Forderungen nach Schließung radikaler Moscheen oder dem Verbot salafistischer Vereine.
So schwer es uns fällt zu begreifen und zu akzeptieren: Eine Welt, in der wir aus Sicht der Anderen, die inzwischen unter uns sind, als Ungläubige und damit als »objektiver Gegner« bestimmt wurden, wird uns und unsere Gesellschaft verändern, unabhängig von der Frage, ob wir das wollen oder nicht. Wir können nicht mehr die bleiben, die wir waren. Alle Werte, die unsere Zivilisation lebenswert machen – Toleranz, Liberalität, Dialog, Konsens, Kooperation, Rechtssicherheit –, sind plötzlich Elemente von Schwäche geworden und versagen dabei, Strategien im Umgang mit einem Akteur zu finden, der in uns seinen Feind sieht. Der amerikanische Geschichtsphilosoph Lee Harris verweist in seinem Buch Civilization and Its Enemies deshalb auf eine notwendige Transformation unserer Selbstdefinition:
»And while it is true that the enemy always hates us for a reason, it is his reason and not ours. He does not hate us for our faults any more than for our virtues. He sees a different world from ours, and in the world he sees we are his enemy.«

V.

Der Terror, der uns nun endgültig eingeholt hat, ist eine Art Kollateralschaden der Implosion der islamischen Welt, die an ihren eigenen toxischen Widersprüchen zerbricht. Der Terror in unserer Mitte ist aber auch die Folge der massenhaften Migration Millionen muslimischer Einwanderer nach Westeuropa, die ihre Einstellungen, Werte, politischen und religiösen Dispositionen mitbrachten. Die (linken) Debatten um Integration und Verständigung übersehen dabei immer noch das entscheidende Moment in der Auseinandersetzung: Die islamische Kritik an der Dekadenz des Westens und den Wunsch nach Differenz, nicht nach Integration.
Neben einer naiven und auf falschen Prämissen beruhenden Integrationspolitik haben die mit den Millionen von muslimischen Einwanderern mitgekommenen Fundamentalisten und ihr wachsender Einfluss zur Entstehung von Gegengesellschaften in Westeuropa beigetragen. Die Radikalen sitzen nicht nur in Moscheen, sondern in islamischen Einrichtungen, Vereinen und Organisationen. Ihr Wertesystem, das auf der Scharia beruht, sitzt aber auch in den Köpfen vieler muslimischer Migranten. Deshalb können weiter Teile der Kinder und Enkel in Abgrenzung gegen die Werte unsere Gesellschaft erzogen werden. Wer meint, mit zusätzlichen Angeboten, Dialogkonferenzen, Zugeständnissen oder einer geradezu selbstmörderischen Toleranz könne es gelingen, weitere Millionen von muslimischen Migranten aus den gewaltaffinsten Ländern der Welt zu integrieren, ist noch immer nicht in der Realität angekommen.
Verschärfend kommt seit einigen Jahren hinzu – und hier besteht der eigentliche Konnex zwischen der alltäglichen Gewalt und dem religiösem Terror –, dass viele der »radikalen Verlierer« (Hans Magnus Enzensberger) aus den bereits vorhandenen Gegengesellschaften, in der Regel Kleinkriminelle, Drogenhändler oder Gewaltverbrecher, heute im Islam eine Möglichkeit sehen, ihren Hass und ihr Ressentiment gegen eine Gesellschaft, von der sie sich gedemütigt und ausgeschlossen fühlen, durch höhere Ideale zu legitimieren. Eine Analyse der Attentäter der letzten Jahre in Europa, alle zuvor nicht durch ein religiöses Leben aufgefallen, bestätigt den hohen Anteil dieser Gruppe unter den Mördern, die – anders als noch die Terroristen von 9/11 – aus dem von Marx so genannten städtischen Lumpenproletariat stammen. Insbesondere in Frankreich existiert ein großes Reservoir von hauptsächlich arabischen Kleinkriminellen, die sich, wie etwa die Anschläge in Paris zeigen, jederzeit und rasch radikalisieren können. Die Tatsache, dass die zumeist arabischen Attentäter mitten in Europa aufgewachsen und sozialisiert, aber niemals Teil der einheimischen Gesellschaft wurden, zeigt, worin die größte Gefahr besteht: In der weiteren Reproduktion von Milieus, die keinerlei Bindung an den Staat haben und keine Loyalität kennen, außer zu ihren familiären Kreisen oder ethnisch-religiösen Gruppen. Die Voraussetzungen für die Existenz solcher Gruppen im eigenen Land hat die deutsche Regierung mit der Abschaffung der Grenzkontrollen in großer Zahl geschaffen. Inzwischen sitzen Hunderttausende von hauptsächlich jungen Männern, viele mit vollkommen unrealistischen Vorstellungen über ihr Zielland, ohne Sprachkenntnisse oder Arbeitsqualifikationen, frustriert und ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Reichtum in Massenunterkünften, alles ideale Voraussetzungen für die Anwerbung durch Radikale.
Die Attentäter verfügen inzwischen auch in Deutschland längst über ein Netz von Anlauf- und Kontaktpunkten, Sympathisanten, Vereinen, salafistischen Moscheen, die dafür sorgen, solche Taten erst möglich zu machen (man erinnere sich daran, dass einer der Drahtzieher der Anschläge in Paris, Salah Abdeslam, erst Monate später in Brüssel gefasst werden konnte, wo er eine breite Unterstützerszene vorfand). Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis wir dieselben Zustände wie in Frankreich, Belgien oder im ehemaligen »Multikulti«-Musterland Schweden haben werden, von dem man in der deutschen Presse seit längerer Zeit nichts mehr hört. Diese...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. INHALT
  5. Vorwort
  6. Der westliche Selbsthass
  7. Die französische Kassandra: Jean Raspail
  8. Unangenehme Fragen und Entscheidungen
  9. Ein Lehrstück in Sachen Sozialrassismus
  10. Merkel und das Ende des Politischen
  11. Von üblichen Reaktionen und moralischen Schwächen
  12. Deutschland auf dem Weg zum Failed State
  13. Schuld und Erlösung: Zur religiösen Dimension der aktuellen Krise
  14. Der Islamismus als Empörungsparadigma
  15. Die Rückkehr der Gewalt in den Alltag
  16. Realitätsverweigerung und ihre Folgen
  17. Das »Postfaktische« als angewandte Dialektik
  18. Medienpädagogik und die Pflicht zur Toleranz
  19. Die linke Romanze mit der Gewalt
  20. Das Ende der Illusionen
  21. Wie der Frosch im heißen Wasser
  22. Die Eitelkeit des Guten: Zur Psychologie der Willkommenskultur
  23. Auf dem Weg in den Ausnahmezustand
  24. Entfernte Verwandtschaft: August 1914 – September 2015
  25. Epilog
  26. Literatur