Teil IIIPraktiken
9KMM-Architektur
Die drei Säulen des Kanban Maturity Model sind Kultur, Praktiken und Ergebnisse. Zusammen beschreiben sie, wie Menschen in einer Organisation leben, wie sie dort Dinge erledigen und wie das Geschäftsmodell der Organisation aussieht.
Es gibt Organisationen, in denen Manager Entscheidungen treffen, Aufgaben an Mitarbeiter verteilen und deren Ausführung persönlich überwachen. Die Menschen geben einzeln oder in Teams ihr Bestes, um die geforderten Aufgaben zu erledigen und mit den häufig wechselnden Prioritäten umzugehen. Sie visualisieren und teilen mit, was sie tun, und arbeiten bei Bedarf mit anderen zusammen. Das ist ihre Art, die Arbeit zu managen, um Termine und Erwartungen der Kunden zu erfüllen. Die Geschäftsergebnisse in Organisationen mit dieser Denk- und Arbeitsweise hängen vollständig vom Wissen, den Fähigkeiten und der Einstellung der Menschen ab, die daran beteiligt sind.
In anderen Organisationen geben die Manager Geschäftsziele vor und beziehen die Mitarbeiter in die Gestaltung geeigneter Ansätze zur Zielerreichung mit ein. Die Mitarbeiter koordinieren ihre Aktivitäten sowohl innerhalb des eigenen Teams als auch mit anderen Teams, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erreichen. Dazu wenden sie gemeinsame Regeln und Vereinbarungen an und nutzen verschiedene Werkzeuge, die ihnen den gesamten Prozess der Entwicklung und Bereitstellung eines Produkts oder Service sichtbar machen; das beinhaltet auch das Anwenden von Arbeitsfluss-bezogenen Metriken und das Einholen zeitnahen Feedbacks von Kunden und anderen Stakeholdern. Die wirtschaftlichen Ergebnisse von Organisationen mit diesen Eigenschaften sind konsistent und vorhersagbar, und die gesamte Organisation ist in der Lage, sich schnell an Veränderungen in ihrem Geschäftsumfeld anzupassen – und diese eventuell sogar vorherzusehen.
9.1Reifegrade einer Organisation
Das Kanban Maturity Model beschreibt sieben Reifegrade von Organisationen. Jedem Reifegrad werden bestimmte Merkmale der Kultur, Praktiken und Geschäftsergebnisse zugeschrieben.
Das Konzept, Evolution zu managen, ist stark ins KMM eingeflossen. Es geht darum, einen Ansatz zu definieren, der es einer Organisation ermöglicht, sich in Richtung Fit for Purpose zu entwickeln und dabei Widerstand und Überforderung zu vermeiden. Die im KMM definierten Reifegrade können als unterschiedliche Evolutionsstadien von Organisationen angesehen werden, die sich an dem Modell orientieren.
9.2Architektur des Kanban Maturity Model
Die KMM-Architektur beschreibt die grundlegenden Beziehungen zwischen den drei Säulen des Modells. Abbildung 9–1 zeigt eine Übersicht über die Architektur des KMM.
Die drei Kernkomponenten Kultur, Kanban-Praktiken und Ergebnisse sind in drei nebeneinanderliegenden Bereichen dargestellt. Die vertikale Achse der Architektur bildet die Reifegrade der Organisation ab.
9.2.1Spezifische Praktiken
Jede der allgemeinen Kanban-Praktiken kann mit einer oder mehreren spezifischen Praktiken umgesetzt werden. Diese Praktiken können in unterschiedlicher Ausprägung umgesetzt werden, die im Wesentlichen vom Reifegrad der Organisation abhängt. Daher reflektieren Name und Nummerierung der spezifischen Praktik sowohl die Ausprägung der Umsetzung als auch die Reife der Organisation, die diese Praktik anwendet.
Zum Beispiel: Implementiere Feedbackschleifen hat die folgenden spezifischen Praktiken1:
- FL 2.1 Führe Workflow-Replenishment-Meetings durch in Reifegrad 2
- FL 3.2 Führe Replenishment-Meetings durch in Reifegrad 3
Dies sind zwei Versionen derselben Praktik mit unterschiedlicher Ausprägung in der Umsetzung.
Abb. 9–1Architektur des Kanban Maturity Model
Der Fokus bei FL 2.1 liegt auf den internen Abläufen, und die Teilnehmer werden die Mitarbeiter sein, die am Workflow der Servicelieferung beteiligt sind. Die Auswahl neuer Arbeit wird durch die Mitarbeiter bestimmt, die dafür Aufgaben aus einem vorgegebenen Backlog ziehen.
Mit FL 3.2 nimmt am Meeting nun auch der Kunde teil, der in der Regel die Auswahl der zu erledigenden Arbeit trifft, wenn sie nicht im Konsens aller beteiligten Stakeholder getroffen wird. Der Zweck dieses Meetings ist unabhängig von der Umsetzung der gleiche, aber in einem höheren Reifegrad besteht die Erkenntnis, dass es Kunden und zu managende Risiken gibt sowie Erwartungen seitens des Kunden, die zu erfüllen sind. Indem die Kunden in das Replenishment-Meeting einbezogen werden und die Möglichkeit haben, auf Reihenfolge und Planung der Arbeit im System Einfluss zu nehmen, werden Risiken im Arbeitsablauf nach vorn verlagert, zu den Personen, die besser informiert sind, um sie angemessen zu managen. Dadurch wird das Risikomanagement verbessert, und wir erkennen, dass das Replenishment-Meeting (FL 3.2) eine tiefgreifendere, reifere Variante eines internen Workflow-Replenishment-Meetings (FL 2.1) ist.
Die spezifischen Praktiken, die in jedem Reifegrad definiert sind, sind aus Mustern abgeleitet, die in der Praxis beobachtet wurden – und zwar in Organisationen, die Verhaltensweisen und Ergebnisse aufweisen, die mit der entsprechenden Reifegradstufe verbunden sind.
9.2.2Übergangs- und Festigungspraktiken
Um eine reibungslose Evolution für Organisationen sicherzustellen, sind die spezifischen Praktiken der Reifegrade 1 bis 6 in zwei Kategorien unterteilt:
- Übergangspraktiken
- Festigungspraktiken
Die Übergangs- und Festigungspraktiken beschreiben zusammen die Mechanismen für eine erfolgreiche Evolution in Anlehnung an das Modell der evolutionären Veränderungen, das in Kapitel 17 – zusammen mit zusätzlichen Coaching-Anleitungen zur Anwendung des Modells – ausführlicher erläutert wird.
Übergangspraktiken dienen dazu, die Organisation in dem Maße zu stressen, dass einerseits Widerstände gegen Veränderungen sowie Überambition vermieden werden und andererseits reflektiert wird und die Einsicht entsteht, dass der gegenwärtige Zustand verbessert werden kann. Wenn eine Organisation danach strebt, Ergebnisse zu erreichen, die den nächsthöheren Reifegrad ausmachen, kann sie Übergangspraktiken einführen, um dies zu begünstigen. Solange die Absicht und der Wille vorhanden sind, die nächste Reifegradstufe zu erreichen, sollte die Einführung und Umsetzung dieser Praktiken auf wenig oder keinen Widerstand stoßen.
Festigungspraktiken sind Praktiken, die notwendig sind, um die Ergebnisse zu erreichen, die den Reifegrad kennzeichnen. Eine Organisation auf einem niedrigeren Reifegrad neigt dazu, sich gegen diese Praktiken zu sträuben oder sie abzulehnen, wenn nicht zuvor vorbereitende Maßnahmen getroffen wurden. Genauer gesagt bewirkt die Einführung (oder das Vorantreiben/der »Push«) der Übergangspraktiken eine Weiterentwicklung der Organisation und damit auch den Wunsch (den »Pull«) nach Einführung und Umsetzung der Festigungspraktiken.
9.2.3Erweiterungen der Architektur
Es ist möglich, das KMM auf zwei Arten zu erweitern: einerseits durch di...