Herzstücke Wien

Besonderes abseits der bekannten Wege entdecken

Walter M. Weiss

• Verlag: Bruckmann Verlag
• Jahr: 2021
• eBook-ISBN: 9783734322297
• Thema: Desarrollo personal
• Thema: Viajes

Sachertorte, Sisi und Walzer: Vertraute Wiener Klischees sind über die Grenzen der Stadt bekannt – wer aber denkt, dass Wien nicht mehr zu bieten hat, wird von diesem Buch eines Besseren belehrt. Abseits bekannter Wege warten kleine und große Highlights und Geheimnisse, die Touristen und Einheimischen einen neuen Blick auf die Stadt ermöglichen. Erkunden Sie die Schneekugelmanufaktur oder jene Wiese, auf der Freud seinen ersten Traum deutete.

MAL WIEDER

ZEIT FÜR KULTUR

43Zentrale Vogelperspektive

44High Noon am Hohen Markt

45Kommunaler Übervater

46Gemütlichkeit mit Biss

47Wo Gustav Mahlers Karriere gipfelte

48Himmelskörper im Modell

49Weltpolitik im Wienerwald

50Gedenken an den Naziterror

51Ein Hoch auf die Zukunft!

52Eine Verbeugung vor der Wissenschaft

53Ein Mythos, in Marmor gemeißelt

54Himmlische Aussichten

55Hier stand Ludwig van am Pult

56Lorbeer für die Avantgarde

57Kino wie in den 1950er-Jahren

58Altwiener Idyll par excellence

59Im Gedenken an eine Blütezeit

60Nostalgie auf Zelluloid

61Eine Insel armenischen Geistes

62Ein Mekka für Leseratten

63Liveschaltung in den Himmel

64Karl der Große an der Donau

65Die Welt durch die Linse betrachtet

66Ein Mann, vibrierend von Schaffenskraft

67Ein Ohr für die Hörkultur

68Sakrale Architektur aus Russland

69Große Oper im Taschenformat

70Haus gewordene Logik

71Eine lange verkannte Schönheit

72Die neue Geometrie des Wissens

73Zum Wohle aller Wesen

74Vermittler zwischen den Kulturen

75Ein Pilgerort für Freudianer

76Eine Augenweide für den Seelenfrieden

77Eine fantastische Wallfahrt der Sinne

78Wo nur der Kaiser verkehrte

79Auf den Spuren einer Künstlerikone

80Wunderkammer der Technik

81Spiritualität meets Archaik

43

ZENTRALE VOGELPERSPEKTIVE

Es gibt keinen reizvolleren Platz, um Wiens Altstadt ins Dekolleté zu spähen. Und einen geschichtsträchtigeren schon gar nicht. Seit bald 600 Jahren gewährt die Türmerstube im Südturm des Stephansdoms 67 Meter beziehungsweise 343 Stufen über dem Erdboden himmlische Ausblicke in alle Richtungen.

Ist es verfehlt, die Erkundung des »geheimen« Wien damit zu beginnen, sich im Labyrinth der Zahlenmystik zu verlieren? Noch dazu, wenn dies zum zentralen Wahrzeichen der Stadt und zugleich in luftige Höhen und die Tiefen der Geschichte führt? Nehmen wir also die Drei als Symbol der Trinität und Seele und die »irdische« Vier als Zahl für die Grundelemente, Jahreszeiten, Temperamente … Die Verschmelzung von Geist und Materie, Gott und Mensch ergibt gemäß christlichem Glauben sieben – die Summe der Sakramente, der Tage der Schöpfungsgeschichte etc. Diese heilige Zahl hoch drei macht 343. Voilà: So viele Stufen müssen Sie emporsteigen, um die Türmerstube zu erreichen. Dort oben, wo Generationen von Wächtern nach Bränden, Dieben und Feindesheeren Ausschau hielten und 1683 auch der Stadtkommandant Rüdiger von Starhemberg die Bewegungen der osmanischen Belagerer beobachtete, liegen einem Stadt und Umland in der ganzen Pracht zu Füßen. Außerdem wartet als Lohn für die Anstrengung eine Nahsicht auf das Domdach und die gotische Traumkulisse von feinst ziselierten Türmchen, Giebeln, Fialen, Kreuzblumen und Krabben.

Theoretisch könnte man über eine engere Treppe und auf einer Leiter schließlich durch das »Angstloch« ins Freie und auf Eisensprossen bis zur Turmspitze klettern. Doch begnügen wir uns mit der windgeschützten Position und staunen über verblüffende Tatsachen wie etwa, dass das Dreifache der 37, der »Maßzahl« des Domes, 111 ergibt – in Fuß gerechnet exakt seine Breite. Dass seine Länge 333 und die Höhe des Südturmes 444 Fuß beträgt. Und dass Letztere 136,44 Metern und damit 300 biblischen Ellen entspricht – der Legende nach der Größe der Arche Noah.

Stephansdom, Türmerstube, Südostseite · 9–17.30 Uhr · Stephansplatz 1 · 1010 Wien · Tel. [phone] · www.stephanskirche.at · U1, U3 Stephansplatz

44

HIGH NOON AM HOHEN MARKT

In der Nordostecke von Wiens ältestem Platz zieht die Ankeruhr alle Blicke auf sich. Zwölf überlebensgroße Figuren, Persönlichkeiten der Stadthistorie, zeigen darauf die Stunden an. Jeden Mittag formieren sie sich, von einen Melodienpotpourri begleitet und von Passanten bestaunt, zur fröhlichen Parade.

Das Spektakel startet jahraus, jahrein täglich um Schlag zwölf. Da setzt sich auf der Brücke zwischen den Häusern Hoher Markt 10 und 11 mit leisem Surren ein Mechanismus in Gang. Orgelmusik beginnt, und ein Dutzend aus Kupfer gefertigte Granden der Geschichte starten ihr Defilee: Roms Philosophenkaiser Mark Aurel gibt sich die Ehre. Dann zeigen sich unter anderem Karl der Große, Prinz Eugen und Maria Theresia. Zuletzt erscheint zu den Klängen aus seiner Schöpfung Joseph Haydn.

Mit Wiens frühesten Wurzeln, Ruinen aus der Zeit Vindobonas, macht schräg vis-à-vis der Ankeruhr das Römermuseum bekannt, www.wienmuseum.at

Bereits 1869 hatte sich an diesem Platz, auf dem schon der Palast des römischen Lagerkommandanten von Vindobona und im Mittelalter Gerichtsgebäude und Pranger standen, die Anker-Versicherung niedergelassen. Nach 1900 erwies sich ihr Sitz an der Ecke zur Rotgasse als zu klein. Ein zweites Gebäude entstand und wurde mit dem alten durch eine Brücke verbunden. Um die Wiener an die Vergänglichkeit des Lebens und den rechtzeitigen Abschluss einer Assekuranz zu erinnern, ließ die Firma, die heute Helvetia heißt, daran eine Spieluhr anbringen. Als Gestalter des kostbaren Werbemittels wurde Franz von Matsch, einst Gustav Klimts Partner in der Malercompagnie, gewonnen. »Alles vergeht und sinkt rasch in völlige Vergessenheit«, schrieb der Stoiker Mark Aurel in seinen Selbstbetrachtungen. Für die famose, aus Metall, Marmor und Glas gefertigte Jugendstiluhr scheint dieses Schicksal vorläufig gebannt. Sie wurde vor einigen Jahren komplett restauriert und unter Denkmalschutz gestellt.

Ankeruhr · Figurenparade tägl. um 12, im Advent Weihnachtslieder tägl. um 17 und 18 Uhr · Hoher Markt 10–11 · 1010 Wien · U1, U3 Stephansplatz

45

KOMMUNALER ÜBERVATER

Sein großer Anteil am Aufstieg Wiens zur modernen Metropole ist unbestritten. Doch hat er auch den politischen Antisemitismus erfunden. Ein trefflicher Ort, um über Karl Luegers zwiespältiges Erbe und die Polarisierung durch Populisten einst und heute zu reflektieren, ist sein Denkmal auf dem nach ihm benannten Platz.

Wiens Geschichte ist ungewöhnlich reich an Persönlichkeiten, deren politisches Wirken im Rückblick fragwürdig erscheint. Aus dem schillernden Panoptikum ragt eine besonders hervor: Karl Lueger, Bürgermeister in den Jahren 1897 bis 1910. Für die einen zählt vornehmlich sein Leistungsausweis bei der Modernisierung der städtischen Infrastruktur. Schließlich entstanden unter seiner Amtsführung die zweite Hochquellenwasserleitung und Otto Wagners Stadtbahn, wurden Spitäler, Schulen und Bäder zuhauf gebaut, Gas- und Elektrizitätswerke, Bestattungs- und Straßenbahnunternehmen kommunalisiert, eine Zentralsparkasse und die Städtische Lebens- und Rentenversicherung gegründet.

Für seine Gegner indes stehen sein hemmungsloser Populismus und politischer Antisemitismus im Vordergrund. Berühmt-berüchtigt: seine anti-liberalen Predigten, der Slogan, Groß-Wien dürfe nicht Groß-Jerusalem werden, und sein Credo: »Wer ein Jud’ ist, bestimm’ ich!« Tatsache ist, dass Lueger als Meister der Selbstvermarktung zu Lebzeiten erfolgreich einen enormen Personenkult inszenierte und vielen kleinbürgerlichen Modernisierungsverlierern geradezu als Heils...

Inhaltsverzeichnis

• Cover
• Titel
• Inhalt
• IMMER: EINE SÜNDE WERT!
• MORBID, SKURRIL: ODER EINFACH ÜBERRASCHEND!
• MAL WIEDER
• HEUTE: WILL ICH RAUS
• Impressum
• Autorenporträt