Die kataleptische Starre
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Die kataleptische Starre

Novelle

  1. 92 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Die kataleptische Starre

Novelle

Über dieses Buch

Ein Tag im Leben von Peter Weber, erfolgreicher Anzeigenverkäufer in einem Verlag.Ein Tag, an dem sein scheinbar wohlgeordnetes Dasein erschüttert wird und er sichmit den existenziellen Fragen des Lebens konfrontiert sieht."Oberflächlich betrachtet hätte er glücklich sein müssen, dachte er. Aber wie fühlt man sich als glücklicher Mensch?"

Häufig gestellte Fragen

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Information

13:00 UHR
Ziellos irrte er durch die Stadt und dachte nach. War das alles, wirklich alles, was das Leben zu bieten hatte? Seine unglückliche Kindheit, gepaart mit einer Einsamkeit, die ihresgleichen suchte, waren verantwortlich für die absonderlichen Situationen seines Lebens, dachte er, dazu kam die falsch gewählte Ausbildung, die zwangsläufig in unbefriedigende Arbeitsverhältnisse führen musste, die daraus resultierende Unzufriedenheit war die logische Folge und all das steuerte ihn geradewegs auf den Abgrund zu. Fortwährende Zerwürfnisse mit den Kollegen kosteten Nerven, von den kleinen Scharmützeln mit dem weiblichen Geschlecht ganz zu schweigen, und schließlich mischte sich jetzt auch noch der Tod in sein Leben.
Fuck, das konnte es doch nicht sein. Ein verpfuschtes Leben, ohne Perspektive, ohne Glück, ohne ein Fünkchen Hoffnung auf Besserung, reduziert auf Trivialitäten. Er lebte in einer Welt, die von Macht und Geld beherrscht wurde, umgeben von Menschen, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht waren. Wahnsinn, er war neununddreißig Jahre alt und musste noch immer tagtäglich Anzeigen verkaufen. Was für ein erbärmliches Leben. Was hatte er bisher schon erreicht, abgesehen von seinen Verkaufserfolgen und oberflächlichen Liebesabenteuern, was stand tatsächlich auf der Habenseite seines Lebens? Nichts, wenn er ehrlich zu sich war. Von einer Erfolgsstory weit und breit keine Spur. Er hatte nicht einmal ein Haustier. Von Freunden oder ausgefallenen Hobbys ganz zu schweigen.
Er wollte noch so viele Dinge erfahren, erforschen, näher kennenlernen. Er hatte zum Beispiel keinen blassen Schimmer von der europäischen Geschichte oder konnte zumindest keinen halbwegs intelligenten Satz darüber sagen. Diese Lücken wollte er schließen, aber dafür würde er sein Leben vollständig auf den Kopf stellen müssen. War er dazu bereit?
Ein ausgedehnter Spaziergang würde ihm guttun, ihn auf andere Gedanken bringen, dachte er. Vor einer kleinen Galerie blieb er stehen. Ohne lange nachzudenken, öffnete er die schwere Glastür.
Er saß vor einem düsteren Bild von Georges Rouault und betrachtete die dunklen Gestalten, die ihn finster anblickten. Die Figuren schienen lebendig zu werden, nach längerer Betrachtung hatte er sogar das Gefühl, als würden sie nach ihm greifen, ihn in ihre Welt ziehen wollen.
Auf einem Plakat wurden die in der Galerie gezeigten Werke als die einzige Fauvismus-Ausstellung Europas angepriesen. Da zeigte sich schon wieder die nächste Wissenslücke. Wer waren die Fauves überhaupt? Wahnsinn, was er alles aufzuholen hatte.
Dann dachte er wieder an sein verkorkstes Leben, an seine Mutter, an den Tod des Vaters. Ein unbändiger Schmerz stieg in ihm hoch. Und plötzlich schossen ihm Tränen in die Augen, alles schien verschwommen, graue Schleier, Wolken gleich, zogen an ihm vorbei. Wellenartig erfasste ihn der Schmerz. So hatte er sich noch nie gefühlt, es tat höllisch weh, und geweint hatte er schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr. Er, der immer stark sein wollte, war jetzt ausgelaugt und unendlich müde.
Er war zu schwach, um seinen Schmerz zu verbergen, also blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn zuzulassen. Irgendetwas störte ihn aber, lenkte ihn von seinem Elend ab. Er konnte nicht auf Anhieb sagen, was es war, aber ein merkwürdiger Geruch stieg ihm in die Nase. Es war eine Mischung aus männlichen Ausdünstungen und billigem Parfüm, fast nicht zu ertragen.
»Das Leben ist eine Farce!«, sagte ein Mann, der neben Weber Platz genommen hatte. Seine Stimme war sanft, sein Tonfall völlig ruhig.
Der Mann trug eine Baseballkappe verkehrt auf dem Kopf und hatte einen Dreitagesbart. Außer ihnen beiden war nur der Galerist im Raum, der sich aber nicht weiter um sie kümmerte.
»Wie bitte?«, fragte Weber.
Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und blickte den Mann an. Eigentlich war er froh, dass er sich jetzt mit diesem Typen auseinandersetzen konnte, das lenkte ihn zumindest ab.
Doch der Kerl schüttelte nur den Kopf.
»Was haben Sie gerade gesagt?«, wollte Weber wissen.
»Ich sagte, dass das Leben eine Farce ist. Und hat man das einmal begriffen, lebt es sich deutlich unbeschwerter, mein Freund. Ich glaube, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Simon«, sagte der Mann mit sonorer Stimme.
»Peter, freut mich. Und was machst du so?«, fragte Weber nach einer Pause, da ihm keine andere Frage einfiel.
»Ich beschäftige mich mit Reaktionen, wenn du so willst.«
»Mit Reaktionen?«
»Ja, mit Elektronentransfer-Reaktionen, um genau zu sein.«
Weber blickte ihn überrascht an. »Ich glaube, da musst du mir auf die Sprünge helfen.«
»Sehr gern, aber ich möchte dich wirklich nicht langweilen.«
»Nein, bitte, nur zu.«
»Also gut, man versteht darunter die Übertragung eines Elektrons zwischen zwei räumlich getrennten Zentren aufgrund quantenmechanischer Übergänge.«
»Das klingt interessant und scheint mir ein wichtiger Prozess zu sein«, meinte Weber.
»Das ist es auch – nicht nur für die Chemie, naturgemäß auch für die Biologie und Physik, ganz zu schweigen von den technologisch relevanten Prozessen der Materialwissenschaften.«
»Und du beschäftigst dich mit diesen Dingen?«
»Genau! Ich habe mit meiner Theorie gezeigt, dass die Berechnung der Gibbsschen Freien Aktivierungsenthalpie aus den Polarisierungseigenschaften des Lösungsmittels, der Größe und dem Abstand der Reaktanten bei der Elektronenübertragung und der freien Enthalpie der Redoxreaktion möglich ist.«
»Verstehe!«, sagte Weber leise. In Wirklichkeit musste er sich eingestehen, dass er den Ausführungen von Simon nicht mehr folgen konnte und sie keineswegs verstand. Es war ihm einfach zu hoch, was er da hörte. Doch Simon war jetzt in seinem Element und fuhr unbeirrt fort. Er hatte seinen interessierten Blick wohl als Aufforderung verstanden, dabei war er gar nicht so gemeint gewesen.
»Substitution einer Gruppe im Molekül … Liganden im Komplex … Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik …«, bekam er jetzt zu hören.
»Verstehe!«, war alles, was Weber beitragen konnte.
Simon lachte kurz auf, dann setzte er fort: »Diese Redoxreaktionen scheinen in der anorganischen Chemie bei Ionen und Komplexen sehr einfach zu sein.«
Weber kam es so vor, als sei Simons Stimme jetzt leiser geworden, dann verstummte sie vollends.
»Precusorkomplex«, schrie Simon nach einer Weile völlig unerwartet in die Stille, dann kritzelte er irgendetwas auf einen kleinen Zettel und murmelte unverständliches Zeug. Er zerknüllte den Zettel, offenkundig war er mit seinen Aufzeichnungen unzufrieden.
»Langweile ich dich mit meinem Gerede?«, fragte Simon.
»Aber nein, es ist alles, wie soll ich sagen, sehr spannend!«
»Ich rede zu viel, es tut mir leid, aber wenn es um meine Arbeit geht, kann ich mich nicht zurückhalten …«
»Ich verstehe, aber …« Weber stockte, da er erkannte, dass er das Wort »verstehe« jetzt doch überstrapaziert hatte.
Eine kurze Pause entstand. Weber atmete innerlich auf. Er war völlig überfordert von den Dingen, die Simon mit großem Eifer erzählt hatte. Glücklicherweise hatten sie ein neues Gesprächsthema gefunden. Jetzt sprachen sie über die überzogenen Preise der ausgestellten Exponate, über Kunst im Allgemeinen, über das Kaffeehaussterben in Wien, Berlin und Budapest. Es folgte ein Gespräch über Kubin, über seine unglaubliche Schaffenskraft, über seinen Roman, den er innerhalb von ein paar Wochen geschrieben hatte, dann, es war unvermeidbar, über Kafka. Weber fühlte sich losgelöst von allem, alles schien vergessen, alles war leicht und unbeschwert. Als wäre die Zeit stehen geblieben.
Normalerweise zeigte sich Weber gegenüber Fremden nicht so offen, aber Simon war anders. Ganz zwanglos hatte er ihn in ein fesselndes Gespräch verwickelt über Themen, bei denen auch er endlich mitreden konnte.
»Ich habe mich oft gefragt, ob man eine Landschaft wie diese auch noch heute malen könnte«, sagte Weber und deutete dabei auf ein mittelgroßes Bild, das von einem schwarzen Rahmen förmlich erdrückt wurde.
Doch Simon reagierte nicht.
Scheinbar beiläufig blätterte er stattdessen einen alten Ausstellungskatalog durch, da und dort hielt er bei einer Seite inne, dann lachte er lauthals oder schüttelte den Kopf. Seine Baseballkappe verrückte dabei keinen Millimeter. Weber fiel auf, wie schön seine Hände waren, feingliedrig, mit langen Fingern.
»Niemand zeichnete besser als Matisse, niemand hatte mehr Ausdruckskraft, keiner der Fauves, kein Maler einer anderen Generation, einfach unerreicht«, sagte er dann völlig unerwartet.
Weber nickte zustimmend.
»Und niemand konnte die innere Ausgeglichenheit durch eine Vereinfachung der Ideen und gestaltenden Formen besser darstellen.«
Simon sprang auf, fasste sich an den Kopf und justierte seine Kappe neu, dann nahm er wieder Platz. Völlig entspannt saß er neben Weber und blickte auf den Boden. Sie schwiegen einen Moment und es schien, als würden sie sich in Gedanken weiter unterhalten und das Thema wechseln.
»Wir sollten uns auf den Reisanbau konzentrieren. Die ganze Welt sollte Reis anbauen, dann würde vieles leichter fallen«, setzte Simon fort.
»Du machst Witze.«
»Keineswegs. Der Reisanbau ist sehr komplex und arbeitsintensiv.«
»Und trotzdem willst du ihn allen Menschen ans Herz legen?«
»Selbstverständlich. Ein kooperatives Miteinander ist beim Reisanbau – anders als beim egoistischen Weizenanbau – zwingend erforderlich.«
»Was?«
»Die Menschen wären durch den gemeinsamen Reisanbau wieder mehr voneinander abhängig und das ganzheitliche Denken würde in den Vordergrund rücken.«
»Ein schönes Gedankenspiel, aber mehr leider nicht.«
»Unsinn, ein friedliches Mit- und Nebeneinander wäre dadurch auf jeden Fall gewährleistet. Ich selbst habe ein Pilotprojekt initiiert, es hat funktioniert und ist definitiv die Ultima Ratio für Europa und die ganze Welt.«
Wer war dieser Mann? Wenn all das stimmte, was er sagte, war er ein kleines Genie. So sah er aber nicht aus. Auf Weber machte er eher den Eindruck eines Möchtegern-Rappers, der in der Vorstadt um wenig Geld Kisten schleppte; aber von Äußerlichkeiten sollte man sich bekanntlich nicht täuschen lassen.
»Die Menschen sollten wieder mehr mit ihren Händen arbeiten. Zumindest die Städter«, sagte Weber leise. Er blickte dabei ins Leere, als ob ihm der Gedanke wehtun würde.
»Kunstt...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelei
  3. Impressum
  4. Zitat
  5. 6:00 Uhr morgens
  6. 7:00 Uhr
  7. 8:00 Uhr
  8. 9:00 Uhr
  9. 10:00 Uhr
  10. 11:00 Uhr
  11. 12:00 Uhr
  12. 13:00 Uhr
  13. 14:00 Uhr
  14. 15:00 Uhr
  15. 16:00 Uhr
  16. 17:00 Uhr
  17. 18:00 Uhr
  18. 19:00 Uhr
  19. 20:00 Uhr
  20. Anmerkung
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