Der Chef oder der Weg des Chirurgen
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Der Chef oder der Weg des Chirurgen

Humoristische Hommage an eine Koryphäe in Weiss

  1. 120 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Der Chef oder der Weg des Chirurgen

Humoristische Hommage an eine Koryphäe in Weiss

Über dieses Buch

Wie hat früher die Ausbildung junger Ärzte zum Chirurgen ausgesehen? Die Zeit liegt nur ein halbes Menschenleben zurück und doch blicken wir auf eine ganz andere, längst vergangene Welt. Das vorliegende Buch erzählt in humorvoller Form unterschiedliche, sich real so begebene Episoden aus dieser Zeit und ist gleichzeitig eine Hommage an einen unvergesslichen Chefarzt alter Schule. Es kann kurzweiliger Unterhaltung dienen oder auch i.S. eines medizinhistorischen Buches vertiefte Einblicke in eine frühere Zeit bieten. Und vielleicht mag es helfen, die Seele eines Chirurgen, einer Chirurgin besser zu verstehen.

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Information

IV

Die ersten Schritte des Chirurgen

«Der Chirurg hat den Mut eines Löwen, die Ausdauer eines Wolfes und die Hand einer Frau.» Dieser Spruch des berühmten deutschen Chirurgen Lange gehört in eine ähnliche Kategorie wie das früher über allem prangende Motto in einem Hörsaal einer grossen Orthopädischen Universitätsklinik: «Praesente aegroti taceant colloquia, effugit risus, dum omnia dominat morbus.» «In Anwesenheit des Kranken mögen die Gespräche verstummen, das Lachen möge verschwinden, denn alles wird von der Krankheit beherrscht.» Es ist das Selbstverständnis der Medizin einer längst vergangenen Zeit, mag man es begrüssen oder bedauern.
Konrad hatte den MUT einer abgehärteten Spitzmaus. Die AUSDAUER war etwas besser, sie entsprach derjenigen eines Schlittenhundes, immerhin vom Wolf abstammend. Vorausgesetzt, er bekam regelmässig zu essen. Die HAND EINER FRAU? Ja, die zumindest, denn das Zeichnen war ähnlich exakt und fein dosiert. Mit dem zweiten Leitsatz konnte hingegen Konrad nur sehr wenig anfangen. Er war, ausser beim Operieren, dauernd am Erzählen, machte ständig mehr oder weniger witzige Bemerkungen und gab, wo er konnte, Witze zum Besten. Und je mehr «Morbus», desto mehr brachte er die Leute zum Lachen. Einmal hörte er im Vorbeigehen, wie eine ältere, sehr freundliche Frau, die in einem Viererzimmer mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung lag, leise vor sich stöhnte: «Ich sage nicht nein, wenn der Tod mich ruft …» Konrad war schon mehrmals aufgefallen, dass die Patientin sehr traurig und niedergeschlagen wirkte. So blieb er, ohne viel zu überlegen, einmal stehen und fragte sie unvermittelt:
«Hat er schon angerufen?»
«Wer?», fragte die Patientin überrascht.
«Der Tod!»
Die Frau schaute brüsk und etwas erschrocken zum Telefon.
«Nein.»
«Gut. Also: Wenn er anruft, nehmen sie den Hörer nicht ab!», sagte Konrad und eilte davon.
Die Patientin musste lachen. Seit dieser Konversation lächelte sie immer freundlich, wenn sie Konrad sah, manchmal lachte sie. Ihre depressive Verstimmung war weg, zumindest war keine mehr zu beobachten.
Konrads erste «richtige» Operation, also ein geplanter und im Operationsprogramm aufgeführter Eingriff, war die Entfernung von vier auf etwas Bösartiges verdächtigen Hautknoten am Brustkorb und Bauch. Er bekam die Assistenz eines stellvertretenden Oberarztes, der ihm wohlgesonnen war. Alles ging gut, was wenig überraschend war. Das entfernte Gewebe wurde eingeschickt. Nach einigen Tagen kam das Resultat der histologischen Untersuchung. Es waren Metastasen eines malignen Tumors.
28 Jahre später sass ein Patient in Konrads Praxis und sagte: «Ich bin eigentlich nur gekommen, um Ihnen Danke zu sagen. Sie mögen sich wahrscheinlich nicht an mich erinnern, aber ich mich noch sehr gut an Sie. Sie haben als ganz junger Assistenzarzt bei mir mehrere Metastasen herausoperiert. Als Sie mir das Resultat der Untersuchung berichteten, haben Sie geweint. Ich wurde dann entsprechend operiert und hatte Chemotherapie. Und, dass Sie damals geweint hatten, hat mir das Gefühl gegeben, ich bin da bei Ärzten, denen ich nicht egal bin. Das hat mir Kraft gegeben.»
«Ich kann mich bestens erinnern, es war erste Hälfte Mai 1981», bestätigte Konrad. «Ich wusste nur nicht, dass Sie es waren. Also hat die Behandlung etwas gebracht.»
«Ja, und ich bin sehr froh», sagte der Mann, gab Konrad die Hand und ging. Da hatte Konrad das Gefühl, dass die Plackerei schon nur wegen dieses einen Patienten richtig war.
Dann, es war so weit: Konrads erste Leistenbruchoperation: Abends besuchte er seinen Patienten, erklärte ihm das Vorgehen und erkundigte sich nach eventuell verbleibenden Unklarheiten und Fragen. Die Frage liess nicht lange auf sich warten.
«Sagen Sie, Sie wirken noch sehr jung. Wie viel dieser Leistenbruchoperationen haben Sie schon gemacht?»
«Noch keine. Es ist meine erste.» Konrad log nicht.
«Die erste?»
«Ja.»
Der Patient blieb ruhig. Konrad wünschte ihm gute Nacht und verabschiedete sich. Später las er noch über die Technik der Operation nach und ging die einzelnen Schritte durch. Am nächsten Morgen beim Rapport fiel Konrad die unüblich gelöste Stimmung auf. Am Schluss berichtete der Nachtarzt:
«Übrigens: Der Patient mit der geplanten Inguinalhernie von Konrad hat um zwei Uhr nachts einen akuten exogenen Reaktionstypus (psychiatrischer Begriff: plötzlicher Kontrollverlust mit Panik, Aggressionen und Fluchttendenz) und verliess fluchtartig das Spital. Es ging sehr schnell, man konnte ihn nicht aufhalten.»
Alle schauten Konrad an und grinsten. Auch der Chef lächelte. Das Problem war nun, wie macht man eine neue Operation zum überhaupt ersten Mal, wenn der Patient wieder fragt? Bei der nachfolgenden Hernienoperation hatte Konrad Glück. Der nächste Patient hat nicht gefragt. Als der dritte wiederum die Frage stellte, ob es Konrad schon mal gemacht hätte, war die Sache erledigt. Konrad richtete sich vor dem Patienten auf, schaute ihm in die Augen und sagte, ruhig und mit fester Stimme: «Ja!». Dabei waren die Patienten hinsichtlich einer Sache auf der falschen Fährte. Die ersten Operationen waren nicht gefährlich. Da war ja jemand mit Erfahrung dabei.
Der Chefarzt liebte es, beim Operieren eine Art Rennen zu inszenieren, wenn sich die Gelegenheit bot. Ein Operationssaal verfügte über zwei Operationstische im gleichen Raum. Man hatte Sichtkontakt. Relativ häufig hat es sich ergeben, dass jeweils parallel laufend die gleiche Operation einerseits vom Chefarzt und andererseits von einem seiner Untergebenen vorgenommen wurde. Es war klar, dass der Chef der Schnellere sein musste. Des Öfteren haben die Teilnehmer dieses Wettbewerbs absichtlich etwas langsamer operiert, damit der Chef zufrieden ist und der Tag gerettet. Dann strahlte der Professor, rief: «Zwei Operationen – bin schon fertig!», und lief aus dem Saal. Es kam aber vor, dass sich der andere Operateur die Genugtuung gönnte, den Chef zu überholen. Dann musste man sehr vorsichtig sein, dass die Lage im Tagesverlauf nicht eskaliert.
Rennen gab es auch andere: Einmal, ganz zu Beginn, lief im Notfall wenig. Konrad hatte Nachtdienst. Jemand kam mit der Idee, ein Rollstuhlrennen durchs Spital zu veranstalten. So à la Ben Hur. Die Rennstrecke wurde rasch bestimmt, sie bot sich richtig an: Im Uhrzeigersinn vom Notfall ausgehend in eine Rechtskurve, durch den langen Gang des Operationstraktes, dann scharf nach rechts am Chefbüro vorbei, erneut rechts, durch die Röntgenabteilung, zuletzt nochmals rechts, dann war man wieder zurück in der Notfallstation. Fünf Teilnehmer, fünf Rollstühle, vier Runden. Die Notfallschwester stoppte die Zeit. Am Anfang und am Ende des Operationstraktes befand sich jeweils eine grosse geteilte Schwingtür aus Milchglas. Die konnte man nur durch den Zug an einer herabhängenden Schnur, die sich mittig in einem definierten Abstand vor der Türe befand, öffnen. Wenn man zu schnell unterwegs war, donnerte man in die sich gerade öffnende Schwingtür. Fuhr man zu langsam, verlor man unnötig Zeit, da die Tür schon einige Sekunden offen stand. Somit war das richtige Timing das Entscheidende.
Konrad gab alles. Irgendwie ist es ihm gelungen, drei seiner Mitbewerber durch risikoreiche Manöver in den Kurven definitiv zu überholen. Im Operationstrakt lagen einige Operations-Schuhe aus Gummi auf dem Boden, denen galt es unbedingt auszuweichen, die Bremswirkung auf die Rollstühle war verheerend. Der Vierte war ihm aber ständig auf den Fersen. Da fiel Konrad ein, den Mechanismus der Schwingtüren zu seinem Vorteil auszunützen. Es war so unfair wie effektiv. Als sie in der letzten Runde die nächste Türe erreichten, beschleunigte Konrad seine rasante Fahrt, schwang sich aus dem Sitz nach vorne, riss an der Schnur und schaffte es, im letzten Moment so durchzufahren, dass der ihm nachfolgende Konkurrent in die sich schon schliessende Türe prallte. Diese blieb glücklicherweise ganz. Niemand wurde verletzt. Konrad schaffte es in Bestzeit und erntete ein strahlendes Lächeln der Notfallschwester. Am Schluss wurde noch eine von einem dankbaren Patienten gespendete Flasche Rotwein aufgemacht, wobei die Schwester darauf achtete, dass niemand mehr als ein Deziliter trank. Noch wochenlang waren am Parkettboden und an den Wänden die schwarzen Spuren der bremsenden und aus der Bahn geratenen Rollstühle zu sehen, für die aber niemand eine Erklärung hatte.
Wenn ein Assistenzarzt etwas Neues operieren wollte, fragte ihn der Chef: «Kannst?» Da musste man unbedingt mit einem: «Ja!» antworten. Dann kam die zweite, entscheidende Frage: «Kannst gut?» Selbstverständlich musste man auch das bejahen. Danach hiess es erlösend: «Dann mach!», und man durfte es versuchen. Konrad log nicht. Wenn ihm der Chef die erste Frage stellte, sagte er: «Natürlich nicht, deshalb will ich es ja lernen», worauf der Chefarzt entgegnete: «Ja – was willst, wenn nicht kannst?», womit die Sache erledigt war. Nach einigen Wochen erkundigte sich Konrad erneut und behauptete unsicher, er könnte es. Dann folgte die ominöse Rückfrage: «Und – kannst gut?», was Konrad nur verneinen konnte. Später fragte ihn der Chef nur noch einmal und so ging’s endlich vorwärts.
Der Chef beherrschte viele Sprachen, aber nicht alle. Italienisch und Spanisch waren nicht dabei. Das hatte Auswirkungen. Einmal versuchte er, einem nur des Italienischen mächtigen Patienten, die morgige Schilddrüsenoperation zu erklären. Der Patient verstand gar nichts. Der Professor verlor rasch die Nerven und sagte nur: «Io – Sie – lei – domani …» («Ich – Sie –morgen …») und wechselte in der Not umgehend zur Zeichensprache. Dabei fuhr er mit dem rechten Zeigefinger entlang einer von links nach rechts verlaufenden Linie quer über seinen Hals. Diese entsprach, chirurgisch gesehen, genau der geplanten Schnittführung. Für den Kenner der mediterranen Zeichensprache bedeutete dies aber etwas Anderes. Der in Panik geratene Mann verstand nur so viel, der Chef würde ihm am nächsten Tag den Hals abschneiden. Rasch musste der spanische Oberarzt organisiert werden, der den verängstigten Patienten während mindestens zwanzig Minuten zu beruhigen versuchte. Ein anderes Mal wurde der eher kleingewachsene Chefarzt einem italienischen Patienten als Professor vorgestellt. Der Patient rief: «Lei professore?» («SIE sind Professor?!») und begann unbändig zu lachen, was dem Chefarzt wiederum keine Freude bereitete. Hier muss man wissen, dass sich damals in Italien schon der Student im ersten Jahr Medizin mit einem Arztzeichen am Auto schmückte, jeder Studienabsolvent «dottore» war und jeder Doktor «professore». Der Patient hatte sich einen Schweizer Professor wohl anders vorgestellt …
Der Chef mochte nicht alle. Wenn er jemanden nicht mochte, quälte er ihn. Er hatte einen grossgewachsenen Assistenzarzt, einen der eher kritischen Sorte. Dieser stellte unbequeme und somit schwer zu beantwortende Fragen, zum Beispiel nach dem Sinn dieser oder jener Massnahme. Dieser Assistenzarzt fand es nebst Anderem töricht, dass man bemerken musste: «Nicht wahr, Herr Professor, da gibt man am besten keine Antibiotika?», wenn man unbedingt solche geben wollte und: «Da sollte man doch unbedingt Antibiotika geben», wenn man es für unsinnig hielt, nur weil der Chef auf eigene Vorschläge hin immer das genaue Gegenteil anordnete. Einmal verdonnerte der Chefarzt diesen Assistenten dazu, ihm eine achtstündige Operation als erste Hand («Erste Hand» ist der primär Assistierende und dadurch Mitverantwortung tragende) zu assistieren. Nach vier Stunden bat der Assistent, kurz austreten zu dürfen.
«Nein!», schallte es zurück.
Nach einer weiteren halben Stunde sagte er: «Herr Professor, ich muss dringend!»
«Nein! Bleibst hier! Brauche Dich da!»
Nach einer Viertelstunde: «Herr Professor, ich halte es nicht mehr aus».
«Dann LASS LAUFEN!»
Der Assistenzarzt hat sich danach tatsächlich die Hose volluriniert. Vor allen anderen, die im Saal waren und vor allem, vor allen Operationsschwestern. Und er musste mit der nassen Hose ausharren, bis die Operation nach weiteren mehreren Stunden zu Ende war. Einige Wochen später hat er gekündigt und ging in ein Entwicklungsland. Heute mag dieses Vorkommnis unglaublich erscheinen. Man war aber so erzogen, dass man während einer Operation unter keinen Umständen vom Tisch weicht. Ausser, man war der Chef.
Mittlerweile beherrschte Konrad die Leistenbruchoperation leidlich und mit der Zeit wurde er nach und nach ein eher schneller Operateur. Die damalige Technik hiess nach Bassini und beinhaltete die Fixation der Naht an der Knochenhaut des Schambeinastes. Das Unterhautgewebe wurde mit Cat genäht, einem künstlichen Faden, der seinen Namen dem echten Katzendarm verdankte, der früher als Nahtmaterial verwendet wurde. Die ersten drei Operationen waren bekanntlich die sichersten. Später hatte man keine Hand mehr, die einen führte. So kam es, dass Konrad einmal entlang des oberen Schambeinastes präparierte, prüfend schaute, weiter präparierte, noch etwas präparierte, um dann feststellen zu müssen, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Er befand sich in einer Höhle, da war es sehr dunkel. Geblutet hat es hier nicht, aber nichts erinnerte ihn mehr an das, was er sonst gewohnt war. Der Assistent hatte ebenfalls keine Ahnung, wo sie sich befanden. Konrad kam die Definition der «Columbus-Operation» in den Sinn: «Als er losfuhr, wusste er nicht, wohin es ging. Als er ankam, wusste er nicht, wo er sich befand. Und als er zurückfuhr, wusste er nicht, wo er gewesen war».
Er bat darum, einen Oberarzt zu rufen. Dieser liess ausrichten, er hätte jetzt gerade gar keine Zeit, Konrad sollte es aber ruhig so fortführen wie üblich. Das was Konrad berichtete, wäre gar nicht möglich. Also präparierte Konrad weiter, aber alles änderte nichts daran, dass hier nichts als ein leerer Hohlraum war mit nichts drin. Er liess nochmals anrufen. Schliesslich erschien der Oberarzt, wunderte sich, konnte aber rasch des Rätsels Lösung finden. Konrad irrte offenbar zwischen der Innenseite des Beckens und dem Peritoneum (das Bauchfell, also die Hülle, welche die inneren Organe der Bauchhöhle umgibt). Da hätte man sogar Gefässe und Nerven antreffen können. Konrad hatte Glück, ihm waren keine begegnet.
Einmal hatte der Chef eine fünfstündige Bauchoperation auf dem P...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Kapitel I
  6. Kapitel II Der Morgenrapport
  7. Kapitel III Der Nachmittagsrapport
  8. Kapitel IV Die ersten Schritte des Chirurgen
  9. Kapitel V Die Seilschaft
  10. Kapitel VI Die Verbannung – «If you’re going through hell, keep going.» W. Churchill
  11. Kapitel VII Der Weg des Chirurgen
  12. Kapitel VIII
  13. Über den Autor