Novak Djokovic
eBook - ePub

Novak Djokovic

Ein Leben lang im Krieg

  1. 240 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Novak Djokovic

Ein Leben lang im Krieg

Über dieses Buch

Als kleiner Junge den Bomben im Krieg entkommen, kämpft sich Novak Djokovic zur Nummer eins der Tenniswelt empor. Der heute 34-Jährige Serbe hat die Dominanz von Roger Federer und Rafael Nadal beendet und wird als erfolgreichster männlicher Tennisprofi in die Geschichte eingehen. In diesem Buch wird zum einen der sportliche Erfolgscode des "Djokers" geknackt, vor allem aber ein Blick hinter die unnahbare Fassade des Superstars gewährt. Dazu hat Autor Daniel Müksch u. a. mit Djokovics langjährigem Fitnesscoach Gebhard Gritsch und mit Djokovics Jugendtrainer Niki Pilic gesprochen.Auch die Hintergründe der viel kritisierten Impfverweigerung, die Djokovic um die Teilnahme an den Australian Open brachte, sind Thema dieser ersten deutschsprachigen Biografie.

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Information

eBook-ISBN:
9783730706046
Auflage
1
Kapitel 1
Die Lüge eines kleinen Jungen
Die Karriere des Tennisspielers Novak Djokovic beginnt mit einer Lüge. Es ist Anfang Juni 1993. Der Frühsommer in Kopaonik bietet perfekte Bedingungen für das erste Tennistrainingscamp der 56-jährigen Jelena Gencic. Eine im ehemaligen Jugoslawien bekannte Ex-Sportlerin und Trainerin. 32 nationale Titel hat sich die Enkelin des prominenten jugoslawischen Mediziners Lazar Gencic im Tennis erspielen können. Auch für die jugoslawische Handball-Nationalmannschaft läuft sie über Jahre auf. Gencic ist eine Allroundsportlerin, die nach der aktiven Karriere ihre Erfüllung in der Arbeit mit jungen Tennistalenten gefunden hat. Bis im Sommer 1993 ein kleiner Junge namens Novak Djokovic in ihr Leben tritt, ist Monica Seles ihre berühmteste Entdeckung. Wie groß der Einfluss von Gencic auf die im Sommer 1993 von Steffi Graf an der Weltranglistenspitze abgelöste Seles gewesen ist, darüber existieren heute unterschiedliche Interpretationen. Manche bezeichnen Gencic als Ex-Trainerin von Seles, was aus dem Umfeld der großen Steffi-Graf-Rivalin bestritten wird. Fest steht, dass Gencic für die Jugendförderung der jugoslawischen Tennistalente verantwortlich ist, als die Teenagerin Seles ihre ersten Turniere bestreitet. Auch mit dem jungen Goran Ivanisevic, der heute Trainer von Novak Djokovic ist, tourt Gencic über die Tennisplätze Europas – oder besser gesagt: dorthin, wohin es das kommunistische Regime erlaubt.
Jelena Gencic hat ihren Sport im ehemaligen Jugoslawien als Amateurin betreiben müssen. Nun erwartet man von der einstigen Vorzeigeathletin, dass sie ihrem Land etwas zurückgibt. Schon mit Anfang 30 beginnt Gencic, mit talentierten Jugendlichen zu arbeiten. Es wird ihre große Leidenschaft. Wobei sie nie eine Ausbildung zur Tennistrainerin absolviert hat. Kunstgeschichte hat Jelena Gencic studiert, einen Uni-Abschluss in Psychologie besitzt sie. Aber es ist die Arbeit mit den jungen, talentierten Kindern auf dem Tennisplatz, in der sie vollkommen aufgeht. Die Kids folgen ihr, weil sie als Trainerin und Mensch gleichermaßen Respektsperson ist. Als Jelena Gencic ihre Trainerkarriere in den späten 1960er-Jahren startet, ist sie eine Exotin. Eine Frau in einer solchen Position ist im patriarchisch-kommunistischen Jugoslawien des gestrengen Ministerpräsidenten Josip Broz Tito die totale Ausnahme.
Doch Gencic, die hauptberuflich als Fernsehproduzentin für das Staatsfernsehen arbeitet, lässt sich nicht von ihrem Weg abbringen, Anfang der 1990er-Jahre landet sie schließlich in Kopaonik. Der Bergort an der Grenze zum Kosovo ist ein beliebtes Winterurlaubsziel. Mit Schneesicherheit, Lifts, Hotels und gut präparierten Pisten. Im Sommer herrscht dagegen Flaute. Mit einem Tenniscamp für Kinder will Gencic Familien auch zu dieser Zeit in die Region locken. Für die veranschlagten neun Wochen täglicher Arbeit auf dem Tennisplatz erhält sie kein Honorar, Gencic reicht es, wenn der jugoslawische Verband ihr das Essen und die Unterkunft stellt. Von ihrem Arbeitgeber, dem Sender Radio Television Belgrad, erhält sie Extraurlaub für das Camp in den Bergen von Kopaonik.
Schon am ersten Tag fällt ihr dort ein kleiner Junge auf, der das Training von der anderen Seite des Zauns aus genau beobachtet, geradezu zu studieren scheint. Vom Morgen an spaziert der stille Zuschauer Stunde um Stunde um die Anlage herum. Ehe sie die Kinder um kurz nach zwölf Uhr zur Mittagspause ruft, geht Jelena Gencic zu dem kleinen Jungen hinüber.
„Hallo, weißt du denn, was die hier spielen“, fragt sie.
„Ja, klar. Das ist Tennis“, antwortet der Zaungast.
„Wie alt bist du denn?“, will Gencic wissen.
„Sechs.“
„Hast du Lust heute Nachmittag mit uns zu spielen?“
„Ja. Ich habe die ganze Zeit gewartet, dass Sie mich das fragen.“
„Okay. Dann kannst du heute Nachmittag um 14 Uhr mit uns spielen. Wie ist denn dein Name?“
„Novak Djokovic.“
Der erste Dialog zwischen Jelena Gencic und Novak Djokovic ist beendet. Dem britischen Journalisten und Tennishistoriker Chris Bowers hat es Jelena Gencic so im März 2013 in den Block diktiert, zwei Monate vor ihrem Tod. Sie habe, sagte Gencic Bowers im Gespräch, den anderen Trainern sofort von diesem Jungen am Zaun berichtet: „Schaut ihn euch nachher genau an. Besonders seine Augen. Andere Jungs in seinem Alter wandern mit den Augen hin und her, wenn man sie anschaut. Er nicht. Er konnte meinen Blick aushalten. Das erlebt man ganz selten. Er war hier ganz allein. Ohne Eltern. Ohne irgendjemand. Das ist außergewöhnlich.“
Auch Novak Djokovic hat diese folgenschwere Begegnung mit Gencic sehr ähnlich in Erinnerung. In einer Dokumentation des serbischen Fernsehens besucht der inzwischen zum Superstar aufgestiegene Djokovic seine erste Trainerin im Jahr 2021 wieder einmal in Belgrad. Auf dem Sofa im wenig feudalen Wohnzimmer von Gencic erzählt Djokovic die Geschichte vom ersten Kennenlernen, er hat seiner Gastgeberin ein kleines Präsent mitgebracht: eine Miniaturausgabe des Wimbledon-Pokals, den er im Jahr zuvor erstmals hat gewinnen können.
Im Juni 1993 ist Wimbledon noch weit weg. In Kopaonik kann es ein kleiner Junge kaum erwarten, am Nachmittag mit den anderen Kindern des Tenniscamps auf dem Platz zu stehen. Eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Treffen blickt Jelena Gencic aus dem Fenster ihres Appartements. Am Eingang zu den drei Sandplätzen steht schon der kleine Junge vom Vormittag. Mit einer Sporttasche in der Hand.
„Was hast du eingepackt?“, fragt Jelena Gencic den Jungen, als sie ihm wenige Minuten später gegenübersteht. „Einen Schläger. Eine Flasche Wasser. Zwei Schweißbänder. Ein Handtuch. Eine Banane. Und drei saubere T-Shirts“, sagt Djokovic.
„Woher wusstest du, was du alles brauchst?“
„Das habe ich im Fernsehen gesehen. Bei Sampras, Agassi und Edberg.“
Anfang Juni 1993 läuft die zweite Woche in Wimbledon, dem prestigeträchtigsten Turnier der Tenniswelt. Die Spiele werden vom jugoslawischen Staatsfernsehen übertragen. Der kleine „Nole“ sitzt vor dem Fernseher. Fasziniert verfolgt er die Duelle auf dem heiligen Rasen. Vor allem ein junger Amerikaner begeistert ihn: Pete Sampras, der im Endspiel seinen Landsmann Jim Courier in vier Sätzen regelrecht in die Knie zwingt und den ersten seiner sieben Wimbledon-Titel gewinnt. Erst viele Jahre später wird Novak Djokovic einräumen, dass die Anekdote von der selbst gepackten Tasche nicht ganz der Wahrheit entspricht. Seine Mutter Dijana, gibt er im Dezember 2012 zu, habe die Tasche für sein erstes Tennistraining gepackt, allerdings habe er ihr genaue Anweisungen gegeben, was sie ihm mitgeben müsse. Auch nicht selbstverständlich für einen Sechsjährigen, der Tennis bis dahin nur aus dem Fernsehen kennt.
Es folgt die erste Trainerstunde im Leben von Novak Djokovic. Gencic beschreibt diese rückblickend als ein Aha-Erlebnis, wie sie es davor nur bei Monica Seles gehabt habe. Allerdings ist gut möglich, dass Gencic diese erste Einheit mit „Nole“ verklärt. Zumindest gibt es viele Wegbegleiter, die zwar eine besondere Begabung des jungen Djokovic erkannt haben – aber eine Weltkarriere hat ihm deswegen keiner zugetraut. Gencic jedenfalls lässt den Jungen, der sich noch am Vormittag die Nase am Zaun plattgedrückt hat, nicht mehr gehen. Bleibt die Frage, weshalb die Trainerin in Kopaonik überhaupt auf Novak Djokovic hat treffen können? Der Ort an der Grenze zum Kosovo liegt schließlich 280 Kilometer von Belgrad entfernt, der Heimat der Familie Djokovic.
Kapitel 2
Dijana und Srdjan
Novak Djokovic kommt am 22. Mai 1987 in Belgrad zur Welt. Er ist das erste Kind von Dijana und Srdjan Djokovic. Vater Srdjan ist zum Zeitpunkt der Geburt 26, seine Frau drei Jahre jünger. Das junge Paar versucht, sich im kriselnden Jugoslawien eine Existenz aufzubauen. In Belgrad betreiben die Djokovics ein Restaurant. Wobei der aus dem Kosovo stammende Srdjan sich in der Millionenstadt nie wirklich wohlfühlt, er sehnt sich nach der Natur seiner Heimat. Doch in dem immer weiter auseinanderfallenden Jugoslawien sieht er nur in Belgrad die Chance, seine Familie durchzubringen. Dijana hingegen ist gebürtige Belgraderin. Sie entstammt einer Militärfamilie, wächst in patriarchalischen Strukturen auf, die ihr Gatte Srdjan fortführt.
Zu den sportlichen Qualitäten von Dijana und Srdjan Djokovic gibt es widersprüchliche Angaben. Manche Artikel aus seiner Heimat behaupten, Srdjan sei ein hervorragender Skifahrer gewesen und habe an einigen Rennen teilgenommen, andere führen ihn als ehemaligen Fußballspieler des FC Trepca auf, einem Klub aus dem Kosovo nahe Mitrovica. Der Name Srdjan Djokovic findet sich allerdings in keinen Statistiken. Weder im Ski noch im Fußball. Der Verdacht liegt nahe, dass Djokovic senior im Angesicht der späteren unglaublichen Erfolge seines Sohnes die eigenen sportlichen Leistungen posthum aufpoliert hat. Verbürgt ist immerhin seine Arbeit als Skilehrer – und hier schließt sich der Kreis: als Skilehrer in Kopaonik.
Mama Dijana ist eine ehemalige passable Volleyballerin und ausgezeichnete Turnerin. Seine einzigartige Beweglichkeit und Flexibilität glaubt Novak Djokovic von ihr „vererbt“ bekommen zu haben: „Ich bin ein Champion dank meiner Mutter, nicht wegen meines Vaters.“ Mit Tennis haben allerdings weder Dijana noch Srdjan irgendetwas am Hut.
Entsprechend spielt der weiße Sport auch am 22. Mai 1987 noch keine Rolle im Hause Djokovic. Die kleine Familie wohnt zu dieser Zeit in einem Häuserblock im Zentrum Belgrads. In den Wintermonaten gibt Familienoberhaupt Srdjan Skistunden in Kopaonik. Für jugoslawische Verhältnisse ein feudaler Ort. Im Prinzip trifft man dort nur treue Parteikader oder Zivilisten mit besten Beziehungen nach oben. Auf diese Klientel setzen Srdjan und sein Bruder Goran, als sie im Jahr 1999 eine Pizza in Kopaonik eröffnen, die sie „Red Bull“ nennen. Vom österreichischen Getränkehersteller gleichen Namens werden die Gebrüder Djokovic nicht auf Markenrechtsverletzung verklagt. Das Unternehmen ist erst zwei Jahre zuvor gegründet worden und mehr damit beschäftigt, den Kunden im Westen Europas Flügel zu verleihen.
Die Umgebung Kopaoniks lässt Novak Djokovic bis heute nicht los, sie hat einen ganz speziellen Platz in seinem Herzen: „Ehrlicherweise denke ich, dass die Seele Serbiens in den Dörfern des Südens liegt. Belgrad ist eine moderne Metropole, die dir alles geben kann. Das wahre Serbien ist aber der Süden. Ich bewundere jedes Mal den Ausblick von den Bergen Kopaoniks.“
Man könnte meinen, dass der Ort an der Grenze zum Kosovo für die Familie Djokovic der angenehme Gegenpol zum Leben in den Plattenbauten Belgrads gewesen sei. Aber was auf den ersten Blick nach einer Auszeit für die Seele klingt, ist vor allem eins: knallharte Arbeit. Sechs Tage die Woche. Ohne Pause. Den Gästen die Wünsche von den Augen ablesen. Höflich, freundlich bleiben. Das Los des Gastronomen. Und zwischen den unentwegt schuftenden Eltern wuselt der kleine Novak herum.
Beim Pendeln zwischen den Bergen im Winter und der Hauptstadt bleibt die junge Familie nicht lange zu dritt. Im August 1991 kommt Sohn Marko auf die Welt. Im Juli 1995 Djordje, der dritte Sohn. Der Versuch, die drei Jungen gleich zu behandeln, scheitert früh. Spätestens seit der ersten Tennisstunde mit Jelena Gencic nimmt Novak eine Sonderrolle in der Familie ein.
Nachdem sie mit ihm ein paar Bälle geschlagen und der kleine Junge jede Anweisung sofort umgesetzt hat, will die aufgeregte Tennislehrerin umgehend dessen Eltern sprechen. Novak soll sie zu ihnen führen. Ein kurzer Weg. Das „Red Bull“ liegt gegenüber der Tennisanlage. „Sie haben einen Goldjungen“, hält sich die berühmte Trainerin nicht mit Vorreden auf. Srdjan und Dijana Djokovic können mit dem Besuch von der anderen Straßenseite wenig anfangen. Tennis? Sie haben hier ein Restaurant zu führen, müssen viel und hart arbeiten. Von den frühen sportlichen Eruptionen, die die von Gencic trainierte Weltklassespielerin Monica Seles auslöst, haben sie nichts mitbekommen. Völlig euphorisiert platzt es aus Gencic heraus: „Ich habe kaum jemals ein größeres Talent gesehen wie Ihren Sohn. Ich verspreche Ihnen: Wenn er siebzehn ist, gehört er zu den fünf besten Tennisspielern auf der Welt.“ Srdjan und Dijana Djokovic sind sprachlos.
Novak, der sich bis dahin hinter dem Rücken seiner Mutter versteckt hat, tritt nach den Lobpreisungen hervor und schmiegt sich an Gencic. Seine Eltern sind skeptisch. Als Gencic das „Red Bull“ verlässt, wissen sie nicht, was sie von dieser Frau halten sollen. Sie holen sich Informationen ein. Jeden und jede, die sie rund um Kopaonik fragen, schwärmt in höchsten Tönen von der Tennistrainerin. Srdjan und Dijana Djokovic beginnen, den Worten der zigfachen jugoslawischen Tennismeisterin zu trauen. Novak darf bei ihr trainieren. Kostenlos. Gencic verzichtet auf eine Vergütung für die Arbeit mit dem Ausnahmetalent. Sie weiß aber, dass auch ohne ihr Honorar auf Familie Djokovic erhebliche finanzielle Belastungen einprasseln werden.
Kleidung, Bälle, Schläger – all das kann sich die Familie kaum leisten. Geschweige denn die Kosten für die Reisen zu den anstehenden Jugendturnieren. Schon hier merkt Vater Srdjan, dass er nur einem seiner drei Söhne eine solche Ausbildung wird bieten können. In einem ihrer wenigen Interviews beschreibt Mutter Dijana in der serbischen TV-Sendung „Sport Klub“ Jahre später, wie schwierig der zunehmende Erfolg des ältesten Sohnes für die beiden jüngeren Brüder gewesen ist. So hätte sie Marko und Djordje nach großen Siegen ihres Bruders immer wieder aufgefordert, mit auf das Siegerfoto zu kommen. „Nein, das ist nicht unser Pokal. Wir haben ihn nicht gewonnen“, hätten ihre Söhne dann erwidert. Die völlige Fokussierung auf Novak ist und bleibt ein wunder Punkt, sie bedroht den Familienfrieden damals wie heute; was kein Djokovic öffentlich zugeben würde. Der sportliche Erfolg mag diese Risse materiell und temporär überdecken. Aber die weit weniger spektakulären Lebensläufe von Marko und Djordje sprechen eine deutliche Sprache. Anfang der Neunziger in Kopaonik ist das spätere Ausmaß des Problems noch nicht auszumachen. Das Talent Novak fängt ja gerade erst an.
Kapitel 3
Unschlagbares Duo aus den Bergen
Jelena Gencic vergeudet keine Zeit. Nach dem ersten Gespräch mit Srdjan und Dijana Djokovic steht für sie fest: Dieser „Goldjunge“ ist ab sofort meiner. Sie arbeitet ein detailliertes Trainingsprogramm aus. Nicht nur für die Wochen im Camp in Kopaonik, sondern gleich für die kommenden fünf Jahre. Sie spricht mit Lehrern, Vereinstrainern und immer wieder mit Novaks Eltern. Betont jedes Mal die Einmaligkeit des Jungen. Eines der größten Probleme auf dem Weg nach oben ist schnell ausgemacht: die Schulpflicht. Novak geht in Belgrad zur Schule. Gencic hingegen gibt aufgrund der hohen Nachfrage immer mehr Tenniscamps in Kopaonik. Zunächst versucht die Familie, eine Schule für Novak in den Bergen zu finden. Doch es gibt keine in unmittelbarer Nähe. Also besucht Novak weiterhin seine Belgrader Schule, während die Eltern große Teile des Jahres im „Red Bull“ verbringen und in ihrer Boutique, die sie in der Zwischenzeit in dem Wintersportort zusätzlich eröffnet haben. Während seine Eltern in Kopaonik das Geld für die Tenniskarriere verdienen, lebt Novak bei Großvater Vlado, dem Vater von Srdjan Djokovic. So hart und unnahbar Srdjan oft wirkt, so einfühlsam und offen wird Vlado Djokovic von denen charakterisiert, die ihn persönlich kannten. Er lebt in einem Plattenbau etwa sieben Kilometer südlich vom Zentrum Belgrads entfernt, im Stadtteil Banjica.
Damals lebte hier die Mittelschicht des kommunistischen Jugoslawiens, heute ist Banjica ein sozialer Brennpunkt. Die Suche nach der Wohnung von Vlado Djokovic gestaltet sich einfach. An der Außenwand des Hauses prangt direkt unter der Wohnung im ersten Stock ein nicht zu übersehendes Graffiti, das Novak Djokovic zwischen Jelena Gencic und seinem Opa Vlado zeigt. Etwa drei mal zehn Meter groß ist das Kunstwerk. Gencic hat stets nur in den besten Tönen von Opa Vlado gesprochen: „Ich wusste, dass er dort in den besten Händen ist“, fasst sie im Buch von Chris Bowers ihr Gefühl gegenüber dem Belgrader Ziehvater ihres Schülers zusammen. Über ihre guten Verbindungen in Regierungskreise schafft es Gencic, dass Novak beim einstigen Armeesportklub Partizan Belgrad trainieren darf. Immer an ihrer Seite, sofern sie nicht andernorts Tennis-Camps geben muss. Jelena Gencic gelingt es regelmäßig, eine Woche Extra-Schulurlaub für ihren Musterschüler zu verhandeln, damit Novak länger am Stück mit ihr in den Bergen trainieren kann.
Bei Opa Vlado spielt indes nicht nur Tennis eine große Rolle. Zwischen den gigantischen Plattenbauten liegt ein Fußballplatz – ebenfalls aus Beton. Dort bolzt Novak nach der Schule mit seinen Freunden. Oder er spielt eine Runde Basketball, denn einen Korb gibt es dort ebenfalls. Für die Kinder von Banjica ist es der Sport-Himmel in einer zusehends tristeren Welt, und „Nole“ gehört in jeder Sportart zu den Besten. Er lernt aber auch, dass es im Mannschaftssport nicht auf den Einzelnen ankommt. Freunde berichten heute noch von seinem großen Einsatz fürs Team. Der Beton um ihn herum hat zudem den Vorteil, dass er nahezu jede Ecke des Wohnblocks in eine Tenniswand verwandeln kann.
Die meiste Zeit ist allerdings für das Training mit Jelena Gencic reserviert. Sie wohnt am Rande von Banjica und steht den ganzen Tag auf den Ascheplätzen des Geländes von Partizan. Am liebsten mit „Nole“. Dabei bringt Gencic ihrem Schützling nicht nur den richtigen Vorhandschwung und korrekten Ballwurf bei. Sie weiß: Will es dieser Junge auf die Profitour schaffen, muss er auch abseits des Platzes bestehen. Er muss Sprachen beherrschen, damit er nicht als verschlossene „Balkan-Maschine“ wahrgenommen wird. Heute spricht Djokovic fünf Sprachen fließend: Serbisch, Englisch, Itali...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titelseite
  2. Titelblatt
  3. Copyright
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Prolog
  7. Kapitel 1. Die Lüge eines kleinen Jungen
  8. Kapitel 2. Dijana und Srdjan
  9. Kapitel 3. Unschlagbares Duo aus den Bergen
  10. Kapitel 4. Die Bomben – Nächte voller Angst
  11. Kapitel 5. „Nole“ in Oberschleißheim
  12. Kapitel 6. Die Erlösung
  13. Kapitel 7. Andere Welten: Die Jugend seiner Rivalen
  14. Kapitel 8. Die Rakete startet. Oder: Der Soldat zieht in den Krieg
  15. Kapitel 9. Italienische Sehnsucht
  16. Kapitel 10. Marjan Vajda
  17. Kapitel 11. Der Zorn des Maestros
  18. Kapitel 12. 2007 – Bereit zum Abheben
  19. Kapitel 13. Krönung Down Under
  20. Kapitel 14. Auf der Suche nach Kraft
  21. Kapitel 15. Aus sehr reich wird verdammt reich
  22. Kapitel 16. Wissenschaft made in Austria
  23. Kapitel 17. Dr. Igor: Erfolg geht durch den Magen
  24. Kapitel 18. Ruhe vor der Ewigkeit
  25. Kapitel 19. Ein Jahr für die Geschichtsbücher
  26. Kapitel 20. Vergoldeter Thron
  27. Kapitel 21. Tod. Verlobung. Boris Becker
  28. Kapitel 22. Mr. and Mrs. Djokovic
  29. Kapitel 23. „Der rote Baron“ tritt ab. Das Missverständnis Agassi
  30. Kapitel 24. Zurück in die Zukunft
  31. Kapitel 25. Kobe und Zlatan – Superstarfreunde
  32. Kapitel 26. „Djoker“ unter Beschuss
  33. Kapitel 27. Die Tränen von New York
  34. Kapitel 28. Drama Down Under
  35. Anhang: Rekorde von Novak Djokovic
  36. Zeit, Danke zu sagen