DIE GRUNDLAGEN
WO IHR BEGINNEN SOLLTET
Take-away: Den meisten gefällt die Idee, produktiver zu werden und ihrem Leben positive Impulse zu geben. In der Praxis jedoch ist es schwierig. Wenn ihr jedoch einen starken, sinnvollen Grund habt, warum ihr produktiver werden wollt, wird euch das langfristig dabei helfen, eure Motivation aufrechtzuerhalten.
Geschätzte Lesedauer:
10 Minuten
Ein wahr gewordener Traum
Vor jedem Kapitel habe ich ein Take-away eingefügt, eine Zusammenfassung dessen, was ihr mitnehmen könnt, damit ihr euch schon mal geistig darauf vorbereiten könnt. Ich habe auch die geschätzte Zeit angegeben, die ihr für die Lektüre der einzelnen Kapitel benötigt, basierend auf einer durchschnittlichen Lesegeschwindigkeit von 250 Wörtern pro Minute, aufgerundet auf die volle Minute.
Die Vorstellung, ein Frühaufsteher zu werden, reizte mich schon seit ich denken kann. Bevor ich mit meinem Projekt begann, träumte ich oft davon, ein paar Minuten vor dem Klingeln meines Weckers um 5:30 Uhr aufzuwachen, aus dem Bett zu springen, um dann in einem feierlichen Ritual Kaffee zuzubereiten, die Nachrichten der vergangenen Nacht nachzulesen, zu meditieren und erst mal joggen zu gehen, bevor der Rest der Welt aufwachte.
Als ich mit Ein Jahr Produktivität begann, war ich wild entschlossen, jeden Morgen um 5:30 Uhr aufzustehen – selbst wenn ich dafür das ganze Jahr brauchen sollte.
Vor meinem Projekt, so besessen wie ich von Produktivität war, hätten meine Nacht- und Morgengewohnheiten der Routine eines Frühaufstehers kaum weniger zuträglich sein können. Nachdem ich meine Arbeit für den Tag beendet hatte (so effizient wie möglich natürlich), verlor ich oft das Zeitgefühl, während ich las, mit Freunden abhing oder mich in Online-Vorlesungen über Kosmologie vertiefte, bis ich entweder keine Zeit oder keine Energie mehr für den Abend hatte. So sehr ich auch in die Idee verliebt war, regelmäßig früh aufzustehen, so hätte dies auch bedeutet, dass ich als Frühaufsteher meine abendlichen Rituale und Morgenroutinen vollkommen hätte ändern müssen, und das war etwas, was meinem Gefühl nach mehr war als ich hätte bewältigen können.
Von all den Produktivitätsexperimenten, die ich in meinem Jahr Produktivität durchführte, war Aufstehen um 5:30 Uhr die mit Abstand größte Herausforderung. Zuerst stellte ich fest, dass sich meine angestrebte Schlafenszeit um 21:30 Uhr immer schneller heranschlich und dass ich mich oft vor die Wahl gestellt sah, früher am Tag aufzuhören, wenn ich eigentlich noch viel zu tun hatte, oder länger aufzubleiben, um alles zu erledigen und dafür dann länger zu schlafen. Manchmal ging ich genau dann zu Bett, als ich die meiste Energie, Konzentration und Kreativität hatte – ich bin von Natur aus ein Nachtmensch – und so beschloss ich, länger aufzubleiben. Ich wollte auch Zeit mit meinen Freunden und meiner Freundin verbringen, wenn ich mit meinen Recherchen und dem Schreiben für den Tag fertig war, was unmöglich gewesen wäre, wenn ich früh zu Bett gegangen wäre.
Nachdem ich etwa sechs Monate lang an unzähligen Gewohnheiten herumgefeilt hatte, um eine frühmorgendliche Routine in mein Leben zu integrieren, gewöhnte ich mir ein neues Aufwachritual an, bei dem ich mich für das frühe Aufstehen belohnte, meine Geräte von 20:00 Uhr bis 8:00 Uhr abschaltete, am Mittag mit dem Kaffeetrinken aufhörte und mich so langsam an das Ritual herantastete, indem ich meine Schlafenszeit im Laufe der Monate allmählich vorverlegte. Ich werde diese Taktiken später im Detail erklären, aber es erübrigt sich, zu sagen, dass dies eines dieser Experimente war, bei dem ich viele wertvolle Lektionen auf die harte Tour lernte.
Nichtsdestotrotz, nach sechs Monaten hatte ich es geschafft: Ich war mehrere Wochen lang jeden Werktag um 5:30 Uhr aufgestanden und hatte mir ein neues Morgenritual angewöhnt. Meine Morgenroutine war der Stoff, aus dem – so stellte ich mir vor – Produktivitätsträume gemacht waren:
•5:30 Uhr - 6:00 Uhr: Aufstehen, Kaffee zubereiten und trinken.
•6:00 Uhr - 7:15 Uhr: Zu Fuß zum Fitnessstudio, beim Trainieren meinen kompletten Tag planen.
•7:15 Uhr - 8:15 Uhr: Ein großes, gesundes Frühstück, duschen, meditieren.
•8:15 Uhr: Wieder mit dem Internet verbinden (nach meinem täglichen Abschaltritual).
•8:15 Uhr - 9:00 Uhr: Lesen.
•9:00 Uhr: Zu arbeiten beginnen.
Ich praktizierte dieses Ritual noch mehrere Monate lang, schaltete meine Geräte gewissenhaft jeden Abend um 20 Uhr ab, ging um 21:30 Uhr zu Bett und wachte pünktlich um 5:30 Uhr auf, fühlte mich zufrieden mit mir selbst und meinen Bemühungen, bis mir eines Montagmorgens etwas klar wurde, was mich auf der Stelle innehalten ließ: Ich hasste es, früh zu Bett zu gehen und früh aufzustehen.
Nachdem meine anfängliche Begeisterung über meine neue Routine verflogen war, wurde ich es langsam müde, Nein dazu zu sagen, mit meinen Freunden abzuhängen, einfach weil ich früh zu Bett gehen musste. Ich konnte es nicht ertragen, mit der Arbeit aufzuhören, wenn ich spät nachts „in meinem Element“ war. Jeden Morgen stellte ich fest, dass ich mich in den ersten ein oder zwei Stunden, die ich wach war, groggy fühlte. Und ich erkannte, dass ich viel lieber später am Tag meditierte, trainierte, las und meinen Tag plante, wenn ich mehr Energie und Aufmerksamkeit für meine Aufgaben aufbringen konnte.
Das Schlimmste jedoch war, dass mich dieses Ritual nicht produktiver machte. Mit meiner neuen Routine, so musste ich erkennen, erreichte ich das, was ich vorhatte, viel seltener, schrieb im Durchschnitt weniger Wörter pro Tag und hatte den ganzen Tag über weniger Energie und Konzentration. Und nachdem ich Nachforschungen angestellt hatte, fand ich heraus, dass es absolut keinen Unterschied im sozioökonomischen Status gibt zwischen jemandem, der Frühaufsteher ist, und jemandem, der eine Nachteule ist – wir sind alle unterschiedlich gepolt, und eine Routine ist nicht grundsätzlich besser als eine andere. Meiner Erkenntnis nach macht die Art und Weise, wie wir unsere wachen Stunden nutzen, den Unterschied, wie produktiv wir sind.
So sehr ich für die Idee schwärmte, früh aufzustehen, in der Praxis gefiel es mir besser, später aufzustehen.
Produktivität mit einem Ziel
Ich denke, das Gleiche gilt auch für Produktivität selbst. Die Idee, mehr zu übernehmen und dem Leben positive Impulse zu geben, ist verführerisch. In der Praxis jedoch ist produktiver zu werden eine der schwierigsten Aufgaben, die man angehen kann. Wenn es einfach wäre, hätte ich wahrscheinlich nicht ein Jahr meines Lebens der Erforschung dieses Themas gewidmet, und es gäbe keinen Grund für dieses Buch.
Obwohl ich während dieses einjährigen Experiments sehr viele Dinge in Sachen Produktivität lernte, war die vielleicht entscheidendste Lektion, wie unglaublich wichtig es ist, sich intensiv Gedanken darüber zu machen, warum wir überhaupt produktiver werden möchten.
Wenn ich dieses Buch lesen würde, anstatt es zu schreiben, hätte ich den letzten Satz vielleicht nur überflogen, deshalb denke ich, dass es sich lohnt, ihn zu wiederholen: Die vielleicht wichtigste Lektion war, wie unglaublich wichtig es ist, sich intensiv Gedanken darüber zu machen, warum wir überhaupt produktiver werden möchten.
Als ich mich dazu verpflichtete, meine morgendlichen und abendlichen Routinen auf den Kopf zu stellen, um jeden Morgen um 5:30 Uhr aufzustehen, dachte ich nicht viel darüber nach, ob mir das frühe Aufstehen wirklich wichtig war. Ich war in die sepiafarbene Fantasie verliebt, der „Produktivitäts-Typ“ zu sein, der aufsteht, während alle anderen noch schlafen, und mehr auf die Reihe bekommt als alle anderen. Ich dachte nicht viel darüber nach, was nötig war, um das umzusetzen, und auch nicht darüber, ob es mir auf einer tieferen Ebene auch wirklich wichtig war, diese Veränderung herbeizuführen.
Den ganzen Tag über bewusst und zielgerichtet zu arbeiten, kann darüber entscheiden, wie produktiv man ist. Ein Ziel zu haben, ist jedoch genauso wichtig. Die Intention hinter euren Handlungen ist wie der Schaft hinter einer Pfeilspitze – es ist ziemlich schwierig, Tag für Tag produktiver zu werden, wenn es euch egal ist, was ihr auf einer tieferen Ebene erreichen wollt. Diese Produktivitätserkenntnis ist der mit Abstand unattraktivste Tipp in diesem Buch, aber vielleicht doch der wichtigste. Unzählige Stunden dahingehend zu investieren, produktiver zu werden oder neue Gewohnheiten oder Routinen anzunehmen, ist reine Verschwendung, wenn euch die Veränderungen, die ihr herbeiführen wollt, im Prinzip egal sind. Und ihr werdet nicht die Motivation haben, diese Veränderungen auf lange Sicht durchzuhalten.
Werte
Der Grund, warum ich in den letzten zehn Jahren Produktivität immer weiter erforschte und untersuchte, ist der, dass Produktivität mit so vielen Dingen verbunden ist, die ich auf einer tiefen Ebene schätze: Effizienz, Bedeutung, Selbstbestimmung, Disziplin, Entwicklung, Freiheit, Lernen, organisiert sein. Diese Werte sind es, die mich motivieren, einen so großen Teil meiner Freizeit damit zu verbringen, wissenschaftliche Online-Kurse ausfindig zu machen und zu lesen.
Jeden Morgen um 5:30 Uhr aufstehen? Nicht wirklich.
Bereits vor mir schrieb eine ganze Prozession von Menschen darüber, „in Übereinstimmung mit unseren Werten zu handeln“, und um ehrlich zu sein, wann immer ich solche Aussagen über Werte las, schaltete ich fast immer ab oder las einfach darüber hinweg. Doch sie sind es auf jeden Fall wert, darüber nachzudenken, wenn ihr vorhabt, euer Leben grundlegend zu verändern. Hätte ich mir nur ein paar Minuten Zeit genommen, darüber nachzudenken, was frühes Aufstehen mit dem zu tun hat...