| Langenbielau, den 24. Januar 1944 |
| Wirtschaftliche Entwicklung, Lohnpolitik und politische Entwicklung |
| in ihrem Einfluß auf C.D. |
| Nach der Währungsstabilisierung. |
Als die Währungsstabilisierung gelungen war und man sah, daß der Geldwert sich nun nicht mehr von Tag zu Tag änderte, hatte das deutsche Volk die Empfindung, aus einem wüsten Traum erwacht zu sein. Es waren etwa die Gefühle eines Kindes, das sich nach Angstträumen morgens wieder in seinem hellen Zimmer geborgen fühlt und nur einen Gedanken hat: die Schreckbilder der Nacht nicht wieder heraufzubeschwören. Auf die endlosen Wortgefechte der Vergangenheit darüber, inwieweit die Erhöhung des Nominallohnes die Kaufkraft steigern könne oder nicht, hatten die nicht weg zu diskutierenden Tatsachen zunächst einmal eine handgreifliche Antwort gegeben. Die Leute hatten Millionen und Milliarden-Beträge in der Hand gehabt und konnten sich dafür kaum ihr trockenes Brot kaufen. Die Errungenschaften der Revolution in Gestalt der 48-Stunden- oder gar 46-Stunden-Woche hatten sich in den bitteren Zwang der 24-stündigen oder 16-stündigen Arbeitswoche verkehrt.
Die Gewerkschaften mit ihren stolzen Programmpunkten hatten jeden Kredit verloren, massenweise traten die Arbeiter aus. Gewiss waren die Folgerungen, die sie daraus zogen, verschieden. Ein Teil der Leute, die chaotischen und zum Fanatismus neigenden Elemente, warfen sich dem Nihilismus in die Arme. Die Verkehrtheit der jetzigen Weltordnung schien erwiesen, also alles einreißen: es kann höchstens besser werden. Aus diesem Teil des Volkes zog der Kommunismus neue Kraft. Der weit überwiegende Teil der Arbeiterschaft hatte aber nur einen Gedanken: von diesen köstlichen Goldpfennigen, mit Hilfe deren man sich wieder die altgewohnte Dreier-Semmel kaufen konnte, so viel wie irgend möglich zu verdienen und den Genuß auszukosten, wieder unbeschränkt arbeiten zu dürfen.
Die Arbeitgeber hatten nur das eine Ziel: Produktion, stabile Löhne und Preise, sozialer Frieden. Nach der Entmächtigung der Gewerkschaften trat der Klassenkampf, der allen bis an den Hals stand, vorübergehend zurück. Die Gewerkschaften hatten durch die Inflation nicht nur ihre Leute, sondern auch ihr Geld verloren. Sie konnten kaum ihre Funktionäre | #2#bezahlen und ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Mitgliedern nachkommen, geschweige denn an Arbeitskämpfe denken, denn die Streikkassen waren leer und der Mitgliederstand hatte ihre Auffüllung in weite Ferne gerückt.
So hatten die Arbeitgeber das Heft in der Hand, damit aber auch die Verantwortung, und die fühlten gerade die Arbeitgeber, die am meisten in dem ihnen aufgedrungenen Kampf die Zähne gezeigt hatten. Seit Ende Oktober arbeitete die Bezirksgruppe Reichenbach an einem Goldlohn-Tarif. Die alten Tarife waren nicht nur in den Zahlen, sondern auch im Aufbau unbrauchbar geworden. Kuhhandel und Teuerungszulagen in absoluten Beträgen hatten allmählich alles verwischt und Sinn in Unsinn verkehrt. Der Frauenlohn war zeitweise auf 88 % des Männerlohnes gestiegen, einen Unterschied zwischen Facharbeiter und Hilfsarbeiter gab es praktisch nicht mehr, die Staffelung der Jugendlichen-Löhne war verwischt, die Ortsklassen hatten sich verflüchtigt. Kurz entschlossen griffen wir nun auf die Friedensverhältnisse zurück. Die Friedenslohnstaffelung hatte sich unter dem Gesetz von Angebot und Nachfrage allmählich eingeschaukelt und konnte nicht ganz sinnlos sein. Erhebungen der in Lohnfragen führenden Firmen, C.D., Meyer Kauffmann, Hain, Erxleben, wurden mit größter Sorgfalt angestellt. Das Ergebnis war ziemlich einheitlich, nur lag C.D. in einzelnen Positionen, wie etwa den breiten Webern, etwas höher und mußte sich Abstriche gefallen lassen. Natürlich gingen wir dabei zunächst einmal davon aus, daß die Friedenspreise erreicht werden sollten und daher nicht die Wochenlöhne, sondern die Stundenlöhne den Friedensverhältnissen grundsätzlich angeglichen werden sollten. Der Ausgleich für die verkürzte Arbeitszeit sollte bei den Akkord-Arbeitern allmählich durch Leistungssteigerung, unter Benutzung der technischen Verbesserungen (Mehrstuhlsystem, 3-Seiten-Bedienung in der Spinnerei), erzielt werden, vorläufig auch durch verlängerte Arbeitszeit. Die sehr niedrigen Friedenszeitlöhne (Männer 18.5 – 22.5 Pfg., Frauen 15 – 18.5 Pfg.) sollten gleich erhöht werden und zwar auf den Satz des Arbeitsministeriums von 26 Pfg. für die Männer und 19.5 Pfg. für die weiblichen Facharbeiter, mit einem Zuschlag für qualifizierte Ausrüstungsarbeiter. Diese Erhöhung war sinnvoll, da bei den Zeitlöhnern sich eine Leistungssteigerung nicht ohne weiteres ausdrückt und der von uns auch in der Ausrüstung angestrebte Akkord bezw. das | #3#Prämiensystem nicht bei allen Leuten durchführbar war. Wenn man noch bedenkt, daß es sich bei den Friedenslöhnen um effektive Löhne handelte, bei dem Aufbau des Tarifes aber um Tariflöhne, die erfahrungsgemäß von den Akkordarbeitern beträchtlich überstiegen wurden, bedeutete dieser Goldmark-Tarif immerhin schon eine Erhöhung der Friedenslöhne um mindestens 10 – 15 %.
Während einzelne Arbeitgeber gewohnheitsgemäß schon wieder nach Zugeständnissen blinzelten, da wo sie Widerstand erwarteten, trat ich mit anderen für unbedingte Gerechtigkeit auf der einen, aber Kompromißlosigkeit auf der anderen Seite ein, wobei mir Podewils1 besonders unbedingte Gefolgschaft leistete. Dr. Schäfer2 fürchtete sich schon wieder vor dem Kampf wegen der Ortsklassen in Bezug auf den Rengersdorfer Betrieb. Wir hielten eisern daran fest, aber nicht etwa an dem überhohen Abstand von 20 – 25 % in der Vorkriegszeit, auch nicht an den 10 % von 1919, sondern legten maßvoll 6 % fest. Dieser Unterschied erschien uns aber durchaus gerechtfertigt, einerseits wegen der gemütlicheren Arbeitsauffassung in der Grafschaft, andererseits wegen der fraglos etwas billigeren Lebenshaltung.
Bei unserem weiteren Vorgehen kam uns die Sturheit der örtlichen Gewerkschaftsleitung zu Hilfe. Das Reichsarbeitsministerium hatte 26 Pfg. für Männer mit 25 % Abschlag für Frauen festgelegt und alles andere der Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern überlassen. Diese Einigung kam in anderen schlesischen Bezirken zustande, natürlich schon wieder mit allerhand Kompromissen. Im Reichenbach-Langenbielauer Bezirk gebärdete sich erstaunlicherweise der weit überdurchschnittlich kluge Gewerkschaftssekretär Lang3 in diesem Fall, wie schon nach dem Streik von 1922, als wilder Mann. Er wollte sich wohl in seinem brennenden Ehrgeiz einen besonderen Namen bei seinem Berliner Vorgesetzten machen und wollte dabei die Kommunisten vor seinen Wagen spannen. Nach ganz kurzen Verhandlungen, in denen Lang einige aufreizende Reden zum Fenster hinaus gehalten hatte und zwar mit schweren Beschimpfungen der Arbeitgeber, brachen wir ab und gingen zum Schlichtungsausschuß nach Schweidnitz. Dort legten wir unseren bis ins letzte ausgearbeiteten Friedenstarif, gestützt auf unsere jederzeit nachweisbaren Betriebszahlen vor, dem die Gewerkschaften lediglich alberne Redensarten ohne jegliches Zahlenmaterial oder gar auf solches gestützte Gegenvorschläge entgegensetzen konnten. So brachte Maak4, für den ja die 26 Pfg. des Arbeitsministeriums eine autoritive Grundlage | bildeten,#4# am 15.12. einen einstimmigen Schiedsspruch zustande, der unseren Tarif voll annahm, einschließlich der neuen entscheidend wichtigen Bestimmungen, daß Webarbeit an 2 schmalen Stühlen Frauenarbeit sei, deren Richtsätze nicht auf den Männerlöhnen aufgebaut werden könnten, wobei wir uns auch wieder auf Friedenszahlen stützen konnten. Alte Männer, die wegen geringerer Leistungsfähigkeit nur schmale Stühle bedienen konnten, sollten einen nicht akkordfähigen Zuschlag erhalten, der sie auf den Zeitlohn für Facharbeiter bringen sollte. Unsere, der Stunde angepaßte, neue Praxis, dieses Mal kein Kuhhandelangebot zu machen, sondern gleich unser letztes Wort zu sagen, gestützt auf einen nachweisbar gerechten Tarifaufbau, hatte sich bewährt.
Nun wollte Lang bei der Regierung in Breslau neue Verhandlungen erzwingen. Wir zeigten die kalte Schulter und wiesen demgegenüber auf die neue Schlichtungsordnung hin, nach der in zweiter Instanz zunächst nur der einmal gefällte Schiedsspruch zur Debatte gestellt und entweder verbindlich erklärt werden müsse oder nicht. Die Regierung wollte Ruhe und nicht neue aufreizende Verhandlungen. Es kam also schon am 20.12. zur Verbindlichkeitserklärung vor dem neuen Schlichter, dem früheren sozialdemokratischen Oberpräsidenten Philipp5, der in den folgenden Jahren eine große, nicht immer ruhmvolle, Rolle in der Textilindustrie gespielt hat. Immerhin war er im Grunde ein anständiger, rechtlich denkender Mann. Im übrigen hatte über alle Verwirrungsmanöver von Lang und Feinhals6 unser schlüssiges Material gesiegt. Besonders durchschlagend war, daß wir die Gewerkschafts-Statistik von 1913 gegen alle Verschleierungsversuche ausspielen konnten, eine Statistik, nach welcher die Friedenslöhne auch nominal noch mindestens 10 % unter den von uns errechneten lagen. Diese Statistik war natürlich seinerzeit nach unten entstellt worden, konnte aber von den Gewerkschaften jetzt nicht gut als falsch bezeichnet werden. So konnte denn nach den im Augenblick noch herrschenden Tendenzen von Wiederherstellung der Friedenslöhne, sogar mit „Entbehrungsfaktor“, Philipp nichts anderes tun, als den Schiedsspruch für verbindlich erklären, insonderheit weil er die Ablehnung und nachfolgenden neuen Verhandlungen mit Rücksicht auf die innere Ruhe nicht auf sich nehmen wollte. Der Tarif war bis Ende Februar befristet und gab uns erstmalig wieder einen festen Grund unter die Füße. Daß Lang versucht hat, den Schlichter, der entschieden nach bestem Wissen gehandelt hatte, in ein Ausschlußverfahren aus der sozialdemokratischen Partei zu verwickeln, sei nur nebenbei bemerkt. Natürlich | #5#hat er nichts erreicht, aber immerhin war dem guten Philipp, der ein überzeugter alter Kämpfer der sozialdemokratischen Partei war, dieser Terrorangriff etwas in die Knochen gefahren, was bei seinem späteren Verhalten offenkundig wurde.
Im übrigen gingen wir jetzt insofern zur Offensive über, daß wir uns weigerten, uns künftig mit Lang an einen Tisch zu setzen. Da tatsächlich eine wüste Beleidigung der Arbeitgeber vorlag, welche die Gewerkschaften bei der augenblicklichen allgemeinen Stimmung nicht brauchen konnten, konnten wir diese Maßnahme viele Monate durchhalten.
Bei Ablauf des Tarifes Ende Februar wandte sich die Gewerkschaft an das Arbeitsministerium, um die verfahrene Sache wieder ins Gleis zu bringen. Da der Lebenshaltungsindex seit der Festlegung des 26 Pfg.-Lohnes durch das Arbeitsministerium am 20.11. inzwischen von 153 auf 103 gesunken war, hatten wir starkes Oberwasser. Trotzdem kam es schließlich zu einer provisorischen Vereinbarung einer Lohnerhöhung von 26 auf 27.3 Pfg., mit dem nachdrücklichen Wink des Arbeitsministe...