Geh's noch Gott?
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Geh's noch Gott?

Antworten auf große Fragen

  1. 208 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Geh's noch Gott?

Antworten auf große Fragen

Über dieses Buch

Bruder Paulus, warum ist die Welt so, wie sie ist?Hat Gott für alles einen Plan? Es treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus – was macht ihr falsch? Wie kann ich mein Gegenüber lieben, wenn es mir auf die Nerven geht? Das sind ehrliche Glaubensfragen, die Bruder Paulus genauso ehrlich beantwortet. Denn für ihn steht fest: Der christliche Glaube lebt vom Fragen! Mit seinem Buch verbindet er die Weisheit der Mönche mit aktuellem Zeitgeschehen und den ganz normalen Alltagsproblemen – ein inspirierendes Geschenk für Sinnsucher, Glaubende und Zweifelnde!- Bruder Paulus: Der Mönch mit dem großen Herz- 38 Antworten auf Fragen zu Gott, der Welt und dem Sinn des Lebens- Die Herausforderungen des Alltags meistern: Ein Mutmach-Buch- Authentisch und aufrichtig: Warum uns Zweifel näher zu Gott bringenEine lebendige Begegnung mit Menschen, ihrem Glauben und ihren ZweifelnDer Kapuzinermönch Bruder Paulus ist sich sicher: Der wirklich glaubende Mensch ist tief verwurzelt in Gott und kann deswegen offen sein für alles, was in der Welt geschieht. Ob als Seelsorger oder Leiter einer Stiftung, die Obdachlosenspeisung anbietet: Mit dieser Weltoffenheit begegnet er allen, die mit großen Sinnfragen, kleinen Ärgernissen oder persönlichen Problemen zu ihm kommen. Für ihn ist jede Frage wertvoll, schenkt sie uns doch die Möglichkeit, Gott immer wieder neu zu begegnen!

Häufig gestellte Fragen

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II.

HERAUSFORDERUNGEN DES LEBENS

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MEISTERN
BEGEGNEN

Wie gehe ich damit um, dass nicht nur mein eigenes Leben begrenzt ist, sondern auch meine Möglichkeiten?

Es ist schon toll, dass wir Menschen uns vorstellen können, was wir alles können sollten und … hätte, hätte, Fahrradkette! Toll! Das liegt daran, dass wir in uns so eine Art göttliches Gen haben. Die Bibel sagt dazu: „Wir sind nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen.“ Wir haben einen Allmächtigkeitsdefekt in uns. Weil wir von Gott stammen, können wir uns auch vorstellen, dass wir alles können. Superman lebt ja davon und alle Comic-Serien leben davon, etwas Übernatürliches und mehr zu können, als man eigentlich kann, und mehr Möglichkeiten zu haben, als man eigentlich hat. Das ist eine Vorstellung, die viele Menschen fasziniert, und vielleicht sind auch die Naturwissenschaften davon getrieben. Wenn man sich vorstellt, dass wir Milliarden ausgeben, um zum Mars zu fliegen, dann denke ich mir: Wenn man das Geld ausgeben würde, um gegen den Hunger in der Welt zu kämpfen, wäre das auch nicht schlecht. Es ist doch irgendwie Wahnsinn! Die Erde ist noch nicht genug, jetzt wollen wir auch noch auf dem Mond wohnen. Schrecklich. Oder auf dem Mars. Es muss immer größer, schöner, weiter sein. Wir sind mit nichts zufrieden. Wir Menschen sind so. Wir müssen wir uns damit zufriedengeben, dass wir ständig unzufrieden sind. Das gehört wohl mit zum Leben. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“, ist ein Vers von Augustinus, den ich sehr liebe. Und diese Unruhe ist für viele Menschen auch einfach damit gegeben, dass sie noch nicht genug haben.
Steve Jobs hat auf seine Geräte hinten eine angebissene Frucht drauf machen lassen, einen angebissenen Apfel. Das hat er wohl gemacht, weil er aus einer fundamentalen christlichen Welt kommt. Der Apfel soll uns an etwas erinnern. Der Apfel erinnert uns an … Ja, an was wohl? Der Bibelfeste weiß das. Er erinnert uns natürlich an die ersten Seiten der Bibel. Da geht es um eine angebissene Frucht. Und auf diesen Geräten hat Steve Jobs eine angebissene Frucht wohl aufbringen lassen, weil er schon wusste, dass diese Geräte – und besonders die Smartphones – den Menschen an einer Stelle treffen, wo er besonders verwundbar ist. Denn wenn ich ein MacBook oder ein iPhone habe, dann bin ich schon fast wie Gott! Dann kann ich überall hinsurfen, kann alles schnell bewegen. Ich bestelle etwas, Roboter setzen sich in Bewegung und es kommt wie automatisch innerhalb von 24 Stunden an meine Haustür. Ich kann Musik jetzt und sofort kaufen. Kaufen, kaufen, kaufen – die ich sofort hören will. Ich kann Filme sehen, die ich jetzt sehen will. Die ganze Welt liegt mir zu Füßen. Der ganze Konsumapparat ist ja darauf ausgelegt, dass wir uns wie Gott fühlen. Dass wir uns alles leisten können.
Wie lerne ich jetzt, zufrieden zu sein, wenn ich merke, dass ich doch nicht alle Möglichkeiten habe? Wie kann ich durch die Welt gehen? Mir hilft am tiefsten die Antwort der Spiritualität, die ich vom Heiligen Franziskus von Assisi gelernt habe, mir hilft dessen franziskanische Armut, die ja so hochgepriesen wird: der Arme von Assisi, der Bettelmönch – das ist eigentlich keine franziskanische Armut, sondern es ist franziskanischer Reichtum. „Wer Gott kann erwählen, nichts wird solchem fehlen“, sagte Teresa von Avila 300 Jahre nach Franziskus von Assisi. Nur Gott besteht, Dios solo basta. Denn alles, was wir uns an Möglichkeiten wünschen, ist ja meistens doch sehr, sehr vergänglich. Selbst die tollen Geräte von Steve Jobs haben alle Endlichkeitscharakter. Die werden alle irgendwann untergehen. Nur Gott besteht. Wenn ich diese fundamentale Erkenntnis habe, dass alles aus dem Reichtum Gottes kommt und dass das, was immer ich anfasse, mir etwas vom Reichtum Gottes sagt, dann ist mir eigentlich das Eine genug, und darin empfange ich alles.
Mal so ganz natürlich gesprochen: Man stelle sich vor, dass Eltern ihr Kind mit diesen Augen angucken: „Ja, wenn ich das Kind aber mit roten Haaren hätte und wenn es doch ein Mädchen wäre und wenn es aber doch ein bisschen sportlicher wäre und wenn es dies noch hätte und wenn es das noch könnte …“ Wie würden wir das finden? Wir würden sofort sagen: Das ist lieblos! Dieses Kind ist doch einmalig! Das ist doch genug! Und so ähnlich ist es auch mit den vielen Möglichkeiten, denen ich sozusagen traurig hinterhergucke. Traurig winke ich dem, der ich sein könnte. Kann ja sein, dass das ein bisschen melancholisch ist. Aber wichtiger ist doch, den zu empfangen, den ich jetzt in der Hand habe, der ich bin. Genau das rate ich dir, wenn du ein bisschen traurig bist, weil du nicht die finanziellen Möglichkeiten hast, die du gerne hättest. Ich will das ja gar nicht in Abrede stellen: Geld beruhigt ja schon, wenn man’s hat. Ich will gar nicht sagen, dass man das nicht braucht. Selbstverständlich braucht man das, aber das Wenige, das ich habe, enthält doch den Reichtum von allem. Ich erinnere mich, dass ich als Student, wenn ich an der Buchhandlung vorbeigegangen oder durch die Bibliothek bei uns gegangen bin, gesagt habe: „Ach du liebes bisschen! Das kann ich ja nie alles lesen!“ Wenn ich aber dann das eine Buch wirklich lese, das an mich herankommt und das mich berühren darf und verwandeln darf, dann habe ich doch eigentlich genug gelesen, oder?
Insofern möchte ich dich einladen, dass du auf eine Zufriedenheitssuche gehst. Dass du dich bei dir im Zimmer umschaust, bei dir auf dem Smartphone umguckst oder sonst wo – egal wo du Schätze liegen hast, Texte, Bücher, Bilder, Musik, einen Film – und dir klar machst: In diesem einen Film, in dem einen Buch war doch alles drin! Brauchst du mehr? Du brauchst doch gar nicht mehr.
Wir leben in einer Terror-Welt, die schreit: „Kauf mich! Kauf mich! Hab mich! Flieg hin! Musst du auch noch sehen! Wie, du warst noch nie am Nordpol? Was? Du hast noch nie einen Eisbären gesehen? Aber ich hab den schon gesehen …!“ Diese ganzen Diskussionen machen mich ehrlich gesagt so was von müde, weil sie mir witzlos erscheinen. Was einen anderen begeistert hat, kann mich ja vielleicht auch mal neugierig machen, aber auf gar keinen Fall will ich mich durch das, was alles möglich ist, davon abbringen lassen, das, was mir möglich ist, wertzuschätzen. Schreib dir das bloß hinter die Ohren, und dann wirst du sehen, dass es dich zufriedener macht. Für ein zufriedenes Leben ist es notwendig, dass wir in der Beschränkung unserer Existenz die schrankenlose Gegenwart Gottes erkennen können. Das ist meine ganz tiefe Grundüberzeugung. Darum möchte ich gar nicht alles haben, sondern lieber erfüllt leben mit dem, der alles geschaffen hat.
Für ein zufriedenes Leben ist es notwendig, dass wir in der Beschränkung unserer Existenz die schrankenlose Gegenwart Gottes erkennen können.

Wie kann ich meine Angst besiegen?

Wer Angst im Leben hat, der merkt einfach, dass es eng wird mit seinen Gefühlen, mit seinem Denken. Er sitzt plötzlich wie in einer Art Hamsterrad und merkt, dass er nicht mehr rauskommt. Das Wort „Angst“ hat mit Enge zu tun. Es wird einfach immer enger. Franz Kafka hat die Geschichte von einer Maus geschrieben, die flüchtet und dann plötzlich in der Ecke sitzt. Es wird immer enger, und dann sitzt sie plötzlich da und es gibt überhaupt keinen Ausweg mehr.
Ängste sind ganz normal, und darum sage ich allen Leuten, die Angst haben: „Wunderbar, dass du noch Angst hast und nicht so gefühllos bist, dass du keine Ängste mehr hast!“ Denn Ängste warnen uns natürlich. Sie warnen uns, dass es in unserem Leben eine Gefahr gibt – dass es etwas gibt, was für uns gefährlich werden kann. Darum sage ich zunächst mal: Bitte besiege nicht die Angst, sondern nimm die Angst ernst.
Welche Ängste hast du wirklich? Nimm dir mal einen Zettel und schreib auf: Welche Angst hast du? Wovor hast du wirklich Angst? Hast du Angst vor deinem Arbeitgeber? Du magst mit deinem Chef nicht mehr sprechen? Hast du Angst vor deinem Lebenspartner / deiner Lebenspartnerin? Oder hast du auch Angst vor deinen Kindern? Du hast Angst, das richtige Wort zu finden, und wenn du das falsche sagst, dann kündigen sie dir den Kontakt? Ist alles schon vorgekommen, das hast du bestimmt auch schon gehört.
Und dann gibt es die ganz normale Angst: Ich gehe durch die Stadt, kommt da jetzt ein Motorradfahrer und will mich umnieten? Ist da jemand, der mich überfallen will? Oder: In der Nachbarschaft hat es einen Einbruch gegeben, und ich habe Angst, dass jetzt bei mir auch eingebrochen wird. Abends geht man dann durchs Haus und guckt, ob die Fenster geschlossen sind. Das ist alles erst einmal ganz normal. Darum sage ich dir ganz deutlich: Wenn du Angst hast, dann nimm diese Angst ernst und schreibe dir eine Liste, wovor du Angst hast.
Vielleicht nimmst du dir statt einer Liste auch einfach einen Packen Zettel und schreibst auf: „Ich habe Angst vor …“ Schreibe eine halbe Stunde lang einfach alles auf. Im nächsten Schritt kannst du dann gewichten: Was macht mir eigentlich am meisten Angst? Das wird eine Art „Hitparade der Angst“. Ja, ich weiß, wenn du wirklich ganz tiefe Ängste hast, dann hört sich das ein bisschen leicht an, aber ich nehme dich schon sehr ernst in deinen Ängsten. Gleichzeitig ist der Humor eine gute Möglichkeit, vor all diesen vielen Ängsten ein bisschen zurückzugehen. Darauf komme ich später noch mal zurück.
Jetzt hast du also deine Hitparade der Angst. Du siehst: „Aha, das ist das Größte, das ist das Kleinste.“ Man kann das auch mit Begriffen ausdrücken: Riesenangst, kleine Angst. Und dann schau dir an: Mit welchen Menschen hat diese Angst zu tun? Schreibe die Namen auf die Zettel. Zum einen Menschen aus der Gegenwart. Wir bleiben mal bei dem Beispiel: Du hast Angst, durch die Stadt zu gehen, weil da ein Besoffener kommen könnte, der dich mit seinem Auto oder seinem Motorrad umfährt. Dann schreibst du diese Person auf. Oder du hast Angst vor dem Einbrecher, dann schreibst du auf: Angst vor dem Einbrecher. Oder auch Angst vor einer Krankheit. Vielleicht sagst du: „Ich habe Angst, dass ich Krebs habe.“ Schreib das einfach auf. Alles, was gegenwärtig die Ursache dieser Ängste ist.
Schau dir diese Personen und Dinge an und schau dir an, wie vielfältig das Ganze ist. Wer richtig von Ängsten geplagt ist – und das steckt ja hinter dieser Frage „Wie gehe ich mit meiner Angst um?“ –, der kann schon durch diese Ordnung, die er sich macht, merken: Aha, es gibt Ängste bei mir, die vor allen Dingen im Rahmen von Gesundheit oder im Rahmen vom Zusammenleben mit den Menschen vorkommen. Oder im Zusammenhang mit meiner Arbeit. Oder mit meiner Familie. Du könntest diese Ängste auch gruppieren. Dann siehst du: Aha, das sind ganz verschiedene Gruppen von Ängsten, die ich habe.
Jetzt kommt eine sehr knifflige Aufgabe: „Wie gehe ich mit meinen Ängsten um?“ Du kannst jetzt vielleicht mit einer anderen Farbe auf diese Zettel schreiben: Wo habe ich die Angst zum ersten Mal gehabt? Wann habe ich zum ersten Mal gedacht, ich könnte Krebs kriegen? Oder wann dachte ich zum ersten Mal: In der Stadt ist es ja supergefährlich! Oder: Der will mich bestimmt verlassen! Oder: Der vertraut mir gar nicht! Schreib auf, wann du zum ersten Mal diese Angst hattest. Dann wirst du sehen, dass es für jede Angst einen „Paten“ aus deiner Geschichte gibt. In dem Film Der Pate ist das ja auch so ein angsterregender Typ. Wer ist ein Pate aus deiner Geschichte, wer ist ein Pate deiner Angst?
Wenn du das geschafft hast – das klappt wahrscheinlich nicht für jeden Zettel –, dann könntest du dir einen Zeitstrahl machen. Du guckst dir diese Paten an und trägst sie auf diesem Zeitstrahl ein: Als du fünf Jahre warst, neun Jahre, elf Jahre … Dann siehst du, dass es in deiner Vergangenheit eine Geschichte gibt von Situationen, in denen man dir Angst gemacht hat und in denen du wirklich Angst gehabt hast. Verbunden mit dieser Angst – und auf diese Spur will ich dich eigentlich bringen – hattest du das Gefühl: „Ich alleine habe diese Angst, und es hilft mir gar keiner. Ich bin der Einzige, der diese Angst hat, und niemand wird mich verstehen!“ Dann kommst du zu einem sehr traurigen oder berührenden Moment, in dem du merkst, dass es tatsächlich – so geliebt du auch bist von Eltern, Großeltern, Onkel, Lehrern – einfach Momente gibt, in denen selbst diese geliebten Menschen für dich ganz weit weg waren und du dich nicht getraut hast, mit ihnen deine Angst zu teilen. Sie haben diese Angst auch nicht erkannt, worüber du sehr enttäuscht warst. (Warum sehen die das eigentlich nicht? Warum merken die das nicht?) Dann hast du zum ersten Mal dieses Gefühl von tiefer Einsamkeit erfahren. Angst hat zu tun mit Einsamkeit: Ich bin der Einzige, der diese Angst hat. Niemand versteht mich, und darum kann mich auch niemand retten.
Wenn es dir gelungen ist, dir diesen Zeitstrahl anzuschauen, dann bitte ich dich, mal einen Moment aufzuwachen und in deine Jetzt-Zeit zu schauen: Hast du vielleicht eine Freundin, einen guten Bekannten, einen Arzt? Wenn du keinen solchen Menschen hast, dann rate ich dir – Achtung, dieser Ratschlag erschreckt dann viele Leute, aber ich sag’s dir trotzdem –: Melde dich in einer Beratungsstelle der Caritas, Diakonie oder anderer Vereine an. Sie haben psychologische Beratungsstellen, bei denen du dich kostenfrei anmelden kannst. Geh mit deinem Zeitstrahl und deinen Zetteln dorthin und rede mal mit jemandem darüber. Erzähle einfach, was dir alles dazu einfällt. Das wird wahrscheinlich eine sehr tränenreiche Stunde sein, weil dir jemand einfach zuhört, der aus beruflicher Profession – ja, der wird auch dafür bezahlt, aber gleichzeitig sind das sehr einfühlsame Menschen – mit dir gemeinsam diese Geschichte der Einsamkeit und der Angst teilt. Hab keine Angst davor, dass du dann in Gefühlen zerfließen könntest. Nein, du wirst aufgefangen werden, weil jemand dich anschaut, dich versteht, dich nicht verurteilt und schon gar nicht zu dir sagt: „Davor musst du aber doch keine Angst haben!“ oder „Du bist ja auch selber schuld, dass du da Angst hast!“ Es gibt viele Gründe, warum Menschen nicht über ihre Ängste reden; manchmal haben sie auch wieder neu Angst, dass sie verurteilt werden.
Wenn du diese Schritte geschafft hast, dann kann etwas passieren, was sich in der Psychologie Selbstdistanzierung nennt. Du könntest dir diese Zettel und den Zeitstrahl eine Zeit lang an die Wohnzimmerwand oder ins Schlafzimmer hängen. Dann sind die nämlich aus dir raus. Dann kannst du sie angucken und dir überlegen: Mit wem will ich jetzt mal mehr ins Gespräch kommen? Ich sage mal ein Beispiel: Deine Großmutter hat dir schon sehr viel Angst gemacht, als sie dir damals, als du sechs Jahre alt warst, sagte: „Wenn du nicht das Licht ausmachst, dann kommt der Teufel, und der wird dich holen!“ Es kann sein, dass dich das als Kind superbeeindruckt hat. Und dann musst du vielleicht mal zum Grab deiner Großmutter fahren und sagen: „Meine liebe Großmama, das schleppe ich jetzt schon so lange mit mir rum, ich bringe dir mein Angstblatt und werde es an deinem Grab begraben und dort lassen – weil ich weiß, dass der Teufel nicht kommt, und ich weiß, dass du große Sorgen hattest, dass ich kein ordentliches Leben anfangen werde. Ich versuche dir einfach mal zu … ja, verzeihen ist schwer … Wenn einer keine Schuld bekennt, kann man ihm auch schlecht verzeihen. Aber ich versuche, damit zu leben, dass du es vielleicht ja nur gut gemeint hast.“
Zum Schluss sage ich dir: All das sind Ratschläge für dich, wenn du diese Angst als tiefe Lebensphase erlebst. Wenn du jedoch dauerhaft Angst hast und du merkst, dass du selbst diese Zettel nicht schreiben kannst, weil du Angst davor hast und du dieses Hamsterrad nicht verlassen kannst, dann wirst du ärztliche Hilfe annehmen müssen. Es gibt neurotische Ängste, es gibt Ängste, die einfach krankhaft sind, und dafür gibt es die Medizin. Scheue dich nicht davor, mit deinem Hausarzt darüber zu sprechen, dass du vielleicht psychiatrische Hilfe brauchst. Ich möchte dir ausdrücklich Mut machen, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Denn es gibt Menschen, die als Berater für dich und deine Ängste bereitstehen.
Ängste sind ganz normal, denn Ängste warnen uns, dass es in unserem Leben eine Gefahr gibt – dass es etwas gibt, was für uns gefährlich werden kann.

Ich traue mir vieles nicht zu. Wie kann ich mich selbst motivieren?

Wenn so gar nix mehr geht, wenn der Saft sozusagen raus ist, und wenn man nicht mehr weiß, wie man weiterleben soll, dann ist ja die große Frage: Wie werfe ich meine Lebensmaschine wieder an? Wie komme ich wieder ein Stück raus aus diesem komischen Hamsterrad von Ich-kann-es-nicht-will’s-auch-gar-nicht-und-ich-weiß-auch-gar-nicht-wie-ich-das-können-soll? Wie kann ich mich selber motivieren? Wie kann ich Münchhausen werden, der sich selber aus dem Sumpf zieht?
Da ist die Antwort erst mal: Das geht gar nicht. Wir müssen uns einfach davon verabschieden, dass wir mit irgendwelchen Tricks uns selber aus dem Sumpf ziehen können. Meine Erfahrung ist: Die Anstrengung, dass ich doch jetzt wieder motivierter sein soll, interessiert mich nicht, und das bringt mich auch nicht weiter. Was bringt mich aber weiter? Was bringt mich weiter, wenn ich das Buch zu Ende schreiben muss? Ich muss wieder Konzepte schreiben für das, wofür ich verantwortlich bin, und ich bin erst auf Seite zwei, und ich muss noch fünf schreiben. Wie soll ich das schaffen? Wie kann ich mich da neu aufdrehen? Da hilft mir selber – und das schlage ich auch dir vor –, dass ich noch einmal in den Blick nehme, wofür ich eigentlich da sein will. Was will ich eigentlich? Denn die Selbstmotivation sinkt umso mehr, je mehr ich das Ganze aus dem Blick verliere.
Ich habe ja noch nie einen Teppich gewebt, aber das ist ein schönes bildliches Beispiel. Man muss sich das so vorstell...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung
  6. I. VON DER SUCHE NACH DEM SINN
  7. II. HERAUSFORDERUNGEN DES LEBENS ANNEHMEN | MEISTERN | BEGEGNEN
  8. III. GLAUBE MAL GANZ PERSÖNLICH
  9. IV. MENSCH UND MITEINANDER
  10. V. DER GLAUBE UND DAS BODENPERSONAL
  11. Danke!