Erinnerung für die Zukunft
Vor zwanzig Jahren starb Gerhard Gundermann. Sein Werk lebt immer noch und immer mehr, weil die Geschichte vom Kommunismus weitergehen muss
Nachtrag: Filmpreise
Sommersonnenwende, ausgerechnet: Waldfriedhof Hoyerswerda
So poppig bunte Wundertüten
Kann ich dir nicht bieten
Nur ’n richtig guten Sonnenuntergang.
(»Brunhilde«, 1997)
Sommeranfang, ausgerechnet Sommeranfang. Am 21. Juni 1998 beendete in Spreetal ein Gehirnschlag das Leben des 43-jährigen Gerhard Rüdiger Gundermann. Ein »sinnlos frühes Sterben«, so Trauerredner Heinrich Fink auf der Beerdigung in Hoyerswerda, am Rande des Lausitzer Braunkohlereviers. Dort, auf dem Waldfriedhof, steht sein Grabstein, ein Findling mit der schlichten Aufschrift »Gundi«.
Auf den Sommeranfang blickte der baggerfahrende Philosoph und dichtende Arbeiter schon länger mit etwas Wehmut. »Es ist der Tag der Sommersonnenwende, es ist der Tag mit der kürzesten Nacht, die Sonne hat ihren höchsten Punkt erreicht. Sie weiß, höher hinauf wird es nicht mehr gehen, und sie scheint im Zenit zu verweilen und zu überlegen, ob sie sich weiter, so wie jeden Tag, nach Westen bewegen soll und damit an ihrem eigenen Untergang arbeiten; oder ob sie vielleicht nach Norden ausweichen soll oder nach Süden – oder zurück innen Osten.«
Einem Seher gleich entwarf er, genau eine Woche vor seinem Tod, in dem kleinen Prignitz-Ort Krams das zeitlose Bild von einer unentschiedenen Zukunft. 70 Leute im Publikum einer umgebauten Scheune, Soloauftritt mit Gitarre. Der wurde aufgezeichnet und zu etwas wie Gundermanns Vermächtnis, ungeglättet, mit allen, so typisch schnelllippig, teils hektisch vernuschelt vorgetragenen, poetischen wie tiefsinnigen Zwischentexten, eins zu eins abgebildet – lediglich der leise, melancholische Song vom Ende des Sommers fehlt, was einem blöden Bandwechsel geschuldet war. »Weißt du noch / wir hatten uns so auf diesen Sommer gefreut / und nun isser fast vorbei.«
Derzeit wird mit dem Lied, vorgetragen durch den Hauptdarsteller Alexander Scheer, für den Spielfilm »Gundermann« von Andreas Dresen geworben, der in der zweiten Augusthälfte anläuft. Der Dichtersänger hat weiter Konjunktur, selbst Jahrzehnte nach der DDR, mit der seine Biografie untrennbar verbunden ist. Dort führte er zwei Leben in einem, und dort gelang es ihm, seinen Alltag auf dem Fabrikplaneten mit der Bühne zu verbinden – die beiden Dokumentarfilme über ihn erzählen besonders davon, von seiner Fähigkeit, die übliche Trennung von Arbeit und Kunst aufzuheben.
Richard Engel drehte »Gundi Gundermann« zu Beginn der Achtziger für das Fernsehen der DDR, dessen Chefs zwei Jahre darüber diskutierten, bis er, drei Änderungen inklusive, im Januar 1983 gesendet wurde, spät abends zwar, »aber er war in der Welt!«, wie Regisseur Engel und die Schauspielerin Petra Kelling im Begleitheft zu ihrem Film schreiben. »Ende der Eisenzeit« von Ende der Neunziger wurde zunächst vom RBB finanziert, nach Ansicht der Rohfassung und darauf folgenden Turbulenzen aber abgewickelt – und dann doch noch fertiggestellt. Anfang 1999 fand seine Uraufführung in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz statt, und mittlerweile liegen die »zwei Filme aus zwei Gesellschaften« immerhin auf DVD vor.
Ansonsten teilen sie in etwa das Schicksal von Gundermanns Songs, von Funk und Fernsehen weitgehend gemieden und – im Wortsinn – links liegen gelassen. Versucht wird, auch von den sogenannten Qualitätsmedien, »Gundermann durch Vergessen zu entsorgen«. Allerdings »bewirkt dieses gewollte, tödliche Schweigen oft auch das Gegenteil«, bemerken Kelling und Engel doch ziemlich optimistisch – und haben insofern recht, als Gundermann mit den Jahren zu einem Synonym für aufrechte Widerständigkeit geworden ist. Sehr sehr viele und – gefühlt – immer mehr Menschen versorgen sich an der »Tankstelle für Verlierer« mit »Lebens-Mitteln« aus seinem 300 Texte umfassenden Werk – im Osten zumindest.
Im Westen haben es seine Lieder trotz der Tübinger »Randgruppencombo« und jeder Menge Ost-West-Ehen, die ja diesbezüglich zivilisatorisch wirken könnten, schwer – was nicht unbedingt neu ist, hinkte der Westen doch den Notwendigkeiten der Zeit schon immer hinterher. Das behindert aktuell, wie schon in der alten BRD, ziemlich erfolgreich einen nüchternen und klaren Blick auf die DDR. Der wäre einfach zu gefährlich für die eigene, in poppig-bunten Wundertüten verpackte Existenz des schönen Scheins, zu dem im Übrigen und nicht zuletzt die Kunst als von der Realität weitgehend losgelöstes Produkt gehört.
Gundermann dagegen beschritt stur und zugleich flexibel seinen für richtig erachteten eigenen Bitterfelder Weg, führte seine zwei Leben in einem, als Baggerfahrer und als Künstler. Jahrgang 1955, geboren in Weimar, Scheidung der Eltern 1966, Umzug nach Hoyerswerda, Abitur, Offiziersschule in Löbau. Sein Anspruch, in der Volksarmee »Soldat der Revolution« zu werden, gerät vor allem angesichts des strengen Regiments von Befehl und Gehorsam in Widerspruch zur Wirklichkeit.
Er selbst sagt im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt, er sei fürs Militärische – wahlweise – »zu blöd« oder »zu trottlig«, jedenfalls »musste ich wohl oder übel heimgehen, und niemand hatte was dagegen«. Der »Mangel an Verwendungsfähigkeit« bei der Landesverteidigung führt ihn schließlich als Hilfsarbeiter in den Tagebau und er übernimmt – nach Absolvierung der Abendschule – als gelernter »Maschinist für Tagebaugroßgeräte« den Riesenschaufelbagger mit der Nummer 1417.
Ein Kumpel mit Feder und Gitarre, beharrte er auf der Idee von Bitterfeld 1959, die Arbeiterklasse ans Dichten und die Literaten an die Produktion heranzuführen und somit eine Art Kulturrevolution zu beginnen. Die versandete dann, wurde wegadministriert, und Gundermanns Bestandsaufnahme von 1981 klingt wie ein letzter, schon ziemlich verzweifelter Alarmruf.
Seit fünfzehn Jahren steh ich an der Weltzeituhr
Und ich bin nicht mehr so jung
Und ich warte, und ich warte
Und die rote Nelke trag ich immer noch am Helm
Obwohl sie mir schon lange verdorrte
Und diese Zeitung halt ich noch in der Hand
Obwohl ich sie schon nicht mehr lesen kann
Und starre in den Nebel
Wann kommt der Mann
Der mir sagt, wir brauchen dich
Jetzt bist du dran.
(»Lancelots Zwischenbilanz«, 1981)
Er kam nicht »dran«. Wie die ganze junge Garde nicht. Die Zwischenbilanz des Tafelrundenritters auf der Suche nach dem Heiligen Gral erschien erst 1988, viel zu spät, bei Amiga auf seiner einzigen DDR-Schallplatte »Männer, Frauen und Maschinen«. Roland Knauer schreibt dazu in Melodie und Rhythmus (5/2015): »Die DDR taumelte ihrem Ende entgegen, und nur die wenigsten Aufrechten waren sich noch sicher mit diesem Sozialismus. Gundermann gehörte dazu (…). Andere Protagonisten der Früh- und Mittachtziger hatten sich zurückgezogen – da zeckte Gundermann mit diesem Album in die Agonie!« Herauszuhören ist, auch auf allen postsozialistischen Alben, wie die Leute tickten und was besonders deswegen aus dem »Steinland« – so nannte es der Dichter frei nach Springsteens »Badlands« – hätte werden können.
1978 entsteht die »Brigade Feuerstein«, »eines der wichtigsten Projekte moderner, sozialistischer Kunst, in der sich sowohl die Grenzen zwischen ernster und unterhaltender Kunst als auch die Arbeitsteilung zwischen Arbeit, Kunst und Politik auflösten«, so der Dichter Klaus-Peter Schwarz (Berliner Debatte 10/2). Das spricht sich herum, stößt an und verschafft der Brigade einiges Ansehen. Gundermann erhält gegen alle Einsprüche den Chansonpreis 1987 und eine Einladung zum Kongress für Unterhaltungskunst im März 1989.
»Eigentümerbewusstsein entsteht nur aus Eigentümerfunktion (…). Die Entscheidungsebenen müssen aus den Ministerien heraus (nach) vor Ort verlegt werden (…), die Gesellschaft muss von unten demokratisiert werden, an der ökonomischen Basis (…). Es geht um höhere Produktivität genauso wie um bessere Hits. Auf beiden Seiten hat der Sozialismus Nachholbedarf. (…) Zuwachs an Phantasie, Weitsicht, Mut, Zärtlichkeit, Aggressivität, Streitlust, Vertrauen, Konfliktfähigkeit, Ausdauer.« Und der Redner bedankt sich ausdrücklich bei denen, »die gegen meine Produkte waren und das offen mit mir diskutiert haben«, und bei denen, »die aus dem Hinterhalt mit Knüppeln geworfen haben, weil, ich bin da...