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Glanz und Elend der Börse
Was muss ein Börsenprofi wissen?
Lieber Hans,
ich bin sehr froh, dass du dich entschlossen hast, die Stelle bei einem BÖRSENMAKLER anzunehmen. So wird zumindest einer meiner Söhne einen Beruf ergreifen, bei dem er mit seiner Intelligenz auch zu viel Geld kommen kann. (Ich betone kann und nicht wird, denn eine Garantie dafür, bei Börsenspekulationen reich zu werden, gibt es nicht.) Du brauchst auch deinen Brüdern gegenüber keine Komplexe zu haben, dass sie etwa mit ihren geistigen Berufen auf einer höheren Stufe stünden. Ich nehme nämlich an, dass du vorläufig bei dem Makler nur die technischen Seiten eines Börsengeschäftes lernen wirst, um erst später auf eigene Rechnung und mit eigenem Geld zu spekulieren. Und Spekulieren ist geistige Gymnastik.
Alles, was du jemals im Gymnasium, auf der Hochschule oder überhaupt im Leben gelernt hast, selbst Gebiete, die mit Finanz und Wirtschaft nichts zu tun haben, wie etwa Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte und Musik, werden dir in deinem künftigen Beruf sehr nützlich sein. Ich habe zum Beispiel aus meiner übergroßen Liebe zur Musik sehr viel Gewinn gezogen, den man in Mark und Pfennig umrechnen kann. Du weißt wohl, dass ich mich oft stundenlang einsperre, nur um Musik zu hören. Glaube nicht, dass dies ein „Dolce far niente“ sei. Während ich Musik höre, denke ich über Finanzprobleme und Börsenkombinationen nach. Und oft habe ich die besten Inspirationen dabei gehabt.
Der Beruf eines Börsenspekulanten ähnelt in vielem dem eines prominenten Journalisten. Beide leben von der Zeitung, indem sie die Ereignisse verfolgen, analysieren und ihre Schlüsse daraus ziehen. Der Journalist beschreibt sie und der Börsianer liest sie – er liest auch zwischen den Zeilen. Nur: Der Journalist darf sich immer wieder irren und wird doch ein Journalist bleiben. Wenn der Börsianer sich aber oft irrt, bleibt er nicht länger Börsianer … Ich habe die größte Hochachtung vor Journalisten, ich finde ihren Beruf so faszinierend, dass ich ihn in meinen alten Jahren selbst ergriffen habe. Es besteht kein Zweifel, dass das Risiko eines Journalisten dem Risiko eines Börsianers nicht gleichkommt, da das Schicksal des Letzteren eher mit dem eines Seiltänzers zu vergleichen ist. Eines aber haben beide Berufe gemeinsam: Sie verlangen Scharfblick, eine gute Allgemeinbildung und die unumgängliche Leidenschaft für den Beruf. Welch ein merkwürdiger Mensch ist doch dieser „Homo speculator“! Zum Spekulanten oder Journalisten wird man geboren, ebenso wie man als Philosoph (und sei es auch als Philosoph des Alltags) geboren wird. In jedem Augenblick geschieht etwas Neues auf der Welt. Kriegsnachrichten aus Vietnam, Feindschaften oder Freundschaften zwischen arabischen Staaten, Rauschgift- oder Rassenprobleme in Amerika, Weiterentwicklung der Massenmedien, Wahlen in Japan, Streiks in Polen, Revolution in der Frauenmode, die Entwicklung der Fischerei in Island, Forschungen über Lungenkrebs und so weiter. Die Summe all dieser Ereignisse ist das Weltgeschehen – die Weltgeschichte.
Mein kleines Leben hat sich in unmittelbarer Nähe dieser Weltgeschichte abgespielt, eben weil ich von der Börse gelebt habe. Alle großen und kleinen Ereignisse haben sich auf die Börse ausgewirkt und die Börse auf meine Brieftasche.
Was ist eigentlich Börsenkunde? Der französische Staatsmann und Schriftsteller Édouard Herriot sagte von der Kultur, sie sei das, was übrig bleibe, wenn man schon alles vergessen habe. Ähnlich geht es mit der Börse. Deswegen ist der Börsianer aber doch keine Enzyklopädie, die Jahresbilanzen, Dividenden, Kurse, Geschäftsberichte, Statistiken speichert. Das alles wird viel sicherer in einer Bibliothek oder auf einem Computer aufbewahrt. Das echte Börsenwissen ist das, was übrig bleibt, wenn man alle Details vergessen hat. Man soll nicht alles wissen, sondern alles verstehen und im passenden Augenblick die Zusammenhänge richtig deuten und entsprechend handeln. Man muss alle Ereignisse wie ein Radargerät auffangen, in den richtigen Proportionen sehen und die Zusammenhänge interpretieren. Kurz gesagt, man muss selbstständig denken.
Damit kennst du meine erste Reaktion auf deine Entscheidung. Ich schließe für heute und wünsche dir in deinem Beruf Erfolg und Befriedigung.
Die Kunst der Spekulation und die Spekulation der Künstler
Lieber Hans,
nach meinem gestrigen Brief möchte ich dir noch einige ergänzende Gedanken über deinen neuen Beruf mitteilen. Ich nehme natürlich an, dass du deine Stellung bei dem Börsenmakler als Schulung betrachtest und auf den Beruf eines BÖRSENSPEKULANTEN zustrebst. Wenn ich den Ausdruck „Spekulant“ verwende, so meine ich ihn im noblen Sinne des Wortes. Der berühmte amerikanische Finanzier, Staatsmann und persönliche Finanzberater von vier amerikanischen Präsidenten, Bernard Baruch, bezeichnete einmal vor einem Untersuchungsausschuss des amerikanischen Kongresses seinen Beruf als den eines Spekulanten.
Zur Familie der Spekulanten gehörten viele berühmte und würdige Persönlichkeiten der Geschichte. Den ersten Spekulanten findest du schon in der Bibel. Es war Joseph in Ägypten, der sich halsbrecherischen Spekulationen hingab. Der ebenso betagte wie weitsichtige Finanzberater des Pharao zog aus dessen Traum von den sieben fetten und sieben mageren Jahren die richtigen Konsequenzen.
Während der fetten Jahre speicherte er große Getreidevorräte ab, um sie dann während der folgenden mageren Jahre wieder auf den Markt zu bringen. Allerdings weiß man bis heute nicht, ob er schon vor 4.000 Jahren der geniale Vater der Planwirtschaft wurde, der Überschüsse einlagerte, um an das spätere Erntedefizit zu denken, oder ob er nur schlicht und einfach – honni soit qui mal y pense – der erste Spekulant der Geschichte war, der die Ware aufkaufte, um sie später teurer zu verkaufen.
Im alten Athen spekulierte man mit Münzen. Die Geldleute wurden Trapezoi genannt, das heißt Trapezkünstler, weil sie hinter einem kleinen trapezförmigen Tischchen saßen und darauf ihre Geldstücke zur Schau stellten. Man könnte in dem Namen auch ein Symbol sehen. Sind nicht die Akrobaten des Geldwesens wahrhafte Trapezkünstler? Die gewagten Geschäfte eines dieser antiken Finanzakrobaten hatten eine Reihe von finanziellen Katastrophen und Preisstürzen ausgelöst. Sein Name Phormion ist zwar nicht unsterblich geworden, aber er gab dem größten Redner des Altertums, dem Rechtsanwalt Demosthenes, den Anlass, die erste leidenschaftliche Verteidigungsrede für die Spekulation zu halten – sicherlich ohne die berühmten Kieselsteine im Mund.
Auch im alten Rom, dem Finanzzentrum des Mittelmeerraumes, blühte die Spekulation. Man spekulierte groß in Getreide und Waren. Die leidenschaftliche Politik Catos, der die Zerstörung Karthagos betrieb, hat den Spekulanten seiner Zeit viel Kummer bereitet. Karthago war die Kornkammer der damaligen Welt und als die Soldaten des Generals Scipio in die zerstörte Stadt einzogen, plünderten sie die Lagerhäuser und Silos. Rom fielen Tausende von Tonnen Getreide zu, zusätzlich zu seiner eigenen Ernte. Die Preise kamen zunächst ins Gleiten und stürzten schließlich senkrecht in die Tiefe.
Viele Spekulanten verloren dabei ihre Federn. Man sprach schon von Zahlungsschwierigkeiten einiger Stammgäste des Forum Romanum. Hier versammelten sich die reichen Bürger in der Nähe des Janustempels, um ihre Geschäftstransaktionen zu besprechen. Und hier holte sich Dr. Cicero, der prominenteste Anwalt seiner Zeit, die Tipps für seine verschiedenen Spekulationen in Grundstücken, Immobilien oder Waren.
Nach einigen Finanzabenteuern ist es ihm gelungen, ein ansehnliches Vermögen zusammenzubringen. Durch seinen Ruhm und seine Persönlichkeit hat er der Spekulation in Rom Auftrieb verliehen. Er sagte, das Geld sei der Nerv der Republik, und war überzeugt davon, dass die Spekulation der Motor der Vermögensbildung sei. Diese Wahrheit bestätigt sich noch heute. Nach meiner Überzeugung ist die moderne Börse der Motor der freien Marktwirtschaft und das Geld ihr Treibstoff.
Auch Sir Isaac Newton, der unsterbliche Entdecker der Gravitationsgesetze, hat sich in der Börsenspekulation versucht. Allerdings mit Misserfolg, sodass er schließlich sogar verboten hat, das Wort Börse vor ihm auszusprechen. Voltaire parlierte mit Freunden stundenlang über Wertpapiere und Geld. Beaumarchais, Casanova, Balzac waren leidenschaftliche Börsenspieler. Der Philosoph Spinoza und der Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo waren neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit begeisterte Spekulanten.
Und wie könnte ich Lord Keynes, den größten Nationalökonomen unseres Jahrhunderts, in dieser Reihe übergehen, unter dessen Porträt die britische Regierung folgenden Text setzen ließ: „John Maynard Lord Keynes, dem es gelungen ist, sich ohne Arbeit ein Vermögen zu schaffen.“
Vielleicht verdanken wir die schönsten Bilder Gauguins seiner Pleite an der Börse. Nach seiner unglücklichen Karriere als Makler musste er, mit Schulden beladen, nach Tahiti fliehen.
Ich habe mit börsensüchtigen Berühmtheiten auch persönliche Erfahrungen gemacht. Obwohl ich Börsianer war, schlug ich, wie du weißt, Ende der 20er-Jahre mein Quartier in dem Pariser Künstlerviertel Montparnasse auf. Im dichten Tabakqualm des Café Dome traf ich oft den großen japanischen Maler Foujita. Trotz der zwei Blondinen, die ihn begleiteten, versäumte er es nie, als Erstes zu fragen: „Nun, mein lieber Kosto, wie steht die Börse?“ Und in einer anderen Ecke unterbrach Hemingway seine literarischen Debatten, um die letzten Nachrichten aus der Wall Street zu hören.
Und erst Fritz Kreisler, der große Geiger! Ich habe ihn, sein Werk und sein Spiel, so tief bewundert. Oft habe ich mich persönlich mit ihm unterhalten und gern hätte ich seine Ansichten über Musik und Musiker gehört. Er aber bedrängte mich um meine Weisheit, denn sein größtes Problem war immer wieder, ob man auf dem Markt bleiben oder alles abstoßen sollte. Er dachte sicherlich, dass ich ein besseres Ohr für die Dissonanzen an der Börse hätte als er. Allerdings hatte er mir gegenüber einen enormen Vorteil. Er konnte seine Börsenverluste vom Vormittag abends mit der Geige wieder „erspielen“.
Bis heute ist mir ein langes Ferngespräch mit meinem guten Freund Emmerich Kálmán in Erinnerung. Er war nicht nur einer der Größten der Wiener Operette, sondern hat sich auch leidenschaftlich für Börsentransaktionen interessiert.
Bei diesem Ferngespräch zwischen Paris und Wien stellte er mir die Frage, ob es vom Anlagestandpunkt aus richtig wäre, Aktien für 100.000 Dollar zu verkaufen (nach der Kaufkraft von heute wäre es eine viertel Million Dollar), um bei Cartier im Gelegenheitskauf einen Diamanten für seine Frau Vera zu erstehen.
Nolens volens musste ich ja sagen, denn eine Stunde zuvor hatte mich Vera ebenfalls aus Paris angerufen und mich gebeten (mit der Begründung, dass alle ihre Freundinnen schon einen besonders schönen Diamanten besäßen, nur sie nicht), ihrem Mann zu dieser „Anlage“ zu raten. Einige Tage später schmückte der Ring die zarten Finger der Vera Kálmán.
Vernunftgemäß wäre es besser gewesen, IBM oder XEROX zu behalten. Aber man kann sich natürlich die Frage stellen, ob das Vergnügen, einen so seltenen Ring zu besitzen, ihn zu tragen und den Freundinnen zu zeigen, nicht mehr bedeutet als Börsengewinn.
Ich habe übrigens die Erfahrung gemacht, dass es für einen Mann viel ungefährlicher ist, wenn sich seine Frau oder Freundin in Juwelen, Pelze et cetera verliebt als in ein Bankkonto. Denn Letzteres hat keine Grenzen …
Nach dem Krieg hatte ich das große Glück, in der Schweiz meinem Idol im Reich der Musik, Richard Strauss, zu begegnen und sein Freund zu werden. Oft saßen wir beim Essen beisammen und ich lauschte begierig, ein Wort des Meisters über Musik zu vernehmen. Aber vergebens. Man sprach nur über Geld und seine Frau Pauline wollte alles über die Börse wissen. Das Phänomen Börse reizt nun einmal die Menschen. Folgende Geschichte erscheint mir typisch. Mein guter Freund Janos H. aus Budapest ist noch immer oft unser Gast an der französischen Riviera. Er ist ein Mann von großer Kultur und besonders in der französischen Literatur bewandert. Ich wollte ihm eine besondere Freude machen und lud meinen Freund und Nachbarn, den französischen Schriftsteller und Goncourt-Preisträger M. C., ein. Letzterer war zudem Kunstkritiker und Professor der französischen Literatur in Amerika. Ich wollte eigentlich vor dem Franzosen mit meinem ungarischen Freund angeben, wollte ihm zeigen, dass man selbst im kommunistischen Ungarn über die jüngste französische Literaturentwicklung wohlinformiert ist. Mein Freund Janos bereitete sich tagelang auf den literarischen Gedankenaustausch vor. Leider kam es nicht zu dem geplanten belletristischen Gespräch, da mein Ehrengast mich mit Fragen über Elektronik und Ölwerte, Goldpreise und Geldmarkt bombardierte. Mein armer Freund Janos H. konnte kein Wort anbringen. Traurig saß er bei Tisch. Das geplante literarische Mittagessen war ein Fiasko geworden.
Ich habe mich mit meinem Nimbus abgefunden. Deshalb warne ich auch alle gastfreundlichen Damen davor, mich einzuladen, wenn sie Künstler, Schriftsteller oder andere Schöngeister empfangen. Schon meine Anwesenheit verpestet die Atmosphäre … Also Achtung! Eines schönen Tags wird dir dasselbe Schicksal blühen.
Frauen und die Börse
WAS FRAUEN VON DER BÖRSE WISSEN MÜSSEN, wurde ich oft von Damen gefragt. Eigentlich nicht viel. Die Börse ist ein Kampffeld für Männer. Umso mehr aber sollten die Frauen über die Männer wissen, die an der Börse spielen. Die Männer profitieren von der Börse und die Frauen profitieren von diesem Profit.
Die Börsianer geben das Geld leicht und leichtsinnig aus, denn das Geldverdienen an der Börse ist manchmal leicht, so leicht, dass man dem Glück ge...