Sprachliche Aggression bei Martin Luther
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Sprachliche Aggression bei Martin Luther

Argumentationsformen und -funktionen am Beispiel der Streitschrift "Wider das Papsttum zu Rom vom Teufel gestiftet" (1545)

  1. 244 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Sprachliche Aggression bei Martin Luther

Argumentationsformen und -funktionen am Beispiel der Streitschrift "Wider das Papsttum zu Rom vom Teufel gestiftet" (1545)

Über dieses Buch

Die Frühe Neuzeit ist bekannt dafür, dass sich die Kontrahenten in konfessionellen Streitfragen gegenseitig heftig attackierten. Ein herausragender Vertreter dieser Form der Auseinandersetzung war Martin Luther. In den zahlreichen von ihm verfassten Streitschriften zeigt er sich auch als großer Polemiker. Wie diese Art der sprachlich aggressiven Argumentation funktioniert, wird in der vorliegenden Studie detailliert vorgeführt. Gegenstand der Untersuchung ist die wohl prominenteste Streitschrift Luthers von 1545 "Wider das Papsttum zu Rom vom Teufel gestiftet". Auf der Basis der "neuen Rhetorik" mit ihrer deutlich weiter gefassten Definition dessen, was unter Argumenten und Argumentation verstanden werden kann, konnten mehr als 60 verschiedene Argumentationsformen eruiert werden, die verschiedene Argumentationsfunktionen erfüllen. Die Studie möchte damit sowohl einen Beitrag zur Argumentationsanalyse und einen Vorschlag zur Modellierung von Argumentationen anbieten als auch eine praktische Detailanalyse sprachlicher Aggression, die nachvollziehbar macht, worin genau der in der Forschung häufig adressierte Grobianismus dieser Texte liegt.

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Information

Jahr
2022
eBook-ISBN:
9783110753608

1Erkenntnisinteresse

Die Sprache und die Texte des Reformators Martin Luther können aus sprachhistorischer Sicht insgesamt als gut erforscht gelten. Unterschiedlichste Aspekte wurden in der linguistischen Forschung bislang thematisiert, so vor allem die Frage, ob und inwieweit Luther als Schöpfer der neuhochdeutschen Standardsprache oder bloß als Katalysator auf dem Weg dorthin gelten kann, welchen Einfluss seine Bibelübersetzung auf den weiteren Verlauf der deutschen Sprachgeschichte hatte, ob und inwieweit sich die Grammatikographie nach Luther bis ins 18. Jahrhundert an seinen Texten orientiert hat, wie sich die Bibeldrucke im Laufe der Zeit verändert haben und viele andere Fragen mehr.1
Weit weniger betrachtet wurden die rhetorischen Qualitäten der lutherschen Schriften und ebenso in den Hintergrund getreten ist der immer wieder konstatierte aber eben weniger empirisch erforschte Grobianismus bei Luther.2 Unstrittig scheint in der Forschung zu sein, dass das zeittypische Beschimpfen, Beleidigen und Verfluchen des jeweiligen argumentativen Gegners von Luther geradezu meisterhaft beherrscht und exzessiv angewendet wurde. Zschoch (2010: 277) beschreibt das in seiner Übersicht über die Streitschriften3 Luthers wie folgt:
Luther füllte die Rolle des Streittheologen, indem er sich der Stilmittel der literarischen Polemik bediente. Dazu gehörte der Einsatz gezielter Grobheiten und Verunglimpfungen, wie er in der zeitgenössischen Streitliteratur an der Tagesordnung war. Luther hob sich dabei durch den Erfindungsreichtum seiner polemischen Sprache und die Bewußtheit ihres Einsatzes von der Norm ab.
Einen Eindruck von den rhetorischen Qualitäten Luthers kann man in den exemplarischen Studien v. a. bei Stolt (2000), Schwitalla (1986) (2010) und im Referenzwerk zur sprachlichen Aggression im Frühneuhochdeutschen von Lobenstein-Reichmann (2013) finden. Obwohl sich die Forschung also einig ist, dass Luther in Sachen Polemik, Grobianismus und sprachlicher Aggression auch für den Kontext der Frühen Neuzeit4 eine besondere Rolle spielt, fehlen bislang m. W. Detailstudien zur genauen Technik dieser Polemik, zu den Formen und Funktionen der polemischen, grobianischen, aggressiv-abwertenden Argumentation bei Luther.
Deshalb soll in der vorliegenden Studie ein Beitrag dazu geleistet werden, diese Forschungslücke zu schließen. Es soll dabei nicht darum gehen, die rhetorischen Fähigkeiten und die rhetorische Geschultheit Luthers erneut zu beweisen. Dies hat Stolt eindrucksvoll getan und damit die Legende widerlegt, Luther habe Rhetorik und rhetorische Stilmittel abgelehnt.5 Vielmehr soll es darum gehen, anhand einer detaillierten Argumentationsanalyse eines paradigmatischen Textes zu zeigen, mit welchen Argumentationsformen und -funktionen Luther in einem als „Streitschrift“ konzipierten Text vorgeht. Dabei sollen dann – ganz im Sinne der „neuen Rhetorik“ (s. Kap. 2) – eben nicht allein die bloßen Argumente (und ggf. die Widerlegung der Gegenargumente) dargestellt werden, sondern es soll ein möglichst umfassender Blick auf die sprachlichen Mittel geworfen werden, die der Argumentation insgesamt und damit der Adressierung der verschiedenen Zielgruppen dieses Textes gedient haben. Damit reiht sich die Studie in eine Richtung der Argumentationsanalyse ein, die in der Nachfolge der Arbeiten von Perelman & Olbrechts-Tyteca, Toulmin, Kienpointner u. a. zu sehen ist. Zugleich soll mit der Analyse eine Basis dafür geschaffen werden, eine weiter reichende Analyse der Argumentationsstrategien in Luthers Streitschriften von den frühen Texten bis zu seinem Tod zu ermöglichen. Die vorliegende Studie versteht sich somit als Pilotstudie. Wenn die Ermittlung der relevanten Argumentationsformen und -funktionen tragfähig ist, kann auf dieser Basis ein Modell dafür entwickelt werden, wie sich die Argumentationsstrategien vom frühen zum späten Luther ggf. verändert haben.

2 Forschungslage und Forschungshypothesen

Die analytische Sprachphilosophie hat zweifellos das 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt. Dabei wurde der Blick in erster Linie auf formallogisch gültige Schlussverfahren in Argumentationen gelegt. Zentrale Schlussverfahren sind dabei der modus ponens, der modus tollens, die Widerspruchsfreiheit in der Argumentation (Satz vom ausgeschlossenen Dritten/tertium non datur) und andere Verfahren, bei denen es in erster Linie darum geht, die formallogische Gültigkeit des Schließens von akzeptierten Prämissen auf die jeweiligen Konklusionen zu untersuchen. Dieser Blick auf Argumentationen ist zweifellos unerlässlich, da er es ermöglicht, logisch gültige Schlüsse klar zu unterscheiden von Fehlschlüssen bzw. Trugschlüssen (fallacies1) in ihren verschiedenen Formen. Er hat zudem einen festen Platz im Curriculum der Philosophie.2 Mittlerweile hat sich dieser Blick jedoch erweitert: Zu den formallogisch gültigen Schlüssen in Argumentationen treten nun die plausiblen, korrekten, vertretbaren Schlüsse hinzu, deren Basis nicht mehr die formale Logik allein ist, sondern für die eine „informelle Logik“3, eine „Alltagslogik“4 relevant zu sein scheint. Diese Argumentationsformen sind für die realen Argumentationen höchst relevant und können nicht länger ignoriert werden.
Diese Wende in der Argumentationsanalyse beginnt mit den einflussreichen Werken von Perelman & Olbrechts-Tyteca und Toulmin; sie wurde dann seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in vielfältiger Weise fortgeführt, z. B. im deutschsprachigen Raum von Manfred Kienpointner.5 Sie heben darauf ab, erstens, dass die Diskreditierung der rhetorischen Stilmittel als bloßer Schmuck der Rede ihrer tatsächlichen Funktion in Argumentationen nicht gerecht wird und zweitens, dass die Erfassung der Wirksamkeit von Argumentationen bei einer Reduktion auf die formallogisch gültigen Schlussverfahren wichtige Aspekte der tatsächlichen Argumentation ausblendet. In den Worten von Thomas Niehr:
Der in der argumentationsanalytischen Tradition seit Toulmin verwendete Begriff (argumentieren) hat hingegen eine weitere Bedeutung. Hier wird gerade darauf abgehoben, dass eine streng syllogistische, deduktive Argumentation, die eher zur Überprüfung vorliegender Schlüsse als zum Erkenntnisgewinn beitragen kann, nicht als Maßstab für reale Alltagsargumentationen taugt. Konstitutiv für eine Argumentation ist demnach weniger ihre Form als ein inhaltliches Kriterium: der Anspruch des Argumentierenden, etwas Strittiges bzw. für strittig Gehaltenes zu untermauern, zu stützen.
(Niehr 2017: 167)
In die neueren Standardwerke zur Argumentationsanalyse ist diese Erkenntnis eingegangen; sie versuchen allesamt – mehr oder weniger ausführlich – die vormals eher ignorierten rhetorischen Stilmittel im Rahmen der Argumentationsanalyse zu berücksichtigen.6
Diese Skizze der Neuausrichtung der Argumentationstheorie ist selbstredend lückenhaft und ungenügend. Es kann an dieser Stelle auch nicht ansatzweise nachvollzogen werden, wie und in welchen verschiedenen Ausprägungen sich die Argumentationstheorie seit den 70er Jahren weiterentwickelt hat.7 Wichtig im Kontext der vorliegenden Studie ist lediglich, dass die Erweiterung des Spektrums in der Argumentationsanalyse gerade für den Bereich relevant ist, der bislang im Rahmen der linguistischen Diskursanalyse behandelt wurde.8
Das Grundanliegen jeglicher Argumentation besteht in der Absicht, die jeweiligen Adressaten von der eigenen Position zu überzeugen (im besten Fall) oder zumindest zur eigenen Position zu überreden, und die eigene Position zu rechtfertigen. Um diese Ziele zu erreichen, werden viele verschiedene Techniken eingesetzt, die sowohl formallogisch gültige als auch lediglich plausible alltagslogische Schlüsse umfassen. Diese Vielfalt an Techniken kann in einem übergeordneten Sinn in zwei Verfahren zusammengefasst werden. Zum einen geht es in Argumentationen darum, Übereinstimmungen aufzuzeigen oder argumentativ herzustellen, die vorher nicht in dieser Weise erkennbar waren. Dabei soll scheinbar Unvereinbares als gleich oder ähnlich ausgewiesen, Konzepte miteinander in Verbindung gebracht werden, die auf den ersten Blick als nicht verbindbar erscheinen mögen, und mit bestimmten Argumentationsmustern Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen bei einzelnen Teilen der strittigen Fragen, des umstrittenen Konzepts etc. hergestellt werden. Auf der anderen Seite geht es in Argumentationen aber auch darum, Unterschiede aufzuzeigen, die nicht auf den ersten Blick als solche ins Auge fallen. Gerade in der Abgrenzung von gegnerischen Positionen ist dieses Verfahren relevant. Dabei werden z. B. Inkonsistenzen in der gegnerischen Argumentation aufgedeckt, Unstimmigkeiten in Begriffsdefinitionen erörtert und die häufig polarisierende Abgrenzung der eigenen von der gegnerischen Argumentation erläutert. Perelman & Olbrechts-Tyteca nennen diese beiden Verfahren „association“ und „dissociation“:
The schemes we shall try to examine – which can also be considered as loci of argumentation because only agreement on their validity can justify their application to particular cases – are charaterized by processes of association and dissociation.
By processes of association we understand schemes which bring separate elements together and allow us to establish a unity among them, which aims either at organizing them or at evaluating them, positively or negatively, by means of one another. By processes of dissociation, we mean techniques of separation which have the purpose of dissociating, separating, disuniting elements which are regarded as forming a whole or at least a unified group within some system of thought: dissociation modifies such a system by modifying certain concepts which make up its essential parts.
(Perelman & Olbrechts-Tyteca 1971: 190)
Erwartungsgemäß sind in der hier behandelten Streitschrift Luthers diejenigen Argumentationsmuster, die dem Zweck der Dissoziation dienen, häufiger, geht es doch primär darum, den Gegner zu diskreditieren und seine argumentative Position zu widerlegen. Aber auch Argumentationsmuster zur Assoziation sind zu erkennen, v. a. in den Teilen der Schrift, in denen die eigene Position erläutert wird, z. B. in Form von Interpretationen relevanter Bibelstellen (Mt. 16,18ff. ‚Du bist mein Fels‘; Joh. 21,15f. ‚Weide meine Schafe‘).
Das zweite wichtige Konzept, das aus der Arbeit von Perelman & Olbrechts-Tyteca für di...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Abbildungen
  6. Tabellen
  7. 1 Erkenntnisinteresse
  8. 2 Forschungslage und Forschungshypothesen
  9. 3 Methodik – Argumentationsanalyse auf der Basis der neuen Rhetorik
  10. 4 Der Inhalt und die Streitfragen
  11. 5 Argumentationsmuster – formal
  12. 6 Argumentationsfunktionen
  13. 7 Fazit
  14. Anhang