KLEINE FOTOSCHULE
KAPITEL 19
EQUIPMENT
Ein Plädoyer für die Kamera (und Respekt für smarte Handykameras)
Braucht man überhaupt eine Kamera, um schöne Fotos zu machen? Nicht unbedingt, aber wenn ich leidenschaftliche Hobbyfotografen danach frage, warum sie eine Kamera nutzen, obwohl Smartphones doch wahnsinnig gute Ergebnisse liefern, geben sie meist drei Antworten. Zweien davon muss ich widersprechen:
- Die Sensorgröße. Viele Fotografen sagen: »Der Sensor meiner Kamera ermöglicht mir neben einer genialen Qualität auch bei schlechten Lichtverhältnissen auch eine bessere Freistellung (»Freistellung« bedeutet: Motiv scharf, Vordergrund und Hintergrund unscharf). Das schafft ein Sensor im Smartphone nicht.« Hier muss ich persönlich widersprechen. Wenn du im Jahr 2021 etwa 1.000 € für ein Smartphone ausgibst, kannst du eines bekommen, das diese Defizite (Rauschverhalten, Freistellung) durch extrem smarte Software weitestgehend ausgleicht.
- Das halbe Kilo Glas, das in meinem Objektiv verbaut ist, passt nicht in ein Handy und daher wird die Bildqualität sowieso nie an eine Kamera mit gutem Objektiv herankommen.
Nie? Hier muss ich erneut widersprechen.
Es ist eine spannende Zeit. Zurzeit, im Sommer 2021, gibt es zwei Arten von Fotografen: Die einen, die tiefen Respekt gegenüber den Softwarelösungen für modernste Handykameras haben und gespannt abwarten, was in den nächsten Monaten noch passiert. Zu denen gehöre ich. Ich bleibe trotzdem bei der Kamera, auch wenn die Smartphones demnächst komplett aufholen, denn Bildqualität ist nicht alles. Dazu gleich mehr. Aber ich bin voller Begeisterung für das, was in den letzten Monaten passierte. Die meisten von uns dachten selbst lange Zeit: Allein weil die Hardware (großer Sensor, Objektiv mit viel Glas) nicht in ein Smartphone passt, wird es technisch unmöglich sein, an die Qualität unserer Kameras heranzureichen. Welch naiver Trugschluss. Denn was wir nicht bedacht haben, aber jetzt fasziniert beobachten können: Was an Hardware im Smartphone fehlt, kann durch smarte Software nicht nur ausgeglichen, sondern eines nahen Tages übertrumpft werden. Technisch gesehen sind unsere DSLMs und DSLRs dagegen alte, halb analoge Kisten. Völlig altbacken mit dem vielen Glas im Objektiv und dem großen Sensor – das geht doch alles auch mit Software.
Und dann gibt es noch die Fotografen, die, aus Eitelkeit vielleicht, die unglaublichen Leistungen der besten Smartphone-Kameras nicht anerkennen wollen. Sie werden sauer, wenn man nur erwähnt, dass Smartphones neuerdings ja Erstaunliches vollbringen. Sie sagen einfach: »Nein, tun sie nicht.« »Stimmt nicht.« Oder sie sind so weit, dass sie es nicht mehr leugnen können und sagen, dass sie sich dann ja direkt nach einer beruflichen Umorientierung umsehen müssen, weil dadurch ihr Beruf abgeschafft wird.
Warum ist das so? Dieses Unwohlsein bei einigen Fotografen gab es schon beim Umschwung von analogen auf digitale Kameras. Viele Fotografen fürchteten sich vor dem Wertverlust von hochwertigen Fotos. Weil dann ja plötzlich jeder tolle Fotos machen könne, nicht mehr nur der Fotograf. Aber war das am Ende wirklich so? Wenn ich mir die Fotos ansehe, die mir z. B. meine Kursteilnehmer immer vor Beginn meiner Fotokurse senden, dann liegt der Beweis in meiner Hand: Eine Kamera, die technisch gute Bildqualität erzeugen kann, ist kein Garant für ein gutes, schönes, ansprechendes Foto.
Bisher war es weiterhin so, dass richtig gute Bildqualität denen vorbehalten war, die in der Lage waren, eine DSLR oder DSLM einzustellen. Denn das Ding ist: Diese Kameras sind nicht für den Gebrauch im Automatikmodus gemacht und liefern wirklich hochwertige Ergebnisse meist nur, wenn man den Zusammenhang von Blende, Belichtungszeit und ISO versteht. Auf den ersten Blick scheint es jetzt manchen so, dass die Smartphone-Fotografie die Ausübung der Fotografie als Beruf oder ernsthaftes Hobby wesentlich entwerten. Denn wenn Smartphones nun im Automatikmodus bessere Bildqualität als Profikameras mit Einstellmöglichkeiten und gutem Objektiv ermöglichen, dann kann jetzt ja jeder, der in der Lage ist, den Auslöser auf dem Smartphone anzutippen, Bilder in top Qualität erzeugen. Wir, die in der Lage sind, eine Kamera zu bedienen, haben plötzlich nicht mehr das Alleinrecht auf technisch hochwertige Bildqualität. Das ärgert manche Fotografen.
Das ist genau die Unruhe, die aufkam, als die digitalen Spiegelreflexkameras auf dem Vormarsch waren. Gute Bildqualität ist immer einfacher zu haben und manchen gefällt dieser Fortschritt nicht. Sie wollen die gute Bildqualität für sich allein haben und sich allein dadurch abheben.
Aber seit wann macht eigentlich die technische Bildqualität ein gutes Foto aus? Kann wirklich jeder, der ein richtig gutes Smartphone hat, top Fotos schießen? Natürlich nicht!
Wie eitel wäre es denn zu glauben, dass das, was wir als Fotografen an der Kamera einstellen, nicht bald in ästhetischer Perfektion von smarter Software übernommen werden könnte?
Und wie naiv wäre es zu glauben, dass wir Kamerabediener für immer das Monopol auf Fotos mit guter Bildqualität haben? Bisher hatte Bildqualität ihren Preis. Man musste sie sich verdienen, indem man eine Kamera ein bisschen beherrschte. Jetzt gibt es Bildqualität für jeden – doch das macht nicht jeden zu einem guten Fotografen.
Gute Bildqualität ist: gute Auflösung. Wenn du das Bild z. B. für ein großes Wandbild stark vergrößerst und es immer noch toll aussieht. Gestochene Schärfe. Wenn du am Bildschirm z. B. auf das Auge reinzoomst und es eindeutig auch bei starker Vergrößerung noch gestochen scharf aussieht. Kein Rauschen. Wenn Bilder bei schlechten Lichtverhältnissen oder sogar Nachtfotos absolut klar sind und kein Rauschen über dem Bild liegt. Eventuell auch eine schöne Freistellung: Wenn der Vordergrund und der Hintergrund unscharf sind und das fotografierte Objekt (z. B. ein Gesicht) so perfekt herausgehoben wird.
Diese Punkte dürfen und können nicht das Einzige sein, was deinen Bildern Klasse verleiht. Diese Punkte machen ein Foto nicht wertvoll. Wenn du gute Fotos machst, dann sicher nicht, weil deine Kamera gute Bildqualität ermöglicht.
Es gibt noch eine dritte Antwort, die Fotografen zum Glück häufig geben, wenn man sie fragt: »Warum fotografierst du mit einer Kamera, obwohl Smartphones mittlerweile ähnlich gute Bildqualität erzeugen?«
Die dritte Antwort ist: die Haptik. Huch! Geht es am Ende bei der Wahl des richtigen Werkzeuges gar nicht nur um Bildqualität?
Eine Kamera ist zum Fotografieren gemacht und das spürt man auch. Du spürst es, wenn du sie hältst. Du spürst es an der Tatsache, dass sie (meistens) einen Sucher besitzt, durch den du schauen und alles andere ausblenden kannst. Du spürst es an der Art, wie du Einstellungen ändern kannst – alles ist nur auf Fotografieren ausgelegt. Die Kamera ist kein Multifunktionsgerät, sondern ein Werkzeug mit einem eindeutigen Zweck. Das ermöglicht dir bewusstes, achtsames Fotografieren. Das inspiriert. Allein schon der Blick durch den Sucher verändert und lenkt deine Wahrnehmung, dein bewusstes Sehen.
Es ist nicht unwesentlich, was für diesen großen Punkt »Haptik« spricht: Die ungeteilte Aufmerksamkeit, also das intensive Wahrnehmen eines Momentes, hat einen entscheidenden Einfluss auf die Spürbarkeit deines Fotos. Achtsamkeit. Ruhe.
Erlaubt dein Smartphone dir diesen Geisteszustand? Kommst du leicht in einen Z...