Alma Hannig
Franz Ferdinand
Die Biografie
Mit 31 Abbildungen
AmAltHeA
Bildnachweis
Nrn. 1, 2, 6, 10, 17, 18, 24, 26, 28: Vorlagen aus den Sammlungen des Amalthea Verlages; Nrn. 3, 4, 5: Imagno/ÖNB; Nr. 27: Imagno/ Austrian Archives; Nr. 7: Sammlung Rauch/Interfoto/picturedesk.com; Nrn. 8, 11, 12, 20, 21, 22, 23: Familienarchiv Hohenlohe; Nrn. 9, 13, 14, 15, 16, 19, 25, 29, 31: Heeresgeschichtliches Museum, Wien; Nr. 30: Wien Museum.
Umschlagabbildungen: vorne: Der Thronfolger – gut gelaunt und in Zivil – bei seiner Ankunft in London 1913, © Scherl/SZ-Photo/ picturedesk.com; hinten: © Familienarchiv Hohenlohe (im Bildteil Nrn. 16 u. 23)
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© 2013 by Amalthea Signum Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wahrstätter, vielseitig.co.at
Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger
& Karl Schaumann GmbH, Heimstetten
Gesetzt aus der 11,25/14,35 pt Minion
ISBN 978-3-85002-845-5
eISBN 978-3-902862-79-2
Gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien,
Wissenschafts- und Forschungsförderung
Inhalt
Einleitung
1. Von Habsburg zu Österreich-Este
1.1 Kindheit und Jugend von Erzherzog Franz Ferdinand
1.2 Ausbildung und Militärdienst
2. Unerwünschter Thronfolger
2.1 Weltreise
Exkurs: Jäger und Sammler
2.2 Krankheit
2.3 Die morganatische Ehe
3. Repräsentation
4. Belvedere – Aufbau einer Nebenregierung
5. Mythos trialismus – Innenpolitische Reformpläne
6. Franz Ferdinand – ein Ungarnfeind?
7. Der Thronfolger und die Parteien: persönliches Regiment versus Parlamentarismus?
8. Franz Ferdinand und die Presse
9. Das Verhältnis des Erzherzogs zur katholischen Kirche
10. Franz Ferdinand – ein Akteur der Außenpolitik
10.1 Franz Ferdinand und der Ballhausplatz
10.2 Franz Ferdinand und die Diplomaten
10.3 Monarchensolidarität über alles? Außenpolitische Pläne des Thronfolgers
11. Franz Ferdinand – ein Friedensfürst?
12. Die »Chronik eines angekündigten todes«?
12.1 Das Attentat
12.2 Reaktionen auf den Tod des Thronfolgerpaares
12.3 Ein Begräbnis »dritter Klasse«
12.4 »Macht man Krieg wegen eines Attentats?«
12.5 Die weltpolitischen Folgen des Attentats – Die Julikrise 1914
12.6 »An Meine Völker!« – Vom lokalen Konflikt zum Weltkrieg
13. »Eine Sphinx«? Das zeitgenössische Bild des Thronfolgers
14. »Er war kein Grüßer« – Das Nachleben Franz Ferdinands
14.1 Das Bild des Thronfolgers in der österreichischen Geschichte und Historiografie
14.2 Das Bild des Thronfolgers in der Kunst
14.3 Franz Ferdinand als literarische Figur
14.4 Franz Ferdinand im Film
Fazit
Danksagung
Quellen und Literaturverzeichnis
Ungedruckte Quellen
Zeitungen
Gedruckte Quellen
Literatur
Anmerkungen
Personenregister
Einleitung
Als am 28. Juni 1914 Erzherzog Franz Ferdinand, der Thronfolger der Habsburgermonarchie, in Sarajevo erschossen wurde, waren die Menschen in Wien, Berlin, Paris, London und St. Petersburg gerade auf dem Weg in die Sommerfrische. Der Sommer 1914 war ein ungewöhnlich schöner. Den Tag selbst beschrieb Stefan Zweig folgendermaßen: »Der Tag war lind; wolkenlos stand der Himmel über den breiten Kastanienbäumen, und es war ein rechter Tag des Glücklichseins.«1
Die bekannten Bilder des österreichisch-ungarischen Thronfolgerpaares, die kurz vor dessen Tod in Sarajevo aufgenommen wurden, vermitteln auf den ersten Blick den Eindruck einer angenehmen Atmosphäre an einem warmen, sonnigen Sonntag. Franz Ferdinand und Sophie von Hohenberg waren in der Tat erleichtert, dass die Reise nach Bosnien bis dahin erfolgreich und ohne Zwischenfälle verlaufen war; sie waren über den herzlichen Empfang der Bevölkerung erfreut, und der Thronfolger war mit dem Verlauf der Manöverübungen zufrieden. Ihnen stand jedoch eine Automobilfahrt durch die Stadt bevor, die gewisse Risiken in sich barg. Die Bevölkerung Bosniens wollte in der fahnengeschmückten Stadt dem Thronfolgerpaar die Monarchietreue erweisen und versammelte sich massenweise entlang der angekündigten Route. Trotz aller Attentatswarnungen aus Wien verließ sich Franz Ferdinand auf die Einschätzung des Landeschefs Oskar Potiorek, der vom Einsatz des Militärs beziehungsweise von besonderen Sicherheitsmaßnahmen abriet. Man wollte schließlich Volksnähe demonstrieren. Die letzten Aufnahmen, die circa eine Viertelstunde vor dem tödlichen Attentat gemacht wurden, zeigen ein Paar, das zwar pflichtgemäß lächelt, in erster Linie aber beunruhigt wirkt. In der Zwischenzeit hatte sich bereits ein erstes Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand ereignet, das zwar misslang, aber zwei Begleiter aus seiner Kolonne verletzte. Wenig später erfolgte das zweite Attentat, das durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen sowohl für den Thronfolger als auch für seine Frau tödlich endete.
Zur gleichen Zeit genossen die Bewohner der restlichen Monarchie den strahlenden Sonnenschein. Der bevorstehende Feiertag Peter und Paul und das dadurch entstandene verlängerte Wochenende lockten viele von ihnen aufs Land, in die Parkanlagen oder in die nahe gelegenen Badeorte. Kaiser Franz Joseph hielt sich in Bad Ischl auf, Außenminister Berchtold auf seinem Schloss in Südmähren. Zahlreiche andere Diplomaten, Politiker und Militärs waren ebenfalls auf ihren Landsitzen. Im Außenministerium am Wiener Ballhauplatz hielten sich lediglich zwei diensthabende Beamte auf.
Als gegen Mittag die Nachricht vom tödlichen Attentat in Wien eintraf, liefen die Telefonleitungen heiß. Man versuchte, alle wichtigen Persönlichkeiten zu erreichen und sich über die neuesten Informationen auszutauschen. Der österreichische Politiker Joseph Redlich hielt dies in seinem Tagebuch fest: »Um 2 Uhr 10 Minuten rief mich Ganz an und sagte: Der Erzherzog Franz Ferdinand und die Herzogin von Hohenberg sind beide tot, beide von einem serbischen Studenten mit einer Browningpistole erschossen. […] Ich teilte diese furchtbare Nachricht Hans und Fräulein Irma mit, dann rief ich Marienbad an, bekam in fünf Minuten Fritz und berichtete es ihm. Fünf Minuten später erzählte ich die grauenhafte Nachricht Paul in Altaussee, teilte es dann telephonisch Willy Schlesinger und Baronin Schwartzenau mit, telegraphierte es Lützow, Baernreither, Leopoldine von Passavant. […] Berchtold ist bisher nicht aufzufinden gewesen. Er ist gestern abend nach Buchlau gereist, soll auf der Jagd sein. In Buchlau wird das Telephon am Sonntag um 12 Uhr gesperrt!«2 Außenminister Berchtold war tatsächlich zunächst auf einer Entenjagd und anschließend bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Buchlau.
Die meisten, die vom Tod des Thronfolgers erfuhren, begaben sich mit dem Zug sofort nach Wien zurück und erschienen bereits am Abend bei ihren Dienststellen. Der Kaiser traf am Morgen des 29. Juni in Schönbrunn ein, wo Obersthofmeister Alfred Montenuovo bereits das Zeremoniell für die Leichenfeier vorbereitete.
Währenddessen spielten sich in Sarajevo krawallartige Szenen ab. Nachdem sich die Nachricht in der Stadt verbreitet hatte, dass die beiden Attentäter bosnische Serben waren, wurden die Häuser und Ladenlokale der serbischen Bevölkerung verwüstet und auch Menschen angegriffen. Die beiden Toten wurden in zwei Särgen im Rathaus aufgebahrt und am nächsten Tag zur Bahn geleitet. Dreißig Tage später erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg; durch die Intervention der anderen Großmächte entwickelte sich daraus die »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts: der Erste Weltkrieg.
Für viele Menschen wurde mit dem Tod des Thronfolgers die Hoffnung auf innenpolitische Reformen, die Stabilisierung der Doppelmonarchie, eine Änderung des außenpolitischen Kurses und die Erhaltung des Friedens in Europa begraben. Während seine Anhänger unter dem Schock der Todesnachricht jede Hoffnung auf eine friedliche »Auferstehung« der Monarchie verloren und tendenziell zum Krieg rieten, überwog in der direkten Umgebung des Kaisers sowie in breiten Teilen der Öffentlichkeit eine gewisse Gleichgültigkeit, wenn nicht gar Erleichterung darüber, dass der Monarchie Franz Ferdinand als Herrscher »erspart« geblieben sei. Nicht nur die ungarische Reichshälfte, sondern auch Regierungen und Öffentlichkeiten anderer Staaten wie beispielsweise Italiens betrachteten den Tod des Thronfolgers als eine durchaus glückliche Schicksalsfügung. Nach dem Ersten Weltkrieg mehrten sich jedoch die Stimmen in Mitteleuropa, die behaupteten, dass erst der Tod des Thronfolgers einen Krieg möglich gemacht hatte, da die »Taube« Franz Ferdinand als Gegengewicht zu den »Falken« in Wien fehlte.
Liest man Biografien über Franz Ferdinand und die bisher erschienene Literatur zur Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges, findet man stets die gleichen Topoi: auf der einen Seite der ewige Thronfolger, der unbeliebte Neffe des Kaisers, der zwar Zukunftspläne entwirft, aber nie zum Zuge kommt und an seiner Machtlosigkeit und Untätigkeit gegenüber Franz Joseph verzweifelt. Auf der anderen Seite ist von einer »Nebenregierung« im Belvedere, dem Wiener Sitz des Erzherzogs, die Rede, die Politiker und Minister vor die schwere Wahl stellte, sich auf die Seite des alten Kaisers oder diejenige des Thronfolgers, also des künftigen Herrschers, zu schlagen. Laut Tschirschky, dem damaligen deutschen Botschafter in Wien, war »die Hand des Erzherzogs […] überall, nicht nur in der Armee und der Flotte, sondern in jedem Ministerium, auf jeder Statthalterei und in den auswärtigen Vertretungen zu spüren«.3
Dieses offensichtliche Paradoxon – Machtlosigkeit versus »Nebenregierung« – wird von zahlreichen Autoren weiter tradiert, ohne es als solches zu thematisieren oder aufzulösen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Biografie an und stellt mithilfe neuer Quellen und Fragestellungen viele der fest etablierten Meinungen und Mythen über Franz Ferdinand infrage.
Nach dem Tod des Kronprinzen Rudolf im Jahr 1889 wurde Erzherzog Franz Ferdinand – damals 25 Jahre alt – zum ersten Mal als möglicher Thronfolger genannt. Erst 1898, nach dem Tod seines Vaters, Erzherzog Carl Ludwig, und der eigenen Genesung nach einer langjährigen Krankheit wurde Franz Ferdinand im Alter von 34 Jahren offiziell Thronfolger. Durch die späte Ernennung hatte er keine Monarchenerziehung genossen. Wie die meisten Erzherzöge wurde er militärisch ausgebildet, was ihn nur bedingt auf das künftige Herrscheramt vorbereitet hatte. Es stellt sich also die Frage, welche Schritte unternommen wurden, um dieses Defizit später auszugleichen. Wie hat sich der Erzherzog selbst im Laufe der Jahre auf den Thronwechsel vorbereitet und wer hat ihn dabei unterstützt? Welche Art der Politik entsprach seinen Vorstellungen? Sollten seine Pläne zur Umgestaltung der Monarchie zu einem trialistischen, zentralistischen oder doch einem föderativen Staat, den »Vereinigten Staaten von Österreich«, führen? War Franz Ferdinand tatsächlich der »Friedensfürst«, von dem so viele Zeitzeugen und Biografen berichten? Welchen Einfluss hat er auf die politischen und militärischen Entwicklungen in der Doppelmonarchie tatsächlich genommen? Dies sind nur einige Fragen, die im Folgenden behandelt werden und deren Beantwortung die Person des Erzherzogs und dessen Wirken in Österreich-Ungarn in einem neuen Licht erscheinen lassen.
Der gewählte Ansatz einer politischen Biografie soll die private Seite des Erzherzogs Franz Ferdinand keineswegs ausblenden. Seine persönliche Situation – die lange Krankheit, die unstandesgemäße und damals für einen Erzherzog eher untypische Liebesheirat, sein schwieriger Charakter – spielt eine wichtige Rolle, wenn es um die Beurteilung seiner Thronfolgertätigkeit geht und wird deshalb in den Anfangskapiteln vorgestellt. Franz Ferdinands fast legendäres Misstrauen gegenüber den meisten Menschen lässt sich beispielsweise aus dem Umgang der Hofkreise mit seiner Krankheit erklären. Das gespannte Verhältnis zu Kaiser Franz Joseph ist größtenteils auf Enttäuschung und Verärgerung des Kaisers über die morganatische Ehe seines Neffen zurückzuführen. Umgekehrt kränkte Franz Ferdinand der Eid, den er im Vorfeld der Hochzeit leisten musste, dass seine Kinder keinen Anspruch auf den Thron haben würden. Auch später sollten Rangfragen bezüglich seiner Ehefrau immer wieder die Ausübung seiner Aufgaben und Pflichten als Thronfolger beeinträchtigen.
Ein Aspekt, der bisher wenig Beachtung in der Literatur fand, ist die für einen Thronfolger höchst ungewöhnliche Weltreise, die Franz Ferdinand 1892/93 unternommen hatte. Sie prägte nicht nur sein Weltbild, sondern ermöglichte ihm den Einblick in unterschiedliche Kulturen und Staaten. Trotz der zahlreichen Jagdausflüge und anderer Unternehmungen, die in diesem Zusammenhang stets genannt werden, handelte es sich hierbei letztlich um eine wichtige Bildungsreise. Einige Zeitgenossen behaupteten beispielsweise, dass der Erzherzog die Idee einer föderalistischen Staatsform für die Donaumonarchie vor allem seit seinem Besuch der USA verfolgt habe. Auch hier gilt es, die tatsächliche Bedeutung dieser Reise für sein politisches Denken genau zu untersuchen.
Die ersten wichtigen Aufgaben, die er als Thronfolger absolvierte, waren Reisen und Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen der anderen europäischen Königshöfe als Begleiter oder als Vertreter Kaiser Franz Josephs. Der regelmäßige Kontakt zu den Monarchen anderer Staaten sowie die damit verbundene Beschäftigung mit der politischen und militärischen Lage in Europa führten zu einer Horizonterweiterung und einigen Korrekturen des erzherzoglichen Weltbildes. Sein durch die Erziehung geprägtes Deutschland- und Englandbild wandelte sich stark im Laufe der Zeit, wohingegen sein Verhältnis zu Russland von einer erstaunlichen Kontinuität gekennzeichnet war. Die einzelnen Etappen dieser Entwicklung, die entscheidenden Zäsuren und die Beweggründe des Thronfolgers werden hier ebenso thematisiert wie sein persönliches Verhältnis zu den jeweiligen Monarchen. Von diesen ist bisher lediglich sein Verhältnis zum deutschen Kaiser Wilhelm II. untersucht worden, wobei die meisten Autoren die Gemeinsamkeiten betonten und die Unterschiede ignorierten. Die gemeinsamen Interessen für die Jagd, Marine oder Kunst mögen zwar zu einer Verbesserung des persönlichen Verhältnisses beigetragen haben, sie haben aber niemals die Unterschiede in den politischen Ansichten zu überdecken vermocht. Das vorliegende Buch hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die bisherige Überbetonung des privaten Moments in den Beziehungen des Thronfolgers zu den Souveränen anderer Staaten und deren Bedeutung für Franz Ferdinands politisches Denken und Handeln kritisch zu hinterfragen. Denn auch seine negative Einstellung zu Italien, Bulgarien oder Serbien lässt sich sicher nicht nur mit seinen persönlichen Antipathien gegenüber den dortigen Herrschern erklären, sondern basierte nicht zuletzt auf nüchternen machtpolitischen Überlegungen.
Was innenpolitische Themen anbelangt, wird es neben den Reformplänen und seinem Umgang mit den politischen Parteien vor allem um Franz Ferdinands Verhältnis zu den Ungarn gehen, welches in der Literatur als ausgesprochen feindlich beschrieben wird, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass der Thronfolger zwischen den monarchietreuen und den nach Autonomie strebenden Ungarn klar unterschied.
An vielen Stellen fehlt es in der Franz-Ferdinand-Forschung an der notwendigen historischen Differenzierung, so auch im Falle der katholischen Kirche. Der Erzherzog galt zeit seines Lebens als bigott und unterstützte einige Anliegen der Kirche, die teilweise für zusätzlichen Zündstoff in der Nationalitätenfrage sorgten. Die Erklärung, dass er dies aufgrund seiner extremen Religiosität tat, greift zu kurz. Bei genauer Betra...