Could it have been anybody?
| “The originality of that band continues to dumbfound me. I don´t know where they were drawing from, but it was such a magnificently original place.”2 | Die Originalität dieser Band macht mich immer wieder sprachlos. Ich weiß nicht, wo die Quelle ihrer Einfälle war, aber es war ein wundervoller Ort voller Schöpfungskraft. |
Eine Antwort auf diese Frage findet man bei den Beatles selbst, nämlich in der Zeile aus „Hey Jude“: „Let it out / and let it in“. Let it out bedeutet: man muss auf seine eigenen Ressourcen und Talente zurückgreifen können, bereit sein, sich zu öffnen und eigene Begabungen Anderen zu vermitteln. And let it in erfordert die Bereitschaft, mit offenen Augen in seiner Umwelt Elemente zu entdecken, die die eigenen Anlagen stützen und fördern können, um solche Inspirationen dann im Kreislauf des neuerlichen Let it out kreativ zu verarbeiten. Then you can start to make it: daraus kann ein vielversprechender Schaffensprozess folgen. To make it better: in letzter Instanz wäre es nicht nur möglich, irgendetwas zu erschaffen. Vielleicht gelänge es, über den Satus Quo hinauszugehen und neue Einsichten zu ermöglichen. Das wäre dann Kunst. Denn damit das Produkt Kunst werden kann, braucht es ein innovatives Element. Kunst beeinflusst den Wahrnehmungsprozess des Betrachters (oder Zuhörers), eröffnet idealerweise neue Horizonte, verändert schließlich die Welt.
Dies sind Ansatzpunkte um die Frage von oben zu beantworten, warum die Produkte dieser Band ihre Zuhörer so sprachlos machten, worin ihre Originalität liegt, was die Kunst der Verführung ausmachte. Und wie es gelang, aus Pop Kunst zu machen.
Damit verbunden ist eine zweite oft gestellte Frage:
| „Could it have been anybody, really? ... If it had not been the Beatles, would it have been something else, the same but different, because circumstances, and television, and a new kind of audience, demanded it”?3 | Hätte es tatsächlich jemand anderes sein können? … Wenn es nicht die Beatles gewesen wären, wären es andere gewesen, genau so, nur eben anders, weil die Zeitumstände und das Fernsehen und ein neues Publikum es einfach so verlangten? |
Wohl kaum. Dafür haben die Beatles zu sehr agiert – und nicht nur re-agiert auf Publikum und Medien. Für diese Meinung gibt es Unterstützung von sehr prominenter Seite. Steve Jobs hat gesagt: "Somebody else could have replicated the Stones. Nobody could have been Dylan or the Beatles."4 (Andere hätten die Stones kopieren können. Keiner hätte Dylan oder die Beatles sein können.)
Sicherlich gehören zu einer so außergewöhnlichen Karriere wie die der Beatles die zwei Komponenten Talent und Glück. Ohne Talent (Let it out) könnten Melodien wie Yesterday, Hey Jude, Let it be etc. nicht entstanden sein. Und es gab auch glückliche Zufälle, die das Entstehen des Phänomens „Beatles“ begleiteten. Dazu gehört natürlich, dass diese vier Charaktere – und besonders das Gespann Lennon / McCartney – sich überhaupt begegneten. Dazu gehört auch – von ähnlicher Wichtigkeit – dass die Vier dem kongenialen Produzenten George Martin über den Weg gelaufen sind. Aber Glück allein reicht nicht, man muss das Glück auch ergreifen/begreifen, wenn es einem über den Weg läuft (Let it in). Das zeigt die Eingangsszene aus Forrest Gump.
Die Feder, das Glück, ist etwas Wertvolles, das der Himmel geschickt hat, dessen Weg nicht vorhersehbar ist. Die Feder streift Menschen, landet auf deren Autos, ohne dass diese etwas bemerken. Sie lassen sie achtlos weiter schweben. Nur Forrest Gump sieht in ihr etwas – im wahrsten Sinn – Bemerkenswertes.
John Lennon hatte das Glück, Paul McCartney zu begegnen – und er hat das Glück beim Schopf gepackt. Er hat selbst das Dilemma beschrieben, vor dem er stand: ohne Paul als alleiniger Kopf seiner Band Quarrymen weiter zu machen oder Paul als ebenbürtigen Partner in die Gruppe zu lassen, um die Band zu stärken.
Die Beatles hatten das Glück, auf die große Reise nach Hamburg gehen zu können. Andere Gruppen vor/mit/nach ihnen sind nach ein paar Wochen oder Monaten nach England zurückgekehrt, ohne dass sich etwas Wesentliches verändert hätte. Die Beatles haben die Chance genutzt, ihren Horizont nicht nur geographisch zu erweitern. Sie haben Anregungen aufgenommen, die sie erst zu den Beatles machten, die wir heute kennen.
Bei ihrem zweiten Film Help hatte jemand zufällig ein paar indische Musiker als Gag in das Script geschrieben. Für die Beatles wurde das ein Ausgangspunkt für ganz neue Soundexperimente mit Klangbildern einer – für sie bis dahin – eher fremden Kultur.
Man könnte diese Aufzählung fortsetzen mit Namen wie Dylan, Magritte, Stockhausen und vielen anderen, aber diese werden zur passenden Zeit in den folgenden Kapiteln sowieso auftauchen.
Talent und Glück zu haben genügt jedoch nicht, um Kunst zu schaffen. Es gibt zu jeder Zeit Musiker, die das Talent haben, schöne Melodien zu schreiben. Mir gefällt „Paint it Black“ (der erste Stones-Song mit Sitar) besser als „Norwegian Wood“ (der erste Beatles-Song mit Sitar).5 Aber leider ist „Paint it Black“ keine Kunst mehr, dafür kam der Song ganz einfach zu spät. Ein wesentliches Merkmal für Kunst ist nämlich die Innovation, dass man zum ersten Mal etwas wagt und tut. Nur so ermöglicht man es seinen Mitmenschen, neue Erfahrungen zu machen, die Welt neu oder anders zu sehen, mit alten Gewohnheiten zu brechen. Es gibt auch heute Maler, denen es gelingt, handwerklich hervorragende Bilder im Stil des Impressionismus herzustellen. Der Künstler aber bleibt Monet, die anderen sind nur noch Nachahmer.
Das ist die Tragik der meisten Bands und Musiker, die Zeitgenossen der Beatles waren. Ihnen erging es so wie dem „Helden“ im Song von Mac Davis „Rock 'n' Roll (I Gave You the Best Years of My Life)”: I was always just one step behind you.
I bought all the Beatles records, sounded just like Paul …
I watched them all on TV, making every move they made.
Rock'n'Roll I gave you all the best years of my life …
But you were changing your direction and I never even knew
That I was always just one step behind you.
Die Kunst und damit die künstlerische und gesellschaftliche Wirkung der Beatles ist also nur zu erklären, wenn man beleuchtet, was in ihnen steckte und welche äußeren Einflüsse sie bereit waren, auf sich einwirken zu lassen. Das ist der Prozess des „let it out – and let it in“, der für die Beatles und ihre Stellung als Künstler entscheidend ist.
Dabei ist es gar nicht so einfach, die Kunst im Beatles-Pop zu erkennen. Das hat unterschiedliche Gründe. Wenn man die Kunst der Beatles beschreiben will, ist ein großes Problem für die Analyse, dass ihre künstlerischen Vorgehensweisen oft sehr subtil und genial einfach sind. Dadurch kann es leicht passieren, dass man den Kunstcharakter der Werke schlicht übersieht.6
| It's easy to become so used to these songs that you can no longer hear or appreciate them and they become something that's always been there. Like great buildings of a city that no one even bothers look up at any more”.7 | Man gewöhnt sich an diese Lieder so leicht, dass man sie gar nicht mehr hören oder wertschätzen kann, und sie werden zu etwas, das immer schon da war. Wie bedeutende Gebäude in einer Stadt, zu denen sich keiner mehr umdreht. |
Da zeigen sich klare Parallelen zu Künstlern wie Monet. Drucke von Monets Bildern werden in allen Kaufhäusern und Postershops verramscht, Beatlesmusik dudelt im Supermarkt. Hier hat eine „sanfte Revolution“ stattgefunden, die durchaus positive Aspekte hat: Die Kunst dieser Künstler ist gesellschaftsfähig geworden, wir haben die uns angebotene Bewusstseinsänderung a...