II. Kirche suchen
»Und die verlierbaren Lebenden und die unverlierbaren Toten dir das Brot brechen und den Wein reichen – und du ihre Stimmen wieder hörst – ganz nahe an deinem Herzen.«
Hilde Domin
Vom Festhalten und Loslassen oder »Wir wollen drei Hütten bauen« (Mk 9,2–10)
Ach, du dummer Petrus.
Drei Hütten? Nicht dein Ernst?
Dein Sekundenglück hat dich wohl in Versuchung geführt.
Auf dem nächsten Berg werden nicht drei Hütten, sondern drei Kreuze stehen.
Jetzt willst du dich festlegen, und dann lässt du deiner Scham und Angst freien Lauf.
Ach, du dummer Petrus.
Wann verstehst du endlich, dass Glauben nichts mit Festhalten zu tun hat?
Und dass die fließende Liebe dich genauso tragen kann?
Und Gott dir nahe ist und sich sogar vor dir niederkniet
und du nicht einmal im Ansatz checkst, was das alles bedeuten könnte?
Ach, du dummer Petrus.
Felsenfest verstrickt in der Starrheit zwischen dem, was du kennst und willst, musst du noch viel lernen über Vertrauen und Veränderung und Liebe.
Aber gerade du bist mein allerliebster und allerähnlichster Begleiter, den ich mir in meinem genauso zu voreiligen Schlüssen neigenden Leben nur vorstellen kann.
Ach, du dummer Petrus.
Komm, gehen wir einfach ein Stück gemeinsam
durch Sekundenglücksmomente und Heidenängste,
Gipfelhöhepunkte und Seeuntergänge, und lernen ein wenig voneinander und miteinander, was wir alles nicht festhalten müssen und trotzdem haben!
Über Sinn und Unsinn von Kirche
Was, glauben Sie, denken die meisten Menschen, wenn Sie an die katholische Kirche denken?
Ich erlebe leider, dass sehr viele Leute, mit denen ich rede, egal, ob jung oder alt, ob in unserer Kirche oder außerhalb, meistens die gleichen klassischen Themen zur Sprache bringen: die Sache mit dem Zölibat, die Frage nach einer Verheutigung der Sexualmoral, den Umgang mit geschiedenen Wiederverheirateten, die Missbrauchsskandale, die Rolle der Frau in der Kirche und vielleicht noch Ökumene.
Ich gebe zu, vielleicht beschäftige ich mich auch allzu oft mit diesen Themen, und ich gebe zu, manchmal werde ich dann auch ein wenig müde, wieder und wieder und wieder darüber zu reden und zu diskutieren. Auch wenn es sicherlich notwendig ist.
Natürlich nervt mich da auch vieles, und sicherlich sollte man an der einen oder anderen Stelle endlich etwas ändern, aber ganz ehrlich:
Wissen Sie, was mich am meisten aufgeregt und beschäftigt und auch schmerzt?
Dass wir uns manchmal nur mit diesen Dingen beschäftigen.
Im Zentrum unseres Glaubens geht es doch erst einmal darum, dass die ganze Schöpfung gut war und ist so, wie sie ist, es geht um Befreiung und die Fülle des Lebens,
und vor allem geht es darum, dass Jesus auferstanden ist und lebt,
dass Gott uns nicht alleine lässt, weder im Leben noch im Tod, dass wir keine Angst haben müssen, weder vor dem Leben noch vor dem Tod.
Ist es nicht fatal, dass unfassbar viele Menschen unsere Kirche nicht zuallererst mit unserer eigentlichen Botschaft in Verbindung bringen?
Vielleicht denken manche von Ihnen jetzt:
Na, wir sind doch selbst schuld, wenn man all die angesprochenen Dinge nicht endlich mal löst. Ist ja kein Wunder, dass man uns so wahrnimmt.
Diese Einstellung finde ich schwierig:
Denn wenn wir in die Kirchengeschichte schauen, dann hat die Kirche von Anfang an um viele Fragen gerungen.
Um Fragen des Glaubens und Fragen des richtigen Lebens. Es gab nie eine Zeit, in der alle Fragen und Probleme gelöst waren.
Und ganz ehrlich: Wer von Ihnen ist so naiv zu glauben, dass, wenn wir all diese großen Fragen auf einen Schlag lösen könnten, die Kirchen wieder voll wären und alle plötzlich nur noch an die Auferstehung dächten, wenn sie an unsere Kirche denken.
Eines, glaube ich, ist wichtig bei all unseren offenen Fragen: In 2000 Jahren Kirchengeschichte wurden Lösungen und Kompromisse am besten gefunden, wenn von vorneweg klar war, dass man eine gemeinsame Basis hat.
Und darum bitte ich Sie, trotz all dem, was Sie manchmal nervt und aufregt an unserer Kirche:
Vergessen Sie niemals unsere gemeinsame Basis. Das, warum wir überhaupt Kirche sind: nämlich das Leben zu feiern und die Freiheit und die Liebe in der Beziehung zu Jesus Christus.
Über die Grenze der Kirchentür, die keine Grenze ist
Autobahnkapelle an der A 96.
Ein kleines und wunderbares Konzert einer Sommerakademie.
Die letzte Violinistin des Abends sagte, dass sie nun ein Stück von Paganini zum Besten gebe, auch wenn dies vielleicht nicht in eine Kirche passe.
Diese Aussage hat mich doch sehr nachdenklich gestimmt. Erst einmal ist es doch einfach Musik.
Profan vielleicht, nicht sakral, aber es ist und bleibt, jenseits der Legenden um den »Teufelsgeiger«, erst einmal Musik, die mich berührt oder auch nicht.
Manche kennen mein Credo in diesem Bereich: Ich kann nicht erzwingen, dass jemand religiöse Gefühle bekommt, wenn er Bach hört, und sie genauso wenig verhindern, wenn sie Paganini oder AC/DC hört.
Wenn es mich persönlich berührt, hat es mit meinem Leben zu tun, und wenn es mit meinen Leben zu tun hat, dann hat es auch seinen Ort in der Kirche!
Oft fragen Angehörige eines Verstorbenen mich vorsichtig, ob dieses oder jenes Musikstück (meist Volksmusik oder Popsongs) zu einer Beerdigung passen würde.
Meine Standardantwort:
Wenn Sie und/oder der Verstorbene eine Verbindung zu diesem Lied haben, dann ist es passend, ja mehr noch: Dann ist es genau das richtige!
Wie kommen wir auf die Idee, dass manche Dinge für die Kirche zu profan und zu gewöhnlich seien?
Ist das nicht genau das, was die Leute im Evangelium Jesus auch einmal vorwerfen?
»Sie sagten: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen?« (Joh 6,42).
Er ist zu normal und profan für ihre Vorstellung von Gott, der (oder die) doch weit weg sein muss, erhaben, besonders, absonderlich, abgehoben und unerreichbar.
Tja, Menschwerdung: Note 6.
Nichts verstanden.
Klar, Kirche ist voller Traditionen und Vorstellungen, ist Kulturträgerin, aber mitten darin ist sie in erster Linie Lebensträgerin.
Oft schon zitiert und immer noch wahr:
»Freude und Hoffnung, Trauer und Ang...