Kirche, die über den Jordan geht
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Kirche, die über den Jordan geht

Expeditionen ins Land der Verheißung

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Kirche, die über den Jordan geht

Expeditionen ins Land der Verheißung

Über dieses Buch

Kirche, die über den Jordan geht. Der Titel klingt doppeldeutig, beschreibt aber eine eindeutige Richtung: Das Volk Israel, das aus der Sklaverei in Ägypten aufgebrochen ist in das verheißene Land, findet sich in der Wüste wieder. Zweifel, Murren, rückwärtsgewandte Sehnsucht behindern den weiteren Weg Gottes mit seinem Volk. Die Situation unserer Kirche ähnelt dem biblischen Szenario. Der Exodus liegt hinter uns, unser Ort ist die Wüste. Wie geht es weiter? Wie in der biblischen Erzählung gibt es auch heute Kundschafter, die von Expeditionen ins verheißene Land berichten können. Die ersten Früchte und Erfahrungen einer neuen Kirchengestalt werden sichtbar. In Konturen wird die Zukunft erkennbar, in die Gott uns führen will. Dieses Buch lädt ein, der Führung Gottes zu vertrauen, also: aus der Wüste aufzubrechen, den Jordan zu überschreiten und den Einzug in das noch weithin unbekannte Land der Verheißung zu wagen. 5. Auflage. Mit einem neuen Vorwort von Christian Hennecke zur aktuellen Kirchenentwicklung.

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Information

Die Kundschafter des Neuen hören!
Ihr seid die Zukunft der Kirche
Bis heute erstaunt mich diese Aussage, ob sie nun von Papst Benedikt, von Papst Johannes Paul II. oder von Chiara Lubich kommt. Es hat einige Zeit gebraucht, bis ich sie verstanden habe. Denn zum einen kann diese Aussage ganz banal verstanden werden: Na klar, die jungen Menschen werden die sein, die in Zukunft die Kirche zu tragen haben. Doch dann mischte sich immer ein Gedanke ein: „Aber wo sind sie? Gleich nach der Firmung sind die Jugendlichen nicht mehr auffindbar im gemeindlichen Leben – das christliche Leben hat sie gar nicht wirklich angezogen.“ Und ich erinnere mich gut, dass ich selbst noch vor wenigen Jahren von der „Fledermauspastoral“ gesprochen habe.1
Aber immer mehr geht mir auf, dass diese Aussage auch ganz anders gedeutet werden kann, und dann ist sie in der Tat sehr wichtig. Die Jugendlichen sind die Zukunft der Kirche, weil man an ihrem Glauben und ihrer praktischen christlichen Existenz ablesen können wird, wie Kirche sein wird. Die jungen Menschen bezeugen also durch ihre Gestaltung des Christ-Seins eine Vision des Geistes Gottes von der Kirche von morgen.
Dann bräuchten wir also lediglich genau hinzuschauen und wahrzunehmen und zu würdigen, in welche Richtung der christliche Glaubensweg der jungen Menschen sich entfaltet, um herauszubekommen, welche Perspektiven sich für das Kirche-Sein ergeben.
Da fällt zunächst eine durchgehende Erfahrung auf: Offensichtlich kann die überwältigende Mehrheit der jungen Christen mit der uns bekannten Wirklichkeit der Ortsgemeinden nur herzlich wenig anfangen. Sollte es also nicht an den Pfarrern und an den Gemeinden liegen, dass die Eucharistiefeiern von jüngeren Menschen nicht geschätzt werden? Wie kann es sein, dass die meisten jungen Christen mit der zentralen Feier des Glaubens nicht viel anfangen können?
„Die Eucharistie ist langweilig für die jungen Menschen in Peru“, hörte ich neulich von einem jungen Gast aus diesem Land, der vor dem Weltjugendtag in unsere Pfarrei gekommen war. Wie sich die Zeichen der Zeit doch gleichen – wir stehen auch als Kirche und Weltkirche vor denselben Herausforderungen. Und ich erinnere mich noch sehr deutlich an Ergebnisse einer Umfrage unter jungen Christen, aus der deutlich hervorging, dass das „kirchliche Leben“ vor Ort den jungen Menschen wenig bis gar nichts bedeutet – Ausnahmen bestätigen die Regel.
Nehme ich nun die Aussage der Päpste ernst, dann sagt mir diese erste Beobachtung viel über die Zukunft der Kirche. Es lässt sich deutlich erkennen, dass die bisher so bewährte Gestalt der Ortsgemeinde in einer tiefen Krise steht: Sie findet keine Nachfolger mehr. Nirgendwo ist das so deutlich wie in der Eucharistiefeier. Offensichtlich bedeutet sie den jungen Menschen nicht sehr viel. Und das liegt eben nicht zuerst an der Gestaltung dieser Feier, wie man noch in den siebziger Jahren dachte und zuweilen bis heute denkt, sondern eher an der besonderen Glaubenssituation der jungen Menschen. Sie sind in der Regel Suchende, Getaufte, die noch keine oder nur sehr anfanghafte Erfahrungen mit dem Gott Jesu Christi gemacht haben. Sie sind werdende Christen, Katechumenen.
Und sie sind so ehrlich, es zu sein. Möglicherweise trifft dieser katechumenale Status auch auf die meisten der erwachsenen Christen zu. Doch die Jugendlichen, die nicht mehr durch gewachsene Traditionen geprägt sind, leben diesen Status unbefangen aus. Hier wird der Paradigmenwechsel deutlich, vor dem wir stehen: Die vorfindlichen Ortsgemeinden setzten weithin – kontrafaktisch – das gewachsene und geprägte Christ-Sein voraus, in das Kinder und Jugendliche nur noch hineinsozialisiert werden müssten. Doch diese Sozialisation funktioniert so nicht mehr. Mithin gerät auch die gewachsene Gestalt der Ortsgemeinde in eine tiefe Krise. Die Eucharistie als Höhepunkt des Kirche-Seins und ihr Quellort ist für suchende, und vor allem für junge suchende Menschen kein Ort, an dem sich diese Suche erfüllen könnte – und deswegen kommen sie nicht. Die Gruppen in den Gemeinden sind überaltert, die Jugendgruppen – sofern es sie denn gibt – zu wenig profiliert für Suchende und damit auch nicht attraktiv. Die Sakramentenpastoral kann weithin nur ein Impuls sein für den Suchweg – immer problematischer wird die herkömmliche Verbindung von Katechese und Initiationssakrament. All diese Problemfelder sind nicht unbekannt, aber bisher gelang es weithin nicht, diese Krise positiv zu würdigen.
Dies genau aber tun die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. mit ihrer Aussage. Darum gilt es, genauer hinzuschauen auf diese Zeichen der Zukunft.
Eine erste Beobachtung mag überraschend sein: Offensichtlich suchen junge Christen – oft intensiver als Gemeindechristen klassischer Prägung – eine lebendige Erfahrung der Kirche. Kirche ist keine institutionell fassbare Selbstverständlichkeit, die sich in einem routinierten Programm erschöpft, sondern Kirche ist eine Erfahrung der Gegenwart Gottes, der Menschen sammelt und vereint, der eine Welt ohne Grenzen, eine Zivilisation der Geschwisterlichkeit und der Liebe möglich macht.
Während besorgte Gemeindechristen und Theologen vor einer Eventisierung des Glaubens warnen, gilt es unbefangen wahrzunehmen, wie sehr die Erfahrungen der Weltjugendtage, eines Bistumstages oder einer Woche in Taizé junge Menschen auf ihrer Suche fördern und begleiten. Dies als Massenphänomen zu denunzieren und kritisch zu belächeln, wird dem ekklesiologischen Ernst der Lage nicht gerecht. Junge Menschen erfahren hier eine bestimmte Qualität des Miteinanders, des Gebetes, des Singens, des Sprechens miteinander, und mit wachem Instinkt erspüren sie die Gegenwart Gottes. Es gibt also ein hohes Bedürfnis nach einer Kirchenerfahrung, die existenziell ist – einer Erfahrung des Auferstandenen in der Mitte der Jünger, die sich deutlich unterscheidet von den häufig sehr ernüchternden Erfahrungen zu Hause. Was man eben von Taizé oder von einem Weltjugendtag in Köln nicht mitnehmen kann, ist zugleich das Wertvollste, was Kirche zu Kirche macht:SEINE unaussprechliche und doch so wahrnehmbare Gegenwart unter den Menschen. Dort, wo Jugendliche diese Erfahrung finden und von ihr berührt werden, sind sie eben nicht – wie man ihnen unberechtigt vorwirft – beliebig und bindungsunfähig, sondern engagiert und begeistert.
Die Rede von Beliebigkeit und Bindungsunfähigkeit ist eine unbedachte Rede, denn sie wirft jemandem vor, zu anspruchsvoll zu sein. Der Anspruch an Kirche, Glauben und Rede von Gott ist höher geworden. Es reicht nicht zu behaupten, man sei Kirche in all ihren Vollzügen. Wo dies nicht erfahrbar ist, wird abgewählt. Doch dort, wo die Gegenwart des Auferstandenen in der Praxis der Gemeinschaft erfahrbar wird, und also Kirche da ist, wird sie immer Menschen, die auf der Suche sind, binden können. Und diese Erfahrung ist nicht territorial ortsgemeindlich gebunden, sondern existenziell. Kirche ist ein Ereignis, nicht zuerst tradierte Vorfindlichkeit.
Erstaunlicherweise verlassen also die jungen Suchenden jene riskante Reduktion der Ekklesiologie auf die Ortsgemeinde und bringen wieder das Kirche-Sein im weiten Sinne in sein Recht. Die provinziellen Verkleinerungen auf die Gemeinde vor Ort sind nicht die Perspektive jugendlicher Kirchenspiritualität. Gewiss auch nicht die „Institution Kirche“, sondern – ganz in der ekklesiologischen Logik unserer Kirche – die Erfahrung, die durch sie freigesetzt wird und der die Kirche als Institution dient.
Eine zweite Beobachtung schließt sich unmittelbar an. Jene „Acht Minuten Schweigen“, von denen im Zusammenhang mit Taizé noch die Rede sein wird, sind eine Herausforderung an die Kirche, die Suchsituation der jungen Christen wahrzunehmen. Sie sind kein Einzelfall: „Das Wichtigste bei der Firmvorbereitung waren für mich die Gottesdienste, die wir miteinander gefeiert haben“, so der Tenor vieler Rückmeldungen von Firmbewerbern und Katecheten. Seit einigen Jahren schon feiern wir in jeder Kommunion- und Firmkatechese Gottesdienste, in denen das Schweigen seinen Platz hat. Es sind einfache Gottesdienste, eben keine Eucharistiefeiern, aber im Zentrum steht eine Zeichenhandlung des Glaubens, eine Zeit der Stille, ein Raum zum Hinhören. Ist die Eucharistie der Höhepunkt des gesamten kirchlichen Lebens und ihre Quelle, so ist doch auch wahr, dass es einen langen Weges des Hineinwachsens braucht. Und gerade diese Feiern finden eine hohe Resonanz, nicht nur in Taizé, sondern auch bei der Jugendvesper, die zweimonatlich in unserem Bistum gefeiert wird – und ähnliche Erfahrungen gibt es viele.
Die Kirche der Zukunft braucht also die Kreativität ihrer eigenen Tradition und eine lange Geduld, damit junge Menschen einen Zugang zum Geheimnis Gottes finden können. Und nicht nur junge Menschen. Sie sind nur der Indikator für ein Bedürfnis nach dem Eintauchen in eine Liturgie, die der Suchbewegung vieler Menschen entspricht, weil sie ihnen einen Zugang zum Geheimnis Gottes eröffnet und einen Weg bahnt. Ich bin davon überzeugt, dass auch suchende Menschen dann einen Zugang zur Eucharistie finden, wenn sie dem Gott Jesu Christi begegnet sind.
La stella cometa
Der Weltjugendtag in Köln. Ich bin nicht direkt dabei, sondern kann in meinem Urlaub alles über das italienische Fernsehen verfolgen. Der „GMG“ (dt. „WJT“) ist das Hauptthema aller Nachrichtensendungen. Viele Liveübertragungen – und immer wieder Interviews mit Jugendlichen, meist sympathischen Italienern mit ihren charakteristischen Pilgerhüten, die ja fast ein Zehntel der Pilger stellen. „Was ist für euch der Weltjugendtag?“ „Eine Gelegenheit, meinen Glauben zu vertiefen – eine Begegnung mit Benedikt XVI. Er ist – wie Papst Johannes Paul II. – der Stern mit dem Kometenschweif (la stella cometa), der uns Orientierung auf unseren Weg mit Christus gibt ...“
Solche Aussagen machen immer etwas sprachlos, aber sie regen zum Nachdenken an, wie auch der Applaus, der immer dann aufbrandet, wenn Papst Benedikt von Papst Johannes Paul II. spricht. Diese enge Verbundenheit des verstorbenen Papstes mit den jungen Menschen ist überall greifbar und spürbar. Auch der neue Papst wird von den Jugendlichen gefeiert. Wie bei Papst Johannes Paul II. sind seine Predigten alles andere als leichtgewichtig oder vermittelnd. Sie sind lang, sie sind herausfordernd, und sie würdigen den Idealismus der jungen Menschen. Sie sind kirchlich und führen ein in eine christliche Praxis aus dem Evangelium – und sie kommen an. Wie kommt das? Wo doch sonst alle Aussagen der Kirche und der Päpste in den Medien genüsslich kritisiert werden. Eigentlich dürfte Papst Benedikt keine Chance haben ...
Schon im April hat diese Verbundenheit zwischen Papst und jungen Menschen alle, vor allem aber die kritischen Geister innerhalb der Kirche, überrascht. Der als konservativ geltende Papst stirbt, und immer mehr junge Menschen sammeln sich auf dem Petersplatz, um mit und für ihn zu beten. Nach seinem Tod setzt eine spontane Wallfahrt ein, die über zwei Millionen Menschen auf den Petersplatz und nach Rom führt. Personenkult? Starkult?
So einfach darf man es sich nicht machen. Offensichtlich spielen hier andere Erwartungen eine gewichtige Rolle. Denn diese Erfahrungen stehen nicht isoliert in der Landschaft.
Jeden Abend – bis zu seinem gewaltsamen Tod – setzte sich zum Ende des Abendgebets Frère Roger an die Seite der großen Kirche in Taizé, und es bildeten sich lange Schlangen vor einem alten Mann, der einem unglaublich gütig ins Gesicht lächelte, nichts sagte, segnete. Oft brachen seine Mitbrüder diesen Moment persönlicher Segnung ab, weil er zu lange zu dauern drohte: Katholiken, Protestanten, Suchende – was fanden sie bei diesem Mann, den sie oft kaum kennen konnten?
Und ich erinnere mich an die ersten Begegnungen von Jugendlichen meiner vorherigen Pfarrei mit Pater Stefano aus S. Antimo. Damals war ich erstaunt, wie es ihm gelang, die Jugendlichen mit der Radikalität des christlichen Glaubens zu konfrontieren, ohne dass die Jugendlichen ihn für verrückt hielten. Ganz im Gegenteil suchten sie die Begegnung mit ihm immer wieder. Und seit drei Jahren kommt Pater Stefano auch im Winter für ein Wochenende nach Deutschland. Was fasziniert Jugendliche an ihm?
Eine erste Antwortperspektive erschließt sich mir in den persönlichen Kurzgesprächen zur Firmanmeldung, die ich mit den Bewerbern führe. Jeder und jede Jugendliche sind zur Firmvorbereitung eingeladen – die Anmeldung geschieht in einem kurzen persönlichen Gespräch, in dem wir einander kennen lernen und ich durch ein paar Fragen die Glaubenssituation des Einzelnen in den Blick nehmen kann. In diesem Jahr stelle ich die Frage: „Wer hat dir in deinem Leben vom christlichen Glauben erzählt?“ Die Antworten sind natürlich sehr verschieden, aber häufig wird deutlich, dass die Eltern der Jugendlichen ihren Kindern wenig vom Glauben erzählen konnten. Am ehesten sind es noch die Lehrer, oft auch die Großeltern.
„Unser Relilehrer ist ganz überzeugt vom Glauben. Das ist der beste Reliunterricht, den ich je gehabt habe ...“ schwärmt mir eine Jugendliche vor. „Er hat immer eine eigene und sehr begründete Meinung, aber er öffnet uns auch Wege, die eigene Position zu entwickeln“, fährt sie fort, und leiht sich von mir ein theologisches Buch aus. Doch weithin ist das nicht der Normalfall. Mag der Religionsunterricht auch noch so gut sein, entscheidend für die Schüler ist die Frage, ob der Lehrer, die Lehrerin, auch mit ihrer Existenz für seine Erkenntnis einsteht. Das sind dann jene Lehrerinnen und Lehrer, von denen Schüler begeistert sind.
In Glaubensfragen, so resümiere ich für mich die vielen Gespräche mit Firmbewerbern, sind junge Menschen oft sehr alleingelassen. Sie begegnen vielen Erwachsenen, die sich ihren eigenen Glauben zurechtgestrickt haben, vielen, denen der christliche Glaube nicht mehr so wichtig ist – aber kaum jemandem, der ihnen ein Vorbild, ein Wegbegleiter ist. Eher heißt es: „Das musst du selbst entscheiden – du musst dir selbst ein Bild machen.“ Diese Aussage hat etwas Wahres. Keine Frage, dass jeder und jede seinen persönlichen Weg im Glauben gehen muss.
Aber dort, wo mit dieser Aussage auch Orientierung an gelebter Existenz verweigert wird, reicht es offensichtlich nicht. Es ist genau das, was Jugendliche berichten, wenn sie von ihren eigenen gelegentlichen Gottesdiensterfahrungen am Sonntag berichten: „Die Leute, die im Gottesdienst sind, sind gar nicht richtig dabei. Sie sind nicht begeistert, sie leiern die Gebete nur so runter. Das klingt nicht echt. Sie haben überhaupt kein Interesse an echter Begegnung“ – so pauschal das formuliert wird und deswegen auch sicher zu differenzieren ist, so deutlich macht es doch auch, dass gerade in der alltäglichen Praxis der Ortsgemeinden kaum Leitbilder zu entdecken sind.
Ging es mir nicht in meiner Jugend schon genau so? Das Glaubenszeugnis meiner Ortsgemeinde verwirrte und ärgerte mich. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie sehr mich die Mittelmäßigkeit des Lebens der Christen störte: „Die Botschaft des Evangeliums gefällt mir, aber ich sehe keine Menschen, die sie leben. Was in unserer Gemeinde geschieht, das ist unglaubwürdig“ – das hielt ich damals, um 1980, meinen Eltern vor, die eine rechte Antwort darauf nicht wussten.
So verwundert es keineswegs, wenn gerade der Papst, wenn gerade „Heilige“ wie Frère Roger oder Mutter Teresa den jungen Menschen so nahe stehen und so wichtig sind. Kleine und große Vorbilder sind Menschen, die für das stehen, was sie sagen und ihr Leben dafür einsetzen – und an denen man sich orientieren kann. Und dies keineswegs unkritisch. Aber genau das bietet ein Vorbild ja. Orientierung an einem Vorbild nehmen heißt ja keineswegs, genau dasselbe zu tun, sondern einen Fixpunkt und eine Positionsbestimmung geschenkt zu bekommen, an der man sich reiben und seinen eigenen Weg messen kann. Solche „Leuchttürme“, eine solche „stella cometa“ sind Geschenke auf dem Lebensweg.
Ein weiteres Beispiel? Ich komme zu einem Taufgespräch mit einer sehr jungen Mutter. Den Namen des Vaters hat sie nicht angegeben: „Er kann kein wirklicher Vater sein – er stellt sich das Leben anders vor“, höre ich die Mutter deutliche Worte sagen. Wir kommen über die Taufe ins Gespräch: „Sie haben sicher ihre eigene Taufe nicht in Erinnerung ...“,beginne ich den Dialog.„O doch,ich bin erst mit sechs Jahren getauft worden ... Meine Eltern waren beide katholisch, aber sie wollten, dass ich mich selbst entscheide ...“ Und ich frage nach: „Wie haben sie dann ihre Eltern im Glauben erzogen und geprägt?“ „Gar nicht – sie haben mir alles selbst überlassen. Aber meine Oma, mit der habe ich viel gebetet und die hat mir viel erzählt ...“ „Wie wollen Sie es denn machen, wie Ihre Eltern oder wie Ihre Oma?“, frage ich weiter. Ein erstaunter und doch klarer Blick: „Natürlich wie meine Oma ...“
Heilige als Vorbilder, Großmütter, die Orientierung geben, starke charismatische Persönlichkeiten, die radikal den Glauben bezeugen, und der Papst als „Stern, der uns Orientierung auf dem Weg zu Christus gibt.“ Eine eigentümliche Deutung des Logos vom vergangenen Weltjugendtag, der vielen Aufgeklärten möglicherweise den Schweiß in die Stirn treibt. Sind die Jugendlichen unkritisch und gefährdet, dem Charme von Gurus zu erliegen? Nach meinem Empfinden ist das keineswegs so. Wahr aber ist, dass der Glaube bezeugt werden muss durch die ganze Persönlichkeit. Erst dann gewinnt das, was jemand sagt, Glaubwürdigkeit. Den Glauben entdecke ich durch die Person, die ihn mir bezeugt.
„Unsere Zeit hört mehr auf Zeugen als auf Lehrer“, sagte schon Ende der sechziger Jahre Papst Paul VI. Er hat Recht behalten. Es ist offensichtlich ein Problem der älteren Generation, glaubwürdige Autorität mit der Angst zu verbinden, hier würde mir autoritär ein Weg vorgegeben. Diese Sorge kennen die jungen Menschen offensichtlich nicht. Die autoritären Positionen längst versunkender Milieuwirklichkeiten sind ihnen in Glaubensfragen fremd. Der Verzicht auf klare Orientierung und Vorgabe und die irrationale Angst vor überzeugten und überzeugenden Zeugen hat die Glaubensweitergabe in unseren Breiten stark ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Copyright
  4. Widmung
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Fünf Jahre weiter
  7. Prolog: Kirche, die über den Jordan geht
  8. Die Kundschafter des Neuen hören!
  9. Die Zukunft in den Blick nehmen!
  10. Über den Jordan gehen!
  11. Epilog: Dietrich Bonhoeffers prophetische Kirchenvision