Einführung in systemische Konzepte der Selbststeuerung
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Einführung in systemische Konzepte der Selbststeuerung

  1. 126 Seiten
  2. German
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Einführung in systemische Konzepte der Selbststeuerung

Über dieses Buch

Der Erfolg einer Beratung hängt ganz wesentlich davon ab, wie gut es dem Beratenden gelingt, seine Arbeit zu ordnen und – gemeinsam mit dem Klienten – durch den Beratungsprozess zu navigieren: Welche Herangehensweise wähle ich, welches Setting? Was nehme ich in den Fokus, was verfolge ich wie weit? Welche Technik setze ich wann ein?Eine bewusste Selbststeuerung ist – neben der besonderen Haltung und der Sensibilität gegenüber Kontexten – ein wesentliches Merkmal von systemischer Beratung. Sie hilft dabei, unterschiedliche Ansätze und Schulen zu integrieren und das eigene Repertoire an Methoden besser auszuschöpfen.Bernd Schmid und Andreas Kannicht stellen in dieser Einführung Konzepte zur Verfügung, die Beratern, Therapeuten, Coachs und Supervisoren helfen, ihre Selbststeuerung zu organisieren. Sie verbinden in besonderer Weise rationale Metakonzepte mit fundierter Intuition – getreu ihrer Überzeugung: Beratung bleibt ein kreativer Akt.

Häufig gestellte Fragen

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Information

1 Einführung

1.1 Steuerung und Selbststeuerung

Dieses Buch handelt von der Steuerung in Beratungen. Dabei könnte man zunächst an Klienten und Beratungsprozesse denken. Doch aus systemischer Perspektive bedeutet Steuerung zuallererst Selbststeuerung des Beraters. Denn sie gestaltet Beratungswirklichkeiten entscheidend mit.
Was ist mit Steuerung gemeint? Von denjenigen, die sich mit dem systemischen Ansatz beschäftigen, kommen die meisten zunächst mit einer Vielzahl von »systemischen« Techniken in Berührung. Wir lernen interessante Fragetechniken kennen, allen voran das zirkuläre Fragen (»Was glauben Sie, welche Beweggründe Ihr Kollege Ihnen unterstellt?«) und lösungsorientierte Fragen (»Wie würde eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Ihnen aussehen?«), die positive Konnotation (»Dieses Zögern kann Sie auch vor überstürztem Engagement bewahren!«), das Arbeiten mit den inneren Anteilen (»Gibt es Seiten in Ihnen, die dem Plan widersprechen wollen?«), hypothetische Fragen (»Angenommen, Sie würden so vorgehen, wie wäre dann Ihre Situation in zwei Jahren?«), die Interventionstechniken und vieles mehr.
Ausgestattet mit solchen Fertigkeiten, verfügen wir über einen reichhaltigen Werkzeugkasten, um mit Klienten zu arbeiten. Damit ist allerdings die Frage nicht beantwortet, wann wir welche Technik einsetzen. Diese Frage klärt sich nicht aus der Technik selbst. Hierzu bedarf es orientierungsgebender Betrachtungen von einer übergeordneten Warte aus. Wann könnte welche Technik Sinn haben? Welche Themen könnten bei einem Klienten relevanter sein als andere? Welche Themen hat er nicht im Blick, obwohl sie für die Lösungsfindung relevant sein könnten? Genau mit dieser Ebene beschäftigen sich die Steuerungskonzepte dieses Buches. Es geht somit nicht um Verfeinerung technischen Vorgehens, sondern um die dahinter stehenden Fragen. Wie kann ein Berater mit einem Klienten einen sinngebenden Dialog erzeugen, der für den Klienten einen Unterschied darstellt: zu seinem bisherigen Selbstverständnis, zur gewohnheitsmäßig erzählten Geschichte seines Lebens, zu den bisherigen Wirklichkeitskonstruktionen und seinen Handlungsoptionen? Hierzu ein Beispiel:
Ein Klient kommt mit der Aussage, er sei ängstlich und habe das Ziel, sein Leben selbstbewusster anzupacken. Als Systemiker werden wir uns zunächst kundig machen, was er unter ängstlich versteht, worin sich dies zeigt und welche Vorstellungen er mitbringt, wie er sein Leben gestalten würde, wenn er selbstbewusster wäre, vielleicht auch, wo es ihm in Ansätzen bereits gelingt.
Wir entfalten somit den Kosmos der Wirklichkeiten des Klienten. Möglicherweise findet der Klient bereits durch unser sorgfältiges Fragen Impulse und Anregungen, bestimmte Aspekte näher und aus anderem Blickwinkel zu betrachten. Dann kann der Berater solchen Pfaden folgen. Aber nicht zwangsläufig führt jeder vom Klienten selbst gefundene Weg zum Ziel. Wenn nicht, helfen Steuerungskonzepte: Welche Fragestellungen gäbe es mit welchen Alternativen noch, die bei Bedarf aufgegriffen werden könnten? Nicht jede dem Klienten und dem Berater zunächst sinngebend erscheinende Hypothese muss relevant sein. So stellt sich der Beratungsprozess als ein Weg mit vielen Ausgangspunkten, Horizonten und Weggabelungen dar.
Traditionellerweise werden im systemischen Feld beispielsweise der lösungsfokussierte Ansatz nach de Shazer und Berg (vgl. de Shazer 1989), das Mailänder Modell nach Selvini Palazzoli, Boscolo, Cecchin und Prata (1977), der klassische familientherapeutische Ansatz nach McGoldrick, Gerson und Petry (1990) und die Aufstellungsarbeit (Weber 1993) unterschieden. Diese unterschiedlichen Strömungen und dazugehörenden Methoden stehen oft unverbunden nebeneinander oder werden in Richtungsstreitigkeiten als widersprüchlich gegeneinandergestellt. Mit dem Selbststeuerungskonzept können sie verbunden werden und erscheinen als sich ergänzende Ansätze, die aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven auf die Welt des Klienten und der Beratung blicken.
Steuerungskonzepte helfen also, die notwendige Vielfalt zu sichern. Herausfordernde Situationen können aber auch entstehen, wenn Vielfalt zum Problem wird. Es ist vielleicht in einer Beratung schon eine zu hohe Komplexität entstanden. Klient und Berater fragen sich, wie es nun angesichts der vielen benannten Aspekte weitergehen könnte. Auch für solche Situationen stellen die Steuerungskonzepte eine Hilfe dar, da sie mögliche Fokussierungen erhellen, aus denen der Berater auswählen kann. Oder er stellt solche dem Klienten zur Verfügung, damit dieser entscheiden kann. Ob ein Berater die Auswahl von Fokussierungen selbst trifft oder den Klienten entscheiden lässt, ist übrigens seinerseits ein Vorgang der Selbststeuerung des Beraters.
Was wären nun unterschiedliche Perspektiven auf die Ängstlichkeit des Klienten?
Der Berater könnte beispielsweise darauf fokussieren, wie der Klient die Menschen, mit denen er in Kontakt ist, dazu einlädt, ihn als ängstlich zu erleben, und wie sie wiederum bei ihm auslösen, sich ängstlich zu verhalten. Es würde sich die Frage anschließen können, welche Funktion er in seiner Ängstlichkeit sieht und welchen Nutzen seine Ängstlichkeit aus der Sicht der anderen haben könnte. Welche Neuanpassungen stünden für alle an, wenn diese Ängstlichkeit verflöge? Wäre dies gewollt? Welche Herausforderungen für die Beteiligten, aber auch für die Umwelt würden folgen?
Eine ganz andere Fokussierungsebene würde sich ergeben, wenn wir nach den biografischen Zusammenhängen fragen. In welchen Zusammenhängen hat er gelernt, mit Ängstlichkeit zu reagieren? Sind die Umstände des heutigen Auftretens ähnlich? Inwiefern war Ängstlichkeit sinnvoll? Wurde Ängstlichkeit zur Antwort auf bestimmte Lebensherausforderungen? Inwiefern war dies eine Hilfe? Ist diese Lösungsidee für den Klienten auch heute noch zieldienlich?
Eine dritte Perspektive könnte sich auf die bisherigen Versuche des Klienten richten, sein Verhalten zu ändern. Was hat er bisher unternommen, seine Ängstlichkeit loszuwerden, sie durch andere Modi zu ersetzen? Wann, wo und in welchen Zusammenhängen ist es ihm bereits gelungen, etwas mutiger zu sein als sonst, und wie hat er dies erreicht?
Dies sind nur drei von vielen Fokusebenen, die man für die nähere Beschreibung von und den Umgang mit Ängstlichkeit wählen kann.
Da man nie alle Wege gehen kann, muss immer irgendwie entschieden werden, wo und wie man anfängt, welche man wie weit verfolgt, welche man wieder verlässt, um ganz andere oder naheliegende bessere zu wählen. Dabei weiß man letztlich nie, welche Wege weiterführen und wie lange es Sinn ergibt, sie zu gehen. Hier ist man auf Erfahrung und Intuition angewiesen und auf eine Interaktion mit dem Klienten, aufgrund deren bessere Wege von weniger hilfreichen unterschieden werden können. Es kommt dabei weniger auf den besten Start an als auf das schnelle gemeinsame Lernen unterwegs. Salopp gesprochen: Man darf ruhig dumm anfangen. Hauptsache, man lernt schnell dazu.

1.2 Dimensionen systemischen Arbeitens

In diesem Abschnitt geht es um die Einordnung der Steuerungskonzepte in die Entwicklungen im systemischen Feld. Man kann den systemischen Ansatz als eine Verschmelzung von Systemtheorien und den daraus entwickelten Techniken und Haltungen beschreiben. Darauf aufbauend, legen Systemiker besonderen Wert auf den Kontext, in dem eine Beratung bzw. Therapie stattfindet.

1.2.1 Die vier »Klassiker«

Theorie, Technik, Haltung und Kontextsensibilität stellen vier grundlegende Dimensionen dar, mit denen man den systemischen Ansatz charakterisieren kann. Die in diesem Buch beschriebenen Selbststeuerungskonzepte können als die fünfte Dimension bezeichnet werden.
Die systemische Therapie und Beratung entwickelte sich vor dem Hintergrund theoretischer Paradigmen, die in den 1950er-Jahren entstanden sind und neue Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnet haben. Stichworte für diese Entwicklung sind »Kybernetik« und »Systemtheorie«. Sie war eine interdisziplinäre Bewegung, interessanterweise mit vielen Wissenschaftlern aus naturwissenschaftlichen Bereichen und somit keine originäre Entwicklung im Bereich von Psychotherapie und Beratung. Physiker, Biologen und Ethnologen waren federführend, und erst in der Folge griffen Psychotherapeuten in den USA (Watzlawick, Beavin u. Jackson 1969), in Italien (Selvini Palazzoli et al. 1977) und anschließend auch in Deutschland (Stierlin 1982) die Kybernetik, Systemtheorie und die Theorie der Autopoiese, wenig später auch den radikalen Konstruktivismus und weitere Theoriegebäude wie Chaostheorie und Synergetik auf. Diese Hintergrundtheorien prägen nach wie vor das Denken von systemischen Beratern und Psychotherapeuten.
Um den neuen Perspektiven auf die Wirklichkeit durch neue Zugangsweisen zu entsprechen, musste man im Bereich der Psychotherapie alternative Vorgehensweisen und Techniken entwickeln. So ersannen die systemischen Pioniere Vorgehensweisen, die dem systemisch-zirkulären Wirklichkeitsverständnis entsprachen. Psychische Krankheit bzw. psychische Probleme sollten nicht mehr primär im Kontext der Entstehungsgeschichte innerer Wirklichkeiten, sondern im Kontext der sozialen Systeme, in denen sie entstanden waren und aufrechterhalten wurden, näher untersucht werden. Deshalb wurde das Setting verändert und nicht mehr der »Indexpatient« alleine, sondern gemeinsam mit seiner Familie eingeladen. Spezifische Frage- und Interventionstechniken für die »Familientherapie« entstanden und etablierten sich zunehmend als eigenständige Methodik.
Weitere Methoden des systemischen Vorgehens ermöglichten zunehmend, dass sich systemisches Arbeiten von dem Setting »Familientherapie« abkoppelte. Es bedurfte (durch spezifische Fragetechniken) nicht mehr unbedingt der realen Anwesenheit der Systemmitglieder, da sie durch hypothetische Fragen auch bei Abwesenheit einbezogen werden konnten. Die systemische Therapie ohne Familie (Weiss 1988) war geboren. Einige dieser neuen Methoden knüpften an psychotherapeutische Konventionen an (z. B. die Arbeit mit Genogrammen), andere entwickelten sich zu einer eigenständigen, innovativen Methode. Das zirkuläre Fragen, die Abschlussintervention, positive Konnotation, Arbeit mit der »inneren Familie« und Arbeit mit dem »Reflecting Team« sind Beispiele.
Zeitgleich wurde deutlich, dass mit diesen neuen Paradigmen und methodischen Vorgehensweisen eine veränderte Haltung der Berater bzw. Therapeuten verbunden war. Neutralität als eine Haltung, die jedem Mitglied des Systems gerecht werden sollte, war ein wichtiger Grundsatz für die Arbeit in dem neuen Setting der Familientherapie. Manche Autoren fanden, dass Vielparteilichkeit und humorvolle Distanz, also eine insgesamt unparteiliche Haltung, sich besser mit Bezogenheit kombinieren ließen. Konstruktivistische Einflüsse brachten systemisch orientierte Praktiker auf die Idee, pathologieorientierte Konzepte infrage zu stellen und nach anderen Sichtweisen Ausschau zu halten. Es wurde als hilfreicher angesehen, Klienten mit einer ihre Kompetenzen hervorhebenden und wertschätzenden Haltung zu begegnen. Neutralität, Ressourcen- und Lösungsorientierung galten anfänglich als typische Haltungen für systemische Theorie und Praxis.
So entstand ein für den systemischen Ansatz charakteristisches Repertoire an Theorien, Techniken und Haltungen. Durch die Übertragung der systemischen Vorgehensweisen in andere als psychotherapeutische Arbeitsfelder nahmen systemische Berater zunehmend verschiedene Kontexte in den Blick, in denen beraterische Gespräche stattfinden. Sie begannen, nicht etwa »nur« die Klienten und deren Kontexte zu beobachten, sondern beobachteten sich jetzt auch selbst. Es machte einen Unterschied, ob der Berater in einer medizinischen Institution arbeitet oder in freier Praxis. Die Frage, wer den Klienten vermittelt hat, kann den gesamten Beratungsprozess entscheidend prägen. Wenn Beratungen in Freiwilligkeit stattfanden, wurden andere Muster und Dynamiken identifiziert als in einem Zwangskontext. Aus diesen Überlegungen ergab sich eine zusätzliche vierte Dimension, mit der sich der systemische Ansatz schnell auf ganz unterschiedliche Arbeitsfelder ausdehnen konnte. Modelle, die unterschiedliche Arbeitsfelder und Arbeitskontexte berücksichtigen, wurden entwickelt. Konzepte und Modelle wie das Auftragskarussell, die Unterscheidung von Besucher-, Klagenden- und Kundendynamiken, der Dreiecksvertrag und die Unterscheidung von Hilfearten sowie von Freiwilligkeit und Zwang standen für diese Perspektive. Die vierte Dimension systemischen Denkens war geboren: die Kontextsensibilität.

1.2.2 Die fünfte Dimension – Steuerung

Um die Gesamtsicht auf die sich weiter und weiter verzweigende systemische Bewegung zu erhalten, benötigen wir noch eine fünfte Dimension. Sie wurde insbesondere vor dem Hintergrund der Übertragung systemischer Konzepte auf den Kontext von Organisationsberatung, Teamentwicklung und Coaching erarbeitet. Schmid (1992) nannte sie »Metakonzepte« bzw. »Selbststeuerungskonzepte«. Sie wurden bislang nur unsystematisch in die systemische Theoriebildung integriert. Dies systematischer anzugehen ist das Anliegen dieses Buches. Zunächst können Metakonzepte für den Praktiker nicht so wichtig oder nicht leicht zugänglich erscheinen, wirken sie doch auf den ersten Blick recht abstrakt. Doch halten wir dem das Bonmot von Kurt Lewin entgegen: »Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie!« Steuerungskonzepte haben sich in unzähligen Supervisionen und Falldiskussionen als ordnende Kraft bewährt. Wichtig ist, sich mit ihnen so auseinanderzusetzen, dass sie in die professionelle Intuition übergehen. Am besten nähert man sich dem Verständnis von Steuerungskonzepten daher durch eine Metapher:
Wenn ein Künstler ein Bild malen möchte, braucht er Wissen über Techniken. Wie geht man mit dem Pinsel um? Welche Farben (Aquarell, Öl, Acryl …) gibt es, und wie wende ich sie an? Welche Untergründe muss man wie bearbeiten? Wie erzeuge ich Licht und Schatten? Wie teile ich ein Bild auf, welche Ausschnitte wähle ich …? Aber alle diese Fertigkeiten machen ihn noch nicht zum Künstler. Wenn er zusätzlich Wissen über Kunstgeschichte hat, über Kulturepochen und Stilrichtungen, hilft ihm dies auf seinem Weg. Aber auch dies gibt ihm keine Orientierung, wenn er vor der weißen Leinwand steht. Gut ist es, wenn er sich auf das Malen einstimmt, sich sammelt, nicht aus der Hektik des Alltags oder mit den Gedanken an den nächsten Hausputz an die Arbeit macht. Aber wie soll er nun anfangen, welche Farbe, welches Motiv, welche Technik einsetzen? Zu groß ist die Anzahl der Möglichkeiten, und mit dem ersten Strich sind schon Vorgaben gesetzt. Was er zusätzlich benötigt, ist eine Idee von dem, was er ausdrücken möchte, und die Bereitschaft, sich dann von dem Prozess des künstlerischen Gestaltens leiten zu lassen. Diese innere Suche nach dem Motiv und nach der damit zusammenhängenden sinnvoll auszuwählenden Technik, dieses Erspüren dessen, welche Striche Sinn erzeugen und welche übermalt werden sollten, dieses Fokussieren und Wiederloslassen von Fokussierungen – das kann als Selbststeuerung verstanden werden.
Übertragen wir diese Metapher auf den beraterischen Prozess, so wird deutlich, dass wir als systemische Berater gut daran tun, die Techniken zu erlernen und zu üben. Wir werden auch sicherer, wenn wir nützliche Haltungen dem Klienten gegenüber einnehmen. Und wir profitieren davon, wenn wir uns kundig gemacht haben, wie Systemtheorie Wirklichkeitsphänomene als rekursiv und kontextbezogen begreift, wie der radikale Konstruktivismus von Perspektivenvielfalt ausgeht, wie das Anerkennen der Eigengesetzlichkeit lebender Systeme die Möglichkeit von instruktiver Interaktion infrage stellt. Dies alles hilft mir als Berater, und doch stellt sich die Frage, wann ich welche Technik einsetze, wann welche der Haltungen, wann welche der vielen möglichen Wirklichkeitskonstruktionen nützlich sind. An dieser Frage setzen die Steuerungskonzepte an. Bateson sagte, die Kategorie »Stuhl« sei kein weiterer Stuhl. Techniken geben Orientierung im praktischen Vorgehen, erklären aber nicht aus sich heraus, wann ihr Einsatz sinnvoll ist. Um die Frage zu entscheiden, wann ich welche Technik einsetze, brauche ich Konzepte auf einer logisch nächsthöheren Stufe.
Insofern bieten Steuerungskonzepte keine weiteren Techniken, sondern sie sind Metakonzepte für das Navigieren in komplexen Beratungsprozessen. Sie sind abstrakt, da sie nicht beantworten, wie ich in der Beratung konkret vorgehe. Sie helfen aber, die Frage zu beantworten, welche Wirklichkeitsbeschreibungen und Techniken wann sinnvoll eingesetzt werden können. Zugleich verdeutlichen sie, welche Wirklichkeitsvorstellungen mit welcher Technik implizit eingeführt werden und welche Konsequenzen dies haben kann. Sie können Orientierung anbieten angesichts der überwältigenden Komplexität und Möglichkeiten, die sich in Beratungsprozessen ergeben. So helfen sie, einerseits Komplexität zu reduzieren, wo wir in Orientierungslosigkeit versinken würden, und andererseits Komplexität in Situationen zu erhöhen, in denen wir sonst Scheuklappen aufhätten. Deshalb beinhalten viele dieser Konzepte eine Auswahl von Perspektiven. Welche Perspektive nehme ich gerade ein? Habe ich überhaupt eine Perspektive? Welche anderen Perspektiven könnte es noch geben? Welche der möglichen Perspektiven koppelt bei dem Klienten an? Welche ergibt für mich als Berater am meisten Sinn? Habe ich gewohnheitsmäßige Perspektiven, bei denen ich typischerweise lande? Wie kann ich sie wieder verlassen?
In diesem Buch wird eine Vielzahl solcher Metakonzepte beschrieben. Diese Konzepte nähren schöpferische Beraterkraft auf sinnvolle, rationale Art. Sie sollen aber nicht eine zweite Quelle unserer schöpferischen Beraterkraft, die kreative Inspiration, vergessen machen. Deshalb fügen wir zunächst einen Abschnitt über Intuition an. Die Kraft der Intuition wird im Verständnis der Steuerungskonzepte gleichsam als Pendant zur Kraft der rationalen Metatheorie verstanden. Erspüren und Denken sind in diesem Konzept kein Widerspruch, sondern hilfreiche Ergänzungen.

1.3 Intuition und Selbststeuerung

Jeder Klient ruft durch seine Selbstpräsentation und durch die von ihm erzählte Geschichte zwangsläufig innere Bilder beim Berater hervor. Genau genommen, können wir Wirklichkeiten von Klienten gar nicht getrennt, sondern nur in Vermengung mit unseren eigenen Wirklichkeitsbildern wahrnehmen: eine Mischung aus Wahrnehmung und »Wahrgebung«, wie dies Gunther Schmidt ausdrückt. Die Wirklichkeitsbilder des Beraters wecken oft unbemerkt bestimmte Perspektiven, mit denen er dann auf die Beratung schaut. Aber auch vorgegebene, vielleicht gewohnheitsmäßige Perspektiven rufen unbemerkt die zu ihnen passenden inneren Bilder aller Beteiligten auf den Plan. Daher ist wichtig, sich innerer Bilder und gerade aktiver Perspektiven bewusst z...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. 1 Einführung
  6. 2 Systemische Grundtechniken und Vorgehensweisen
  7. 3 Feldspezifische Konzepte
  8. 4 Steuerungskonzepte höherer Ordnung
  9. 5 Mehr Prinzipielles
  10. Literatur
  11. Über die Autoren