Akteneinsicht
  1. 256 Seiten
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eBook - ePub

Über dieses Buch

Die Sozialpsychologin Marie Jahoda (1907–2001) saß 1936/37 neun Monate in Haft. Ihr Verbrechen war, als Revolutionäre Sozialistin die Diktatur des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes bekämpft zu haben. Bei den Verhören und vor Gericht hielt sich Jahoda strikt an eine Regel der konspirativen Untergrundarbeit: Gib nur zu, was nicht mehr bestritten werden kann, und belaste andere nicht.

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Information

Illustration
Andreas Kranebitter

Anhaltende Kämpfe.

Polizei und Justiz im Kampf gegen die linke Opposition 1934–1938.
Zum Kontext der Verfolgungs- und Verteidigungsstrategien Marie Jahodas

Das Vorgehen der Polizei und Justiz gegen Marie Jahoda war Teil einer umfassenden staatlichen Repression gegen politische Gegnerinnen und Gegner nach der Ausschaltung des österreichischen Parlaments im März 1933. Tausende Menschen wurden mit den verschiedensten rechtlichen Instrumenten durch Polizei und Justiz zu Geld- oder Freiheitsstrafen verurteilt. Im Folgenden soll es um diese verschiedenen Maßnahmen gehen und Jahodas Fall dadurch im Panorama der staatlichen Repression gegen die politische Linke kontextualisiert werden.1 Der Artikel kann sich dabei auf die mittlerweile umfangreiche geschichtswissenschaftliche Literatur zu Justiz und Polizei im Austrofaschismus stützen, die seit einiger Zeit verstärkt auch den staatlichen Umgang mit linken Frauen zum Thema macht.2
Nach einer rechtshistorischen Rekonstruktion der Repressionsmittel soll der Fokus der Darstellung auf die Interaktionen zwischen den Verhafteten und den staatlichen Akteuren gelegt werden, also auf die mikrosoziologische Untersuchung von Situationen, wie sie sich in den überlieferten Dokumenten widerspiegeln. Damit folgt der Artikel dem soziologischen Paradigma des symbolischen Interaktionismus, der insbesondere in der Kriminalsoziologie verfolgt wurde, um „Kriminalität“ als staatlichen Etikettierungsprozess der Kriminalisierung zu untersuchen. Diese Perspektive rekonstruiert die Strategien und Handlungsoptionen aller beteiligten Akteure und vermeidet so, staatliches Handeln in begrifflichen Abstraktionen wie „Verfolgungsmaschinerie“ oder „Machtapparat“ auszublenden.3
Die Rekonstruktion der Interaktionen verschiedener Akteure fokussiert damit auf das Alltägliche und Selbstverständliche in den vorhandenen Akten, die den Blick des Staatsapparates auf seine Gegnerinnen und Gegner dokumentieren und damit keineswegs „neutral“ sind. In den Akten manifestieren sich die tatsächlichen Interaktionen nur als strategische Darstellungen verschiedener Akteure. Sie sind, wie man in der historischen Kriminalitätsforschung sagt, „von Macht und Herrschaft durchdrungen“ und immer auch „Trophäensammlung kriminalpolizeilicher Erfolge“.4 Selbst sogenannte Ego-Dokumente, seien es Verhörprotokolle, Zeugenaussagen oder Briefe, stehen immer auch unter dem „Imperativ des strategischen Anliegens, sich den Vertretern der Obrigkeit möglichst positiv darzustellen.“5 Sie sind bürokratisch verzerrte Manifestationen strategisch motivierter subjektiver Äußerungen der Beschuldigten. Das gilt umso mehr, wenn diese Aussagen von schulenden und geschulten Menschen wie Jahoda geäußert wurden, die vor den ermittelnden Behörden jedes Wort abwogen. Gerichts- und Polizeiakten müssen methodisch also erst dekonstruiert werden, bevor überhaupt Interaktionen sichtbar gemacht werden können. Bei der Interpretation geht es weniger um den „Wahrheitsgehalt“ der Anschuldigungen, als vielmehr um das Sichtbarmachen von Alltagserfahrungen, Handlungsbegründungen und Argumentationsmustern, um die dargestellte „Wahrheit“ einer bestimmten Zeit.6
Als Vergleichsbasis für die Ermittlungen und den Prozess gegen Jahoda sollen nicht die bekannteren größeren Prozesse,7 für die wie im Schutzbund-Prozess 1935 selbst der Gerichtssaal räumlich umgebaut werden musste,8 sondern die zahllosen kleinen Prozesse gegen politische Gegnerinnen und Gegner herangezogen werden, die sich gegen das Dollfuß-Schuschnigg-Regime engagierten. Die „großen“ Prozesse der austrofaschistischen Justiz sind nicht repräsentativ für die Verfolgung der vielen. Während auf große Prozesse, sofern die Anklage nicht generell fallen gelassen wurde, Begnadigungen und Weihnachtsamnestien folgten, wurden alltäglichere Gegnerinnen und Gegner des Regimes unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit zu harten Strafen verurteilt, wenn sie nicht – wie Jahoda – international Aufmerksamkeit erregten. Was Wolfgang Neugebauer von der gerichtlichen Aburteilung der Sozialdemokratie nach dem Februar 1934 sagt, gilt für das gesamte Bestehen des austrofaschistischen Regimes:
„Vor die Standgerichte kamen – mit Ausnahme von [Koloman] Wallisch – eher die kleinen Leute, die Kämpfer, während die politisch Verantwortlichen, die ‚Bürgerkriegsgenerale‘, eher glimpflich davonkamen.“9
Am Ende des Beitrags soll auf die Akteure in Polizei und Justiz eingegangen werden, um die Arbeitsweisen der Gerichte und der politischen Polizei in Österreich darzustellen. Ein Blick auf Personal und Praxis der austrofaschistischen Ermittler macht die Anleihen insbesondere beim nationalsozialistischen Polizeiapparat Deutschlands und die nationalsozialistische Durchdringung der österreichischen Polizei sichtbar. Ein derartiger Blick zeigt auch, dass die große Parallele nicht unbedingt in den einzelnen Maßnahmen zu suchen ist, sondern generell in einer Politik der vorbeugenden Bekämpfung der politischen Opposition, die als Bürgerkrieg mit anderen Mitteln interpretiert werden kann.

Prolog: Welche Opfer, welche Haft?

Friedrich Otto Keller blieb neben Marie Jahoda der einzige Mitarbeiter der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle, gegen den die Staatspolizei Anzeige wegen Hochverrats erstattete.10 Bei einer Hausdurchsuchung in seiner Wohnung hatte man Durchschlagblätter gefunden, die belegen sollten, dass Keller diverse Broschüren und Artikel wie auch ein Manuskript mit dem Titel „Wo stehen wir?“ auf seiner „Oliver“-Schreibmaschine verfasst hatte. Keller wurde am 17. Dezember 1936 festgenommen und wie Marie Schneider und Friedrich Jahnel, die beide im Institut für Bildstatistik beschäftigt waren, sowie Jahoda erst im Sommer 1937 entlassen. Er floh nach dem Novemberpogrom 1938 aus dem nationalsozialistischen Österreich. Nach mehreren Internierungen in Frankreich war Keller in Spanien und Portugal, wo er erneut interniert wurde, und erreichte schließlich England. Dort bestritt er seinen Lebensunterhalt anfangs als Hilfsarbeiter und schließlich als Fabrikinspektor. Am 2. März 1948 wurde er britischer Staatsbürger. Im Sommer 1953 stellte er einen Antrag auf Haftentschädigung nach dem österreichischen Opferfürsorgegesetz. Im Bundesgesetz vom 4. Juli 1947 über die „Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und die Opfer politischer Verfolgung“ (Opferfürsorgegesetz) wurden Renten für Verfolgte des Austrofaschismus und des NS-Regimes und ihre Hinterbliebenen geregelt.11 Wer nach diesem Gesetz anspruchsberechtigt war und eine „Amtsbescheinigung“ oder einen „Opferausweis“ erhielt, erlangte zudem Vergünstigungen in Bezug auf Renten- und Unfallversicherungen und sonstige wirtschaftliche Angelegenheiten und nach mehreren Novellierungen einmalige pauschale „Entschädigungen“ für die Haftzeiten. Ehemalige Inhaftierte wie Keller hatten allerdings sieben Novellierungen dieses Gesetzes abwarten müssen, ehe auf Druck der Alliierten auch jenen Verfolgten Entschädigungen ausgezahlt werden konnten, die keine österreichischen Staatsbürger mehr waren. Wie Tausenden anderen ging es Keller wohl weniger um die ohnehin lapidare Entschädigungssumme, als um die symbolische Anerkennung als Opfer durch die Republik Österreich.
Mit dem Antrag unterzog er sich einer Prozedur, die die Historikerin Brigitte Bailer als von Engherzigkeit und Misstrauen gegenüber den Antragstellenden geprägt beschrieben hat – im Gegensatz zu ehemaligen Nationalsozialisten sei die Re-Integration der Opfer des Nationalsozialismus und der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur eine Integration durch Verschweigen gewesen12 – „Brosamen für die Opfer des Faschismus in Verbindung mit heftigen Anstrengungen zur Beendigung der Entnazifizierung“13 wäre die Devise der Zeit gewesen. Zentraler Teil dieser Prozedur war die Ermittlung der Haftzeiten, die der Antragstellende selbst zu belegen hatte, wobei durch behördliche Ermittlungen alle Angaben penibel überprüft wurden. Konnte er keine Dokumente vorbringen, musste der Antragstellende Zeugen nennen, die von der Behörde vernommen werden mussten – eidesstattliche Erklärungen wurden nicht anerkannt.14 Keller suchte nun am 6. August 1954 um Entschädigung an.15 Er gab an, von 5. Dezember 1936 bis Februar 1937 im Polizeigefangenenhaus Rossauerlände und von Februar 1937 bis Juni 1937 im Landesgericht Wien I (obwohl keine Anklage erhoben worden war), schließlich von Juni 1937 bis 8. oder 10. Juli 1937 im Polizeigefangenenhaus Hahngasse inhaftiert gewesen zu sein. Am 10. November 1938 sei er noch einmal „2 Tage Pramergasse, dann Schulgebäude Kenyongasse“ inha...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Vorwort
  5. Einleitung
  6. „Den Tatbestand leugnen, nicht aber die Gesinnung“
  7. Anhaltende Kämpfe. Polizei und Justiz im Kampf gegen die linke Opposition 1934–1938
  8. Politisch engagiert, am Beispiel Marie Jahoda
  9. Epilog: Erinnerungen an Wien
  10. Kurzbiographie Marie Jahoda
  11. Danksagung
  12. Bildnachweise
  13. Autorin und Autoren, Herausgeberin und Herausgeber
  14. Impressum