Tristan-Akkord
eBook - ePub

Tristan-Akkord

  1. 304 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Über dieses Buch

Ev setzt alles daran, den Traumberuf ihres Vaters zu ergreifen, der ihm selbst in den Wirren des Krieges versagt blieb. Sie wird Musikerin in einem berühmten Orchester. Aber warum kann sie seinen Ansprüchen anscheinend trotzdem nicht genügen? Sind es die Wunden des Krieges, die all seine Gefühle bis heute verschüttet haben? Ev versucht, aus dem Kerker der Erwartungen ihres Vaters auszubrechen - und ihm dennoch zu zeigen, wie sehr sie ihn liebt.

Häufig gestellte Fragen

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Information

Jahr
2022
ISBN drucken
9783825152567
eBook-ISBN:
9783825162474

1

Sie öffnet die Tür. Die Stille im Raum hat etwas von einem Vakuum.
»Guten Tag, Eveline, nimm Platz«, sagt Kees Dijkstra. »Ich werde nicht um den heißen Brei herumreden.«
Die Stuhlkante schneidet ihr in den Oberschenkel.
»Wir müssen kürzen. Und das wird nur noch dadurch zu erreichen sein, dass wir Leute freistellen. Dem UWV-System nach …« Seine Stimme fährt ihr ins Ohr wie eine Klinge. UWV – was zum Teufel ist das? Sie konzentriert sich auf seine Worte, wovon redet er da? Das Wort ›Einsparungen‹ fällt fünf Mal. Ein, zwei Mal sagt Kees auch ›Kurswechsel‹. Auf der Uhr hinter ihm springt der Minutenzeiger auf Viertel vor drei.
»Wir möchten gerade nicht die Holzhammermethode anwenden«, sagt er abschließend.
Doch sie spürt schon einen kalten Luftzug im Nacken. Stille. Sie muss reagieren. Jetzt wäre der passende Moment zu sagen, dass sie nicht damit einverstanden ist. Weg hier, sie will sich erheben, aber kaum dass sie sich bewegt, staut sich Hitze in ihren Beinen. Schwerfällig schiebt sie die Füße über den Boden, legt die Hände auf den Tisch und stemmt sich hoch. Wo ist Kees? Warum sieht sie ihn nicht mehr? Ihr Herz pumpt gegen die Schwerkraft an. Sie dreht sich um, kann jedoch die Tür nicht finden, auf einmal wird es dunkel, dunkel und still.
Sie fühlt einen Klaps auf ihre Wange und noch einen. Träge öffnet sie die Augen. Kees kniet neben ihr. Ihre Lider fallen gleich wieder zu. Die leichten Schläge auf ihre Wange wiederholen sich. Wieder erblickt sie Kees. Blond und breit, ein irritierendes Lächeln auf den Lippen. Sie schaut ihm nicht ins Gesicht, sondern auf das Markenlogo auf seinem rosafarbenen Poloshirt und blinzelt mit den Augen. Jetzt erst merkt sie, dass sich seine Lippen bewegen. Warum hört sie nichts? Und warum liegt sie auf dem Boden?
Kees beugt sich nun über sie, sein Atem riecht nach Kaffee. Er versucht ihr aufzuhelfen. Schnell schiebt sie ihn weg, tastet nach dem Stuhl und setzt sich darauf. Die gleich wieder in ihre Schenkel schneidende Stuhlkante erinnert sie daran, weshalb sie hier ist. Kees nickt, »ja, ja« wird sein Kopfwackeln wohl bedeuten, nein, nein, denkt sie. Ob sie ihn vielleicht hören könnte, wenn sie selbst etwas sagt?
»Bin ich meine Stelle los?« Ihre Zunge ist trocken.
Kees kopfschüttelt jetzt ein klares Nein. Aber was sagt er?
Durch das Fenster fällt ein schmaler Streifen Sonnenlicht auf den Schreibtisch. An der Wand hinter Kees hängt ein Abreißkalender. Zwölfter Februar, liest sie, darüber ein Gedicht von Margaretha Vasalis.
Sie liebt Gedichte, Sprache, die schwarzen Zeichen auf weißem Papier. Mag sie auch die Bedeutung des Gedichts nicht ganz verstehen, die Worte durchstechen die Hülle, welche die Luftleere umgibt, pfeifend strömt nun Sauerstoff in Evs Lunge, und sie schnappt nach Luft. Der darauf folgende Hustenanfall macht ihre Ohren wieder frei. Sie vernimmt gleich Kees’ scharfe Stimme.
»… und nach über dreiundzwanzig Jahren wissen wir, dass du eine wertvolle Kollegin bist. Wir werden in den nächsten fünf Monaten alles tun, was in unserer Macht steht, um dich im Orchester zu behalten. Sollte uns das dennoch nicht gelingen, werden wir gemeinsam nach einer Lösung suchen.« Kees steht auf und kommt zu ihr herüber. Mit seiner Rechten hebt er ihre Hand an und legt seine Linke obendrauf. »Das Wichtigste ist, dass du weißt, wir unterstützen dich.«
Was hab ich davon, will sie fragen, und zieht ihre Hand weg.
»Hast du mich verstanden? Ist dir nicht gut?« Das Lächeln weicht von seinen Lippen. »Soll ich dich nach Hause bringen?«
Ev zieht die Schultern hoch. Nein, sie will nicht nach Hause gebracht werden.
»Du musst mir glauben.« Er räuspert sich. »Ich kann dir nicht versichern, dass du deine Stelle behältst, aber wir setzen uns mit allem, was wir tun können, für dich ein.«
Wer ist ›wir‹ und wer ist ›du‹?, denkt sie, sagt aber immer noch nichts.
»Alles gut?«, hakt Kees noch einmal nach.
»Ja, ja.« Ev steht vorsichtig auf und gelangt schlurfend zur Tür. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verlässt sie das Zimmer. Draußen auf dem Gang hört sie die Musik, die ihre Kollegen im Studio spielen. Sie will so schnell wie möglich weg von hier.
Radfahren tut gut, die frische Luft und die mechanische Beinarbeit bringen das Vertrauen in ihren Körper zurück. Zu Hause sieht sie zum ersten Mal, wie vorwitzig die weißen Krokusse schon aus dem Boden schauen. Und wie schnell der Efeu gewachsen ist, die roten Ziegel sind fast nicht mehr zu sehen. Knapp einen Meter pro Jahr, hat Floris ihr mal erzählt. Er führt Krieg gegen den Efeu, doch den hat er in diesem Jahr offensichtlich verloren. Sie zieht ein paar Triebe weg und säubert die Steine. Als sie das Laub wegwerfen will, sieht sie, dass der Deckel der Altpapiertonne offen steht. Ihr Blick streift ein zerrissenes Notenblatt darin. Nach dem heutigen Gespräch ist ihr, als gehörte es zu einer anderen Welt. Warum betrachtet sie es als Omen, dass dieses harmlose Notenblatt zerrissen ist? Die Musik ist unauflöslich mit ihrem Lebensweg verbunden, bestimmt Tag für Tag ihr Leben, ihre Entscheidungen, ihre Emotionen. Könnte sie ohne Musik existieren?
Sie blickt wieder auf die Krokusse. Bis vor ein paar Tagen war noch gar nichts von ihnen zu sehen. Und es hatte noch keine Unterredung mit Kees gegeben. Doch nun haben dessen Worte ihre Saat in Ev gelegt. Um ihre jetzige Unruhe im Keim zu ersticken, wird sie morgen ganz normal zur Arbeit gehen, beschließt sie. Der volle Terminkalender mit Proben und Konzerten wird Halt geben und dem inneren Aufruhr ein Ende bereiten.
Sie schrubbt sich in der Küche unter dem Warmwasserstrahl die Hände. Fjodor, der bis jetzt in seinem Katzenkorb lag, ist sofort bei ihr.
»Jetzt schon Hunger?«, fragt sie und schiebt ihn sachte mit dem Fuß zur Seite. Dann nimmt sie den Bratschenkoffer und geht damit in ihr Arbeitszimmer, wo eine Partitur von Antonín Dvořák auf dem Notenständer steht, die neunte Sinfonie, Aus der Neuen Welt. Es kommt ihr wie ein schlechter Scherz vor. Dutzende Male hat sie das Stück in mehreren Ländern mit verschiedenen Orchestern gespielt. Und jetzt ist es so weit, ihre Neue Welt hat begonnen.
Dvořák stammte aus Böhmen, sie selbst kommt aus einer Region, die nicht weit davon entfernt liegt: Schlesien. Spielt sie seine Musik deshalb so gern? Oder ist es, weil seine Bratschenstimmen so gut sind, weil er selbst Bratschist war? Als sie auf dem Konservatorium die Entdeckung machte, dass er außer Tschechisch auch gern Deutsch sprach, hatte ihre Sympathie für sein Werk noch weiter zugenommen. Für das nächste Jahr ist mit dem Orchester eine Amerika-Tournee geplant. Sie will mit, nein, sie fährt mit, sagt sie laut.
Plötzlich hat sie Lust zu spielen. Sie öffnet den Koffer, der dunkelrote Samt um das Instrument hat kahle Stellen. Sie nimmt den Bogen in die Hand und atmet den Harzgeruch ein, der aufsteigt, als sie das Rosshaar spannt. Kaum hat sie das Instrument unters Kinn geschoben, sieht sie Kees wieder vor sich. Schnell legt sie den Bogen auf die Saiten und spielt, doch alle Kraft fließt aus ihren Armen. Sie legt das Instrument zurück und schließt den Koffer.
Als Floris zwei Stunden später nach Hause kommt, sitzt sie immer noch in ihrem Arbeitszimmer. Ihr Gesicht ist vom Weinen verquollen. Floris stellt sich hinter sie und legt seine Arme um ihre Schultern. »Das war zu erwarten, als Dijkstra dich zu dieser Unterredung geladen hat, oder liege ich falsch?«, sagt er sanft. »Komm, wir gehen nach unten.«
Sie folgt ihm ins Wohnzimmer und schaut zu, wie er mit einem Streichholz die Kerzen anzündet. Die Flammen flackern und werfen goldene Kreise auf den Couchtisch. Floris’ kahler Kopf glänzt, sein kleines Bäuchlein, das seine Schwäche für das gute Leben verrät, wird von seinem locker fallenden karierten Oberhemd kaschiert.
»Sind es ausschließlich schlechte Nachrichten, oder ist vielleicht auch ein bisschen was Gutes daran?«, fragt er nach längerer Stille.
»Gutes? Was könnte daran gut sein?«, sagt sie und sieht ihn an.
Eine tiefe Falte erscheint auf seiner Stirn. »Veränderung gehört zum Leben, man braucht sich nur die Natur anzuschauen«, sagt er. »Manchmal ist es gerade gut, wenn dein Leben eine neue Richtung einschlägt. Jetzt sträubst du dich dagegen, aber versuch es auch mal anders zu betrachten.«
»Halt, stopp«, sagt Ev, obwohl ihr dieser Gedanke natürlich auch schon gekommen ist. »Einen Managementkurs kann ich jetzt nicht gebrauchen, okay?«
Floris bleibt still, sie spürt, dass er verärgert ist. Im Zimmer ist nur noch das leise Knistern der Kerzen zu hören.
»Entschuldige, ich …«, sagt sie und lächelt. »Ich habe einfach Pech, da lässt sich nichts machen. Ich arbeite schon so lange im Orchester, ich kann nicht anders … ich will nicht anders. Ich … weiß einfach nicht, wie ich ohne Orchester leben soll …«
»Mach es doch jetzt nicht noch schwerer, als es schon ist.« Er rutscht auf die Kante der Couch vor. »Ev, du reagierst, als wärst du schon definitiv entlassen, aber so ist es doch gar nicht.«
»Das sagst du nur …«
»Und im Übrigen, erinnerst du dich noch, wie du manchmal geschimpft hast? Dass dir das Orchester zum Hals raushängt? Ich höre es dich noch sagen.«
»Lass das doch, das ist jetzt unerheblich, ich liebe meine Arbeit …« Sie verschluckt sich, ein Hustenanfall folgt. Floris holt ihr ein Glas Wasser.
»Du solltest deinen Vater anrufen«, sagt er, als er das volle Glas auf den Tisch stellt.
»Meinen Vater?« Sie lacht laut auf. »Was hat denn der damit zu tun? Ausgerechnet mein Vater! Du spinnst wohl!« Bei den letzten Worten hat sie unversehens vom Niederländischen ins Deutsche gewechselt.
Floris setzt sich wieder.
Seine Worte ärgern sie. Weiß er überhaupt, was er da sagt?
»Warum sollte ich?«
Aber Floris antwortet nicht.
»Er ist der Letzte, nach dem mir jetzt der Sinn steht«, fährt Ev fort.
Floris schmunzelt: »Genau das ist es ja.«
»Was?«
»Dein Vater hat die Musik in dein Leben gebracht, du bist Musikerin, wie lange willst du das noch verdrängen?«
»Verdrängen?«, flüstert sie. Wieso fängt er jetzt von ihrem Vater an?
»Weißt du, warum du dich so schwertust mit ihm? Weil du ihn nie mit der Wahrheit konfrontiert hast. Du lebst ein Leben, das er sich für dich ausgedacht hat, ohne dass du dir darüber im Klaren bist. Immer diese Ausflüchte, wenn er anruft, du seist nicht zu Hause oder es sei so schwierig für dich, ein Datum festzulegen, wann ihr euch sehen kö...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Über das Buch
  3. Titel
  4. Kapitel 1
  5. Kapitel 2
  6. Kapitel 3
  7. Kapitel 4
  8. Kapitel 5
  9. Kapitel 6
  10. Kapitel 7
  11. Kapitel 8
  12. Kapitel 9
  13. Kapitel 10
  14. Kapitel 11
  15. Kapitel 12
  16. Kapitel 13
  17. Kapitel 14
  18. Kapitel 15
  19. Kapitel 16
  20. Kapitel 17
  21. Kapitel 18
  22. Kapitel 19
  23. Kapitel 20
  24. Kapitel 21
  25. Dank
  26. Glossar
  27. Liste der Musikstücke
  28. Impressum