Zonenrandgebiet
  1. 560 Seiten
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Über dieses Buch

Wie wirkte die innerdeutsche Grenze auf den Westen?

Das »Zonenrandgebiet« – entstanden mit der deutschenTeilung, verschwunden mit der Wiedervereinigung. Dieser 40 Kilometer breite Gebietsstreifen, der sich entlang der innerdeutschen Grenze von der Lübecker Bucht bis nach Bayern erstreckte, war die sensibelste Region der alten Bundesrepublik. Er hinkte dem »Wirtschaftswunder« hinterher, sollte aber zugleich im ideologischen Konflikt mit der DDR als Schaufenster die Vorzüge des bundesdeutschen Systems veranschaulichen. Hier wird seine Geschichte zum ersten Mal erzählt.

»Ein nuanciertes und scharfsinniges Buch mit subtilem Humor, das die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert meisterhaft neu bewertet.« GERMAN HISTORY

»Klar und fesselnd geschrieben … Ein Meilenstein der Umwelt- und Wirtschaftsgeschichte des Nachkriegsdeutschlands.« GERMAN STUDIES REVIEW


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1 Die Entstehung des westdeutschen Grenzlandes

Im tiefsten Winter des Jahres 1957 reiste die Journalistin Barbara Klie nach Oberfranken. Die eisigen Winterwinde aus Böhmen hatten der Region den Spitznamen »Bayerisch-Sibirien« eingetragen. Sie galt einst als geschäftiges Handelszentrum mit einer florierenden Textil-, Porzellan- und Bierindustrie, jetzt lag sie direkt am Eisernen Vorhang. Klie war beauftragt, den Menschen im Grenzland zwischen Hof und Travemünde auf den Puls zu fühlen. In ihren daraus entstandenen Reportagen für die protestantische Wochenzeitung Christ und Welt bestätigte sie die einschlägigen Vorstellungen über die Grenzregionen, die sich bis Mitte der 1950er Jahre in Westdeutschland etabliert hatten: Es war eine Gegend, »wo alle Straßen enden«, wo die Äcker auf der anderen Seite unbestellt blieben und von wo die Menschen fortzogen, sodass sie sich allmählich entvölkerte.1 Das Grenzland entlang des Eisernen Vorhangs, es galt als Ende des Westens, als letzter Vorposten der Freiheit und als trostloser und unterentwickelter Landstrich – das Armenhaus der ansonsten prosperierenden Bundesrepublik.2
Klie begegnete einer Bevölkerung, die nicht recht wusste, wem sie sich zugehörig fühlen sollte. Die Bewohner der Grenzregionen meinten sich von ihren Landsleuten vergessen. Der Bürgermeister einer Kleinstadt erklärte ihr, wie seine Mitbürger ihr Verhältnis zu dem Land sahen, in dem sie lebten. »Ist es Ihnen aufgefallen, wie unsere Leute hier sprechen?«, fragte er. »Wenn sie von Frankfurt und Essen sprechen, dann sprechen sie von ›Westdeutschland‹ – so als ob wir nicht auch Westdeutschland wären, sondern in der Zone lägen. Wenn sie ›Drüben‹ sagen, dann meinen sie nicht die Zone, sondern sie meinen das reiche westliche Deutschland hinter den Bergen, das uns so wenig von seinem Reichtum zu kosten gibt.«3 Es schien der Bevölkerung, als wolle das neue Land zwischen Rhein und Elbe sie materiell ausgrenzen. So entfremdet fühlten sich einige von ihnen, dass die DDR – obwohl abwertend als »Zone« bezeichnet – zu einer möglichen Alternative für ihr Zugehörigkeitsgefühl wurde.
Die junge Bundesrepublik hatte an ihrer östlichen Peripherie ein Problem. Seit Ende der 1940er Jahre entstand durch den Eisernen Vorhang ein Grenzland, wo es bis dahin keines gegeben hatte. In den frühen 1950er Jahren lebten in den Landkreisen entlang der neu gezogenen innerdeutschen Grenze noch Hunderttausende deutscher Flüchtlinge, die nach Kriegsende aus Ost- und Mitteleuropa vertrieben worden waren.4 Dazu kam eine große Anzahl Zuwanderer aus Ostdeutschland. Mit beiden Gruppen konkurrierten die Alteingesessenen um knappe Ressourcen, und die Umwandlung ihrer Heimat in ein Grenzgebiet brachte weitere Verunsicherung mit sich. Örtliche Amtsträger warnten bald, die wirtschaftliche Not der Alteingesessenen und der mittellosen Neuankömmlinge könnte zu politischer Instabilität führen, eine Situation, die dem sozialistischen Nachbarn jenseits der Grenze nur allzu recht käme. In dieser frühen Phase des Kalten Krieges formte sich in Westdeutschland die Ansicht, dass man sich einen solchen Schwebezustand und schwankende Loyalitäten unter den Anrainern dieser sensiblen Grenze nicht leisten könne. Aus diesem Grund begann 1953 die Planung eines wirtschaftlichen Hilfsprogramms. Es war darauf ausgerichtet, die Folgen der deutschen Teilung vor Ort zu kompensieren und die Grenzgebiete finanziell zu stützen, um ihren Bewohnern das Gefühl zu geben, dass auch sie am wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes teilhaben konnten.
Die Entstehung der westdeutschen Grenzregionen als sogenannte Zonenrandgebiete war vor allem die Folge agiler Interessenpolitik derer, die von den wirtschaftlichen Folgen der Grenze negativ betroffen waren. Die Demarkationslinien zwischen den militärischen Besatzungszonen stellten zwangsläufig ein Hindernis für den Fluss von Arbeitskräften, Zulieferungen und Handelswaren dar. Sie behinderten das ausgeklügelte System interregionaler Arbeitsteilung, das die deutsche Wirtschaft Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts bestimmte.5 Je nach örtlichem Profil entwickelten Städte und Kreise spezifische Defizite in ihrer Wirtschaftsstruktur. Zeitweise gelang es den Grenzanwohnern, aus den neuen Bedingungen Nutzen zu ziehen, doch war dies meist nur von kurzer Dauer. Besonders destabilisierend wirkte sich die Währungsreform von Juni 1948 im Grenzland aus. Die Einführung der D-Mark schuf entlang der Demarkationslinie einen Währungsdualismus, der eine Schattenwirtschaft aus Schmuggel und Niedriglohnarbeit beförderte. Während die Währungsreform für die industriellen Zentren im Westen des Landes den Startschuss für Wiederaufbau und wirtschaftlichen Aufschwung gab, wirkte sich das »Wirtschaftswunder« im Grenzland zuerst nachteilig aus. Denn als an Rhein und Ruhr die Motoren des ökonomischen Aufschwungs auf Touren kamen, zogen sie Kapital, Firmen und Arbeitskräfte aus den grenznahen Regionen ab: Bevor die westdeutsche Industrie Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben begann, lag das Arbeitskräftereservoir der Bundesrepublik im Grenzland. Von hier aus wanderten Vertriebene und Flüchtlinge in die Industrieregionen im Westen des Landes ab.6 Als die grenznahen Landkreise Fachkräfte und sogar ganze Betriebe durch Umsiedlungsangebote verloren, empfanden die Bewohner der Grenzgebiete das Wirtschaftswachstum im Westen bald als »Beschuss von der eigenen Seite«.
Die Grenzlandkreise – bezeichnenderweise zunächst vertreten durch die regionalen Industrie- und Handelskammern – reagierten darauf, indem sie bei der neu gebildeten Bundesregierung um ein umfassendes Hilfspaket ersuchten, das die negativen Folgen der Grenze für ihre Standorte ausgleichen sollte. Freilich litten nach dem Krieg nicht nur die Grenzregionen unter Entbehrungen. In einem Land, das Kriegszerstörungen und massive Bevölkerungsverschiebungen verarbeiten musste, konnte fast jeder Landstrich für sich in Anspruch nehmen, ein Not leidendes Gebiet zu sein.7 Angesichts der Konkurrenz um staatliche Ressourcen erforderte das Eintreten für die Belange der Grenzregionen ein systematisches Vorgehen. Im Zuge dieser Interessenpolitik formierte sich das Grenzland zu einer erkennbaren räumlichen Einheit, die bald einen eigenen Namen erhielt: das »Zonenrandgebiet«. Um sich von anderen Regionen abzuheben, verlegten sich die Grenzlandfürsprecher darauf, ihr Alleinstellungsmerkmal hervorzuheben: die Grenze zum ideologischen Gegner des Kalten Krieges. Auch andere Regionen mochten wirtschaftliche Probleme haben, so ihre Argumentationslinie, jene entlang der Grenze aber habe die kommunistische Aggression verursacht. Der Antikommunismus der frühen Bundesrepublik bot den Fürsprechern des Grenzlandes eine geeignete Rhetorik und Bildsprache, um ihrem Anliegen die nötige politische Aufmerksamkeit zu sichern. Sie trugen mit dazu bei, die Demarkationslinie auf der mentalen Landkarte ihrer Landsleute zu fixieren, noch bevor die ostdeutschen Behörden das Grenzregime verschärften und die Übergänge im Mai 1952 abriegelten. Als kurz vor der Bundestagswahl 1953 aus wahltaktischen Gründen ein erstes Hilfspaket zustande kam, waren es die Vertreter der Grenzregionen selbst, die die räumliche Dimension des Grenzlandes definierten. Ein 40 Kilometer breiter Streifen von der Ostsee im Norden bis zum Bayerischen Wald im Süden sollte in den Genuss staatlicher Förderung kommen. Zusammen mit der Hilfe für West-Berlin wurde die Zonenrandförderung zum langlebigsten regionalen Hilfsprogramm in der Geschichte Westdeutschlands. Damit wurden fast 20 Prozent des Staatsgebiets der alten Bundesrepublik als ein vom Kalten Krieg geschaffener Raum anerkannt.

Wirtschaftsleben mit Demarkationslinien

Deutschlands neue Grenzen waren eine Folge des Zweiten Weltkrieges und wurden von den Alliierten auf den Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam ausgehandelt. Nachdem die alliierten Truppen Deutschland im Frühjahr 1945 besetzt hatten, versuchten die örtlichen Befehlshaber oft in letzter Minute noch, Abgleichungen ihrer Grenzverläufe zu erreichen, etwa wenn es um die Einbeziehung eines abgelegenen Dorfs oder eine wichtige Straßenverbindung ging.8 Am 1. Juli 1945 zogen sich die amerikanischen, sowjetischen und britischen Truppen in ihre jeweiligen Zone zurück, während der »späte Sieger« Frankreich ein aus der amerikanischen und der britischen Zone herausgelöstes Gebiet im Südwesten Deutschlands zugesprochen bekam. Bis zur Fusion der amerikanischen und der britischen Zone in eine Bizone (Januar 1947) und deren Erweiterung durch den französischen Beitritt zur Trizone (März 1948) leiteten die alliierten Militärgouverneure die Wirtschaft ihrer jeweiligen Besatzungszone nach eigenem Ermessen. Die auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 vereinbarte Absicht, das besetzte Deutschland als eine wirtschaftliche Einheit zu behandeln, ließ sich zu keinem Zeitpunkt umsetzen.
Davon abgesehen, wurde die wirtschaftliche Aktivität in der unmittelbaren Nachkriegszeit wesentlich durch die zerstörten Verkehrswege, die in alle Winde zerstreuten Arbeitskräfte, die Nahrungsmittelknappheit und die Demarkationslinien behindert.9 Da die Besatzungsmächte die Schnittstellen ihrer Besatzungszonen nicht einfach als Verwaltungsgrenzen behandelten, sondern sie auch überwachten, kamen sie im Alltag bald politischen Grenzen gleich und warfen praktische Probleme auf, die aufwendig verhandelt werden mussten. Alltäglichkeiten wie der Weg zur Arbeit konnten zu einem »interzonalen« Vorgang werden und mussten vom Alliierten Kontrollrat geregelt werden. Wo immer möglich, versuchte die Ortsbevölkerung derartig sperrige Vorschriften zu ignorieren.10
Handelswaren, die für einen Ort außerhalb der Zone des Produzenten bestimmt waren, galten auf einmal als Exportgüter.11 Ein legaler Interzonenhandel war zunächst unmöglich und wurde, nachdem sich der Alliierte Kontrollrat damit befasst hatte, umfangreich reglementiert und mit zunehmenden politischen Spannungen zwischen den Besatzungsmächten immer weiter instrumentalisiert. Selbst Unternehmen, die die begehrten Warenbegleitpapiere ergattern konnten, wurden mitunter mit unvorhersehbaren Vorwänden abgewiesen. Da einzelne Firmen kaum in der Lage waren, sämtliche bürokratischen Hürden zu überspringen, schlossen die neu gegründeten Länder und sogar einige Städte miteinander Tauschhandelsabkommen: Bayern belieferte Sachsen mit Rindfleisch und erhielt von dort Saatkartoffeln, Lübeck exportierte Kochgeschirr und Pferde nach Mecklenburg und bekam im Gegenzug Holz und Stroh.12 Zeitgenössische Kommentatoren fühlten sich angesichts der wirtschaftlichen Rückentwicklung an die Zeit vor dem Zollverein von 1834 erinnert.13
Da ein legaler Handelsverkehr nahezu ausgeschlossen war, verlegten sich die Deutschen auf Schmuggel und Schwarzmarkt. Der Umfang des illegalen Handels war mindestens doppelt so groß wie der des legalen.14 Viele hatten aus den letzten Kriegsjahren noch reichlich Erfahrung mit den Finessen einer Schattenwirtschaft. Der Schwarzmarkt wurde zu einem Kennzeichen der deutschen Trümmergesellschaft und blühte vor allem entlang der Demarkationslinien, an den deutschen Außengrenzen und zwischen den vier Sektoren Berlins.15 Ungleich verteilte wirtschaftliche Chancen entlang politischer Grenzen haben schon immer umtriebige Menschen angezogen. »Man kann an der Grenze von der Grenze leben«, berichtete der Leiter einer Herberge in Schöningen bei Helmstedt westlich der sowjetischen Demarkationslinie, der Schmugglern und anderen Grenzgängern Betten zur Verfügung stellte. Das spezielle Schmuggelgut im Umland von Schöningen war Hering. Händler aus Sachsen schafften Naturalien nach Bremen und Bremerhaven und deckten sich dort mit dem Fisch ein. Zurück in Sachsen, brachte sein Verkauf genügend Geld und neue Tauschwaren für die nächste Reise ein. Die Zugverbindung über Schöningen wurde wegen des Geruchs in den Waggons als »Heringsbahn« bekannt.16 Solange aus dem Schmuggel und dem Hamstern keine professionelle »Schieberei« wurde, betrachteten alle Beteiligten die Sache durchaus verständnisvoll: ein Ärgernis vielleicht, aber auch eine Frage des Überlebens.17
Die Nachkriegsdeutschen lernten schnell, dass keine ihrer Binnen- und Außengrenzen der anderen glich. Die Demarkationslinien zwischen der britischen, amerikanischen und französischen Zone verschwanden im Frühjahr 1948. Es entstand ein Gebilde, das von den Deutschen als »Trizonien« bezeichnet wurde. Die von Frankreich und der Sowjetunion kontrollierten Demarkationslinien blieben jedoch Konfliktherde, und jene zwischen dem Saarland und Rheinland-Pfalz wurde schnell zu einer streng überwachten Grenze mit 1200 Zollbeamten, die nach Schmuggelware fahndeten und Personen ohne Ausweispapiere die Einreise verweigerten. Diese Grenze beeinträchtigte das wirtschaftliche Gefüge der Region und schnitt Produktionsstätten von Zulieferern und Märkten ab. Damit bezweckte Frankreich, das Saarland aus dem deutschen Territorium herauszulösen und es dem eigenen Staatsgebiet anzugliedern. Allerdings verhinderten Briten und Amerikaner diesen Plan, sodass das Saarland nach rund zwölf Jahren Zugehörigkeit zum französischen Wirtschaftsraum 1959 der Bundesrepublik beitrat.18
Das Dreiländereck westlich von Aachen war eine weitere berüchtigte Nachkriegsgrenze und wurde als Hochburg des Schmuggels bekannt. Zwischen 1945 und 1953 gelangten durch dieses »Loch im Westen« Tausende Tonnen Kaffee und andere Waren aus Belgien und den Niederlanden heimlich über die Grenze. Jede dritte Tasse Kaffee im Rheinland wurde mit geschmuggelten Bohnen gebrüht, bis die Bonner Regierung 1953 die Kaffeesteuer senkte und damit dem profitablen Handel ein jähes Ende bereitete. Bis dahin aber blieb das Schlüpfen durch das Loch im Westen eine lukrative, wenngleich gefährliche Unternehmung. Deutsche Zollbeamte töteten bei Schießereien mehr als 50 Schmuggler. Dennoch hatten die Rheinländer nicht die Absicht, den Schmuggel über den ehemaligen Westwall zu kriminalisieren, nicht zuletzt, weil er ihnen selbst zugutekam.19
Während die Lage an allen Demarkationslinien ungewiss blieb, erschien Beobachtern jene zur sowjetischen Besatzungszone von Anfang an anders gelagert. Der Journalist Josef Müller-Marein bereiste Ende 1948 die Grenzen der Trizone und veröffentlichte seine Eindrücke in der Wochenzeitung Die Zeit. Darin schilderte er die östliche Demarkationslinie in emotionsgeladenen Worten. Seine Vergangenheit als Nazi-Propagandist mag seine Wortwahl beeinflusst haben, als er behauptete, dass diese Linie »den Lebensraum eines Volkes durchschn...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Halbtitel
  3. Titelseite
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Auf der Westseite des Eisernen Vorhangs
  7. 1 Die Entstehung des westdeutschen Grenzlandes
  8. 2 Der Osten vom Westen: Ein wirtschaftliches Randgebiet an der Grenze
  9. 3 »Grüße von der Zonengrenze«: Der Eiserne Vorhang als Touristenattraktion
  10. 4 Salze, Abwässer und schwefelhaltige Luft: Grenzüberschreitende Umweltverschmutzung
  11. 5 Grenzgeprägte Naturräume: Der Eiserne Vorhang und sein Einfluss auf die Landschaft
  12. 6 Der nukleare Brennstoffkreislauf im Grenzgebiet: Gorleben und die Energiezukunft der Bundesrepublik
  13. Westdeutschland vom Rand her betrachtet
  14. Anhang