Die Cum-Ex-Files
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Die Cum-Ex-Files

Der Raubzug der Banker, Anwälte und Superreichen - und wie ich ihnen auf die Spur kam

  1. 368 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Die Cum-Ex-Files

Der Raubzug der Banker, Anwälte und Superreichen - und wie ich ihnen auf die Spur kam

Über dieses Buch

Es ist der größte Steuerraub der Geschichte: Über Jahre ließen sich Banken und reiche Anleger mithilfe skrupelloser Anwälte Steuern vom Finanzamt erstatten, die sie nie gezahlt hatten. Mit anderen Worten: Sie stahlen unser aller Geld. Allein in Deutschland beläuft sich der Steuerschaden durch Cum-Ex und ähnliche Betrügereien auf circa 36 Milliarden Euro, in elf europäischen Staaten und den USA sind es insgesamt etwa 150 Milliarden Euro.

Oliver Schröm deckte die schmutzigen Investments von Finanzjongleuren wie Carsten Maschmeyer auf, enthüllte Olaf Scholz' Verstrickung in die Cum-Ex-Affäre von Deutschlands größter Privatbank, und er rief die internationale Investigativkooperation »CumEx-Files« ins Leben. Hier erzählt er exklusiv von seinen oft abenteuerlichen Recherchen, bei denen er selbst zum Gejagten wurde. Ein Wirtschaftskrimi und ein Sittengemälde zugleich.

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Information

1

Hamburg, 12. September 2013

Das Handy klingelt, als die U-Bahn um die Kurve schießt. Mit ohrenbetäubendem Kreischen fährt der Zug in die Haltestelle Landungsbrücken ein. Am anderen Ende der Verbindung ist Kerstin Westermann, Sekretärin im Politik-Ressort des stern. »Ich habe einen Anrufer in der Leitung. Angeblich hat er Informationen zu einer Steuergeschichte.« Ich bin überrascht. Seit drei Jahren leite ich das Investigativ-Team des Magazins. Nur selten hat das Politik-Ressort Hinweise an uns weitergegeben. Aber Kerstin erreicht niemanden von ihren Leuten. Alle sind in der Redaktionskonferenz, Blattkritik. Ich tue mir das selten an. Kerstin weiß das.
»Ich stell’ mal durch«, sagt sie und legt auf.
Die Türen der U-Bahn springen auf. Ich bleibe auf dem Bahnsteig stehen, nenne meinen Namen und frage: »Wie kann ich helfen?«
»Sind Sie interessiert an Informationen zu einem der größten Steuerskandale der Geschichte?«
Es gibt Fragen, die eigentlich kein Nein als Antwort erlauben. Aber nach 30 Jahren als investigativer Journalist weiß ich auch: Selten bewahrheiten sich großspurige Hinweise von anonymen Anrufern. »Es kommt drauf an«, antworte ich und frage, mit wem ich es zu tun habe.
»Ich arbeite für eine Schweizer Bank. Es geht um Aktiengeschäfte, durch die dem deutschen Staat vermutlich Milliarden an Steuern entgangen sind. Und Steinbrück ist daran beteiligt!«
In zehn Tagen sind Bundestagswahlen. Finanzminister Peer Steinbrück ist Kanzlerkandidat der SPD. Die Wahl scheint entschieden. Nach neusten Umfragen liegt seine Partei bei 25 Prozent, die CDU bei 40. Hat Steinbrück etwa Steuern hinterzogen?
»Nein!«, sagt der Anrufer, »aber er hat eine Gesetzeslücke noch vergrößert, wodurch sich Jahr für Jahr namhafte und prominente Deutsche zu Unrecht Kapitalertragssteuern auszahlen lassen. Der Schaden geht in die Milliarden.«
Ich habe keine Vorstellung, worum es geht. Zudem keimt Skepsis auf, ob es sich um einen der vielen Anrufer handelt, die sich mit überzogenen Verdächtigungen bei Redaktionen melden.
»Können Sie Namen nennen?«
Der Anrufer lacht. »Damit sie in der nächsten Ausgabe des stern stehen?«
Diese Sorge ist unbegründet, mache ich ihm klar. Ohne handfeste Belege veröffentlicht kein vernünftiger Journalist eine Geschichte über mögliche Steuervergehen von Prominenten.
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
Ich entscheide mich für alles oder nichts. Ich bitte den Anrufer, einen Namen zu nennen, der zeigt, dass es sich lohnt, das Telefonat fortzuführen.
Schweigen.
Dann: »Carsten Maschmeyer!«
Mit lautem Zischen schließen sich die Türen der U-Bahn. Ich trete ein paar Schritte zurück. Die U 3 fährt ohne mich los.
Maschmeyer ist Milliardär, ihm gehörte der Finanzvertrieb AWD. Seine Drückerkolonnen vermittelten hochriskante Finanzprodukte, Schiffsfonds etwa oder Schrottimmobilien. Zehntausende wurden durch Anlageempfehlungen des AWD um ihr Erspartes gebracht, verloren ihre Altersvorsorge. Maschmeyer wurde reich.
Mit seinem Vermögen kamen mächtige Freunde. Ex-Bundespräsident Christian Wulff machte während seiner Amtszeit in Maschmeyers Villa auf Mallorca Urlaub. Gerhard Schröder unterstützte der Milliardär mit der Anzeigekampagne »Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein«. Nachdem das ARD-Magazin Panorama 2010 und 2011 über seinen Aufstieg, seine Geschäftspraktiken und seine Kontakte in die Politik berichtet hatte, überzog Maschmeyer das TV-Magazin mit einstweiligen Verfügungen und ging gegen die Autoren vor. Es kam zu 18 Verfahren.
Für mich bleibt die Frage: Hat der anonyme Anrufer handfeste Beweise, dass Maschmeyer in dunkle Aktiengeschäfte verwickelt ist?
»Wenn Sie Belege sehen wollen, müssen Sie in die Schweiz kommen.« Kein Problem.
Kurze Pause. »Montag, 15 Uhr, Züricher Hauptbahnhof. Meeting Point am Ende der Bahnhofshalle, kurz bevor es zu den Bahnsteigen geht.«
Bevor ich noch weitere Fragen stellen kann, folgt der Hinweis: »Machen Sie sich schlau über Cum-Ex. Und schauen Sie sich Hanno Berger an. Dann wissen Sie, wovon ich spreche.«
Danach legt der anonyme Anrufer auf. Die nächste U-Bahn fährt ein. Ich habe noch nie von Hanno Berger gehört oder etwas von Aktiengeschäften namens Cum-Ex. Ratlos steige ich in die Bahn.

2

Frankfurt am Main, Frühjahr 2005

Ungläubig starrt Hanno Berger auf das Gutachten. »Das kann nicht sein!«, entfährt es dem Steueranwalt. Sein Mitarbeiter schweigt. Er hat seinen Boss um die Einschätzung einer juristischen Expertise gebeten. »Das kann nicht sein!«, wiederholt Berger und legt das Konvolut auf den Schreibtisch zurück. Auf dem Deckblatt prangt links oben ein Logo. Es zeigt den Erzengel Michael mit einem Speer vor der Brust. Daneben steht: Freshfields Bruckhaus Deringer LLP. Die Anwaltssozietät mit Hauptsitz in London ist eine Art Platzhirsch, weltweit. Ihre Wurzeln reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert. Unter dem Namen der Wirtschaftskanzlei steht »Highly confidential«, streng vertraulich. Das Gutachten der Konkurrenz ist brisant, für einen Steueranwalt wie Berger gar revolutionär.
Berger ist selbst ein Schwergewicht in der Branche. Seit zwei Jahren ist der 54-Jährige Steuerchef der Deutschland-Niederlassung von Dewey Ballantine, einer der großen Wall-Street-Kanzleien in New York. Er residiert im 32. Stock des Skyper Towers in Frankfurt am Main. Das Hochhaus hat Glasfassaden und liegt im Finanzviertel, wo hohe Mieten, aber noch viel höhere Umsätze erzielt werden.
Die Geschäfte laufen gut, und das liegt auch daran, dass Berger einen Ruf genießt wie kaum ein anderer Steueranwalt in Deutschland. Unter all den Tricksern, die hochvermögenden Mandanten dabei helfen, möglichst wenig Abgaben zu zahlen, gilt Berger geradezu als Zauberer. Zu seinen Mandanten zählt neben einer Reihe von Großkonzernen beinahe alles, was in der Republik Rang und Namen hat. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker findet sich ebenso in seiner Kundenkartei wie ein namhafter Fußballnationalspieler. Sie schätzen alle dasselbe an Berger: Er findet immer einen Weg, wie seine Kunden mehr oder weniger legal dem Fiskus Steuern vorenthalten. »Steuern sind auch nur Kosten«, predigt Berger. »Und Kosten müssen optimiert werden.«
Aber was Berger vor sich auf dem Tisch liegen hat, ist kein neues Modell zur Steueroptimierung. Es geht vielmehr um pure Alchemie! In dem umfangreichen Gutachten geben die Kollegen von Freshfields ihre rechtliche Einschätzung zu geplanten Aktiengeschäften ab. Im Branchenjargon heißen sie nur: Cum-Ex. Hinter diesem kryptischen Begriff verbirgt sich eine perfide Masche zum Gelddrucken. Die genaue Ausgestaltung der Aktiengeschäfte ist hoch komplex (siehe Anhang), aber das Grundprinzip dahinter ist simpel: Eine Steuer wird nur einmal bezahlt, jedoch mehrfach vom Finanzamt zurückgefordert.
Dazu werden Wertpapiere rund um den Dividendenstichtag, wenn Unternehmen Gewinnanteile an ihre Aktionäre ausschütten, blitzschnell hin und her geschoben, und zwar einmal mit (Cum) und einmal ohne (Ex) Dividendeanteile. Da das internationale Abwicklungssystem für Wertpapiere eher träge ist, kommt es zu einer widersinnigen Situation: Für rund 48 Stunden ist nicht klar, wer der eigentliche Eigentümer des Wertpapiers ist. Und wer sich die vom Aktienkonzern abgeführte Kapitalertragssteuer auf die Dividende vom Staat teilweise zurückholen darf. Es scheint, als gäbe es zwei oder noch mehr Besitzer der Aktie, und sowohl der ursprüngliche Eigentümer als auch der angebliche Käufern des Wertpapiers erhält von dem automatisierten System eine Steuerbescheinigung, obwohl nur einmal Steuern abgeführt wurden. Die Deals zwischen den Aktienbesitzern ergeben nach den üblichen Maßstäben keinen Sinn, weil die Händler keine Kursgewinne machen. Es geht einzig und allein darum, Steuergelder zu ergaunern. Jeder, der sich an diesem Geschäft beteiligt, wird reicher. Und der Staat wird ärmer, eins zu eins.
Berger vertieft sich erneut in das Gutachten der Konkurrenz. Er ist ein Mensch, der mit Zahlen, aber auch mit Sätzen jonglieren kann, ein Schnell- und Vielredner, nie verlegen um Worte und Argumente. Was er aber nun aufsaugt, lässt selbst ihn für kurze Zeit verstummen. Denn der Grundgedanke ist für einen Steuervermeider wie ihn schlicht genial. Aber ist das auch legal?
Berger rätselt. Normalerweise hat er kein Problem, bei seinen Steuermodellen bis an die Grenze des Erlaubten zu gehen und manchmal vielleicht auch etwas darüber hinaus. Ohne Risiko gibt es keine Rendite. Aber Cum-Ex scheint zu lukrativ, um legal zu sein. Nicht umsonst will sich der Auftraggeber des Gutachtens absichern, diesen Griff in die Staatskasse von Freshfields juristisch als unproblematisch bestätigen lassen. Freshfields ist in seinem Urteil eindeutig: Es gibt kein Gesetz, das eine mehrfache Auszahlung einer nur einmal einbezahlten Steuer verbietet.
Auftraggeber ist die Bank Macquarie aus Sydney. Die australische Investmentbank betreibt neuerdings eine Dependance in München. Sie ist berüchtigt für ihr aggressives Vorgehen am Aktienmarkt. Kein Geschäft scheint zu riskant, solange es genug Boni für die Banker abwirft. Bei Macquarie verdienen Manager ab einem gewissen Level mehrere Millionen im Jahr. In der Branche heißt die Bank deshalb die »Millionärsfabrik«.
Aber bevor Macquarie in Deutschland in das Cum-Ex-Geschäft einsteigt, möchten sich die Australier doppelt absichern und haben daher einen hochrangigen Mitarbeiter aus Bergers Steuerabteilung beauftragt, ein Zweitgutachten zu erstellen. Dieser zieht vorsichtshalber seinen Boss hinzu. Und Berger handelt. Für die Prüfung des Freshfields-Gutachtens trommelt er sein Steuerteam bei Dewey zusammen, großteils junge Kollegen, hoch talentiert und eingeschworen vom ihm selbst. Viele arbeiten schon länger bei Berger, sind gemeinsam mit ihm zu Dewey gekommen, fasziniert von seinen Ideen, seinem Einsatz und seiner Raffinesse. Für einige ist er Lehrer und leuchtendes Vorbild.
Über Wochen brütet Berger mit seinem Team über dem dargelegten Modell. Ist die Konstruktion juristisch wasserdicht? Falls ja, dann dient Cum-Ex als Geldquelle, die erst einmal nicht versiegen kann. Den Profit bringt ja der Staat, und den kann man im Grunde ewig abschöpfen. »Der Staat«, bimst Berger seinem Team ein, »geht niemals pleite.«
Keiner weiß das besser als Berger. Er hat lange genug auf der Seite des Staates gearbeitet, als Steuerprüfer für die hessische Finanzverwaltung. Am Finanzplatz Frankfurt war er für die Prüfung der Banken zuständig. In den Zentralen der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und der Commerzbank fürchtete man ihn. Berger war einer der Besten in seinem Fach. Er holte immer etwas mehr raus als seine Kollegen.
Berger stammt aus einer Juristen- und Beamtenfamilie. Sein Vater war Pfarrer und schickte ihn aufs altsprachliche Lessing-Gymnasium in Frankfurt. Dort lernte er Altgriechisch, es fiel ihm bald leichter als Englisch. Sein Bruder studierte Jura und wurde Richter. Auch Hanno Berger schrieb sich an der Goethe-Universität für Rechtswissenschaften ein. Ein Freund des Vaters riet ihm, sich auf Steuerrecht zu spezialisieren und erstmal in die Finanzverwaltung zu gehen. Berger folgte dem, Steuerrecht interessierte ihn. Die hessische Finanzverwaltung nahm ihn nach Zweitem Staatsexamen und Doktorarbeit – und bereute es nicht. Auf Talente stießen sie immer mal wieder in den 35 Finanzämtern, der Oberfinanzdirektion Frankfurt und dem Finanzministerium in Wiesbaden. Aber dieser junge Kollege, der auch noch einen Doktortitel führte, paarte Begabung mit Einsatzbereitschaft. Arbeitszeiten schienen Berger nicht zu interessieren. Er kniete sich rein, als habe er in einer der internationalen Großkanzleien angeheuert, die in Frankfurt Filialen betrieben und von Neuzugängen wie ihm schon aus Prinzip 60-Stunden-Wochen erwarteten. Abends und an Wochenenden besuchte er Fortbildungen und hielt dort irgendwann auch selbst Vorträge. Sein Wort hatte bald Gewicht. Und der schon in jungen Jahren wortgewaltige Berger wusste, dass die andere Seite jedes Wort von ihm auf die Goldwaage legt.
Hanno Berger stieg zügig auf und erhielt bald eine Stelle als Regierungsdirektor. Damit war er unglaublich schnell in der Besoldungsgruppe A15 angekommen. 1988 übernahm er im Finanzamt Frankfurt-Börse ein Sachgebiet, das ihn schon lange faszinierte: die Betriebsprüfung bei Banken. Unter ihm arbeiteten Dutzende Fachbeamte, befasst mit der Frage, ob die Banken korrekte Angaben gemacht hatten oder dem Staat mehr Steuern schuldeten. Ihr neuer Chef dirigierte seine Kontrolleure aber nicht nur, sondern ging ihnen selbst voran. Mehrfach die Woche besuchte er große Banken, prüfte deren Zahlen und trieb Steuern ein. Der Staat zeigte Präsenz beim Hochkapital – in der Person von Hanno Berger. Den schüchterte so schnell niemand ein. Als Speerspitze des Fiskus drang er in das Fleisch jener ein, die dem Staat möglichst viel vorenthalten wollten.
Doch bei aller Furchtlosigkeit und bei allem Sinn, den seine Aufgabe stiftete – Berger ärgerte sich in jenen Jahren auch. Die Gegner waren keineswegs schlauer als er, aber oftmals deutlich besser aufgestellt. Sie entwickelten hochkomplexe Finanzkonstruktionen, die während der Prüfungszeit kaum zu durchdringen waren. Manches musste Berger gezwungenermaßen durchgehen lassen.
»Der Beamtenrock ist kurz, aber er wärmt«, sagt Berger später über diese Zeit. Aber alsbald kommt eine der großen deutschen Banken auf ihn zu und fragt: »Berger, warum kommen Sie nicht zu uns?« Die Moral haben die Banker nicht auf ihrer Seite, aber ein paar andere gute Argumente. In dieser Szene wirbt man mit einem Jahresbonus, der allein oft schon höher liegt als die Jahresbezüge eines A15-Beamten. Dazu kommt ein Gehalt, das sich von Anfang an im mittleren sechsstelligen Bereich bewegt. Berger lassen diese Offerten nicht kalt. Jedenfalls kann er sie noch Jahre später runterrattern: Umgerechnet 280 000 Euro mit einem Dienstwagen der Luxusklasse bietet ihm eine große deutsche Bank. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft will ihm sogar ein Jahresgehalt von 340 000 Euro zahlen.
Die hessische Finanzverwaltung hat da keine Chance: Sie verliert ihren Spitzenbeamten. Ende der 90er Jahre fängt Berger bei der New Yorker Großkanzlei Shearman & Sterling an, für die der legendäre Anwalt Georg F. Thoma die Größen der deutschen Industrie bei Zusammenschlüssen, Übernahmen und Verkäufen berät. Berger soll bei den Milliardendeals die Steuern drücken, sie möglichst sogar steuerfrei gestalten. Zu seinen Kunden gehören Großkonzerne wie etwa der Chemieriese Bayer oder das Pharmaunternehmen Aventis, das alsbald mit Sanofi fusioniert.
Im Job will Berger immer der Beste sein. Und er weiß die Menschen für sich einzunehmen – indem er ihnen Geld spart. Mit seiner Wortgewalt und Sachkenntnis vermag er nicht nur die Gier seiner Kunden zu wecken, sondern auch die seiner Kollegen. Bei einer Partnersitzung der Deutschland-Niederlassung von Shearman & Sterling prahlt er: »Ich kann euch alle so gut wie steuerfrei stellen!« Viele seiner Anwaltskollegen verdienen im Jahr zwischen 800 000 und 1,2 Million Euro. Berger verzückt sie mit dem Vorschlag, ihren Steuersatz von 50 auf gerade mal fünf Prozent zu drücken. Und der Ex-Beamte liefert tatsächlich. Ernst & Young, die Wirtschaftsprüfer von Shearman, werden eingeschaltet. Berger erklärt ihnen sein Konzept der »garantierten Zahlungen«. Das Prinzip: Die Gehälter der Partner werden als garantierte Zahlungen der US-Muttergesellschaft ausgewiesen. Damit fallen sie unter den US-amerikanischen Steuersatz – und fließen durch das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den USA und Deutschland weitgehend abgabefrei auf die Konten der Empfänger. Es dauert Jahre, bis der Gesetzgeber die Lücke schließt. So lange funktioniert Bergers Trick.
Als Betriebsprüfer ist Berger eineinhalb Jahrzehnte lang Steuervermeidern auf die Pelle gerückt, hat sie manchmal bis in das letzte Schlupfloch verfolgt, nun sucht er selbst für seine Mandanten nach solchen Löchern. Sein Spielfeld sind Gesetzestexte, das Spielgerät ihre Paragrafen, manchmal gar einzelne Worte. Ist an irgendeiner Stelle im Paragrafendschungel etwas lax oder zumindest nicht ganz eindeutig formuliert, beißt Berger sich fest. Skrupel kennt der frühere Steuerprüfer und Pfarrersohn nicht: »Steuerrecht ist Eingriffsrecht, es ist der Staat, der dem Bürger etwas wegnimmt. Die Steuern stehen nicht dem Staat a priori zu, sondern sind erst mal das Geld des Bürgers. Weshalb Steuersparen das Recht eines jeden Steuerpflichtigen ist. Ein Unternehmer muss geradezu Steuern sparen; nutzt er die Möglichkeit nicht, ist das eine Untreue gegenüber den Aktionären.«
Es ist ein permanenter Wettlauf mit dem Gesetzgeber. Und die Suche nach steuerlichen Auswegen im Gewirr der Paragrafen ist für Berger wie eine Sucht. Dabei agiert er nicht als genialer Individualist. Von der Konkurrenz wirbt er findige Steueranwälte ab. Sein Team bei Dewey Balla...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Halbtitel
  3. Titelseite
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Prolog
  7. Hauptteil
  8. Epilog
  9. Anhang
  10. Wie Funktionieren Steuergetriebene Geschäfte?
  11. Dank
  12. Der Autor
  13. Wer dieses E-Book gerne gelesen hat, liest auch ...